Es gibt Nachbarn, neben denen man gern wohnt, und solche, die auf ’ner Eisscholle vor Grönland besser aufgehoben wären. Unsere Nachbarn sind von der zweiten Sorte.
Wir wohnen im dritten Stock, direkt unterm Dach. Wir haben einen großen Balkon, wo wir im Sommer Abend essen und Canasta spielen. Die Mama liegt gern im Liegestuhl und liest Hausfrauenzeitschrift in Pralinenbegleitung. Das Buntgestrüpp in den Blumenkästen ist von ihr, während die Mia den Balkon lieber nutzt, um ihre Disco-Klamotten auszulüften und neue Strähnchenfarben auszuprobieren. Wegen ihrem Rumgematsche im Bad hatte es nämlich Ärger gegeben, besonders seit die Brille der Mama nun am rechten Bügel signalblau gesprenkelt ist. Für mich macht der Balkon vor allem deswegen Attraktivität, weil ich dort bequem meinen Matchbox-Autos die jährliche Dusche verabreichen kann: einfach die Autos in den Wäschepuff stapeln, den Kärcher aufdrehen – fertig.
Macht es jemandem Verwunderung, dass wir dieses Idyll bewahren wollen? Und doch müssen wir unsern Frieden verteidigen, obwohl wir die Hauswirte sind und niemand ohne unser Einverständnis einfach weiße Kleckse auf unserem Balkongeländer hinterlassen darf. Jawohl … und nicht nur dort!
Kaum waren wir eingezogen, taten sich nämlich fremde Tauben auf unsern Fensterbrettern breit machen. Meist hockten sie nur simpel dort und schauten auf die Dachrinnen gegenüber. Aber manchmal watschelten sie auch hin und her, leierten dazu ihren komischen Gurrgesang herunter und ließen alles liegen, was sie nicht mehr brauchen konnten: leere Pommestüten, alte Lottoscheine, Apfelkerne. Oder noch schlimmer: Sie betrieben heimliches Zusammenrotten und drückten sich am Fenster die Schnäbel platt, während sich die Mama im Schlafzimmer von ihren Kleidern Befreiung verschaffte. Dann war Gegröle zu hören, und wenn wir uns ganz besonders anstrengten, konnten wir einzelne Wörter verstehen, zum Beispiel „Zirkusnummer“ oder „Nilpferdhintern“.
Der Mama hat das große Störung bereitet, nicht nur weil sich Frauen grundsätzlich ohne jeglichen Humor zeigen, wenn andere Leute Wahrheit über ihren Körper aussprechen, sondern weil sie fand, dass ihr Intimsphäre zusteht, erst recht im eigenen Heim. Sie hat dann Jalousien innen an die Fenster gehängt. Damit war für sie das Problem erledigt – jedoch nicht für mich.
Wer mich kennt, weiß, dass ich ein Vogel voller Güte und Verträglichkeit bin. Doch was zu viel ist, ist zu viel. Hier durfte man nicht schluren, gar nicht erst ein Exempel einreißen lassen, sonst täte man hinterher dumm hinterm Sofa hervorschauen. Deshalb habe ich regelmäßige Patrouillengänge eingeführt: Ich habe mich angeschlichen, habe ohne Vorwarnung von innen eine Lammelle hochgerissen und voller Schmackes meinen Schnabel gegen die Scheibe gepfeffert. Oho, das gab vielleicht böses Entsetzen! So manche Taubenoma ist vor Schreck in den Abgrund getrudelt. Weggeblieben sind sie aber trotzdem nicht. Spätestens am nächsten Abend saßen sie alle wieder dort. Einer hat sogar „Grünklops“ zu mir gesagt und gemeint, ich hätte Nasenlöcher so groß wie Kanaldeckel – ob’s bei mir dahinter auch so wild gluggern täte?
Okay, da war dann meine Endlosgeduld erschöpft. Ich habe den Tauben einen Mietvertrag vorgelegt: pro Fensterbrett und Monat 20 Euro wegen Untermiete zuzüglich 30 Euro Pauschalgebühr für die Reinigung. Ich fand es einen fairen Preis. Die Mama hätte die Bretter abseifen sollen – so war’s vorgesehen –, und selbstverständlich hätte ich ihr für die Mühe ein bisschen was abgegeben vom Reinigungsgeld. Die Mia war eingeteilt für die Buchführung und ich hätte den Kassenwart plus Inkassounternehmen plus Schlägertrupp in Personalunion gemacht. Zusammen wären wir absolut durchgreifend gewesen. Doch so weit sind wir gar nicht erst gekommen, denn die Tauben taten mir Kollektivtipperei an die Stirn vorführen und obendrein ist der Mietvertrag in die Tiefe geweht und in einer Pfütze gelandet.
Seitdem fühlen wir uns nicht mehr ganz so freundschaftlich verbunden. Immerhin sind die Tauben endlich ans Nebenhaus gezogen. Jetzt hocken sie dort und üben sich da in Fassadenverschandelung. Ich glaube, sie mögen es nicht, wenn die Füße im Rübensirup stecken bleiben. Die Mama hatte sich gewundert, wo all ihr Sirupvorrat abgeblieben war, und im Sommer, wenn’s heiß ist und regnet, laufen dünne Streifen braune Suppe die Hauswand herunter – aber damit hab ich nichts zu schaffen. Wer große Ziele vor Augen hat, darf sich nicht mit Kleinigkeiten aufhalten.
Leider ist da aber noch unser Balkon – und die Tauben sind ja auch noch immer da. Inzwischen feiern sie ihre Partys bei uns einschließlich Silberhochzeit, Kommunion und Taufe. Im Sommer ist es noch auszuhalten, weil wir da selbst den Platz besetzen bis spät in die Nacht, aber wenn’s kalt geworden ist und wir nur durch die Balkontür zugucken können, kommen sie angeschwärmt, bauen Büfetts auf, hängen Girlanden in die Blumenkästen und drehen den CD-Spieler an. Wenn man dann die Balkontür aufreißt und sich in bescheidener Empörung vor ihnen aufstellt mit den Flügeln in den Hüften, lachen sie nur frech, pieksen einem den Spitzschnabel in den Bauch und sagen: „Geh schön wieder rein, Grünklops, du holst dir sonst den Schnupfen.“
Von der Mama kommt keine Hilfe. Sie hat sich längst der Resignation hingeworfen; sie rollert regelmäßig die Jalousien runter und tut so, als täte sie nichts mitkriegen. Der Mia macht alles ebenfalls kein Kopfzerbrechen. Ich habe sogar mal gesehen, wie sie auf dem Balkon mit einem Taubenmädchen Nagellackfläschchen getauscht hat. So bin ich der Einzige, der noch für Recht und Gerechtigkeit kämpfen tut. Dafür riskiere ich alles, sogar mein Leben.
Die Lautstärke von der Grölerei stört mich gar nicht so sehr, auch nicht das ewige „Humpta-humpta-tätärä“ aus dem Lautsprecher, und dass sie Fleischsalat auf einen Löffel tun und damit gegen die Balkonscheibe Wettschießen veranstalten, während ich dahinter stehe, ist ebenfalls nicht so schlimm, aber eins macht mir dann doch arge Verletzung in der Würde: Wenn sie von außen an die Scheibe klopfen und fragen, ob ich mal eben ein bisschen Meerrettichcreme für die Schinkenröllchen hätte oder ihnen eine Kopfschmerztablette rausreichen könnte, der Opa täte sich immer so volllaufen lassen und bekäme es dann an der Migräne. Wenn so was passiert, fühle ich Bedarf an Eisenhandschuhen und einer Automatik, die meinen Fuß ausfährt. Stattdessen hole ich aber nur tief Luft, knalle vor dem Unverschämtling wortlos die Fensterscheibe in den Rahmen. Das ist zwar nur eine Rache ohne das, was mir eigentlich zusteht, aber wenigstens macht es sich gut im Lebenslauf unter der Rubrik „Besondere Leistungen“. Ich gelte als starker Charakter mit großer Milde und Disziplin ohne jeglichen Kompromiss.
Trotzdem macht es mir arge Missstimmung, dass ich am nächsten Morgen beim Aufräumen helfen muss. Die Mama kehrt den Bodendreck zusammen, die Mia pult die Girlanden aus den Blumenkästen und ich muss die Balkonscheibe abkratzen mit „Glas-Hui“ und Ledertuch.
„Wir wollen’s doch schön haben“, behauptet die Mama und summt falsche Melodien dazu.
Vielleicht sollte ich ihr endlich mal sagen, dass sich neulich bei mir ein Mäusepärchen vorgestellt hat: Rupert und Lucrezia – sehr sympathisch. Ich hatte sie unten am Spielplatz kennen gelernt. Sie suchten gerade eine neue, gemütliche, kinderfreundliche Bleibe. Ich habe sie mitgenommen. Jetzt wohnen sie bei uns hinter den Töpfen mit den Tomatenstauden. Sie zahlen mir 10 Euro Untermiete und haben versprochen, ihre Köttel selbst unterm Geländer durchzufegen.
Ich glaube, die Mama wird sich freuen, wenn sie davon erfährt, weil sie doch immer sagt, wir sollen gut sein zu allen Kreaturen, besonders zu jenen, die Unterstützung brauchen. Trotzdem warte ich lieber, bis die Babys da sind, denn dann wird die Überraschung umso größer sein.
© Max: Papageiengeschichten
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