Sonntag, 22. Dezember 2019

Wir wünschen euch ...

Wisst ihr noch? Letztes Jahr um diese Zeit waren wir am Nordpol, dem Weihnachtsmann unter die Arme greifen. Dieses Jahr sind wir in Australien, aber davon berichte ich später. 

Allen, die nicht mit nach Australien durften (die Polly kann ganz schön ... äh ... sparsam sein), und natürlich all unsern Lesern und Freunden in nah und fern wünschen wir eine wunderbare, friedlich Zeit daheim mit allseits gefüllten Futternäpfe und vielen, vielen Geschenken.

Habt ihr's eigentlich kalt in Deutschland? Hi hi hi, wir schwitzen hier im Outback.

Macht's gut, bis später.

Euer Max und die Mia

Foto: Pixabay
© Max: Papageiengeschichten
 

Sonntag, 24. November 2019

Ei-ei-ei, das was unklug

Bevor sich jemand beschwert, dass ich schon wieder nicht rumkomme mit dem neusten Reisebericht, fordere ich den geneigten Leser auf, an einem kleinen Rätsel teilzunehmen. Das beruhigt die Nerven und trägt zur Bildung bei. Wo ist das?


Ich helfe mal nach.
  1. Es liegt nicht in Europa.
  2. Es ist nicht in Australien.
  3. Von dem Namen gibt es einen Schriftzug auf weißen Damen-Strandtaschen mit Goldkordeln.
Na, richtig geraten? Gut. Dann wisst ihr ja, wohin wir im September gereist sind. Die ganze Story hier zu erzählen, kann ich leider nicht machen, weil mir die Zeit fehlt. Ihr wisst ja, gerade vor Weihnachten ist viel zu tun. Mir fehlt noch Geld für die Geschenke, und die Dachtauben sind sehr im Rückstand mit der Miete. Wenn ich das nicht in den Griff kriegte, kann ich der Putze diesmal nur neue Topflappen schenken. Die wünscht sie sich zwar brennend, aber meine Ambitionen gehen dann doch über den Wert von 5 Euro hinaus. Also heißt es am Ball bleiben. Deswegen muss die Schreiberei erst mal warten.

Was ich aber machen kann, ist schon mal den Anfang zu erzählen, also das, wie es zu dieser Reise kam. Auslöser war ein Brief vom Luke. Ich hatte mich schon gewundert, warum der Halsabschneider mir überhaupt schrieb, und dann auch noch auf edlem Geschäftspapier. Der Inhalt war dann noch mysteriöser.


Häh? Was wollte die Knalltüte in Malibu? Und warum lud er uns ein? Da musste ich gleich mal beim Pit nachfragen. Da war doch was faul? Nee-nee, meinte der am Telefon, der Luke hätte tatsächlich den Job bei Baywatch bekommen – ganz überraschend für alle, weil keinem bekannt gewesen wäre, dass er sich dort beworben hatte. Nun fliege er zwei-, dreimal im Jahr an die Westküste: mal was anderes sehen, rauskommen aus dem Trott, neue Herausforderungen stemmen. Immer nur Stallratten und Kakerlaken um sich herum, das enge auf die Dauer den Horizont ein, da werde man betriebsblind. Der Pazifik sei ganz anders, nicht zu vergleichen mit der Ostsee, und die Badegäste, die seien auch viel gefährdeter wegen der Wellen und weil sich dort menschliche Unvernunft gleich viel verheerender auswirken könne. Kurzum, der Luke hätte den perfekten Ferienjob gefunden. Bezahlt werde er übrigens auch recht gut. Daher könne er uns getrost zu dem kleinen Trip einladen. Er, der Pit, würde sich jedenfalls schon freuen. Er müsse auch mal raus, auch mal Abstand gewinnen. Als Geschäftsführer dauernd Kondolenzschreiben an trauernde Stallratten- und Kakerlaken-Familien zu verschicken, sei ganz schön aufreibend.

Hm, ich traute dem Braten trotzdem nicht. Der Luke hatte doch noch nie was verschenkt?
„Papperlapapp!“, hat die Mia gemeint. „Das hat schon alles seine Richtigkeit.“
Dann ist sie ans Handy gestürmt und hat die Cora angerufen. Hysterisches Gekreische auf beiden Seiten. Von der Anschaffung eines neuen Glitzer-Bikinis war die Rede und davon, dass Malibu doch ganz in der Nähe von Beverly Hills liege, nicht wahr? Mönsch, dann sehe man vielleicht sogar den einen oder andern Hollywood-Star, ganz live und von ganz nah! Die Mia trampelte dabei vor Aufregung wie blöd mit ihren Stummelbeinchen auf der Ledercouch herum, obwohl das wegen der Kratzer streng verboten ist. Die Kratzer von ihren langen Krallen hat sie später mit schwarzer Schuhcreme zu reparieren versucht. Weil sich aber die Putze mit ihrer hellen Hose draufgesetzt hat, gab es mächtig Ärger. Die Mia hatte alle Hände voll zu tun, die Wogen wieder zu glätten. Ich weiß nicht, wie sie es schließlich geschafft hat (wahrscheinlich mit weinerlicher Reue), aber am Ende stand ihrer Teilnahme an der Reise nichts mehr im Wege.

Doch, halt! Nicht ganz. Ein Hindernis war noch zu überwinden: der Kauf einer neuen Strandtasche. Mit der alten vom Ägypten-Trip, äh, ich meine von unserer Spessart-Wanderung, könne man sich ja un-mööööglich in Malibu blicken lassen, obgleich breit und fett „Malibu“ draufstand. Endlich hätte es mal gepasst. Aber da war die Mia unerbittlich. Auch Coras Exemplar würden wir nicht mehr zu Gesicht bekommen, denn das war in Kairo geblieben, nachdem die Strandtasche als Krankentransport hatte dienen müssen. So was hält kein Stoff aus, wenn man ihn mit einer invaliden Amazone drin über den Asphalt schleift. 

Mir schwirrte schon der Schädel vor lauter blödem Urlaubsgedöns. Deswegen habe ich mich auf den Karlsson gefreut. Der würde die ganze Sache genauso rational sehen wie ich. Es geht halt nichts über ein anständiges Männergespräch. Ich habe ihm den Brief vorgelesen.
„Hm … ja … gut“, meinte er aber nur am Telefon.
Wie? Das war alles, was er dazu zu sagen hatte?
Nun ja, bei ihm herrsche noch dicke Luft, da könne er schlecht planen, hat er erklärt. Sein Papa wäre noch immer ziemlich angefressen (man erinnere sich: wegen der Lügerei und der Unterschlagung von einem Batzen Bildungskohle). Da müsse man leiser treten, sich wohl verhalten, nicht auffallen und – ganz wichtig – Bescheidenheit demonstrieren. Ein Urlaub, selbst wenn es sich nur um eine Woche handelt, käme da nicht so gut an.
„Aber der Luke zahlt doch alles“, habe ich gesagt.
Ja, schon, aber es brauche Zeit, um den Papa wieder gnädig zu stimmen. Das müsse man klug angehen: mit einlullen, lieb gucken, überschwänglicher Begrüßung (am besten jedes Mal, wenn er ins Zimmer tritt), den Sessel vorwärmen, auf Leberwursthäppchen verzichten, Freiwilligendienst verrichten wie Laub rechen oder die Mülltonne an die Straße schieben. Bis Weihnachten, wenn wir nach Australien fliegen wollen, muss es über die Bühne gegangen sein. Aber ob er den Papa auch schon im September so weit hätte, das müsse sich erst noch zeigen.

Ach, das war ja blöd. Ohne den Karlsson verreisen? Ich allein mit dem Pit gegen die beiden Weiber? Ich könnte mir echt was Schöneres vorstellen.
„Schick mir doch mal Lukes Brief“, hat der Karlsson eingelenkt. „Ich werde sehen, was sich machen lässt. Dann habe ich wenigstens was in der Hand und kann versuchen, meine Strategie daran auszurichten. Es wäre ja toll, wenn ich doch noch mit könnte.“

Na, das war ja mal ein Wort. Sofort habe ich den Brief kopiert. Den Umschlag und die Briefmarke habe ich der Putze aus der Schublade geklaut. Dann habe ich den Brief selbst zum Briefkasten gebracht und eingeworfen. Gleich, als ich wieder zu Hause war, bin ich wieder ans Telefon, den Karlsson anrufen, um ihn zu sagen, dass der Brief unterwegs sei. Doch statt einem Dankeschön wurde ich angepflaumt:
„Wie …? Du schickst mir Lukes Brief per Post?“
„Ja, wie denn sonst?“
„Ich dachte, per Mail.“
„Konnte ich ja nicht wissen.“
„Und was hast du draufgeschrieben als Adresse?“
„Na, Karlsson und deinen Nachnamen.“
„Karlsson Terrier?“
„Nö, Karlsson und den Nachnamen von deinem Papa.“
Da wurde es plötzlich noch lauter an meinem Ohr. Der Karlsson hat jetzt richtig geschrien. Ob ich verrückt sei? In dem Brief stünde doch, dass wir am Toten Meer gewesen sind. Was ich wohl meinte, ob sich das günstig auswirke auf die Belatscherung seines Papas, wenn er erführe, dass er auch diesbezüglich angelogen wurde?

Okay, da war was dran. So 'n Mist. Depp hat der Karlsson nicht zu mir gesagt, das weiß ich genau. Idiot war es auch nicht, irgendwas anderes, so was wie … jetzt habe ich's: Kretäng. Seit der Karlsson damals mit uns in Paris war, hat er manchmal französische Anwandlungen. Ich hör gar nicht hin. Hauptsache, er beschimpft mich nicht.

Aber was war jetzt mit dem Brief?
„Max, du musst sofort versuchen, den Brief zu stoppen. Er darf auf keinen Fall hier ankommen!“
Das war ja lustig, und wie, bitteschön?

Aber ich wäre nicht der Master of the Universe, wenn mir nichts eingefallen wäre. Sofort bin ich zurück zum Briefkasten geflogen. Außergewöhnliche Situationen erfordern außergewöhnliche Taten: Klappe auf, reingeguckt. Zu sehen war leider nichts. Auch als ich mit der Kralle reingelangt und ein bisschen in der Luft gerührt hatte, war ich keinen Schritt weiter. So wurde das nichts. Jetzt war Ganzkörpereinsatz gefragt. Ich habe mich durch die Klappe gequetscht. Auf der andern Seite bin ich in einen Stapel Papier geplumpst. Leider war es sehr dunkel dort drin, so dass ich meinen Brief nicht finden konnte, obwohl es einer der obersten sein musste. Zu blöd, mein Handy hatte ich zu Hause gelassen. Damit hätte ich jetzt schön leuchten können. Und bei jedem Schritt kam der Papierteppich ins Rutschen, und was gerade noch oben lag, lag jetzt an der Seite oder sonst wo. Unmöglich, hier eine Entscheidung zu treffen. Schließlich musste ich aufgeben. Ich bin am Stoffsack hochgeklettert und, als die Luft rein war, durch den Schlitz abgehauen.

Der Karlsson war natürlich nicht erfreut, als er hörte, dass ich nichts hatte ausrichten können.
„Kretäng!“, hat er noch mal gesagt.
Ich glaube, Französisch hilft ihm, sein Gleichgewicht zurückzugewinnen. Jedenfalls war er jetzt auf sich allein gestellt. Ich konnte im nicht mehr helfen.

Dummerweise war am nächsten Tag Samstag. Ausgerechnet. Samstags ist ja sein Papa daheim, und da wird es doppelt schwierig, unbemerkt den Briefträger abzufangen. Denn das war Karlssons letzte Chance: auf den Briefträger zu warten und ihm den Brief abzunehmen, bevor sein Papa ihn in die Hände kriegte. Ich habe natürlich alle Daumen gedrückt, dass es klappte.

Wie es ausging, habe ich am Sonntag erfahren. Der Karlssons rief an, diesmal ohne Französisch zu reden, trotzdem ohne rechten Elan in der Stimme. Irgendwas war schiefgelaufen. Nach Karlssons Bericht hatte es sich so zugetragen:

Den ganzen Vormittag war er wachsam gewesen, um den Briefträger nicht zu verpassen. Seit 9.00 Uhr in der Frühe hatte er an der Pforte gesessen. Sein Papa war unterdessen im Garten zugange gewesen, Stauden entfernen, Hecke schneiden oder so was. Gewundert hätte er sich, warum der Karlsson da so hartnäckig herumgehockt hätte, wo er doch sonst nie die Straße beobachten würde. Leider war der Postmann um 12.00 Uhr immer noch nicht da, aber jetzt hat seine Mama ihn gerufen, er solle mal reinkommen und helfen, das überzählige Hähnchenfleisch vom Mittagessen zu entsorgen. Natürlich hat der Karlsson da nicht nein sagen können (wie auch, wenn man gerade auf artigen Hund macht?), und ausgerechnet, als er in der Küche war, ist an der Pforte der Briefträger aufgetaucht und hat seinen Papa begrüßt. Der wiederum wollte sich gerade auf den Weg machen, um die Post persönlich entgegenzunehmen. Jetzt war guter Rat teuer. Der Karlsson hat nicht lange gefackelt. Er hat das Hähnchenfleisch ausgespuckt, den Rest aus den Bartharren geschüttelt, dass es nur so in alle Richtungen wegspritzte, er ist zur Haustür rausgeschossen, am Briefträger hochgesprungen, hat die Post geschnappt und ist damit zurück ins Haus gerannt.

Gerade hat er noch seinen Papa schreien hören:
„Karlsson! Ist es zu fassen? Sofort kommst du her!“
Deswegen hat er vorsichtshalber von innen schnell noch den Riegel vor die Haustür geschoben, damit der entzürnte Papa nicht hinterherkäme. Uff, das was geschafft. Aber dann ist dem Karlsson eingefallen, dass es ja auch noch eine Hintertür gibt, und die war nicht abgeschlossen. Also hat er der Polly zugerufen (sie lag gerade im Wohnzimmer und las in der „Cosmopolitan“), um Gottes willen, schnell, sie soll sofort die Post ins Badezimmer tragen und den Brief vom Max („Den mit der krakeligen Schrift! Nun mach schon!“) vernichten, zerreißen, ins Klo schmeißen, meinetwegen aufessen, nur dass er ja weg ist und nicht die Mama ihn womöglich vorher in die Finger kriegt.

Unterdessen ist der Karlsson zur Hintertür gerannt. Er hat den Papa draußen schon herankommen hören. Er tat noch immer laut schimpfen. Die Tür war tatsächlich nicht verschlossen. Wo war der Schlüssel? Himmel, die Zeit drängte. Kein Schlüssel zu sehen. Gleich wäre der Papa an der Klinke. Jetzt half nur noch eins: sich auf den Boden zu schmeißen und mit aller Kraft die Tür von innen zuzudrücken. Das hat der Karlssons gemacht – mit all seinen Sehnen, Knochen und Muskeln. Draußen stand der Papa und hat gegengedrückt, weil er rein wollte. Es muss ein elendes Gezerre und Geschiebe gewesen sein.

Der Held in Aktion

„Karlsson!“, hat der Papa immer wieder gebrüllt. „Was ist in dich gefahren? Lass mich rein!“
Aber der Karlsson hat standgehalten. So kennen wir ihn: konsequent, wenn es um die Sache geht. In solchen Momenten denkt er nicht an sich, in solchen Momenten wächst er über sich hinaus. Es zählt kein Schmerz, es zählt keine trübe Zukunft, es zählt nur das Hier und Jetzt, das, was ein Mann tun muss.

Irgendwann muss die Polly zurückgekommen sein. Sie hielt eine Zeitung und einen braunen Umschlag in der Schnauze. Die Mama war in der Küche und hatte nichts mitbekommen, Gott sei Dank.
„Hast du den Brief? Ist er weg?“, hat der Karlsson gekeucht.
„Ja“, hat die Polly gesagt und die nassgesabberte Zeitung und den durchweichten Umschlag auf den Läufer gespuckt.
Augenblicklich hat der Karlsson allen Widerstand aufgegeben. Die Mission war erfüllt. Fast hätte ihn der Papa mit der Tür aufrecht gegen die Wand gefegt, so unvermutet war keine Kraft mehr nötig, um die Tür aufzuschieben. Vielleicht hat das den Papa noch mehr verstimmt. Er verstand ja sowieso schon nicht, warum sich der Karlsson so merkwürdig benahm, und nun war auch noch seine Zeitung durchgesabbert und die Post zerfaserte vor seinen Augen in weiche Lappen. Okay, daran war eindeutig die Polly schuld, und der Karlsson musste ihr deswegen auch eine ordentliche Entschädigung zahlen (fünfmal sein Putenschnitzel an sie abtreten, glaube ich), aber erst mal sah die Lage für beide nicht rosig aus. Sie hatten sich ungebührlich benommen, hatten Sachbeschädigung begangen, waren renitent gewesen und hatten den Briefträger überfallen. Feinheiten zur Differenzierung der Straftaten waren durch die investigativen Fragen des vorsitzenden Richters nicht zu erlangen gewesen, weil beide Delinquenten zu den Taten schwiegen. So hatte der Papa seine Urteile bereits nach wenigen Minuten gefällt: Die Polly kriegte einen Monat Leseverbot für die „Cosmopolitan“ (also für die nächste Ausgabe), und der Karlsson bekam absolutes Reiseverbot bis zum Jahresende. 

Das war echt n' schöner Mist. Die Mama vom Karlsson hat dann noch einmal Nachtischverbot draufgelegt für die ungebührlich verteilten Hähnchenfleischteile auf dem gerade gewischten Küchenfußboden. Der zerknüllte Brief hat glücklicherweise keine Stauung im Klo verursacht. Er war weg, unbemerkt entsorgt, so wie es beabsichtigt war, aber abgesehen davon – was hatte wir nun davon? Der Karlsson saß jetzt zu Hause fest, ohne Aussicht auf Gnade, und wir wollten doch nach Malibu.
„Dann müsst ihr eben ohne mich fahren“, hat er am Telefon geseufzt.
Tja, was sollte ich dazu noch sagen? Mir fiel nichts ein, womit ich dem Karlsson zum Trost am Telefon hätte behilflich sein können. Die Mädels wollten unbedingt nach Malibu, und der Luke wäre bestimmt beleidigt (und womöglich nachtragend), wenn wir seine Einladung ausschlagen würden. Zum ersten Mal hatte ich absolut keinen Bock auf eine Reise, ich meine, so richtig keinen Bock.
„Nehmt doch die Polly mit“, hat der Karlsson  noch geraten, aber mir war nicht nach lachen zumute.

Fotos: Cora: © G .H.
          Pit und Luke: © Club der glücklichen Vierbeiner
          Karlsson und Polly: © Terrierhausen
          Malibu, Katze: Pixabay

© Max: Papageiengeschichten

Mittwoch, 23. Oktober 2019

Tschüs, Tibi

2004 - 2019



Unsere Freundin Tibi hat uns verlassen. Sie ist jetzt auf der großen Hundewiese.

Ich bin sehr traurig und entsetzt, dass sie nicht mehr bei uns ist, obwohl ich weiß, dass wir bei solchen Dingen nicht gefragt werden. 

Der Verlust schmerzt, und ich denke an die vielen Jahre, die wir gemeinsam hier auf meinem Blog oder drüben auf ihrem Blog verbracht haben. Tibi und ich kannten uns schon lange. Sie hat damals fleißig bei den Sonntagsrätseln mitgeraten, sie hat meine Geschichten gelesen, sie hatte immer einen netten Kommentar für mich übrig – und sie hat mir hübsche Postkarten geschickt, wenn sie verreist war. Die habe ich alle aufgehoben.

In Tibis Leben gab es ein Eckchen, wo ich sein durfte, ich, der Grünschnabel, von dem manche behaupten, dass ich ziemlich garstig und großmäulig sei. Aber Tibi hat trotzdem ein bisschen Platz gemacht in ihrem großen Herzen. So dufte ich miterleben (mitlesen), was Tibi so alles erlebt hat, und das macht mich froh und dankbar. Es war eine schöne Zeit.

Jetzt kann ich es ja sagen: Manchmal zwischendurch ist mir angst und bange geworden, weil es Tibi nicht gut ging, gar nicht gut. Die epileptischen Anfälle machten ihr zu schaffen und dann fiel ihr zunehmend das Laufen schwer. Mir ist noch in Erinnerung, wie wir einmal richtig dolle gezittert haben, dass sie gut wieder auf die Beine käme. Eine Tierärztin wollte sie sogar schon vorzeitig in den Hundehimmel schicken. Ist das wirklich schon drei Jahre her? Aber Tibi war tapfer und ihr Frauchen und der Chef haben nicht aufgegeben. Sie haben Tibi liebevoll gepflegt, ihr geholfen, wenn doch wieder die Anfälle kamen und es Tibi ganz schummerig im Kopf wurde. Statt Laufen gab's einen Buggy. Mit dem kam sie noch ordentlich herum: auf Spazierfahrt, zu den Hundekumpels der Nachbarschaft, und sogar Ausflüge haben die drei unternommen. Ich bin mir sicher, Tibi hatte noch ihre Freude – trotz der Krankheiten und der Unbilden des Alters. Es war ja nicht alles durchgehend schlimm, und Liebe und verwöhnen von Herrchen und Frauchen haben bestimmt einiges wettgemacht.

Doch nun ist sie müde geworden. Sie ist gegangen. Wir bleiben zurück. Ich werde sie in Erinnerung behalten, so wie ich sie kennen und lieben gelernt habe. Und dennoch sehe ich sie jetzt flitzen und springen und toben und buddeln, dass ihr die Erde nur so um die Ohren spritzt. Das gefällt mir gut. Wie war das noch mit dem Kopfweh und den steifen Knochen? Lauf, Tibi, die große Hundewiese ist dein.

Dein Max

P.S. Das Foto habe ich von ihrem Blog gemopst. Ich finde, darauf sieht sie besonders niedlich aus. Sicherlich wird mir Tibi diesen Diebstahl verzeihen.


Foto: © S. W.
© Max: Papageiengeschichten  

 

Sonntag, 8. September 2019

Ramses


Das war ja mal wieder was. Mit Wehmut denke ich an die Zeit zurück, als wir unkompliziert mit Puten-Manni oder seinen Kumpels vorne im LKW verreist sind. Ich glaube, damals haben die Mädels noch nicht so gezickt und die Geldfrage war noch kein großes Problem.

Wie ihr wisst, wollten wir nach den bekloppten Tierbefreiungsaktionen vom Karlsson mal ausspannen oder zumindest verreisen ohne moralische Keule im Nacken. Wir hatten an Australien gedacht, weil die Polly dorthin wollte und sie das Geld hatte. Mit Chicagoer Rinderhälften war sie überraschend an die Börse gelangt (Anfängerglück), von dort an Kohle (ungerecht!) und damit zu Selbstbewusstsein (ätzend!).  

Pollys Plan

„Ich bezahle die Reise, also bestimme ich, wer mitfährt“, hatte sie verkündet.
Damit fing der Ärger an. Die Polly wollte unbedingt die ländliche Amy mitnehmen. Gut, meinetwegen, das hätte sich schon irgendwie verlaufen in der Gruppe und in der Wildnis Australiens. Aber als dann noch der Luke anrief und mir saublöd in den Hörer flötete, so als wäre alles in Ordnung und als hätte er mir nicht am Toten Meer unsere letzten Kröten abgeknöpft durch seinen Wucherzins, der mich arm gemacht und persönlich beleidigt hatte, da ist mir der Kragen geplatzt:
„Bedaure – geschlossene Gesellschaft!“
So, ha ha.
Was wollte der Kerl überhaupt in Australien? In Sydney Müsli futtern, im Outback Yoga-Übungen machen und sich in Melbourne über die hiesigen Hygienevorschriften informieren? Das hatte uns gerade noch gefehlt.

Doch dann kam eine Rundmail von der Polly:

„Liebe Freunde,
ich hoffe, euch geht es gut und ihr freut euch auf unsere tolle Reise.
Halten wir mal fest, wer alles mitfährt: die Amy, die Cora, die Mia, der Pit, der Luke, der Simpel, der Karlsson und ich.“
Schön, dass wir uns auf die Reiseroute und auf das, was wir unbedingt sehen wollen, verständigen konnten.
Bis dann. Ich erwarte euch mit bester Laune am Flughafen.
Viele Grüße
eure Polly“

Boah, am liebsten hätte ich alles hingeschmissen. Unter dem Knüppel einer derart unsensiblen Generalin wollte ich keine Reise machen, auch nicht nach Australien. Und den Luke wollte ich dort auch nicht sehen, mindestens ein halbes Jahr nicht. Doch dann hätte auch die Mia nicht mit gedurft, weil wir ja noch immer nicht einzeln verreisen dürfen, obwohl wir längst keine Kinder mehr sind. Und dieses Geplärre von der Mia zu Hause wochen- oder sogar monatelang zu ertragen, nur weil sie daheim bleiben musste, das erschien mir als schlimmeres Los, als neben dem Luke im Flieger zu sitzen. Ihr habt ja keine Ahnung, wie mein Leben zu Hause aussieht. 

Besonders im Schlepptau von der Polly hatte sich die Mia einen Urlaub voller Luxus erhofft, so wie damals in New York die Polly mit der Amy im Chalet residiert und mit der Stretchlimousine gefahren sind, während wir im gewöhnlichen Hotel abgestiegen waren. Das war der Mia noch lange nachgegangen. Also hatte ich mich jetzt in mein Schicksal ergeben und schön meine Klappe gehalten. Der Luke hat dann noch mal angerufen und gefragt, ob wir beide uns einen Sicherheitsgurt teilen wollten. Ich weiß nicht, ob das ein hinterhältiger Triumph war oder ein Friedensangebot sein sollte. Ich habe jedenfalls mit „Ich bin allergisch gegen Katzenhaare“ geantwortet, und dann kam das auch schon mit dem Karlsson.

Jo, das hatte keiner auf dem Schirm. Einen Tag bevor die Polly die Flüge buchen wollte, hieß es plötzlich, alles auf Null zurück. Der Papa von der Polly und dem Karlsson war nämlich dahintergekommen, dass der Karlsson ihn belogen hatte. Ihr wisst schon, um Geld zu beschaffen für die Fischli-Befreiungsaktion hatte er Hunde-Seminare gebucht, aber nie besucht, weil er mit dem Geld stattdessen mit uns ans Rote Meer geflogen ist. Damals hatte ich ihn noch gefragt, ob er keine Angst hätte, dass alles rauskäme, aber er hatte nur abgewinkt und gemeint, dann würde ihm schon was einfallen.

Aber jetzt, wo es so weit war, hatte es ihm offenbar die Sprache verschlagen. Der Papa war stinksauer. Der Karlsson kriegte Stubenarrest, dazu Fernsehverbot, Nachtischverbot und er musste das Unkraut aus den Steinen vorm Haus kratzen und die Miles-Davis-Platten im Herrenzimmer neu katalogisieren. Damit war natürlich auch unser Australien-Urlaub gestorben, denn ohne den Karlsson hat die Polly dann doch nicht losziehen wollen. Auch ich hätte selbstverständlich unsern enorm wichtigen Testosteron-Träger nicht aufgegeben, trotz dem Pit und dem Müsli-Fred, schließlich waren die Mädels immer noch eine Person mehr, und gerade im Ausland entscheidet jeder Prozentsatz, ob wir wieder Einkaufstüten schleppen müssen oder heimlich mit Erbsen schießen dürfen. 

Der Karlsson selbst war total geknickt. Dauernd habe ich angerufen, um ihn aufzumuntern. Doch am andern Ende kam nur Schweigen, ab und zu unterbrochen von einem tiefen Seufzer. Allmählich habe ich mir Sorgen gemacht. Er würde doch wohl nicht in Depressionia heimisch werden wollen?

Auch die Mia war angefressen. Ihr war gerade der Luxus (oder was sie dafür hielt) weggeschwommen. Stundenlang hat sie ihr Nagellackregal aufgeräumt. Jede Flasche landete mit Aplomb auf dem Metallbrett, so dass es sich wie ein Schuss anhörte und mir jedes Mal fast mein Snickers aus den Krallen gefallen wäre. Die Investition in eine neue Sonnenbrille und eine weiße Strandtasche mit Goldkordeln und der Aufschrift „Malibu“ erschien jetzt nutzlos, und das machte die Mia böse.

Überraschenderweise wusste die mütterliche Cora eine Lösung. Warum wir den Australien-Urlaub nicht vertagen würden und stattdessen eine billige Kurzreise machen täten?
Ach ja? Ohne den Karlsson?
„Doch, natürlich mit dem Karlsson.“
„Und wie, bitte schön?“
„Wir erzählen seinem Papa, dass der Max zufällig auch gerade Hausarrest, Fernseh- und Nachtischverbot hätte. Dazu müsste er den Keller aufräumen, den Balkon streichen, neues Sauerkraut machen und im Garten die Gurken ernten und einlegen. Dann machen wir dem Papa den Vorschlag – schriftlich per Mail, damit er denkt, das Angebot käme von der Mama vom Max –, dass der Karlsson seine Strafe doch in Hannover ableisten könne. So wären beide unter ständiger Beobachtung und könnten voneinander lernen, wie man seine Fehler einsieht und ein wertvolles Mitglied der Gesellschaft wird. Dass der Max bestraft werden muss, ist absolut glaubwürdig, wenn man ihn kennt, nicht wahr? Uns verschafft es Zeit – sagen wie eine Woche –, damit wir unbemerkt verreisen können. Wir müssen nur darauf achten, dass Max' Mama nichts mitkriegt. Und der Karlsson muss natürlich sein Handy mitnehmen, damit er antworten kann, wenn sein Papa anruft. Wenn wir alle die Nerven behalten, sollte es klappen.“

Hey, dass die Cora so hinterhältig sein konnte, das war mir neu.
„Taktisch bitte, mein lieber Max. Taktisch heißt das.“
Aber die Idee war gut. Auch der Karlsson war Feuer und Flamme. Sofort hatte er am Telefon seine Elastizität wiedergewonnen:
„Au ja! Wir fahren in Urlaub.“
Das Ziel war schnell gefunden, weil die Cora gesagt hat, sie hätte keine Lust, ewig herumzudiskutieren, deshalb würden wir nach Ägypten fliegen, genauer gesagt zu den Pyramiden; das sei nicht so weit weg und preislich machbar, wenn wir es klug anstellten. 

Der grüne Wurm ist der Nil

Ägypten? Ja, warum eigentlich nicht? Als wir letztes Mal in Kairo umsteigen mussten, hatte es die Mia doch sehr bedauert, dass wir die Pyramiden nicht besichtigen konnten, obwohl wir schon mal da waren. Vielleicht würde es jetzt ihre Stimmung heben, dass sie ihre Strandtasche und die neue Sonnenbrille ebenso gut in Luxor austragen könne. Und auch im Hinblick auf den Pit erschien mir das Reiseziel angemessen, denn die Pyramiden wären sicher nicht so leicht kaputtzupopeln, schließlich standen sie schon lange genug dort, oder der Rest ist sowieso schon kaputt. In dem Fall würde es sicher nicht weiter auffallen, falls sich der Pit nicht im Griff hätte.

Ein schöner Nebeneffekt: Der Luke zog seine Teilnahme zurück. Er wäre nur an Australien interessiert, meinte er.
„Och, wie schade“, habe ich gesagt.
Ebenso die Polly. Auch sie hatte sich auf Australien eingeschossen und wollte nicht mitfahren. Und da wir die Amy gar nicht erst nicht eingeweiht hatten, damit sie sich nicht verplappern konnte, blieben am Ende wieder nur wir fünf übrig: der Karlsson, die Cora, der Pit, die Mia und ich.

Finanziell mussten wir uns nun etwas einfallen lassen, denn Pollys Kohle blieb uns natürlich verwehrt. Die Mia hat ihr Geburtstagsgeld von der Oma in den Topf getan und ihren Verdienst von den Pin-up-Fotos von „Fell, Federn, Schwarte“. Vom Karlsson kam diesmal gar nichts, was man allerdings verstehen kann, dafür hat die Cora einen Batzen beigetragen. Sie backt ja Kuchen für Flohmärkte und macht Führungen im Duisburger Zoo bei den Tasmanischen Teufeln und den Oryx-Antilopen. Seitdem verfügt sie über ein ansehnliches Taschengeld (und gewinnt bei jedem Scrabble). Das Geld kam unserer Reisekasse sehr zugute. Ich habe das Geburtstagsgeld von der Oma beigesteuert, außerdem die Matschfalter bezahlt, damit sie das E-Mail-Postfach der Putze im Auge behielten und notfalls fingierte Mails an Karlssons Papa schickten, sobald er mit der Putze Kontakt aufzunehmen gedachte. Den Rest, der noch fehlte, hat der Pit übernommen. Keine Ahnung, ob er diesmal sein ach so pralles Geschäftsführerkonto angezapft oder beim Luke eine Anleihe aufgenommen hat, am Ende jedenfalls stand unsere Reisekasse.

Die Cora hat die Flüge, die Hotels und die Ausflüge gebucht und unsere Visa beantragt. Alles ging bequem online. Dann kam der Karlsson mit dem Blix-Bus in Hannover an. Die Mia und ich haben ihn eingesammelt und wir sind zum Zug nach Frankfurt gegangen. Dort saß der Pit schon drin. In Frankfurt am Flughafen mussten wir nur noch auf die Cora warten. Sie kam mit einer weißen Strandtasche mit Goldkordeln und der Aufschrift „Malibu“ in den Wartebereich gelatscht. Oh-oh, da hatten wohl zwei Weiber versäumt, sich am Telefon abzustimmen. Der Mia ist augenblicklich die Mimik weggerutscht. Von der Cora gab's trotzdem Küsschen links und Küsschen rechts, so als wäre überhaupt nichts passiert. Genau genommen hatten die beiden ja auch gar nicht die gleichen Taschen, denn in Mias waren Lippenstift, Sonnenbrille und eine „Tussi“ verstaut, während Coras Tasche dem Transport etlicher Stapel Käsebrote diente, die Tante Gisela geschmiert hatte für unsere einwöchige Wanderung durch den Spessart. Merke: Bisweilen ist es sinnvoll, die eigenen Leute über das wahre Reiseziel im Unklaren zu lassen, damit sie sich nicht aufregen, sich nicht mit anderen Eltern kurzschließen und vor allem nicht auf die Idee kommen, dass wir Tiere kostspieligere Fernreisen unternähmen als sie selbst. Die Brote hat der Pit an sich genommen und während des Fluges nebenher vernascht. Ihm war das Airline-Frühstück aus Toastbrot, Ei und Obstsalat offenbar nicht reichhaltig genug.

„Wusstet ihr, dass man in Ägypten morgens Falafel isst?“, hat die Cora im Flieger gefragt.
Da der Karlsson einen Reiseführer dabei hatte und das auch schon gelesen hatte, guckte er sehr betrübt:
„Ja, ich weiß. Wurst kennen die nicht zum Frühstück. Hoffentlich werde ich nicht krank wegen Mangelernährung.“
„Keine Angst“, hat sich die Mia gemeldet. „Die Falafel macht man in Ägypten nicht aus Erbsen, sondern aus Saubohnen, und Sau ist doch Schwein, oder nicht? Also entspann dich, Karlsson. Du wirst schon nicht verhungern.“
Manchmal wundere ich mich über die Mia, über ihre klugen Geistesblitze, die einen überraschen, so als hätte sie doch mehr im Hirn als nur Nagellack, Parfüm und Glitzer-Bikinis. Durch diesen mitfühlenden Hinweis war der Karlssons nämlich augenblicklich aufgemuntert. Er strahlte jetzt und gab mir seinen Pfannkuchen ab. Das Obst hat er sowieso nicht angerührt. Ich glaube, er sparte sich seinen Hunger fürs Hotel in Luxor auf.  

Das sind keine Fleischbällchen dort rechts, das sind Falafel

Luxor liegt, wie man weiß, am Nil. Der Nil schlängelt sich ziemlich kurvig am rechten Landessaum entlang, immer parallel zum Roten Meer, nur dass zwischen dem Nil und dem Ozean noch ein ordentlich dicker Streifen Land liegt. Nimmt man dieses Geschlängel als Maßband, so befindet sich Luxor ziemlich in der Mitte von Ägypten. Der Nil kommt von Süden aus dem Sudan (und von noch weiter her) und mündet nördlich von Kairo ins Mittelmeer.

Beim Wort „Roten Meer“ haben alle aufgehorcht. Die Reaktionen waren allerdings uneinheitlich. Während dem Karlsson behagliche Erinnerungen an den Erfolg seiner Fischbefreiung kamen (er lächelte dämlich), haben die Mädels an die schicken Tage auf der Strandliege gedacht („Weißt du noch, Cora …?“), und der Pit und ich wurden heimgesucht von Flashbacks an das elende Geschleppe der schweren Transportboxen die Treppen hinunter und den Strand entlang. Dabei hatte ich nur ausdrücken wollen, dass wir in Luxor jetzt sogar noch ein Stück weiter südlich wären als neulich in Sharm-el-Sheikh, genauer gesagt ungefähr 2000 km.

„Überhaupt, was wollen wir eigentlich in Luxor?“, habe ich gefragt.
„Kultur atmen“, hat die Cora geantwortet. „Wir werden uns Ruinen und Gräber anschauen. Von der altägyptischen Kultur kann man nie genug lernen.“
„Ganz recht!“, kam überraschend heftige Zustimmung von unserm holsteinischen Plüschtiger. Im alten Ägypten habe man die Katzen als Heilige verehrt. So! Das wolle er, der Pit, nur mal ganz bescheiden angemerkt haben, damit wir es nicht vergäßen. Sonst gehe so was Elementares ja leicht unter zwischen all dem Shoppinggelaber, dem Geheule um Höhenangst und dem Brustgetrommele einer aufgeblasenen grünen Gummifigur, die sich für den Master of the Universe hält.

Hui, der Pit hatte extra seine Dattel-Fruchtschnitte beiseite gelegt, um uns besser anstarren zu können. Er blickte uns nacheinander fest in die Augen, ohne ein einziges Mal mit den Wimpern zu klappen. Natürlich konnten wir ihm diese Entgleisung nicht durchgehen lassen.
„Oi-oi-oi!“, kam es wie aus einem Mund von uns allen.
Damit haben wir unsern Protest ausgedrückt. Dann habe ich das Wort ergriffen:
„Mein lieber Pit, dass Katzen im alten Ägypten als heilig verehrt wurden, ist schön und gut, stinkt aber mächtig ab gegen uns Vögel. Wir sind nämlich verewigt in Horus. Er ist einer der Hauptgötter – hörst du, HAUPTgötter – der frühen Mythologie. Früh heißt alt und erprobt und für gut befunden. Horus war ursprünglich Himmelsgott, dann auch Kriegsgott, Welten- oder Lichtgott und Beschützer der Kinder. Aber nicht nur das. Der Horusname war einer der fünf Namen, die die frühen Pharaonen trugen. Das war deswegen, weil man glaubte, dass der Herrscher zu seinen Lebzeiten den Himmelsgott, also Horus, präsentierte.“

Die Cora und die Mia nickten zustimmend. Sie fanden, dass ich die Relationen in der Götterwelt gut dargestellt hatte.
„Jo, Kriegsgott kommt hin, wenn man dich kennt, Max“, hat der Pit gesagt und weiter gemütlich von seinem Verdauungsriegel abgebissen. „Und bei „Beschützer der Kinder“ habe ich natürlich auch sofort an dich gedacht. Als hätten sie dich damals schon gekannt.“
Der Pit grinste jetzt blöd. Und dann musste sich noch der Karlsson einmischen, dieser Banause:
„Ist Horus nicht ein Falke? Von einem dicken Papagei habe ich nirgends gelesen.“
Oh Mann, was hatte der Hund dazwischenzuquaken? Der sollte mal ganz ruhig sein, wenn sich auserwählte Tiere unterhielten. Er als Hund wurde ja wohl nirgends verehrt, also hatte er keine Ahnung, wovon wir redeten.
Die Mädels nickten wieder zustimmend.

„Doch!“, ist es jetzt aus dem Lockenpaket herausgebrochen. „Und ob wir Hunde verehrt wurden! Wir sind Anubis, der Totengott. Man sieht uns als Kopf auf seinem Körper oder als Ganzkörpertier liegend.“
„Das ist ein Schakal“, hat die Cora eingewandt.
„Na und? Der Schakal ist doch nur der Oberbegriff. Wir Hunde sind selbstverständlich auch damit gemeint, und wenn's um Wölfe geht, dann ist der Schakal dem Totengott Upuaut zugeordnet. Aber Anubis, den großen Anubis kennt doch jeder. Katzen dagegen wurden nur so verehrt, hatten aber keine eigene Göttergestalt, die sie symbolisierte.“
„Quatsch!“, ist der Pit jetzt losgefaucht. „Wir wurden natürlich im Löwen dargestellt. Nicht mehr und nicht weniger.“
„Aber der Löwe ist kein Gott!“
„Und 'n grüner Federnklopps ist noch lange kein göttlicher Falke, nur weil er zufällig auch einen Krummschnabel hat.“
„Aber Krummschnabel ist viel mehr Falke als ein Lockenterrier Ähnlichkeit mit dem großen, schlanken, glatten Schakal hat. Da will sich doch nur einer mit Glanz schmücken, der ihm gar nicht zusteht.“

Zur Untermauerung unser anregenden Diskussion habe ich dem Karlsson den Reiseführer vom Sitz gerissen. Dort waren nämlich Fotos drin.
„Da! Seht ihr? Horus sieht genauso aus wie ich. Und Anubis hat KEINE Locken!“

Horus (links), Anubis (rechts)

„Zeig mal das Bild von der Sphinx“, hat der Pit verlangt. „Da sieht man ganz deutlich: Der Körper ist Löwe, nur der Kopf Mensch.“ Und zu wem pilgern die ganzen Touristen? Zu 'nem Vogel oder 'nem Schakal? Ha! Mitnichten! Bleibt man auf dem Teppich, Freunde, ohne Löwe geht gar nichts im alten Ägypten.“
Gerade als ich antworten wollte, hat mich die Mia in die Seite gepiekst und gesagt, dass wir uns jetzt anschnallen müssten. Ob ich nicht die Durchsage gehört hätte? Gleich würden wir in Luxor landen.

Sechseinhalb Stunden hatten wir gebraucht von Frankfurt, und nun konnte man den Nil von oben sehen. Etwas Stadt, ein paar Felder und Eintönigkeit drum herum waren auch dabei. Das musste die Wüste sein. Eine heiße Brise empfing uns auf dem Rollfeld. Uff, 50 Grad von Null auf jetzt. Als hätte man uns eine Holzwand vor den Schädel gekloppt. Die Mädels hielten sich ihre Malibu-Taschen vors Gesicht, um sich gegen die gleißende Sonne zu schützen.
„Ich hab Hunger“, hat der Karlsson vermeldet.

Luxor: grün mit Wüste, heiß war es überall

Es war Mittag. Ein Touribus fuhr uns zum Hotel. Das Haus war klimatisiert, sauber und westlich. Den restlichen Tag würden wir für uns haben, bevor am nächsten Morgen das Besichtigungsprogramm beginnen würde. Wir haben uns kurz frisch gemacht, dann sind wir losgezogen, um die Stadt zu erkunden.

Es hat nicht lange gedauert, dann waren wir mitten drin im Gewusel. Obststände taten sich auf, gefolgt von Gemüse- und Gewürzauslagen, Taschen-, Leder-, Lampen-, Wasserpfeifenständen und allen möglichen Waren, die alle bunt und überladen daherkamen und größtenteils ziemlich gut rochen. Basar nennt man das, glaube ich. 

Luxor: und doch eine Stadt für sich

Glücklicherweise hatten wir den Pit und den Karlsson veranlasst, sich ihre Halsbänder umzulegen, damit sie als zivilisierte Reisende erkannt würden, denn wir hatten gelesen, dass man im heutigen Ägypten – wie in vielen Ländern – nicht viel Aufhebens um Hunde und Katzen mache und daher wilde Streuner durch die Gassen ziehen und in den Mülleimern nach Essbarem suchen. Tatsächlich haben wir etliche dieser armen Socken gesehen. Sie glotzten uns feindselig an. Ein dürrer Kater ist sogar dicht an die Cora herangekommen und hat sie frech beschnüffelt.
„Hau ab, du Wüstling“, hat die Cora geschrien.
Sie ist vor Schreck fast in eine Schale mit Teeblättern geflattert.
Deswegen kam ein wildes „Kss-Kss“ vom Händler, der dachte, die Cora wäre so was wie eine Taube, und die musste natürlich weggejagt werden.
Wir haben einen Zahn zugelegt und uns ein paar Stände weiter hinter einem Eimer versteckt.
„Toll, wie man hier die Katzen und Schakale verehrt“, habe ich gesagt. „Super, alle Achtung. Ich verneige mich in Ehrfurcht.“

Die Cora war noch immer empört. Die Mia hatte ihr Auge auf einen Schmuckstand geworfen und war beschäftigt. Vom Pit kam ein schnippisches „Aber der große Horus reißt alles raus, was? Haben wir ja gerade gesehen vom Händler.“ Nur der Karlsson hatte andere Sorgen:
„Ich habe Hunger!“, hat er gemault.
Dazu brannte uns eine Affenhitze auf den Schädel. Ständig musste ich die Flügel leicht spreizen, um Luft an die Unterwäsche zu lassen.
„Dann bestell dir doch was“, habe ich geraten.
Schließlich befanden wir uns mitten auf einem Markt.

Trotzdem erwies sich die Nahrungsaufnahme als schwierig, denn der Karlsson wollte unbedingt Fleisch haben oder wenigstens Wurst, aber die ägyptische Küche kennt kaum Fleisch. Wir sind lange herumgeirrt, haben überall geguckt, ein paar Datteln und Bananen gekauft für die Cora, die Mia, den Pit und mich.
„Nun entscheide dich endlich!“
Die Mia wurde ungeduldig, weil wir schon an vielen Gulaschkanonen vorbeigekommen waren, nur dass kein Gulasch drin war, sondern meist Gemüse. Nichts war dem Karlsson gut genug. Inzwischen guckte er auch schon ganz klapprig. Ich hatte Angst, dass er uns in der Hitze und durch den Hunger zusammenbrechen könnte. Es musste doch unerträglich warm sein in seinem nordischen Fellmantel.

Der Pit hat dann eine mutige Entscheidung getroffen. Er brachte ihm eine Portion Bohnenallerlei in der Plastikschale.
„Hier! Iss endlich was!“, hat er ihn aufgefordert.
Die Schale hat der Karlsson wortlos ausgeschlabbert. Danach war wenigstens die größte Qual aus seinen Augen verschwunden. Dafür hing ihm jetzt nach der warmen Mahlzeit die Zunge aus dem Hals bis hinab zur Hundemarke. Eine halbe Stunde später war er plötzlich verschwunden. Wir hatten gerade nicht aufgepasst, weil wir uns an einem Stand frischen Orangensaft auspressen ließen. Vom Pit kriegten wir Gebäck verteilt, das er sich irgendwo unbemerkt erhandelt hatte. Es war bunt, süß und sehr klebrig.

Plötzlich war der Karlsson wieder da. Er hielt den Schwanz eingeklemmt und wünschte ins Hotel zurückzukehren – sofort!
„Was ist denn mit dem los?“, hat sich die Mia gewundert.
Aber im Grunde war uns die Idee sehr sympathisch. Wir hatten genug von der Hitze und der Latscherei. Im Hotel winkten die Klimaanlage und gemütliche Betten zum Füßehochlegen. Allerdings haben wir lange gebraucht für den Rückweg, viel länger als für den Hinweg. Das lag vor allem an den vielen Pausen, die der Karlsson einlegen musste. Er verschwand dann im Gebüsch oder hinter einem Mäuerchen.
„Der hat Durchfall“, hat die Cora gemeint. „Der Arme. Dem sind die vielen Bohnen nicht bekommen.“

Am späten Nachmittag sind wir doch noch im Hotel angelangt. Die Cora hat ihm gleich eine Tablette „Caque-ex akut“ gegeben und drei Literflaschen Mineralwasser in die abgestöpselte Dusche geschüttet. Gut, dass sie immer an alles denkt. Bei Durchfall muss man nämlich viel trinken. Der Karlsson ist sofort im Bad verschwunden und auch nicht wieder herausgekommen. Auch als wir runter zum Hotelbüfett wollten zum Abendessen, wollte er nicht mitkommen. Man hörte ihn würgen durch die geschlossene Tür, dann hat er gekreischt:
„Geht mir weg mit Essen!“
So sind wir zu viert ins Hotelrestaurant gegangen. Der Pit hat gegrillten Fisch gegessen, die Mia irgendwas mit Reis, die Cora einen bunten Salat und ich eine kleine Margarethen-Pizza. Wie gesagt, unser Hotel war auf Touristen eingestellt, dementsprechend westlich fiel das Menüangebot aus. Wir waren jedenfalls ordentlich satt.

Gesund, was?

Anschließend sind wir noch an die Bar gegangen, einen Cocktail trinken. Jede Viertelstunde ist einer von uns nach oben gestiegen, um nach dem Karlsson zu schauen.
„Es geht ihm besser – er hat die Klopapierrolle nach mir geworfen“, hat der Pit uns informiert.
Als die Mia wiederkam, hat sie berichtet, dass gerade Karlssons Papa angerufen hätte. Erst wäre sie erschrocken, weil sie Angst hatte, dass sich der Karlsson aufgrund seiner geschwächten Kondition verplappern könnte, aber dann hätte sich herausgestellt, dass der Aufenthalt in dem hallenden Bad ganz im Gegenteil von Vorteil gewesen sei. So nämlich habe Karlssons Lamento über die Blasen an den Pfoten vom vielen Sauerkrautstampfen erst richtig authentisch gewirkt. Er wäre gerade am Duschen, um all den Dreck loszuwerden, hat er behauptet. Danach wolle er sofort ins Bett, er sei hundemüde.
„Und das hat sein Papa geschluckt?“, habe ich gefragt.
„Klar“, hat die Mia gesagt. „Was meint ihr, wie überzeugend der Karlsson gejammert hat. So echt habe ich ihn noch nie schauspielern hören – so als würde es ihm wirklich dreckig gehen.“

Bei der Rückkehr gegen Mitternacht haben wir natürlich sehr aufgepasst, den Patienten nicht zu wecken. Er lag inzwischen auf dem Bettvorleger und schnarchte tief.
„Er hat die ganze Schachtel „Caque-ex“ gefressen“, hat die Cora den Kopf geschüttelt. 

Am nächsten Morgen nach einer kalten Dusche erwies sich der Karlsson zwar als ausgeschlafen, aber er klagte noch immer über Appetitlosigkeit. Das war schlecht, denn wir hatten ein strammes Touristenprogramm vor uns. Daher hat der Pit ihm ein leicht verdauliches Frühstück zusammengestellt. Es enthielt zwei Scheiben Toast, Rührei und ein paar kleine tote Fische, die wie Sardellen aussahen. Von uns allen war der Pit wahrscheinlich der Einzige, der den nahrungstechnischen Wert einer guten Grundlage richtig einzuschätzen wusste. Der Karlsson hat erst trüb geguckt, dann geseufzt und schließlich das Frühstück mit langen Zähnen heruntergschlungen.
„So ist's recht“, hat sich der Pit gefreut.

Dann ging's los zum Bus. Als wir das Hotelzimmer verlassen wollten, haben die Mia und die Cora einstimmig „Haaalt!“ gerufen. Wie wir denn aussähen? Ob wir bekloppt wären? So würden sie sich nicht mit uns in der Öffentlichkeit blicken lassen.
Wieso? Der Karlsson, der Pit und ich hatten uns gestern auf dem Basar echt einheimische Kopfbedeckungen gekauft, weil es doch immer so heiß ist. Und was den hiesigen Männern guttut, kann uns doch nicht schaden. Die Turbane waren echt praktisch, hielten den Kopf schön kühl. Außerdem sagt man doch immer, dass man sich im Ausland anpassen soll aus Respekt vor der Kultur.
„Wir können auch allein losziehen, wenn ihr euch schämt“, hat der Karlsson gewarnt.
Da war dann Ruhe.

Der Touribus brachte uns ins Tal der Könige. Das liegt nicht weit entfernt von Luxor, nur ca. 5 km vom Stadtkern entfernt. Das Tal der Könige war eine Bestattungsanlage, eine so genannte Nekropole, in der man, wie der Name schon sagt, Könige bestattet hat. Die Gräber liegen unterirdisch auf einer mehr oder weniger flachen Ebene. Rundherum sind Felsen. Von denen kann man das Tal gut überwachen, und das hat man damals vor 3500 Jahren auch gemacht, damit keiner aus dem Volk die heiligen Stätten betreten und womöglich was klauen konnte. Später hat man die Nekropole aufgegeben und die Gräber sind vollgelaufen (Nilhochwasser), zugeweht und vergessen worden, bis man sie in der Neuzeit wiederentdeckt und freigelegt hat. 64 Gräber und Gruben sind bis heute gefunden worden.

Einer der berühmtesten Toten war Ramses II. Er gehörte zur 19. altägyptischen Dynastie. Ich kann mir die vielen Jahreszahlen nicht merken, wann welcher Pharao gelebt hat oder gestorben ist. Aber man kann sich ganz gut an den Dynastien orientieren. Wie gesagt, Ramses II gehörte zur 19. Dynastie. Zum Vergleich: Der Pharao Cheops von der großen berühmten Pyramide in Gizeh gehörte zur 4. Dynastie. Ramses II. war demnach viel jünger. Berühmt wurde er durch seine lange und erfolgreiche Herrschaft und durch die vielen Bauten, die er errichten ließ. Bei seinem Tod 1213 v. Chr. soll er 85 – 90 Jahre alt gewesen sein. Das war enorm alt damals in einer Zeit, als die Menschen kaum die Silberhochzeit erlebten. Aber naja, vielleicht hatte man als König besseres Essen als der gemeine Steineklopper, und schwer körperlich arbeiten hatte ein Pharao sicher auch nicht müssen. Jedenfalls wurde Ramses II in seiner rund 66-jährigen Herrschaft zu einem der bedeutendsten Herrscher des alten Ägyptens. Sein Land erlebte eine kulturelle Blüte und fast 50 Jahre Frieden. Ramses II. wurde zunächst im Tal der Könige beigesetzt (Grab KV 7) und später umgebettet. Seine Mumie ist heute im Ägyptischen Museum in Kairo zu Hause.

„Mann, ist das beige hier“, hat sich die Mia gewundert, als wir ausgestiegen und unsere Tickets gekauft hatten. Grün gab es hier nirgends zu sehen, alles war heller Fels, Geröll und Sand, ohne einen einzigen Baum oder Strauch. Gut, dass wir so was schon aus Qumran kannten, nur dass hier die Ausmaße viel weitläufiger waren.

Ganz schön bergig im Tal der Könige

Mit unseren Eintrittskarten durften wir drei Gräber besichtigen. Wir haben uns sofort einer Tourigruppe angeschlossen, weil wir erstens natürlich mal sehen wollten, wie es in so einem Grabgebilde aussieht, und weil wir zweitens hofften, dass es im Grab kühler wäre als draußen. Es war zwar erst Vormittag, aber uns war es jetzt schon viel zu heiß, trotz unserer Turbane. Die Mädels trugen ihre Sonnenbrillen und hatten Sonnenmilch aufgetragen. Ihre weißen Malibu-Strandtaschen mit den Goldkordeln erweisen sich als unpraktisch, weil sie aus Kunststoff bestanden und unter Sonneneinstrahlung den Einruck erweckten, als würde das Material gleich wegfließen.
„Hätte ich mal meine Ledertasche mitgenommen“, hat die Mia gejammert.

Da geht's rein zu den Gräbern

So ein Grab besteht aus durchschnittlich 18 bis 19 Kammern. Wir waren natürlich nicht in allen, nur ganz oben in einer und haben im schattigen Dunkel die Wandbemalungen bewundert. Dann ging's wieder raus in die gleißende Sonne. Wir haben auch nur ein einziges Grab angeschaut, weil wir noch mehr auf dem Programm hatten. Es gibt ja wahnsinnig viel zu sehen im Tal der Könige. Den Namen des besichtigten Pharaos habe ich vergessen.

„Gehen wir auch zu Tutti?“, hat der Pit gefragt.
Er meinte natürlich das Grab von Tutenchamun, das auch hier liegt. Der Eintritt muss separat bezahlt werden. Wir haben abgestimmt. Vier waren dafür, einer dagegen. Die Gegenstimme kam vom Karlsson. Er guckte trübsinnig und schlurfte schon die ganze Zeit unelastisch hinter uns her.
„Hast du wieder Durchfall?“, habe ich gefragt.
Nein, jetzt hätte er nur Bauchweh, hat er gepiepst. Kein Wunder, wenn man die ganze Zeit nichts isst. Der Pit hatte Kekse dabei, aber der Karlsson wollte nur trinken. Wenigstens das. Die Mädels hatten Wasserflaschen in ihren Strandtaschen, und den Rest haben wir uns an den Verkaufsständen zugelegt.

Tutenchamun
Tutenchamun war ein König der 18. Dynastie, also war er älter als Ramses II. Sein Grab (KV 62) wurde erst 1922 entdeckt, und zwar von Howard Carter. Was danach kam, ist hinlänglich bekannt. Die Grabbeigaben sind heute im Ägyptischen Museum in Kairo ausgestellt. Manches geht auch in Wanderausstellungen um die Welt. Früher in den 1980er Jahren gab es sogar in Deutschland einen richtigen Hype um Tutenchamun. In einigen Städten, darunter in Hannover, konnte man sich einige Stücke anschauen. Alles rannte hin, sogar die Putze, obwohl sie sonst von ägyptischer Geschichte keinen blassen Schimmer hatte. Sie sagt, es wäre alles sehr golden und sehr glatt gewesen, aber richtig erinnern könne sie sich nicht mehr an die einzelnen Teile.

Wir haben uns spontan gegen die Grabbesichtigung entschieden, als der Pit einen Heißluftballon über uns kreisen sah.
„Oh, toll!“, hat er geschrien. „Das will ich auch!“
Man kann nämlich im Tal der Könige eine Ballonfahrt machen und sich alles von oben anschauen. Da hat man einen viel besseren Überblick und man muss nicht alles zu Fuß absolvieren. Der Karlsson ist sofort leichenblass geworden. Er hat sich augenblicklich hingelegt und seine Schnauze jaulend auf den Boden klatschen lassen. Uns kam sofort der Verdacht, dass er mit dem Vorschlag nicht einverstanden wäre.
„Na ja, bei Magenproblemen Ballon zu fahren, ist ja auch nicht so dolle“, hat die Cora Verständnis gezeigt.
Nun war aber der Pit beleidigt:
„Wenn ich schon mal was will …!“
Leider hat er unser Angebot, ihn in eine der Strandtaschen zu setzen, abgelehnt. Die Mädels und ich hätten liebend gern die Henkel gepackt und ihn über das Gelände geflogen als Alternative zur Ballonfahrt, schließlich hatten wir Flügel und hätten das ebenso gut gekonnt wie die teure Gondel. Doch der Pit hatte jetzt noch schlechtere Laune als vorher:
„Gott bewahre! Ihr bringt es noch fertig und kippt mich in der Höhe aus.“
Na, dann eben nicht. Wir hatten es ja nur gut gemeint.

Gern wäre der Pit mitgeflogen

Weiter ging's zum Tempel der Hatschepsut. Jetzt hatten wir einen trödelnden Hund UND einen trödelnden Kater hinter uns herschleichen. Es war Mittag. Auch die Sonne hatte kein Einsehen mit uns. Alles brannte und gleißte wie doll und verrückt. Zudem musste man, um zum Tempel der Hatschepsut zu kommen, erst eine lange breite Promenade bewältigen. Dort steht nicht mal eine Ruine, die ein bisschen Schatten gespendet hätte.

Doch die Besichtigung war ein Muss, denn der Tempel ist was Besonderes durch seine ungewöhnliche Architektur. Er besteht aus Kalkstein und wurde aus dem dahinterliegenden Felsmassiv geschlagen. Auf den Terrassen befinden sich offene Pfeilerhallen. Hatschepsut war eine Pharaonin der 18. Dynastie, also derselben, aus der auch Tutenchamun stammte. Sie hatte regiert, war nicht nur Gemahlin eines Königs gewesen. Mehr noch: Sie gilt als sie einzige bekannte Pharaonin des alten Ägyptens. Sie hatte sich also durchgesetzt gegen ihre männliche Konkurrenz und mit einer Tradition gebrochen, als sie sich als Frau den Herrscherstuhl unter den Nagel gerissen hatte. Der Tempel war von ihr selbst in Auftrag gegeben worden.

Hatschepsut-Tempel

Hier noch mal von näher

Heute laufen Touristen die lange Rampe empor. Hinter den Pfeilern im Innern des Tempels kann man reiche Wandmalereien bewundern. Auch wir wollten uns auf den Marsch machen, immer flott die Steigung hoch. So jedenfalls hatte es sich die Cora gedacht.
„Können die hier keine E-Scooter hinstellen?“, hat die Mia geschimpft.
Ihr taten die Füße weh.
„Nur nicht schlapp machen, hopp-hopp-hopp!“, hat die Cora in die Flügel geklatscht.
Weil sie das Reiseziel ausgesucht hatte, fühlte sie sich nun offenbar verantwortlich, dass keiner ausscherte. Trotzdem ist der Karlsson einfach unten geblieben, hat sich an den Rand eines Steines gesetzt und sich geweigert, irgendwas oder irgendwem Folge zu leisten. Er war fertig. Seine sonst so fröhlichen Locken kringelten sich müde um seinen grummelnden Bauch. Sein Turban sah jetzt aus wie ein Krankenverband. Und weil er schon mal dasaß, musste er auch gleich auf die Strandtaschen der Mädels aufpassen. Ich habe ihm noch geraten, er soll eine der Taschen flach auf den Boden legen und ein paar Münzen darauf verteilen, vielleicht könne er seinen Zustand mitleiderregend und gewinnbringend bei den andern Touristen einsetzen, aber er hat nur müde die Schnauze verzogen und uns viel Spaß gewünscht.

Hatschepsut-Tempel
Ohne Gepäck konnten die Mädels nun fliegen. Wir waren in Nullkommanichts oben. Der Pit ist hinterhergelaufen. Schade, zur Tempelanlage gehören auch zwei Kapellen, die den Göttern Hathor, Amun-Re und Anubis geweiht waren. Bestimmt hätte es dem Karlsson gefallen, bei der Erwähnung des magischen Namens „Anubis“ sein Schakaldasein in die Waagschale der Wichtigkeit zu werfen. Natürlich hätte er rumgegockelt wie blöd, ich kenn ihn doch. Diese Gelegenheit hätte er nie und nimmer verstreichen lassen. Aber leider, leider hockte er nun matschig unten am Wegrand und hatte keine Ahnung, was er verpasste.

„Max, hör auf zu stänkern“, hat der Pit gesagt. „Wo ist denn dein ach so großer Horus, wenn du schon über andere herziehst? Zeig mir den mal.“
War es zu fassen? Hatte der Ringelplüsch keine Augen im Kopp? Wir waren doch gerade unten an der Rampe an der nicht zu übersehenden, imposanten, einmaligen, großartigen Horus-Statue vorbeigekommen.

Und? Hatte ich mich vielleicht davor aufgebaut? Oder unbescheiden darauf gepocht, damit es auch wirklich jeder sähe? Nein, natürlich nicht. Ich hatte geschwiegen, weil wirkliche Größe keine laute Propaganda braucht.
„Ach was, du bist doch selbst dran vorbeigeflogen, du Blindfisch“, hat die Mia behauptet. „Sonst hätten wir anhalten, Gaben niederlegen und bis heute Abend Verehrungswache halten müssen. Erzähl uns also keinen Mist. Das mit der Horus-Statue hast du gerade eben auf der Anschlagtafel gelesen. Ich habe jetzt Hunger. Ich will was essen gehen.“

Horus: eindeutig, wir sind verwandt

Hatte ich schon erwähnt, dass es im Tal der Könige viel zu sehen gibt? Und dann gab es ja noch das Tal der Königinnen, das ein Stück nebenan liegt. Dort in über 90 Gräbern ruhten die nahen Angehörigen der Pharaonen der 17. bis 20. Dynastien. Die Anlage heißt zwar Tal der Königinnen, tatsächlich sind dort neben den Ehefrauen auch andere Familienmitglieder und hohe Beamte bestattet, darunter Wesire und Stallmeister.
„Was sind denn Wesire?“, hat die Mia wissen wollen.
„Im Reiseführer steht, der Wesir war der zweite Mann im Staat, der erste und oberste Beamte, er kam gleich hinter dem Pharao“, habe ich geantwortet.

Die Gräber sind meist schlichter als im benachbarten Tal der Könige. Es handelt sich um einfache Schachtanlagen mit meist nur einer Kammer. Trotzdem war es damals enorm wichtig, überhaupt ein Grab zu haben, denn die Menschen waren überzeugt, nur auf diese Weise gut in die Ewigkeit gelangen zu können. Deshalb baute sich jeder, der es sich leisten konnte, zu Lebzeiten einen Totentempel, eine Pyramide oder auch nur eine Grabkammer. Die bedeutendste Grabkammer im Tal der Königinnen ist die der Nefertari, der Frau von Ramses II. Das heißt, Gemahlinnen hatte er mehrere (und entsprechend zahlreichen Nachwuchs, so um die hundert?). Aber die Nefertari hatte ihm wohl besonders am Herzen gelegen und deshalb ist ihre Grabkammer sehr schön und aufwändig ausgefallen.

Innen im Grab der Nefatari

Uns blieb leider keine Zeit zur Besichtigung. So mussten wir das Tal der Königinnen ganz außen vorlassen. Weil auch der Hatschepsut-Tempel, an dem wir uns gerade aufhielten, westlich von Luxor liegt, haben wir uns entschlossen, erst was essen zu gehen und dann nebenan das Ramesseum zu besuchen. Wir waren inzwischen recht nah an den Grüngürtel rund um den Nil angelangt. Ganz plötzlich hört dort nämlich die Steinwüste auf und ohne Übergang schließen sich grüne Felder mit Palmen und fruchtbarem Boden an, fast wie mit dem Lineal gezogen. Hier ein Stück neben dem Tempel der Hatschepsut, genau auf der Grenze von Steinwüste zu Nilauen, steht die Ruine des Tempels von Ramses II, das sogenannten Ramesseum. Das also wollten wir unbedingt noch besichtigen. Aber wie gesagt, erst nach dem Essen. 

Links Wüste, in der Mitte das Ramesseum, rechts die Nilauen

Hier im touristischen Speckgürtel gab es mehrere Futterhütten. Natürlich durften wir nicht vergessen, erst noch den Karlsson an der Rampe abholen. Er erhob sich schwerfällig, als wir vor ihm standen.
„Du siehst nicht erholter aus“, hat die Cora mitleidig festgestellt beim Umhängen ihrer Strandtasche.
Das stimmte. Und Nahrung aufnehmen mochte er auch nicht, egal wie wir ihm auch zuredeten. Vielleicht hatte er sogar recht und wir andern sollten es als Warnung nehmen, um nicht auch krank zu werden. Deshalb haben wir uns in ein großes, offenes Gastronomiezelt gesetzt, wo es schattig war, und nur Obst gekauft, das wir kannten und das eine Schale zum Abpellen hatte. So würden wir die schwer verdaulichen Bohnen umgehen und hoffentlich auch möglichen feindlichen Bakterien, für die sich unser deutschen Mägen nicht eigneten.

Der Karlsson ist draußen geblieben. Er wollte weder Essen sehen noch Essen riechen. Während der Pit unzählige Bananen in sich hineingeschoben hat und die Mädels Honigmelone futterten, habe ich dem Karlsson eine Schale lauwarmen Kräutertee nach draußen gebracht. Er lag neben einem Steinklotz im Schatten und hechelte monoton. Dann bin ich wieder reingegangen und habe zwei Kiwis und eine Orange gegessen. Viel war das ja nicht, aber sehr erfrischend bei der noch immer großen Hitze. Schrecklich, was aus dem stolzen Locken-Terrier geworden ist. Ob Lassie und Rintintin auch mal Magenprobleme hatten und dabei so jämmerlich ausschauten? Darüber erfährt man nie was in den Fernsehsendungen. Dort wird man höchstens angeschossen oder gerät mit der Pfote in eine Falle, und dabei sieht alles trotzdem immer noch irgendwie erhaben aus.

„Geht's noch, oder sollen wir nach Hause fahren?“, haben wir den Karlsson gefragt, als wir aufbrechen wollten zum Ramses-Tempel. Nein, nein, er käme mit, alles in Ordnung, hat er geantwortet und ist tapfer neben uns hergetippelt. Der Kerl war zäh, das musste man ihm lassen.

Im Grunde ist es mir bis heute unverständlich, warum man sich kaputte Steine anschaut. Vom Ramesseum ist so gut wie nichts mehr übrig, alles platt, nur in der Mitte ragen ein paar Säulen empor. Die Anlage war ursprünglich von einer Mauer umgeben und hatte einen Kanal, einen heiligen See und eine Hafenanlage. Unter einem heiligen See versteht man einen Teich mit rechteckiger Ummauerung. Wenn auch noch ein Hafen dabei war und ein Kanal, dann dürfte es sich um eine recht imposante Gewässerkomposition gehandelt haben. Bestimmt ging der Kanal runter zum Nil. Er ist ja nicht weit entfernt. Und wozu brauchte man das alles? Na, zu kultischen Zwecken, denn dort fand der Totenkult für Ramses II statt.

Hier noch mal aus einem etwas anderen Winkel. Ganz oben am Bildrand, das Geriffelte, das ist der Hatschepsut-Tempel, daneben die lange Promenade.

Mit einer Mauer ist das Areal noch heute (oder schon wieder) versehen. Uns hat sie jedenfalls nicht aufgehalten. Man musste ein bisschen suchen, bis man eine Stelle gefunden hatte, die ein magenleidender Hund und ein Kater erklimmen konnten. Praktischerweise standen dort, wo wir waren, überall Erdaufschüttungen herum. Wenn man sie hochstieg und auf der andern Seite der Mauer wieder herunter, war man drin. Nun brauchten wir nur noch bis zur Mitte zu den Säulenskeletten vorzulaufen. Wir kamen gut voran, vor allem weil uns keine andern Touristen in die Füße traten.
„Bestimmt waren die Erdhaufen die Reste archäologischer Ausgrabungen. Was meint ihr?“, hat die Mia gesagt.
Ja, in der Tat, ganz schön feierlich, wenn man an die Bedeutung für die menschliche Kultur denkt. Aber dann sieht man die Mia und die Cora mit ihren kurzen Amazonenbeinchen und den weißen Strandtaschen umgeschnallt schnatternd und mit den Sonnenbrillen auf der Nase über die majestätische Erde latschen, und dann ist man ernüchtert und denkt, irgendwas passt hier nicht zusammen.
„Aber ihr mit euren doofen Turbanen, ihr heiligt den Anblick, was?“
Die Cora war jetzt richtig erbost.

Der Pit hat sich gewundert, warum man keinen Eintritt von uns wollte, wo es doch sonst an jeder Ecke was kostete. Aber wir hatten nirgends ein Ticket-Häuschen gesehen, vielleicht weil wir diesmal zu Fuß vom Hatschepsut-Tempel gekommen waren, statt wie vorher den Touri-Bus zu nehmen. Später sind wir dann doch noch auf Reisegruppen gestoßen. Die meisten Teile des Areals waren ja für die Öffentlichkeit gesperrt.

Zusammenfassend kann man sagen, dass das Ramesseum durch die Fantasie beeindruckt, die man aufbringen muss, um sich alles intakt und in voller Größe vorzustellen. Wusstest ihr, dass die Tempel früher keineswegs so schlicht beige waren, wie wir sie heute kennen? Ganz im Gegenteil: Sie waren großzügig bemalt in bunten Farben wie Gelb, Rot und Blau, fast wie Plakate. Das war Absicht: So sollten die Botschaften weit sichtbar sein und den Menschen die Verehrung erleichtern.

Ich war froh, dass der Pit kein Unheil anrichten konnten, weil sowieso schon alles kaputt war, obwohl er sich bisher im Hatschepsut-Tempel und in der Grabkammer ja vorbildlich benommen hatte. Bei den vielen Erdhaufen hatte ich eher den Karlsson in Verdacht. Wisst ihr noch, wie er damals in Versailles in den exklusiven Blumenrabatten herumgebuddelt hatte? Nicht, dass die Gier ihn jetzt wieder überkam und er womöglich all die Archäologie umschaufelte, über die wir gerade so vorsichtig geklettert waren. Andererseits: Wenn man ihn betrachtete, wie er da vor einer Säule hockte und stumpf den Stein beglotzte, als wartete er, dass Rapunzels Haar heruntergerauscht käme, dann konnte ich mich eigentlich entspannen. Von ihm war heute keine Kriminalität zu befürchten.

Viele Touristen fuhren jetzt an den Nil, um hinüberzusetzen und auf der andern Uferseite weiterzumachen. Dort im Dorf Karnak, ganz in der Nähe, steht nämlich der Karnak-Tempel, den man im Allgemeinen nicht auslässt, wenn man schon mal hier ist. Auch in Karnak ist das meiste kaputt, aber es steht immer noch mehr Kaputtes herum als im Ramesseum. Genauer gesagt handelt es sich um eine ganze Tempelanlage, die größte in Ägypten. Hier wurde unter anderem der Gott Amun-Rei verehrt. Was man heute noch sieht an Säulen, Statuen, Pylonen (das sind Toranlagen), Straßen usw. stammt aus der 12. Dynastie oder ist jünger. Anders ausgedrückt: Tutenchamun – 6 = 12 = älter, weil man ja rückwärts zählen muss wegen vorchristlicher Zeit, nicht wahr?

Karnak-Tempel: Hatten wir was verpasst?

Wir sind trotzdem nicht mitgefahren. Für uns war hier Schluss. Es war Nachmittag und wir wollten uns in Ruhe auf die nächste Etappe vorbereiten. Erst haben wir mit dem Taxi den Karlsson am Nil abgesetzt, am Bootsanleger; die Mädels sind bei ihm geblieben. Dann bin ich mit dem Pit zum Hotel gefahren, um das Gepäck zu holen, das wir im Büro hatten einschließen lassen. Jetzt sollte es mit dem Schiff weitergehen. Ja, ihr habt richtig gehört, mit dem Schiff. Die Cora hatte uns das eingebrockt, denn sie hatte die Reise ja geplant.
„Wenigstens einmal im Leben will ich auf den Spuren von Erkühl Poiroh wandeln“, hat sie gesagt.
Von wem?
„Von Peter Ustinov. Er hat in dem Film mitgespielt. 1978 war das. Die Geschichte stammt von Agatha Christie“, hat der Pit ergänzt.
Ich wusste gar nicht, dass die Cora Krimis mag.
„Doch, und ob! Der Film heißt „Der Tod auf dem Nil“. Huh, gruselig! Hoffentlich kriegen wir nicht auch Dinge zu sehen, die wir gar nicht sehen wollen.“

Luxor in der Abenddämmerung

Im Film war es ein luxuriöser Schaufelraddampfer, im echten Leben bestiegen wir ein modernes, aber kleines, doppelgeschossiges Kreuzfahrtschiff. Es hatte eine Aussichtsplattform mit Reling, aber keinen Swimmingpool, und die Kabine war klein und spartanisch. Ich fand es riskant, den ohnehin schon arg gebeutelten Karlsson nun auch noch mit der Schuckelei eines Wasserfahrzeugs zu konfrontieren. Seine Augen flackerten nervös.
„Wohin fahren wir - weit?“, hat er wissen wollen.
„Nach Assuan. Wir sind zwei Tage und zwei Nächte unterwegs.“
Ich meinte ein leises Jaulen gehört zu haben, aber ich konnte mich irren.

In Ägypten gibt es etliche Veranstalter, die Kreuzfahrten anbieten. Meistens tuckern die Touristen auf diese Weise die Sehenswürdigkeiten ab. Das heißt, sie lassen sich gemütlich herumschippern, haben auf dem Schiff ihr Bett, ihre Erholung und ihr Essen und gehen jeden Tag woanders an Land, um sich anzugucken, weswegen man hergekommen ist. Unser Schiffchen dagegen fuhr zwar ähnlich langsam, hielt aber nirgends unterwegs an, jedenfalls nicht an einem Bootssteg, sondern brachte uns direkt nach Assuan. Die Cora hatte das so eingerichtet nach langen Recherchen im Netz, damit die Reise möglichst kostensparend ausfiel.
„Ist wenigstens eine anständige Küche an Bord?“, hat sich der Pit erkundigt.

Als wir loslegten, war es früher Abend und bereits dunkel. Mal ehrlich, wenigstens „Time to say goodbye“ hätten sie spielen können. Und zum Abschied winken tat auch niemand. Stattdessen schlichen wir leise am Ufer entlang. Tagsüber ist es grün, aber im Dunkeln sah man das natürlich nicht. Leider konnten wir nicht länger an Deck bleiben wegen der Mücken. Im Reiseführer stand, dass grelle Farben die Viecher extra anziehen. Der Pit hat dämlich gelacht:
„Na, dann ist unser Tuschkasten-Horus ja besonders gut geschützt.“

Die Mädels haben sich in der Kabine fürs Abendessen fertig gemacht. Der Pit hat sich die Landkarte angeschaut und der Karlsson schnarchte schon auf dem Bett. Gut so, wer schläft, hat keine Magenschmerzen.
„Hey, wir fahren ja nach Süden!“
Das kam fast wie ein Aufschrei aus dem Mund vom Pit. Das Studium der Kartografie hatte ihn dazu veranlasst.
Ja und? Assuan liegt nun mal flussaufwärts ein paar Nilkringel weiter südlich Richtung Sudan. Was dachte er denn, wo Abu Simbel liegt?
„Ach, wir fahren nach Abu Simbel?“
„Ja.“
„Na, dann ist ja gut.“
Manchmal verstehe ich den Pit nicht. Einmal ist er total helle und gebildet, ein andermal kriegt er zwei und zwei nicht zusammen.
„Halt die Klappe, Moskitolampe!“, hat er gefaucht.

Das Abendessen in dem kleinen Speisesaal war einfach, aber lecker. Es gab zwei Menüs zur Auswahl. Andere Fahrgäste waren kaum an Bord. Bohnen oder andere Hülsenfrüchte standen Gott sei Dank nicht auf der Speisekarte. Wir haben viel Gemüse gegessen und Fladenbrot, das hier „Aisch“ heißt. Man tunkt es ins Flüssige oder legt das Gemüse drauf und führt es zum Mund wie eine Schaufel. Natürlich gab es auch Internationales zu essen wie gebackene Kartoffelspalten oder Couscous, beides mit Besteck serviert. Dem Karlsson haben wir ein bisschen Brot und Kartoffeln beiseite gelegt, falls er in der Nacht Hunger kriegen sollte. Er hatte ja seit dem Frühstück nichts gegessen. Gesund war das nicht. Vorerst schnarchte er noch tief und fest auf dem Bett. Auf seinem Kopf, wo der Turban gesessen hatte, lagen seine Löckchen platt angepappt.

Tja, an das, was danach kam, habe ich leider keine Erinnerung mehr. Ich weiß nur noch, dass wir zurück in der Kabine waren. Dort wurde mir plötzlich sehr heiß und dann wieder furchtbar kalt, alles im Wechsel. Kopfschmerzen bohrten mir heiße Stangen ins Gehirn; dort haben sie Polka getanzt. Kotzübel ist mir geworden. Ich glaube, ich habe dann auch … äh … mehrmals. Ich weiß nicht, ob ich ohnmächtig geworden oder eingeschlafen bin, jedenfalls habe ich ewig vor mich hingedämmert und dann auch total bekloppt geträumt. Eine heilige Katze war da und hat mir Pfefferminitee eingeflößt. Später hat sie kleine Fladenbrotstücke in Bananenmatsch gewälzt und mir in den Schnabel gedrückt.
„Mach schön die Futterklappe auf, Max“, hat sie gesagt.
Wahnsinn! Die heilige Katze sprach zu mir. Sie kannte sogar meinen Namen. Wenn es mir nicht so dreckig gegangen wäre, hätte ich mich direkt darüber gefreut.

Aber es kam noch kurioser. Jetzt stand sogar ein Schakal von mir. Er feudelte mir mit einem nassen Waschlappen durchs Gesicht. Ich weiß noch, dass ich mich total gewundert hatte, dass eine so große Göttergestalt so eine profane Handlung vollzog. An mir! Ich muss was ganz Besonderes sein, ein von den Göttern geliebtes Geschöpf.

Die beiden Vogeldamen, die auch noch dabei waren, haben mich allerdings extrem irritiert. War Horus verheiratet? Waren das seine Gemahlinnen? Und warum hatte er sie geschickt? Hätte er nicht selbst kommen können? Ihre Aufgabe war es, mich in feuchte Tücher zu wickeln und Fieber zu messen. Das haben sie auch gut hingekriegt, nur ihre Konversation fand ich blöd.
„Warum muss der Depp auch seine Birne in die afrikanische Mittagshitze halten?“, hat die eine gefragt.
„Ja“, hat die andere bestätigt. „Trägt einen dämlichen Turban und setzt ihn ausgerechnet dann ab, wenn er am sinnvollsten gewesen wäre“.
Für Göttergattinnen fand ich diese Bemerkungen nicht gerade royal. Die beiden haben aber anstandslos an die heilige Katze abgegeben, als ich um Wasser bat. Der Schakal ist gleich mitgekommen und hat mir anschließend das Brustgefieder trockengewischt.

Irgendwann ging's mir wieder gut, obwohl ich nicht mehr daran geglaubt hatte. Das Fieber war weg,  auch der Schüttelfrost, die Kopfschmerzen und die Übelkeit. Es war hell in der Kabine, die andern packten. Ein Blick durchs Bullauge verriet, dass es draußen dunkel war. Als Erstes ist mir der Karlsson aufgefallen, weil er wieder auf seinen Beinen stand. Seine Locken wirkten frisch und agil, seine Körpersprache war elastisch und sein Blick wach und zufrieden.
„Hey, dann bist du ja wieder gesund“, habe ich gesagt.
„Ja“, hat er geantwortet. „Und du ja auch. Schade, dass du die Nilfahrt verpasst hast – sie war großartig!“

Assuan: hübsch, nicht?

Noch im Dunkeln mussten wir das Schiff verlassen. Wir waren in Assuan angekommen. Die Cora hat ein Taxi gerufen, damit sind wir zum Flughafen gefahren, aber nicht um einen Flieger zu nehmen, sondern um unser Gepäck einzuschließen. Erst mal würden wir nämlich eine Busreise machen, die besagte Fahrt nach Abu Simbel, und dafür konnten wir unsere Rucksäcke nicht gebrauchen. Die Mädels hatten nur ihre weißen Strandtaschen dabei.
„Setz deinen Turban auf!“, hat mich die Mia angewiesen.
Wieso? Es war doch noch dunkel.
„Egal. Noch mal wirst du uns nicht krank.“

Dann sind wir in den Bus gestiegen. Von Assuan nach Abu Simbel sind es drei Stunden. Die Fahrt begann noch vor Sonnenaufgang, damit wir früh genug ankämen und genug Zeit zum Besichtigen hätten. Im Bus haben mir die andern erzählt, dass ich einen Sonnenstich hatte. Auch Dengelfieber (oder wie das heißt) oder Malaria wäre angedacht worden, aber das habe man verworfen, nachdem man die Symptome dem Kapitän geschildert hätte. Ein Schiffsarzt ist nicht an Bord gewesen. Ich selbst hätte immer „Horus, Horus, wo bist du?“ geschrien und wild mit den Flügeln um mich geschlagen, sobald einer von den andern Krankenhandlungen an mir vornehmen wollte. In der übrigen Zeit hätten sie es sich aber gutgehen lassen. Die Mädels wären meistens zum Sonnen auf dem Deck gewesen (die Mia in ihrem Glitzer-Bikini), während der Pit und der Karlsson mit zwei Engländern gepokert hätten – erfolgreich. Sie zeigten mir grinsend einen Haufen Geldscheine. Der Nil sei tatsächlich überall an den Rändern schön grün, fast wie in Europa. Blöd, dass ich das nicht mitgekriegt hätte.


Friedliches Nilufer

Abends hätten sie meistens an der Bar gegessenen, Billard gespielt und einmal sogar im Heimkino den Film „Tod auf dem Nil“ angeschaut – auf Englisch mit arabischen Untertiteln. Das sei vielleicht toll gewesen: auf einer Nilkreuzfahrt den Klassiker über eine Nilkreuzfahrt anzusehen. Originaler ging's ja wohl kaum. Den Mörder hätten sie übrigens sofort entlarvt. Das sei total easy gewesen.

Ach, und noch was: Karlssons Papa hätte wieder angerufen, um sich nach dem Fortschritt des Strafpensums zu erkunden. Um es authentischer wirken zu lassen, hätten sie diesmal mir das Handy zum Antworten hingehalten, natürlich erst, nachdem sie mir zweimal vorgesagt hatten, was ich sagen sollte:
„Tach, Onkel Papa vom Karlsson. Uns geht es gut. Mir tun die Knochen weh. Tschüs, bis bald.“
Weil ich alles richtig nachgesagt, aber total neben der Spur geklungen hätte, wäre die Mission ein voller Erfolg geworden. Wenn er das nächste Mal wieder anruft, würden wir uns was einfallen lassen müssen, falls gerade kein anderer Kranker zu Hand wäre. Es ginge eben nichts über das Gelalle eines Patienten im Delirium.

Unterwegs im Bus wurde es schließlich hell. Einen Sonnenaufgang über der ägyptischen Wüste zu erleben, war ein ganz besonderes Erlebnis.
„Schaut mal, wie eine Apfelsine“, hat die Cora gerufen.
Wir klebten staunend am Busfenster.
Laut Reiseführer befanden wir uns im ägyptischen Teil Nubiens nur ca. 20 bis 30 Kilometer von der Grenze zum Sudan entfernt.

Als wir in Abu Simbel ankamen, war es vollständig hell. Unser Reisebus war nicht mal der erste. Überall strömten Touristen herbei. Es gab zwei Tempel zu besichtigen, mit welchen fingen wir an? Mit dem großen.

Vorm Eingang zum großen Tempel: viermal Ramses II, naja, viereinhalb mal

Okay, hier ging's mal wieder um Ramses II. Er hatte die Tempel bauen lassen. Vor der Eingangshalle fallen einem sofort die vier Sitzstatuen auf. Sie sind ca. 21 Meter hoch und stellen alle vier ihn selbst dar, obwohl man vielleicht denken könnte, er hätte seine Frau neben sich sitzen. Doch das täuscht. Auf alten Steinen sehen Pharaonen, vor allem wenn sie nicht mehr ganz heile sind, immer ein bisschen weiblich aus. Das liegt an ihrer Kopfbedeckung. Das waren so Tücher, die zur Seite abstanden, nicht wahr? Immerhin zeugt es von einem gesunden Selbstbewusstsein, wenn man sich gleich viermal nebeneinander aufstellen lässt. Innen im Tempel befindet sich eine Pfeilerhalle mit Bemalung.
„Toll!“, hat der Karlsson gestaunt.

Er hatte ja durch seinen Ausfall in Luxor noch nicht viel davon mitgekriegt. Seine Kulturentdeckungen begannen jetzt erst mit vollem Bewusstsein. Mit dem Turban auf den Locken und dem Reiseführer aufgeschlagen auf dem Steinboden vor sich hat er jeden Zentimeter besichtigt und uns dabei mächtig aufgehalten. Irgendwann hat die Cora gesagt, dass wir weiterziehen müssten, es wäre schon der vierte Reisebus nachgerückt. Durch die Trödelei hatte ich immerhin den Pit gut im Blick. Er machte keine Anstalten zum Popeln. Stattdessen hat er Feigen gefuttert. Die konnte er sich unbemerkt zwischendurch reinschieben, ohne dass ein Wächter das mitgekriegt und beanstandet hätte. Die Mia war irgendwann nach draußen gegangen. Wir fanden sie vor einem der linken Füße des Ramses sitzen und sich die Wimpern nachtuschen. Ein Touri kam angelaufen und fragte, ob er die Mia fotografieren dürfe. Ja, hat sie gesagt, natürlich, und hat sich in Pose gesetzt wie eine Hollywood-Diva im Filmstudio. Deren Tag war auf jeden Fall schon mal gerettet. Die Mia hatte plötzlich beste Laune.

Auch der Karlsson versprühte Tatendrang unter positivsten emotionalen Konditionen. Bevor wir zur nächsten Etappe aufbrachen, hat er uns aus dem Reiseführer referiert, wie das damals war mit dem Abu Simbel und dem Stauwasser. Das ganze Gebilde hier stand ja mal woanders, tiefer und näher dran am Nil. Entdeckt wurden die beiden Tempel 1813 von dem Schweizer Jean Louis Burckhardt. Damals war der große Tempel, vor dem wir jetzt standen, von einer Sanddüne zugedeckt gewesen. Man hatte kaum etwas von ihm sehen können.
„Das muss ja eine mächtig hohe Verwehung gewesen sein“, hat die Mia gemeint.

Als man dann in den 1950er Jahren den Assuan-Staudamm zu vergrößern plante, hat man gemerkt, dass dies dem altägyptischen Kulturerbe nicht guttun würde. Deshalb hat man 1963 bis 1968 die beiden Tempel abgetragen, Teil für Teil, und hier auf der Hochebene von Abu Simbel wieder aufgebaut. Die Tempel stehen nun 64 Meter höher. Das Wasser des Nassersees, das heißt des Stausees des Nils, der durch den Assuanstaudamm entstanden ist, kann den Tempeln nun nichts mehr anhaben. Der ursprüngliche Standort liegt inzwischen unter Wasser.
„Denkt mal an, was das für 'ne Arbeit war, alles hier hochzuwuchten“, hat der Karlsson zu bedenken gegeben.
„Ja, aber die haben das mit Kränen und Lastwagen gemacht“, habe ich gesagt, „und nicht wie damals mit den Händen.“
„Ist doch egal. Wenn man heute einen Flughafen bauen will, hat man auch Kräne und Lastwagen zur Verfügung, sogar Computer, und trotzdem kriegt man es nicht hin.“
Da hatte er recht. Was die Ägypter (die alten und die neuen) zustande gebracht hatten, war in jeder Hinsicht bemerkenswert.

Etwa 150 Meter weiter entfernt steht der kleine Tempel. Wir machten uns auf den Weg. Unterwegs hat der Pit kleine süße Kuchen verteilt. Hö, woher hatte er die? Er trug doch keinen Beutel bei sich. Grinsend hat der Pit seinen Turban gelüftet. Darunter kam ein ganzes Warenlagen an Fressalien zum Vorschein. Genial! Uns hat's gefreut, denn das Frühstückspaket vom Reiseveranstalter hatten wir bereits im Bus gefuttert. Und auch der Karlsson hat beherzt zugegriffen, was zeigte, dass er vollständig genesen war. Jetzt stand der erfrischten Besichtigung des kleinen Tempels nichts mehr im Wege.

Der kleine Tempel mit Ramses II und der Nefatari

Er ist ähnlich aufgebaut wie der große Tempel, hat ebenfalls eine Pfeilerhalle mit Bemalung, ist aber nur etwas kleiner. An der Fassade vor dem Eingang sind sechs Statuen aus dem Fels gehauen. Sie zeigen viermal den Ramses und zweimal seine Lieblingsfrau Nefatari. Unterscheiden kann man die beiden an dem länglichen Gebilde unterm Kinn. So was haben nämlich nur die Pharaonen. Das war der Bart, glaube ich. Geweiht ist der Tempel der Nefertari und der Göttin Hathor.
„Hathor war die Frau vom Horus“, hat der Karlsson aus dem Reiseführer vorgelesen.

Was? Also doch! Ich wusste es! Der Horus war verheiratet. Meine Stimmung war augenblicklich in den Keller gerutscht. Ich musste an meine Alpträume denken und daran, was die Damen über mich gesagt hatten, als sie dachten, ich kriegte nichts mit. Das war nicht fein gewesen. Sollte ich jetzt trotzdem so tun, als wäre alles in Ordnung und als Tourist meine Ehrerbietung zeigen? Ich war unschlüssig. Dann habe ich entschieden: auf keinen Fall! Die Alpträume waren zu scheußlich gewesen.
„Kommst du nicht mit?“, hat die Mia gefragt, als sie sich umschaute.
„Nein“, habe ich gesagt.
„Warum nicht?“
„Aus persönlichen Gründen.“
„Na, dann eben nicht. Aber lass deinen Turban auf. Und geh nicht so weit weg.“

Innen im kleinen Tempel der Nefatari: Der Fußboden ist bestimmt neu

Es hat ewig gedauert, bis die vier zurückkamen. Vermutlich hatte sich der Karlsson wieder jeden Zentimeter der Wandmalereien angeschaut und die Eindrücke mit den Fotos im Reiseführer verglichen. Der Pit war am Kauen und die Cora hat gestöhnt:
„Ich brauch jetzt 'nen Schnaps.“
Alkohol gab's aber nicht am Kiosk, nur eine bunte Limo und viele, viele Ansichtskarten, die zeigten, was wir gerade selbst gesehen hatten. Schade, dass wir keine Post versenden durften, sonst hätte ich dem Luke eine Karte geschickt. Am besten die mit dem Luxusdampfer drauf. Darüber hätte er sich ärgern können, dass wir ohne sein blödes Geld zurechtkamen.

Am Nachmittag fuhr uns der Bus zurück nach Assuan. Drei Stunden hin, drei Stunden zurück. Als wir ankamen, war es schon wieder dunkel. Unser Flieger nach Kairo sollte aber erst am nächsten Morgen starten. Bis dahin saßen wir in der Wartehalle fest.
„Soll das heißen, dass wir die Nacht hier verbringen?“, hat die Mia gekreischt. „Nicht im Hotel?“
„Nein, nicht im Hotel. Das wäre zu teuer geworden.“
Die Cora hatte alle Hände voll zu tun, sich zu rechtfertigen. Doch auf dem harten Steinfußboden oder in den steifen Sitzen hat niemand schlafen wollen.
„Dann könnt ihr ja nächstes Mal unser Reisegeld verwalten, wenn ihr's besser könnt“, hat sie gemeckert.

Hey, hatten der Pit und der Karlsson nicht auf dem Schiff so viel Geld gewonnen? Könnten wir das nicht nehmen und uns ein Hotelzimmer mieten für die Nacht? Das aber wollten die beiden auch wieder nicht, also sind wir geblieben, wo wir waren. In der Flughafen-Gaststube haben wir uns reihum mit Fladenbrot und Gemüsetunke eingedeckt. Vom Pit kamen noch ein paar Keksrollen hinzu. So ließ es sich einigermaßen aushalten. Wenigstens war es klimatisiert. Diese ewige Hitze schlauchte einen ganz schön.

In Kairo landete der Flieger am Vormittag. Hier sind wir schon mal gewesen, noch nicht lange her, als wir umsteigen mussten nach Sharm-el-Sheikh. Diesmal würden wir aber mehr zu sehen kriegen als den Flughafen und die Stadt von oben. Gleich am Taxistand  kriegten wir einen Eindruck von der diesigen Luft, der Hitze und der Lautstärke. Kairo ist halt eine 9 ½-Millionen-Metropole. So was geht nicht frisch und leise ab. Dauernd qualmten Auspuffe und alles hupte, was zwei, drei oder vier Räder hatte.

Es war voll in Kairos Straßen

Im Hotel haben wir unser Gepäck abgestellt. Fürs Frühstück war's zu spät, aber vor der Tür konnten wir in einem Supermarkt Brot kaufen, ein paar kleine Flaschen Mineralwasser und die obligatorischen Kekse, die uns gut bekamen und auch den Karlsson noch nicht wieder rückfällig gemacht hatten. Die Reste wanderten in die Strandtaschen. Dann sind wir in einen Bus gestiegen, der uns zu den Pyramiden brachte. Sie liegen etwa 15 Kilometer von der Innenstadt entfernt. Dies muss man extra betonen, denn die Stadt Kairo hat sich bereits so weit zu den Rändern ausgedehnt, dass die Wohnblocks schon fast ans Gebiet von Gizeh heranreichen. Trotzdem ist es überwältigend. Jeder kennt die Fotos von den Pyramiden, doch wenn man erst mal davorsteht, vor den drei riesigen Dreiecken, dann ist es atemberaubend.
„Wow“, hat der Karlsson gehaucht.

Huh, die Häuser sind wirklich schon dicht an die Pyramiden herangekommen

Eigentlich ist es falsch ausgedrückt. Es sind nämlich nicht nur drei Pyramiden, sondern ganze Anlagen aus weiteren kleineren Nebenpyramiden (z. B. die der Königinnen), Grabbauten, Tempeln und natürlich der berühmten Sphinx.
„Da will ich hin!“, hat der Pit sofort gerufen.
Wir taten ihm den Gefallen. Als wir davorstanden, war ich überrascht, wie klein sie ist. Sie ist nur 20 Meter hoch und 73,5 Meter lang. Vom Löwenkörper ist nicht mehr alles original erhalten, alles im Laufe der Jahrtausende der Erosion anheimgefallen. Die Abgase aus Kairo tun ein Übriges. Es muss gestützt und verstärkt werden an allen Ecken und Enden.

Kein Wunder, denn die Sphinx besteht aus Sedimentgestein, also aus einem Material, das vor Millionen von Jahren Meeresgrundkalkstein war. Zudem war sie früher in kreischenden Farben angemalt, so wie damals die Tempel. Gott sei Dank haben die Sandstürme vieles konserviert, sonst wäre heute wahrscheinlich gar nichts mehr übrig. Jahrhundertelang lag die Statue verschüttet. Erst um 1818 wurde die Sphinx weitgehend wieder freigelegt. Auch die Nase ist abgefallen, aber darüber wissen wir wenigstens Bescheid, wer es war.
„Wer denn?“, hat die Cora wissen wollen.
„Na, Obelix“, habe ich gesagt. „Er ist doch damals auf der Sphinx herumgeklettert und hat aus Versehen mit dem Fuß die Nase abgetreten.“
Der Karlsson hat lange in seinem Reiseführer geblättert, wo das stand. Inzwischen ist der Pit vorgerückt, bis er auf dem Gehweg hockte, den man dort hingebaut hat für die Besucher, direkt an der rechten Pranke. Ich konnte sehen, wie er eine Zehe tätschelte. Es muss ihm viel bedeutet haben, seinen ägyptischen Verwandten zu grüßen. 

Die Sphinx mit der Cheops-Pyramide

Im Rücken steht die Cheops-Pyramide, die höchste Pyramide der Welt. Sie ist ca. 139 Meter hoch, die Seiten sind etwa 230 Meter lang. Gebaut wurde sie aus schätzungsweise 3 Millionen Steinblöcken. Innen gibt es eine Galerie, Grabkammern und andere Räume, teilweise unterirdisch. Als Besucher kann man sie besichtigen, allerdings innen nicht fotografieren, und ewig drin herumlaufen darf man auch nicht. Über den Pharao Cheops selbst ist wenig bekannt. Er gehörte, wie gesagt, der 4. altägyptischen Dynastie an. Von ihm gibt es nur eine ca. 7 Zentimeter große Statue, die sein Antlitz zeigt.

Die mittlere Pyramide ist als Grabmal seines Sohns Chephren erbaut, die kleine als Grabmal dessen Sohnes Mykerinos. Die Mykerinos-Pyramide ist immerhin noch 65 Meter hoch, die des Chephren 136 Meter. Alle drei Pyramiden trugen ursprünglich eine Verkleidung aus glattem hellen Sandstein. Dadurch müssen sie in der Sonne grell und weit geleuchtet haben. Davon ist aber nichts mehr vorhanden, außer ein bisschen was an der Spitze der Cheops-Pyramide.


Weil's so schön ist, alle drei zusammen

Sollten wir reingehen? Aber wo anfangen? Warum sich nicht erst mal gründlich umsehen, zum Beispiel auf dem Rücken eines Kamels?
„Au ja!“, hat die Cora gejuchszt. „Los kommt, wir mieten uns ein Kamel.“
Überall warteten Händler mit bunt behangenen Tieren auf die Touristen. Wenigstens schonte ein Ritt die geplagten Fußsohlen. Während die Mia, die Cora und die Strandtaschen schon auf dem Rücken Platz genommen hatten, haben der Pit, der Karlssson und ich noch um den Preis gefeilscht. Darin waren zumindest der Pit und ich inzwischen gut geübt. Der Karlsson hatte durch seine Krankheit leider noch an Erfahrung aufzuholen, war aber auf dem besten Wege. Am Ende hatte er für den gleichen Preis eine Art Satteltasche erstritten. Sie war doppelseitig. Darin nahm er auf der rechten Flanke Platz und der Pit gegenüber auf der linken. Ich bin zu den Mädels auf den Rücken geflogen.

Mit dem Kamel zwischen den Pyramiden entlang (es hatte wirklich zwei Höcker!)

Das Kamel stand auf, wir schaukelten in die Höhe. Im gemächlichen Trott ging's voran an den drei großen Pyramiden vorbei, einmal auch im Kreis um die mittlere herum. Es wackelte ordentlich.
„Ist jemandem schlecht?“, habe ich zu den Seitentaschen runtergerufen.
Keine Antwort. Nur Dattelkerne flogen in regelmäßigen Abständen und hohem Bogen links in den Sand.
„Hörst du wohl auf, Pit!“, habe ich geschimpft.
Das durfte ja wohl nicht wahr sein! Hatte er nichts zu popeln, müllte er Ägypten ein, dazu ausgerechnet dort, wo es jeder sehen sehen konnte. Glücklicherweise guckte sich der Kamelführer  gerade nicht um. Die Mädels waren mit Schnattern beschäftigt. Ihre Sonnenbrillen glänzten im Sonnenlicht. Sie hatten es sich gemütlich gemacht, lehnten sich weit zurück und hielten sich nur mit zwei, drei Krallen an der Decke fest. Ob es einen James Bond mit den Pyramiden gäbe, haben sie diskutiert. Einen, der in Rio de Janeiro spielt, den gäbe es, klar (die berühmte Seilbahnszene!), auch einen in den Alpen, aber einen, der hier gedreht wurde? Das konnten sie nicht mit Sicherheit klären, und ich habe mich rausgehalten.

Wenn ich mich nach rechts hinunterbeugte, konnte ich den Karlsson sehen, das heißt seinen Turban – und den Reiseführer, den er ans Licht gezerrt hatte, um nähere Auskünfte einzuholen.
„Na?“, habe ich gefragt. „Wie hießen die Königinnen der kleinen Pyramiden neben dem Cheops?“
„Hetepheres I, Meritetes I und Henutsen“, hat der Karlsson geantwortet.
Oha, die kennt ja kein Mensch. Aber gut, dass sich der ehemalige Patient so sinnvoll betätigte. Das würde ihn vor schlechter Laune aus Erinnerung an qualvolle Zeiten bewahren.

Apropos Qual. Als wir wieder am Kamelplatz angelangt waren, hieß es natürlich aussteigen. Dazu geht das Kamel vorn in die Knie. Leider tat es das ziemlich abrupt. Alles, was mittig und hinten lag, stand auf einmal im Gefälle. Die Katapultwirkung war so groß, dass die schnatternde Cora im hohen Bogen vornüber in den Sand flog. Vor Schreck hatte sie vergessen, ihre Flügel auszubreiten und den Flug abzufangen. So hatte ihr Schnabel bis zum Bauch ein Loch in den Untergrund gebohrt, das Hinterteil ragte wrackartig empor. Das allein wäre sicher nicht so schlimm gewesen, nur leider ist ihre Strandtasche hinterhergeflogen, auch Karlssons Reiseführer. Die Tasche mit der vollen Wasserflasche ist ihr direkt auf den Rücken gedonnert, der Reiseführer hat sie begraben wie unter einer Steinplatte. Musste das jetzt sein?

Uns andern ist nichts passiert, weil wir rechtzeitig mit dem Gewicht gegengesteuert hatten. Sofort sind wir hingelaufen. Alle Mann haben wir den Sand beiseite geschaufelt, bis wir die Cora am Schwanz rausziehen konnten. Benebelt war sie, aber sonst intakt.
„Oh, mein Kopf!“, hat sie gejammert.
„Wie heißt du?“, habe ich sofort die Überprüfung begonnen.
„Cora.“
„Wo wohnst du?“
„In Europa.“
„Wo liegt das?“
„Bei Duisburg um die Ecke.“

Doch, ich glaube, das konnte man so durchgehen lassen. Die Cora war noch im Vollbesitz ihrer geistigen Fähigkeiten. Puh, Gott sei Dank. Natürlich waren damit unsere Besuche in den Pyramiden gestrichen, denn groß herumlaufen ging nun nicht mehr. Wir haben ihre Strandtasche ausgeräumt, die persönlichen Sachen in Mias Strandtasche geschaufelt, die Wasserflasche ausgekippt und dann die Cora reingesetzt. Die Goldkordeln, also die Henkel, kriegte der Pit umgehängt als Zügel, und auf ging's. Zumindest auf Sand erwies sich das improvisierte Gefährt als zielführend. Weit sollte es sowieso nicht gehen, nur noch ein bisschen an den Händlerständen vorbei. Hier wurde alles mögliche angeboten, von Postkarten über die obligatorischen Wasserpfeifen bis hin zu bunten Decken, Handtaschen und Ledergürteln.

Der Karlsson war begeistert

„Guckt mal da! Anubis!“, ist der Karlsson plötzlich ausgetickt.
Auf einer Holzauslage waren kleine Figuren ausgestellt, lauter Schakale.
„Aber der liegt doch nicht“, habe ich eingewandt. „Wenn er sitzt, ist es doch kein Hund. Hast du selbst gesagt.“
„Mach die Augen auf, Max. Wenn der Schakalkopf auf dem Menschenkörper steckt, dann geht es sehr wohl um uns Hunde. Im Übrigen, wo ist Horus, wo die Sphinx?“
Oho, der Herr suchte Streit. Aber der Pit hat gerade nicht hergeguckt, er war am Nebenstand mit Lederschlappen beschäftigt, und von der Cora kam Gejammer aus dem Malibu-Gefährt. Sie wolle nach Hause, ihr täte der Kopf weh und jetzt auch der Hintern.

Na gut, wir haben erst noch die Mia abgeholt, die sich ein paar Stände weiter ein Tattoo aus Henna auf den Schnabel pinseln ließ.
„Was soll das denn darstellen?“, hat der Karlsson gefragt. „Ein Huhn?“
„Quatsch! Das ist eine Eule, ein M im altägyptischen Alphabet. M wie Mia.“

Zum Hotel sind wir mit dem Taxi gefahren. Busfahren konnten ja nicht wegen der lädierten Cora. Sie wurde jetzt vom Karlsson am Henkel in der Schnauze getragen, denn das Gehoppel über die Bürgersteige wäre ihrem Hintern sicher nicht gut bekommen. Im Hotel hat sich die Cora erst mal eine Tablette eingeworfen. Dann kriegte sie von der Mia einen nassen Waschlappen auf die Stirn gelegt. Wir haben die Jalousien runtergelassen, damit es dunkel wurde. So konnte die Cora ruhen, während wir runter in die Hotelhalle gegangen sind. Dort haben wir ein bisschen ferngesehen, Nachrichten auf Arabisch und einen Bollywood-Film mit Untertiteln. Als es Zeit zum Abendessen war, haben wir uns ins Hotelrestaurant gesetzt. Es gab wieder Couscous, Fladenbrot, was zum Eintunken, grünes Gemüse und zum Nachtisch buntes Obst. Das Gemecker über das fehlende Fleisch hatte der Karlsson schon längst eingestellt. Er aß tapfer alles mit, sogar die Früchte. Um Falafel und andere Bohnengerichte machten wir nach wie vor einen großen Bogen. Nur nichts riskieren, jetzt, wo alle Mägen mal gesund waren.

Gerade als wir mit dem Teller für die Cora aufs Zimmer zurückkamen, klingelte Karlssons Telefon. Hui, das war knapp. Schnell haben wir die Cora geweckt und ihr das Smartphone hingehalten.
„Los, sag was Brauchbares “, habe ich ihr aufmunternd zugeflüstert.
Tatsächlich hat sie eine bühnenreife Vorstellung hingelegt. Mit ganz hoher, piepsiger Stimme hat sie in den Apparat gekeucht:
„Hallo, hallo, hallo? Wer ist da? Hier ist die Cora. Der Karlsson kann jetzt nicht kommen, er ist im Keller. Er trägt Müll raus. Der Max streicht das Geländer. Ich helfe der Mia, die Bandagen zu bügeln. Rufen Sie in drei Tagen wieder an.“
Zack, aufgelegt. Das war genial, weil wir in drei Tagen schon wieder in Deutschland wären. Und das Gepiepse – super! Ich sag's gern noch mal: Nichts geht über die Überzeugungskraft eines Todkranken. Die Cora ist dann auch sofort jammernd in sich zusammengesunken. Ihr Schädel brummte noch immer. Licht konnte sie gar nicht vertragen. Weil wir andern auch ziemlich groggy waren, haben wir uns ebenfalls schlafen gelegt.

Der nächste Tag gehörte ganz Kairo. Ein bestimmtes Besichtigungsprogramm war nicht mehr zu absolvieren. Wir wollten einfach nur so mal gucken, was es in der Stadt zu sehen gab. Nach dem Frühstück, an dem auch die Cora teilgenommen hatte, denn es ging ihr besser, sind wir mit dem Bus in die Altstadt gefahren, um einen Basar zu besuchen. Hier in Kairo war alles ein bisschen größer als in Luxor. Die Turbane hatten wir im Hotel gelassen. Weil die Basare so enge Gassen haben und alle Stände und Geschäfte so eng beieinander stehen, kriegt man nicht ständig die Sonne auf den Schädel gebrannt. So sind wir den halben Tag herumgestrichen, haben kleine Kuchen gegessen, Tee getrunken, neue Hundehalsbänder aus Naturleder besichtigt, den Pit an einer Wasserpfeife ziehen lassen (er hat gehustet ohne Ende), der Mia einen Fußring aus glänzendem Talmi gekauft und der Cora eine Großpackung Kopfschmerztabellen für alle Fälle. Ich habe mir an einem Stand für Kinderspielzeug Matchboxautos angesehen. Eine Garage war aber nicht dabei. Am Ende war ich froh drüber, denn ich hätte sie sowieso nicht ins Flugzeug gekriegt.

Man konnte sich ewig dort aufhalten

Da man uns leider sofort als Touristen entlarvte (warum bloß?), sind wir dauernd von allen möglichen Händlern angequatscht worden. Jeder wollte uns was andrehen. Sogar jemand mit einer ziemlich zerfetzten Schriftrolle hat uns angehalten und auf uns eingeredet. Verstanden habe ich kein Wort, nur dass wir offensichtlich das beschmutzte Papier kaufen sollten. Um nicht unhöflich zu sein, haben wir es uns angeschaut.

Das komische Blatt Papier

„Es scheint alt zu sein, vielleicht ein Original?“, hat die Cora gemeint.
Aber was sollten wir mit dem Ding? Es uns in die Voliere hängen? Oder beim Pit ans Schnarchkissen tackern oder an Karlssons Flauschebett? Auch die andern haben nur den Kopf geschüttelt. So was konnte keiner gebrauchen. Außerdem kriegte man Hieroglyphen auf Papier an jedem Souvenirstand. Das war nun echt nichts Besonderes. Lästig war nur, dass der Händler das nicht einsehen wollte. Er kam uns fuchtelnd und quasselnd hinterhergelaufen. Dabei hat er sich dauernd verbeugt. Wir haben zugesehen, dass wir fortkamen. Schließlich hat der Karlsson ihn gestoppt. Mit fletschenden Zähnen hat er sich vor ihm aufgebaut und drohend geknurrt. Da ist der Typ dann endlich abgezogen.

Als wir genug herumgelaufen waren, haben wir zum Abschluss noch einen Abstecher zum Ägyptischen Museum gemacht. Dort haben wir uns zur Mumie von Ramses II durchgefragt. Wir fanden, da wir tagelang so intensiv auf seinen Spuren gewandelt sind, wäre dies ein würdiger Abschluss. Die Mumie selbst sah so aus, wie Mumien eben ausschauen: ein bisschen eingefallen und ledrig, aber insgesamt doch bemerkenswert. Was hatte noch im Reiseführer gestanden, wie lange damals so eine Balsamierung dauerte?
„70 Tage“, hat der Karlsson ausgeholfen, „nach festgeschriebenem Ablauf.“

Zum Abendessen sind wir in einem Restaurant eingekehrt. Es war das erste Mal auf ägyptischem Boden, dass wir alle vereint um den Tisch saßen, ohne dass einer fehlte. Nein, halt! Heute Morgen beim Frühstück sind auch schon alle dagewesen. Trotzdem: Bis zum gemeinsamen Abendessen hatten wir es erst heute an unserm letzten Tag geschafft. Damit keiner morgen im Flugzeug doch noch Dünnschiss kriegte, sind wir beim erprobten Couscous geblieben. Der Karlsson und der Pit  haben zusätzlich gekochten Fisch bekommen. Der war so ähnlich wie Fleisch, nur bekömmlicher.

In der Nacht konnten wir leider nicht so gut schlafen wegen des Verkehrslärms und dem ewigen Gehupe. Unser Hotel lag an einer sehr befahrenen Straße.
„Tja, ist halt billig, nicht?“, hat die Cora gesagt.

So schlimm war's aber auch wieder nicht, weil wir ja im Flugzeug schlafen konnten. Die Pfannkuchen zum Frühstück im Flieger erwiesen sich als derart lecker, dass es fast Streit darum gegeben hätte. Selbst der Karlsson weigerte sich diesmal, seinen herzugeben. Er hat ihn selbst gefuttert. Mir war, als hätte ich noch nie nie so was Köstliches gegessen.

Nach viereinhalb Stunden sind wir in Frankfurt gelandet. Dort haben wir erst die Cora verabschiedet, die mit dem Zug nach Duisburg fuhr. Vorher sind wir noch schnell durchgegangen, ob einer von uns vielleicht was Verräterisches dabei hätte, was nicht mit dem Spessart in Einklang zu bringen wäre. Gut, dass wir uns den alten Papyrusfetzen doch nicht hatten andrehen lassen. Der hätte uns jetzt Schwierigkeiten bereiten können.

„Es war mal wieder toll mit euch“, hat die Cora gesagt, als sie in den Zug stieg.
Wir andern haben den ICE nach Hamburg genommen, nur dass der Karlsson mit uns in Hannover aussteigen musste. Der Pit ist drin sitzen geblieben.
„Tschüß, Leute“, hat er zum Abschied mit einem Mars-Riegel aus dem Bahnhofsautomaten gewedelt.
Ich hoffe, er wird dem Luke erzählen, was wir alles erlebt haben, damit er neidisch wird und sich ärgert, dass er nicht mit wollte. Und das Beste daran: Wir hatten es ohne sein dämliches Geld geschafft. Mich machte das sehr stolz.

Den Karlsson mussten die Mia und ich zum Blix-Bus bringen. Das gehörte zum Strafprogramm. Sein Papa war nämlich der Meinung, dass luxuriöses Reisen im Intercity nicht mit der Ahndung großer Verbrechen vereinbar sei. Mit einem bisschen Erde aus dem Blumenbeet am Busbahnhof haben wir den Karlsson noch schnell auf verwahrlost getrimmt, und mit ein paar Heftpflastern, die sich in Mias Strandtasche fanden, konnte die Illusion von hart erarbeiteten Blasen an den Pfoten erzeugt werden.
„Ich glaube, das reicht. So kannst du gehen“, habe ich gesagt.
Mias Henna-Eule auf dem Schnabel war übrigens inzwischen verschwunden, wahrscheinlich mit den Mahlzeiten weggefuttert. Sie jedenfalls würde uns nicht verraten bei der Putze. Falls sich noch irgendwo Sand in der Wäsche finden sollte, würden wir ihn mit dem Spessart begründen. Glücklicherweise stand ja nicht drauf, woher er stammte.

„Mach's gut, alter Knabe“, habe ich dem Karlsson zugerufen, als er in den Bus kletterte. Für einen Augenblick hatte ich den Eindruck, es würde ein Schakal zurückwinken, bevor sich die Tür schloss. Aber das waren wahrscheinlich nur meine müden Nerven.  

Fotos: Cora: © G.H.
           Pit: Club der glücklichen Vierbeiner
           Karlsson: Terrierhausen


           Horus (stilisiert): lisasolonynko: Morguefile
           Anubis (stilisiert): lisasolonynko: Morguefile
           Kairo mit Pyramiden: embalu: Morguefile

           Grab der Nefatari: kairoinfo4u: Flickr, Foto steht unter Creative Commons Licence
           Ramesseum 2: kairionfo4u: Flicks, Foto steht unter Creative Commons Licence
           Kleiner Tempel innen: Rüdiger Stehn: Flickr, Foto steht unter Creative Commons Licence

© Max: Papageiengeschichten