Liebe ist die Pest. Warum besingt das nicht mal einer? In jedem Schlager wird das tolle Gefühl bejubelt, das einen angeblich befällt, wenn man sich gerade frisch verliebt, aber was die unschuldige Umgebung auszuhalten hat, die dann ungefragt in diesen Strudel der Verblödung hineingerissen wird, darüber verliert niemand ein Wort. Haben wir Freunde, wir Familie keine Rechte, keine Gefühle? Ist es statthaft, dass man uns die Amor-umsäuselten Ausdünstungen seiner Lieben so gnadenlos um Verstand und Geduld haut, dass man sich schon wünscht, die Turteltäubchen mögen um Gottes Willen nach Alaska auswandern, aber ganz fix, die Flugkarte wird bezahlt, Hauptsache sie kommen so schnell nicht wieder?
Ich weiß, wovon ich rede. Allein die Mia – ein Sumpf der amourösen Entgleisungen. Erst mit dem Coco verlobt, dieser Saufknolle, jetzt mit ihrem schwimmenden Frischkäse zusammen. Von Fusel-Atem zu Plattfuß sozusagen. Dazwischen Großpackungen vollgeheulter Taschentücher und an die Wand gepfefferte Freundschaftsringe. Die Kerle, die sich meine Freunde nennen, kriegen's auch nicht viel besser hin. Der Ökogurkensepp aus Franken, der Grunzer, baggert erfolglos die Cora an, und der Paule würde am liebsten gleich eine ganze Schulklasse niedlicher Wombat-Mädchen an seine keuchende Brust krallen.
Moralischen Halt gaben mir bisher jene wenigen Kumpels, die sich diesem Wahnsinn bewusst entgegenstellten. Ganz vorneweg mein lieber Freund Pit, die holsteinische Ringelsocke. Nie hätte ich es für möglich gehalten, dass auch dieser resistente und charismatische Kater einmal einknicken könnte. Er war mein Vorbild an männlicher Widerstandskraft. Und doch ist es so. Er ist dem Weiberdunst verfallen. Leb wohl, gute alte männliche Souveränität.
Ihr erinnert euch doch an Edeltraud? An Edeltraud aus Davos, die Professorin für Quantenphysik? Das ist sie:
Ich hatte sie euch kürzlich vorgestellt als Kandidatin aus Paules schmierigem Adressbuch. Das war, wie ich heute weiß, ein Fehler, denn das Schicksal klemmte sich hinten dran. Der Pit hatte nämlich hier mitgelesen. Gleich darauf wurde ich kontaktiert: Ob er die Telefonnummer von der heißen Braut haben könne, er wolle sich den Feger mal genauer anschauen. Natürlich hatte ich den Paule erst um Erlaubnis gefragt, bevor ich Privates weiterreiche. Doch ihm war die Edeltraud sowieso schon ziemlich egal geworden, nachdem es zu Verstimmungen gekommen war, weil der Paule Quantenphysik für die schweizerische Umschreibung für orthopädisches Schuhhandwerk gehalten hatte. Außerdem wird ihm in Seilbahnen immer schlecht. Er hat's lieber platt.
So kriegte der Pit freie Fahrt. Fotos wurden gemailt, Schleimereien getauscht. Es muss Irrtum auf den ersten Blick gewesen sein, denn beide gaben sich fortan die größte Mühe, dieses Versprechen auch ja einzuhalten.
Es dauerte nicht mal zwei Tage, dann war die Edeltraud schon auf dem Weg nach Schleswig-Holstein. Pits Oma und Opa haben sie in Hamburg am Bahnhof abgeholt. Gut, dass sie zufällig den Pferdeanhänger von Amani dabei hatten. Der erwies sich als sehr nützlich.
Daheim im neuen Landsitz – ist er nicht großartig? – wurde erst mal eine Riesenparty veranstaltet, als Willkommensgruß. Man ist schließlich ein fröhlicher Haufen und zeigt es gern. Der Gast sollte sich wie zu Hause fühlen.
Zimmer wurden dekoriert, die Stereo-Anlage hereingeschoben, eine Disco-Kugel aufgehängt, beim Bauern ein griechisches Büfett geordert. Bis spät in die Nacht hat man gegrölt und gehottet. Die Theo-Lingen-Parodie von Luke muss der Brüller gewesen sein. Amy hat eine Break-Dance-Nummer aufgeführt, so gekonnt, dass einem die gegrillte Aubergine vor Staunen in der Hand fettig werden konnte. Über der Maibowle sind sich auch Pit und Edeltraud näher gekommen. Von niedlichen Barthaaren war zu vernehmen bzw. von männlichen Tigerhüften (gniiie...). Dabei ist dem Pit der Senf auf die Pfoten gekleckert. Meine Empfehlung bei weißen Frotteepuschen: Mayo nehmen; die sickert rückstandsfrei weg.
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Ausgelassene Stimmungskanonen: Luke und Edeltraud |
Woher ich das alles weiß? Ganz einfach – es gibt doch Spione? Man nennt ihn auch den Martin Hari unter den Landpetzen. Die Fotos stammen ebenfalls von ihm, abzüglich desjenigen, auf dem er selbst drauf ist, versteht sich. Aus Gründen der Tarnung sind die Fotos nur verzerrt wiedergegeben. Herr Hari möchte nicht juristisch belangt werden.
Natürlich bot das gemeinsame Wochenende auch genügend Raum für intime Zweisamkeit. Der Pit und die Edeltraud haben lange und intensive Gespräche geführt, zum Beispiel über die Relativitätstheorie, über Weißkohlanbau, über die Frage, ob in unsern Zeiten die Mäusejagd noch gesellschaftsfähig sei und wie man als aufgeklärte Eltern zu Zahnspangen beim Kaninchennachwuchs steht. Manchmal haben sie gemeinsam diskutiert ...
… andere Male der Pit allein.
„Die redet so wolkig“, tat mein Freund am Telefon jammern.
„Der ist so ländlich“, hieß es per Mail.
Immerhin hat sich der Pit am zweiten Abend zu einem Candle-Light-Dinner hinreißen lassen. Gekocht hat er selbst. Es gab Cäsar-Döschen an Karottenstäbchen und als Nachtisch Butterkekse. Vom Falschen Hasen hatten ihn die weiblichen Mitbewohner abgehalten. Das wäre pietätlos, hatten sie gemeint.
„Wieso?“, hatte der Pit gesagt. „Ich leg doch gar keine Mokkabohnen als Köttel oben drauf.“
Ob diese humoristische Einstellung zur Erweichung restlicher Widerstände hilfreich war, wissen wir leider nicht, denn hier hat mein Informant versagt. Er reicht nämlich nicht mit dem Auge ans Schlüsselloch. Zwar ließ sich dieses Problem alsbald beheben mit Amy als Untergrund, doch fehlen die akustischen Beweise, da Herr Hari nicht gleichzeitig sein Ohr auf den Trichter drücken kann und sein Auge dazu. Wir wissen nur, dass am nächsten Morgen dieses Foto entstand:
Ist es nicht zauberhaft? Die Liebenden, wie sie hoffnungsfroh in die Zukunft blicken, der gemeinsamen Wesensgleichheit gewiss, entrückt im Mysterium der fließenden Gefühle und eins im Kosmos der Unendlichkeit, so wie es nur den wirklich selbstlos Glücklichen vorbehalten ist.
„Die frisst nur Grünzeug“, hieß es am Handy.
„Der grapscht mit der Pfote in die Leberwurst“, stand in der Mail.
Eine klitzekleine Unstimmigkeit gab es allerdings bei der Freizeitgestaltung. Während der Pit lieber Indoor-Beschäftigungen nachgeht, zumindest tagsüber, sieht Edeltraud ihre Erfüllung in Wind und Wetter, gern auch mal mit dem Ziel einer ordentlichen Schweißproduktion. Dass in diesem Zusammenhang der Satz gefallen sein soll: „Dann lasst die olle Bergziege doch loskraxeln“, kann ich nicht mit Sicherheit bestätigen. Vielleicht hatte ich mich nur verhört. Jedenfalls hat die Amy dann die Fremdenführung übernommen.
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Amy |
Schleswig-Holstein ist ja uraltes Kulturland. Wie man weiß, ist es das geografische Gegenstück zu Italien. Als damals vor … äh ... Millionen Jahren die Kontinentalplatten auseinanderbrachen und die Eisbären oben gezogen hatten und die Wale unten, waren diese beiden komischen Landzungen entstanden. Inzwischen gehört Dänemark noch dazu. Es füllt den armen sizilianischen Norden, während die Gegend um Hamburg die gebildete und fruchtbare Po-Ebene darstellt, sehr bäuerlich zwar, doch mit der geistigen Nähe zu den Wirtschaftszentren Turin (Hasenmoor) und Mailand (Quickborn).
Die Edeltraud fand das hochinteressant. Amy hat ihr alles erklärt. In einem ausgiebigen Marsch haben sie Scholle, Knick und Graben abgewandert, haben seufzend die klare Luft eingeatmet und die Augen an den Horizont geheftet. Das ist ja das Tolle an Schleswig-Holstein: Kein Gebirge verstellt die Sicht. Die Landschaft ist abwechslungsreich.
… geradezu verschwenderisch in der Formenvielfalt.
Und wenn man ganz besonderes Glück hat, dann kann man sogar den einen oder andern Aborigines sehen. Denkt mal an! In diesem Fall handelt es sich um die sehr, sehr seltene Pinneberger Riesenschnecke. Sie ist sommeraktiv. Zum Glück hatte Amy die Kamera dabei, sonst wäre dieses einmalige Dokument nie festgehalten worden. Amy hatte sich mit der Edeltraud hinter ihren Rucksack geduckt, um die beiden Schnecken nicht zu vertreiben. Sie befanden sich gerade in der Balz. Ich hoffe nur, dass mir der Schneckenmann jetzt nicht auch noch am Telefon die Ohren volljault. Mit meiner Ringeltröte habe ich genug zu tun.
Am letzten Tag hat sich der Pit dann doch noch mal hochgerafft. Er ist mit der Edeltraud an die See gefahren. Sie haben auf einem Poller gesessen und Eis geschleckt, am Strand nach Bernstein gegraben und ein Open-Air-Konzert besucht. Um genau zu sein, handelte es sich um den örtlichen Shanty-Chor, und das Konzert war auch schon seit vier Stunden vorbei.
„Sag mal, bist du Depp?“, habe ich den Pit gefragt. „Hockst du mit deiner Schnalle im leeren Stadion?“
„Ja, so war der Eintritt frei“, kam die Antwort.
Wen überrascht es? Der Abschied am nächsten Morgen fiel etwas unharmonisch aus. Während sich die Edeltraud in warmer Rührung von der Amy, dem Katzen-Trio und den Menschen verabschiedete, kriegte der Pit nur ein knappes „Auf Wiedersehen“ zugedacht. Beim Schwung mit dem Kopf in Richtung Tür gaben ihre Ohren ein peitschendes Klatschen von sich. Dann war sie hinaus mit erhobenem Haupt, auf dem Rücksitz verschwunden. Oma und Opa haben sie natürlich wieder in Hamburg am Zug abgeliefert.
Seitdem ist die Kommunikation gestört. Die Edeltraud schreibt, dass sie sich nie wieder mit einem Kater einlassen werde – die seien immer so bindungsängstlich. Erst schön den Schwanz kringeln und auf schnurrendes Wattebäuschchen machen, aber dann doch wieder allein über die Felder ziehen. Jede Nacht weg. Nä! Was macht der da draußen bloß? Sie habe sich emotional so unverstanden gefühlt, so verkühlt, so allein … ach, Gott sei Dank sei es vorbei.
Vom Pit dagegen kamen aufgeräumte Töne. Endlich wieder auf dem Esstisch liegen! Den Thunfisch durchs Zimmer kicken! Mickey-Maus-Hefte lesen!
„Hey, Max, das Hoppelrösti ist weg!“
Ich fand diese Bemerkung ja etwas respektlos, nachdem er mir das ganze Wochenende jede frei Minute sein Lamento in den Hörer gequakt hatte. Ins andere Ohr hatte es mächtig reingekichert. Das war der Paule gewesen. Er hatte sich nicht satthören können, wie die beiden da eine Bauchlandung nach der andern hinlegten:
„Ich wusste es doch: Alpenschusterin und Friesenplüsch passen nicht zusammen.“
Jo, und das war's dann. Aus die Maus.
Wirklich?
Aber, aber, liebe Leser, glaubt ihr tatsächlich, dass ein Märchen so schnöde endet? Wo bleibt der versöhnliche Schluss?
Soeben bekam ich eine Mail von der Edeltraud. Sie schickt mir ein Bild. Dieses hier:
Die Kleinen heißen Pidder, Pietje und Pitomba. Das vierte heißt Ali-Mente. Herzlichen Glückwunsch, liebe stolze Mutter. Wer es nicht so genau weiß: Die rötlichen Ringel auf dem Fell werden später noch dunkler. Muahaha ... Wer möchte als Erster in Schleswig-Holstein anrufen? Bitte schön – Lebensmüde vor.
Originalfotos: Pit, Amy u. Luke: © Club der glücklichen Vierbeiner
Die restlichen Fotos: © für die Originale: Morguefile:
Kaninchen: 1, 2, 3, 4, 5, 6
Wiesen: 1, 2, 3
Schloss: 1
Gepäck: 1
Blumenstrauß: 1
Sitze: 1
© Max: Papageiengeschichten