Dienstag, 26. Dezember 2017

Der große Apfel, der niemals schläft (4. Teil)

Noch war es nicht ganz so dämmerig wie hier auf dem Foto:

 Eher so wie hier …


… obwohl die Straßenkreuzung, an der wir standen und wo nebenan die berühmte Saisoneröffnung der Schlüpfermode stattfinden würde, um einiges nobler war als das hier, aber in der Aufregung hatte ich vergessen, ein Foto zu knipsen.

Denn da war ja plötzlich diese schwarze Stretchlimousine mit den verspiegelten Fenstern neben uns aufgetaucht und ich war überraschend intim angesprochen worden. „Eierkopf“, das sagt nicht jeder zu mir, also musste die Stimme in einer näheren Beziehung zu mir stehen. Das hatte ich messerscharf ermittelt. Und tatsächlich hat ja manch aufmerksamer Leser bereits 1 und 1 zusammengezählt und die sehr richtige Vermutung geäußert, dass es sich nur um Tamara und Ludmilla, die beiden russischen Millionärsfröschinnen, handeln könnte, weil ich sonst niemanden kenne (außer der Mia), der extra nach New York fahren würden, um sich Unterwäsche anzuschauen. Ganz abgesehen von der Kohle, die man ja erst mal haben muss.

Tamara und Ludmilla, hier mit Bodyguard
 
Doch zu meiner großen Überraschung erschien hinter dem Sektglas im Innern der Limousine keine grüne Froschhand, sondern eine Fellschnauze in Halbschuhbraun mit abwärts strebendem Bart. Dazu wippten gleichfarbige Ohrenspitzen über dem Ensemble. Himmel, es handelte sich um die Polly, die Unschwester vom Karlsson. Ich muss schon sagen, mit der hatte ich am allerwenigstens gerechnet.

Um das Maß vollzumachen, erschien nun auf der gegenüberliegenden Fensterseite eine zweite Schnauze, diesmal in etwas längerer Ausführung und in Schwarzweiß: Das war die Amy, die Mitbewohnerin aus Pits Landkommune. Sie tat mir süffisant zuprosten. Um ihren Hals baumelte ein silberglänzender Schal, der so aussah wie diese dünnen Fransenwürste, die man sich über die Tannenbaumzweige legt. Außerdem kam eine Wolke aus Apfel-Shampoo und Kirschlikörpralinen aus dem Fenster gedünstet.


Junge, Junge, das war ja mal 'ne Ansage. Da glaubt man sich nun weit entfernt in Manhattan, unbemerkt und sicher unter seinesgleichen, und dann wird man von zwei albernen Provinzgören, deren Horizont mal gerade bis Holsteiner Cox und Husumer Krabbenbrötchen reicht, mit 'ner Luxuskarosse fast umgefahren und mit Sekt beschüttet – unglaublich!

Der Karlsson hatte als Erster die Sprache wiedergefunden. Streng nahm er die Polly ins Verhör:
„Hat der Papa dir die Reise bezahlt?“
„Nö, die Mama.“
Sprach's und nahm einen großen Schluck aus dem Sektglas.

Dabei hielt sie das Glas keineswegs am Kelch, so wie es Barbaren tun, sondern führte es vorschriftsmäßig am Stiel zur Schnauze. Der Stiel klemmte sicher zwischen ihren Zehen wie in einer Halterung extra dafür gemacht, und dabei konnte man sehen, dass der Flusenpony an ihrer Vorderpfote (den solche Hunde sonst immer haben) ordentlich geschnitten war, so dass kein Härchen aus der Reihe tanzte. Die Zehen wiederum waren perfekt gefeilt und glänzten in bronzefarbenem Lack.

Aha, beim Frisör und bei der Fußpflege war die Polly also auch gewesen. Ich glaube nämlich nicht, dass man so was bei denen in Schleswig-Holstein auf dem Lande hat. Und das braucht man ja auch nicht, wenn man nur Obstbäume bewacht und ab und zu mit Frauchen und Herrchen zum Markt geht. Die Mia muss das Gleiche gedacht haben, denn die war inzwischen auf fast das Doppelte angeschwollen und ganz grün geworden vor Neid. Sie hielt die Luft an, vermutlich ohne es zu merken, und wenn sie dann wieder atmen musste, hörte es sich an wie ein Bus, der geräuschvoll die Hydraulik betätigt.

Die Cora stand stumm daneben. Den Schnabel hielt sie offen. Mit dem linken Fuß war sie auf das Ende ihres hellblauen Boa-Schals getreten und hatte ihn strammgezogen. Dadurch ragte ihr Kopf nun geierartig nach vorn und sie musste ihren Blick ziemlich weit nach oben schrauben, um alles mitzukriegen. Auch sie schien nicht zu bemerken, welche körperlichen Veränderungen sich ihrer inzwischen bemächtigt hatten.

Dem Ringelplüsch hatte die Amy nur ein kurzes „Hallo, Pitti“ zugeworfen und sich ansonsten in ihre Fensternische zurückgezogen. Der Pit tat es schweigend hinnehmen. Seine Vorderpfoten waren vorschriftsmäßig eng und kerzengerade nebeneinander gestellt und bewegten sich keinen Millimeter, während seine Schwanzspitze eine gewisse Erregung verriet, weil sie sich wurmartig hin und her wand. Ich fand, für einen Rudelchef war die Anrede ein wenig respektlos ausgefallen, aber als ich den Pit leise darauf ansprach, hat er mich angeranzt, ich soll mich da raushalten, ich Eierkopp. Oh-oh, da war einer angefressen.

Dafür war die Polly umso auskunftsfreudiger. Auf meine Frage, wie lange sie denn schon in New York seien, antwortete sie gut gelaunt:
„Seit vorgestern.“
Und wo würden sie wohnen?
„Im Palais …“
Ach, ich kann mir den Namen bis heute nicht merken, irgendwas mit einem männlichem Vornamen und einer französischen Zahl, so was wie „Kähngs“ oder so ähnlich.

Na, ist ja auch egal. Die Polly hatte sowieso keine Zeit mehr zum Plaudern.
„Seid mir nicht böse, Leute“, hat sie gesagt. „Die Show fängt gleich an und wir sitzen bei den VIPs in der ersten Reihe, da wollen wir nicht zu spät kommen. Besucht uns doch mal. Sagen wir, morgen zum Frühstück? Um halb zehn? Hier ist die Visitenkarte von unserm Hotel.“

Schon kam das Kärtchen in hohem Bogen aus dem Fenster geflogen und landete vor Coras Krallen auf dem Pflaster. Dann surrte auch schon die Scheibe hoch, die Limousine fuhr an, bog um die Ecke und hielt ein paar Meter entfernt. Ein Uniformierter kam angerannt, riss die Tür auf, und wir konnten sehen, wie erst die Polly, dann die Amy aus dem Wagen sprangen und elastischen Schrittes im Gebäude verschwanden. Das war bestimmt der VIP-Eingang gewesen, denn all die andern gingen woanders rein.
„Der Teppich ist rot!“, hat die Mia geheult. „Habt ihr gesehen? Rot!“

Wir standen noch eine Weile schweigend auf dem Bürgersteig und guckten der Limousine nach, die längst verschwunden war. Überhaupt war der gesamte Anreiseverkehr inzwischen zum Erliegen gekommen. Wahrscheinlich hatte die Show bereits begonnen. Und dann fing es auch noch an zu dröppeln. Typisch, als hätten wir nicht schon genug zu Ärger gehabt.
„Lasst uns losgehen“, hat der Karlsson gemeint. „Meinen Jazz-Abend lasse ich mir nicht verderben.“


Der Pit hat ein Taxi angehalten und wir sind zum Jazz-Club gefahren. Ich habe vergessen, ob es das „Blue Note“ war oder das „Village Vanguard“ oder ein ganz anderes Lokal. Als wir ankamen, war es jedenfalls dunkel. Manhattan mit seinen vielen Lichtern sieht gerade bei Nacht sehr schön aus, das muss man diesem Moloch lassen:


Nun ja, zumindest wenn man städtische Auswüchse mag. Mit einem bisschen Wasser dabei, sieht alles gleich viel natürlicher aus:


Manche Ecken sind farbig gestaltet:


Auch sehr hübsch, nicht?  Aber wir saßen ja erst mal in diesem Club und wollten Musik hören; dort war es sowieso schummerig. Reingelassen hat man uns diesmal problemlos. Wahrscheinlich war man froh, dass sich überhaupt jemand für Jazz interessiert, oder die Jazzer sind allgemein hundefreundlich. Wir haben uns an einen kleinen Tisch direkt neben der Bühne gesetzt. Die Mia war noch immer stinkig wegen des verpassten Schlüpfer-Events („Linscherie ist das, Linscherie!“). Daher wollte sie einen Whisky haben. Die Cora hat aus Solidarität gleich mitgesoffen.

„Hast du gesehen, Max?“, hat der Pit mir zugeraunt, als die Kapelle zu spielen begann. „Die hatten dort tatsächlich Erdnüsse in der Limousine, ganz so wie ich vermutet hatte.“
Er trank Tonic Water und hatte sich eine Schale Chips bestellt.

Über die Musik kann ich leider nicht viel sagen, denn sie war zu unordentlich, als dass ich hätte mitklatschen können. Außerdem haben die Mia und die Cora dauernd Störung reingebracht, erst durch ihre ständigen „Herr Ober! Noch 'n Whisky“-Rufe, dann weil sie zu lallen angefangen hatten und dabei nicht mitkriegten, wie laut sie tuschelten. Von den Nachbartischen kamen schon Pst-Verwarnungen.

Nur den Karlsson tat das alles nicht stören. Er hatte uns den Rücken gekehrt, schaute auf die Bühne, wackelte mal mit dem Kopf, mal mit der Vorderpfote, mal mit dem Schwanz.
„Super, was?“, hat er mir zugerufen, als der Trompeter zum Solo ansetze.
Und schon ging's weitere mit seinem Geschunkele.

Ich wusste gar nicht, dass er so viel Taktgefühl besitzt. Vielleicht kommt das vom Herrenzimmer daheim, wo er die vielen Platten hört mit seinem Papa. Irgendwann setzt der Körper das dann automatisch um, ohne dass der Betreffende sich anzustrengen braucht. Das würde auch erklären, warum die Cora noch immer gerade sitzen konnte, die Mia aber inzwischen umgefallen war und auf dem Rücken liegend neben den Whiskygläsern vor sich hin schnarchte. Die Cora kommt nun mal aus einer Familie, in der Alkoholprobleme eine lange Tradition haben: erst der Coco, der immer wieder zur Kur musste, dann der Paule, der zwar nicht trinkt, aber trotzdem dauernd bekloppt ist, und nun auch der Engelbert, der, wie man hört, einen Waschzwang ausgebildet hat, wo er ununterbrochen Elektrogeräte (Fernbedienung, Mixer, Waffeleisen) in Spiritus badet. Kein Wunder, dass die Cora so trinkfest ist. Das macht die Übung. Früher hat sie nicht so viel vertragen. Da war sie aber auch noch jünger.

Dem Karlsson jedenfalls hat der Jazz-Abend richtig gut gefallen. Das freute mich aufrichtig, denn wenn man schon für Wolkenkratzer nicht zu gebrauchen ist, ist es gut, wenn man was anderes zu bieten hat, worin man keine Aufsicht oder Begleitung braucht.
„Da wird der Papa aber staunen, wenn ich ihm davon erzähle“, hat er gestrahlt.

Dann hat er mit angepackt, die Mia und die Cora vom Tisch zu fegen. Wir haben sie ihm in den Nacken gehängt ("Festhaaaalten, Mädels!“), damit sie heil auf die Straße kämen. Leider war die Cora weg, als wir am Bordstein ankamen, um ins Taxi zu steigen. Sie konnte jedoch gefunden werden. Neben dem Eingang des Jazz-Clubs lag sie, schlafend auf dem Bauch mit dem Schwanz steil nach oben gerichtet. Sie war dem Karlsson unbemerkt aus den Locken gerutscht. Nachdem die Mia dann noch neben einen Hydranten (die in New York überall herumstehen) gekotzt hatte und „Warum ausgerechnet die Polly und die Amy, diese piefigen Landeier?“ gekreischt hatte, konnte sie mit der Cora zusammen hinten im Fußraum des Taxis verstaut werden. Darauf hatte der Fahrer bestanden wegen Schonung seiner Sitzpolster.

Ich kann euch sagen, alkoholisierte Weiber sind die Pest. Wir haben die Mia im Bad eingeschlossen und vorsichtshalber die Cora gleich mit.

Am nächsten Morgen haben wir die Cora auf der Handtuchstange sitzend gefunden und die Mia in Seitenlage flach mit einem Waschlappen zugedeckt auf dem Klodeckel. Beide taten über Durst klagen. Der Pit hat ihnen Mineralwasser aus dem Frühstücksraum geholt. Ich musste Kamillenteebeutel organisieren, damit sie sie feucht machen und sich die Dinger auf die geröteten Glubschaugen legen konnten. „Chamomile“ heißt Kamille auf Englisch. Mit K am Anfang, ich meine, so spricht man das aus.
Der Karlsson musste natürlich wieder stänkern:
„Hab ich doch gleich gesagt, Max. „Camille“ ist ein französischer Vorname, sonst nix.“
Ach, dieser Chlugscheißer, dieser Charlsson, dieser Chorinthenchacker. So!

Als die Mädels endlich wieder arttypisches Aussehen angenommen und sich aufgebrezelt hatten, sind wir mit dem Taxi zu der Adresse gefahren, die Polly und Amy uns genannt hatten. Coras hellblauer Puschelstrick war nun nicht mehr dabei, und auch die Mia hatte sich für ein dezentes Make up entschieden. Eigentlich sahen beide aus wie Natur, kein Nagellack, keine Wimperntusche, nicht mal Parfüm. Aha, sie wollten den Gegner also durch Understatement in die Knie zwingen.

Mir knurrte der Magen. Ich hatte Hunger, aber wir waren ja eingeladen zum Frühstück und mussten warten. Der Karlsson tat indigniert gucken, als der Pit plötzlich auf unserer Rückbank seine rechte Vorderpfote vor sich hinhielt, als wollte er einen Verlobungsring vorzeigen, und auf allen seinen Krallenspitzen jeweils ein Fleischbällchen steckte wie ein Fächer aus Partyspießchen. Davon tat er langsam und genüsslich abbeißen, eins nach dem andern, bis alle weg waren. Hochgeschaut hat er nicht dabei, denn dann hätte er bemerkt, dass ihn vier Augenpaare von links und rechts anstarrten. Der Karlson war aber zu stolz, um ihm was vorzusabbern. Ich kann ihn verstehen. Katzen haben ja immer eine leicht überhebliche Art, einem den Platz zu weisen, selbst wenn sie unsere besten Freunde sind. Das braucht keiner, erst recht nicht so früh am Vormittag.

Wir sind ziemlich lange gefahren. Wir waren längst aus Manhattan raus. Wir haben eine Brücke überquert, sind an Einfamilienhäusern vorbeigekommen und waren nun im Grünen gelandet. Erstaunlich, dieser Kontrast. Fast ländlich mutete es an mit vielen Bäumen, sparsamer Architektur und grünem Rasen davor. Das alles war noch New York?
„Nein, New Jersey“, hat der Taxifahrer gesagt.

Wir hielten an einem geschnörkeltem Gebäude.
„Fast wie an der Riviera“, hat die Cora gemeint. „Fehlen nur noch die schwappenden Wellen des Mittelmeers.“
Jo, Palais, dieser Name kam hin. Und dann blieb mir die Spucke weg. Wir betraten die Eingangshalle:


Wir müssen ausgesehen haben wie Touristen, die eine Kirche besichtigen, weil wir die Köpfe in den Nacken legten, um die Deckenornamente zu begutachten.
„Wow!“, hat die Mia gehaucht.
Ihr Gefieder war bereits wieder um etliche Nuancen grüner geworden.
Karlssons Krallen hinterließen beim Gehen ein leichtes Schaben auf dem Marmorboden. Der Pit hingegen bewegte sich lautlos und mit erhobenem Schwanz. Ich habe ihn nicht aus den Augen gelassen, damit er nicht auf dumme Gedanken käme. Man weiß ja: Schloss. Nicht dass er wieder zu popeln anfinge und wir wieder flüchten müssten. Dazu hatte ich vorm Frühstück echt keine Lust.

Apropos. Plötzlich sprach uns jemand von der Seite an. Wir zuckten zusammen, so antik und vergessen kam man sich vor in diesem Ambiente. Es war jemand vom Hotel, der wissen wollten, ob wir „Mister Karlsson und Reisegruppe“ wären.
„Miss Polly und Miss Amy erwarten Sie auf der Terrasse.“

Hatte er tatsächlich „Mister Karlsson“ und ... „Reisegruppe“ gesagt? Ha! Unverschämtheit. Kaum ist man ein Stück aus Manhattan heraus, scheint man Hunde plötzlich supergut zu finden, was?
„Pst, lass es, Max!“, hat die Cora mich ermahnt.
Sie hatte eine Aura im Blick, so ehrfurchtsvoll wie eine Nonne, die ins Kloster eintritt.
Wir betraten die Terrasse:


Nun, was soll ich sagen? Sie war … äh … zweckmäßig, passte irgendwie zur Eingangshalle und zur Gebäudefront. Man hörte keinen Laut außer dem Rauschen der Bäume aus dem Garten. Wir wurden an eines der Korbsessel-Ensembles geführt. Dort lag die Amy auf einem Kissen mit goldenen Quasten und Troddeln und blätterte in einer „Cosmopolitan“. Daneben saß die Polly auf dem Boden, hielt eine Pfote in ein Schälchen mit schaumigem Zeugs, das auf dem Stuhlsitz stand.
„Da seid ihr ja“, wurden wir begrüßt. „Habt ihr gut hergefunden?“

Der Page am Ende der Terrasse erhielt einen Wink. Er verschwand. Wenig später kam er zurück und baute einen niedrigen Klapptisch auf. Darauf wurde ein Tablett abgestellt. Wir trauten unsern Augen nicht:


Wenn ich ehrlich bin, hatte ich eigentlich an ein bisschen mehr Kohlenhydrate gedacht. Und habt ihr's bemerkt? Ganz links, der entzückende Schwan mit seinem Apfelgefieder? Die Mia war gleich Feuer und Flamme:
„Wie mein Harald! Süüüß. Aber reinbeißen tu ich da nicht, das wäre pietätlos.“
Gott sei Dank folgte gleich darauf ein zweites Tablett:


Na, das sah ja schon besser aus. Dazu gab es Brot im Korb und Messer zum Draufschmieren. Wir haben uns aber alles bestecklos reingeschoben. Diese Schinkenröllchen mit Cremefüllung waren wirklich lecker. Als das erste Tablett alle war, hat die Polly mit einem Pfotenschnipp ein weiteres bringen lassen. Zu hungern brauchte niemand, selbst der Pit nicht.
„Na, schmeckt's, Pittilein?“, hat sich die Amy erkundigt.
War das Triumph, was man ihrer Stimme entnehmen konnte? Nee, bestimmt nicht. Dazu ist die Amy viel zu gutmütig und viel zu ländlich.

Zwar soll man nicht mit vollem Mund sprechen, aber mir war wichtig, dass die Konversation allmählich in Gang kam, schließlich brannte uns einiges unter den Nägeln, das wir noch wissen wollten.
„Ja, genau!“, ist mir die Mia ins Wort gefallen und hat im kreischenden Stakkato ihr Herz ausgeschüttet.
„Aber Mialein, meine Gute“, hat die Polly darauf geantwortet. „Warum hast du denn nichts gesagt? Ich wusste doch nicht, dass du so gern zur Modenschau gestern gegangen wärst. Ich hätte dir doch meine Eintrittskarte überlassen. Wir saßen zwar in der ersten Reihe, neben dieser – wie heißt noch mal diese bekannte Schauspielerin, Amy? –, aber mein Gott, sooooo toll war's nun auch wieder nicht. Ich hätte dir liebend gern meine Karte gegeben, wirklich.“
Jetzt passte die Mia farblich erst richtig gut zu dem Schinken auf dem Teller. Sie tat alles ausstechen mit ihrer Farbintensität.

Den Karlsson interessierten andere Themen, zum Beispiel wieso seine Mama all das Geld rausgerückt hätte für diese teure Reise und die protzige Unterkunft?
„Ein bisschen billiger wäre wohl nicht gegangen, was?“
„Warum denn? Ich bin's ihr halt wert. Und du verreist ja auch dauernd mit deinen Honks hier und hältst jeden aus, da kann ich ja wohl mal die Amy mitnehmen und wir machen uns ein paar schöne Tage.“
Die Amy tat heftig nicken. Fast hätte mich ein Cremeklecks an der Stirn erwischt. Gerade noch so eben ist es an mir vorbeigeflogen.
„Na, wenn die Polly für die Amy mitbezahlt, dann ist doch alles in Ordnung“, hat sich der Pit eingemischt.

Der Karlsson war anderer Meinung. Er kriegte plötzlich eine tiefe Furche zwischen den Augen. Aber bevor er was sagen konnte, hat die Cora schnell gefragt, wo die beiden denn schon überall gewesen wären. Sie hätten es doch sicher genauso schwer wie wir mit dem Karlsson, als Hund überall reinzukommen.
„Nö, eigentlich nicht“, hat die Polly geantwortet.
„Nicht?“
„Nein. Wir haben VIP-Karten. Wir werden mit dem Wagen überall hingefahren und dann führt uns die Reiseleiterin an der Kasse vorbei und erklärt uns alles, was wir sehen wollen. Wir haben keine Probleme.“
Der Cora fiel das Orangenröschen aus den Krallen. Da war selbst sie platt.
„So?“, hat sie sich wieder aufgerappelt, doch ihre Stimme ließ ein leichtes Zittern erkennen, „Und? Was habt ihr nun schon alles gesehen?“

„Ooooch, was war das alles, Amy?“ Die Polly tat herzhaft in ein Schinkenröllchen beißen. „Wir waren im Metropolitan Museum of Art, in der berühmten öffentlichen Bibliothek mit den vielen, vielen historischen Büchern, im Guggenheim-Museum, im Museum of Modern Art, im Naturkundemuseum … ääääh … was noch? Jedenfalls noch in vielen Wolkenkratzern, und die Restaurants waren auch alle super.“
„Ja, und denkt euch!“, hat die Amy ihren Senf dazugegeben „Im Naturkundemuseum hängt ein Wal unter der Decke, riesengroß! Das sieht vielleicht klasse aus! Das muss man gesehen haben. Ein-malig!“
Jetzt tat die Cora richtig säuerlich gucken. Ich glaube nicht, dass das am Dressing lag.

Damit keiner behauptet, ich täte lügen. Hier noch mal die Terrasse, diesmal mit der Polly als Beweis

Überhaupt erfuhr die Unterhaltung jetzt eine deutliche Einbuße an Spannung. Wissensdurst zeigte niemand mehr. Wir mampften still vor uns hin. Nur das harte „Kchrrrt ….rrrt-rrrt-rrrt“ von der Mia, die von einer Gurkenscheibe abbiss und ausgiebig kaute, übertönte das Schweigen. Schließlich meldete sich der Pit zu Wort:
„Wo ist hier die Toilette?“
Ich bin vorsichtshalber mitgegangen wegen Überwachung. Von den vergoldeten Wasserhähnen und der Gästeseife in Schwanform habe ich der Mia natürlich nichts erzählt zur Schonung unserer aller Nerven. 

Als wir zurückkamen, hörte ich die Polly sagen:
„Und? Was machen wir nun mit dem angebrochenen Tag? Wollen wir nicht was gemeinsam unternehmen?“
Keine Antwort. Alles guckte betreten weg. Der Karlsson hielt den Kopf abgewandt und pulte sich was aus den Zähnen, die Mia betrachtete interessiert das Muster der Servietten, die Cora war am Zurechtrupfen ihrer Bauchfedern und die Amy hockte nur da und guckte von einem zum andern. Tja, das kommt davon, wenn man ungeniert so rumprotzt mit seinem Luxus. Niemand hat Lust, sich das anzuhören. Doch die Polly erwies sich als überraschend hartnäckig:
„Shoppen, Mia? Na, wie wär's damit? Ein bisschen bummeln gehen?“

Ich weiß bis heute nicht, ob sich die Polly nur einen Spaß machen wollte, oder ob sie tatsächlich scharf war auf unsere Anwesenheit. Jedenfalls war innerhalb einer Sekunde alles weitere Reden überflüssig.
„Au ja!“, hat die Mia geschrien.
Gut, wenn die Mädels also jetzt versorgt waren, hieß es nur noch für uns Jungs das Programm abzusprechen. So weit kamen wir aber gar nicht, denn der Pit stellte plötzlich klar:
„Ich fahr jetzt nach Harlem!“
Huch? Was sollte das denn bedeuten? Wenn ich's schon zu diesem Zeitpunkt gewusst hätte – da könnt ihr sicher sein – hätte ich jedenfalls alles drangelegt, um das zu verhindern.


Fotos: Cora © G.H.
          Pit und Amy: Club der glücklichen Vierbeiner
          Karlsson und Polly: Terrierhausen

         Skyline New York, Straße Manhattan, Frösche, Manhattan im Regen, Skyline bei Nacht, Skyline mit Wasser
         Farbiges Manhattan, Trompeter, Marmorsaal, Terrasse, Obststeller, Wurstteller, To be continued: Pixabay

© Max: Papageiengeschichten

Samstag, 23. Dezember 2017

Klingelingeling, klingelingeling ... es kommt der Weihnachtsmann

Schnell, ehe mein Internet wieder weg ist.


... wünschen der Max, die Mia und die Putze (die Matschfalter nicht, denn die haben sich wie jedes Jahr im Blumentopf eingebuddelt und können nicht viel  sagen 😜)

Habt schöne Feiertage. Genießt Ruhe, Familie, Freunde, Geschenke oder was euch gerade wichtig ist. Gut Mampf. Und: Prost!

Foto: Pixabay

Donnerstag, 7. Dezember 2017

Das Bild des Tages (2)

Originalfoto: Pixabay

Montag, 4. Dezember 2017

Das Bild des Tages (1)

Originalfoto: Pixabay

Mittwoch, 29. November 2017

Der Spruch des Tages (183)


Versteh ich nicht.  😕

© Max: Papageiengeschichten (Bild)

Donnerstag, 23. November 2017

Der Spruch des Tages (182)


© Max: Papageiengeschichten (Bild)

Mittwoch, 15. November 2017

Der Spruch des Tages (181)


© Max: Papageiengeschichten (Bild)

Samstag, 4. November 2017

Der Spruch des Tages (180)


© Max: Papageiengeschichten (Bild)

Samstag, 30. September 2017

Der große Apfel, der niemals schläft (3. Teil)

Ja, es ist lange her, dass ich euch im 2. Teil meines Reiseberichts von unseren Erlebnissen in New York erzählt habe. Damals hatten wir glücklich unsern ersten Touri-Tag überstanden. Einige Wolkenkratzer hatten wir uns angeschaut, und wir waren am Abend – zusammen mit dem Karlsson – lebend in unser Hotelzimmer zurückgekehrt. Und dort befinden wir uns jetzt, nach einer unruhigen Nacht, in der der Karlsson sehr geschwitzt hatte, immer wieder „Die sind so hoch!“ gejammert und dabei irre Strampelbewegungen vollführt hatte, so als wollte er vor etwas fortrennen. Wir andern hatten uns schließlich auf die linke Doppelbetthälfte verzogen und eine Kissenwand zwischen uns und dem Karlsson aufgebaut, damit wir wenigstens ein paar Stunden Schlaf bekämen, ohne getreten oder plötzlich angejault werden.
„Der verarbeitet seine Höhenangst“, hat die Cora gemeint.

Am Morgen bin ich aufgewacht, da war es hell draußen und die andern standen um die Kamera herum und starrten aufs Display. Aus dem Bad waren Gesang und Plätschergeräusche zu hören. Der Karlsson fehlte. Die Cora hatte dieses Foto von ihm aufgenommen:

Der Karlsson
Die Meinungen gingen auseinander, ob dies ein positives Signal sei oder ein negatives. Ging's dem Karlsson nun gut oder nicht?

„Ich geh mal gucken“, hat der Pit gesagt und seine Chipstüte weggelegt.
Er hat sich lang gemacht und durchs Schlüsselloch geschaut.
„Ich glaube, der Karlsson duscht … und er singt … Ein bisschen Spaaaaß muss seeein.“
Im Ernst? Uns machte das noch ratloser. Sollte das etwa heißen, dass er über Nacht sein Trauma verloren und seine Höllenqualen gestern vorm Flatiron Building vergessen hatte? Oder handelte es sich hier nur um einen Akt der Verdrängung, hervorgerufen von einer gnädigen Psyche, die dem Träger zur Stabilisierung der Gesundung vorgaukelte, dass gestern überhaupt nichts Schlimmes passiert sei? Solche Fragen zu klären war wichtig, denn damit verbunden war, wie wir weiter vorgehen sollten. Zur Diskussion stand: den schönen therapeutischen Erfolg auszubauen, indem die Konfrontationstherapie knallhart wiederholt würde, oder eine Stufe zurückzufahren und erst mal nur mittelhohe Architektur anzubieten, um dem Patienten Regeneration zu gönnen.

Die Abstimmung ergab 3:1 für die zweite Möglichkeit.
Ich fand solches demokratisches Gedusel schon immer blöd.

Als der Karlsson aus dem Bad kam, hatte er nasse Löckchen und ein zufriedenes Grinsen im Gesicht. Er miefte nach Mias Deo und verkündete selbstbewusst:
„So, als Frühstück ess ich jetzt 'ne ordentliche Fleischplatte.“
„Au ja!“, hat der Pit geschrien und seine Marshmallows in den Papierkorb geworfen.

Gut, gehen wir also Fleisch essen. Wenn es der Patient so will, schließlich bezahlte der Karlsson ja auch die Rechnung. In New York sollte alles möglich sein, auch ein Grill-Essen am Morgen. Nur: Der Karlsson ist ein Hund und Hunde haben in Manhattans Restaurants eigentlich nichts verloren.
„Sollen wir ihn als tibetanisches Zwergschaf ausgeben?“, hat die Mia vorgeschlagen.
Hihihi, nach DEM Blick vom Karlsson zu urteilen betrug ihre Lebenserwartung noch genau 3 Minuten.
„Nee, lasst uns mal losgehen“, hat die Cora gesagt. „Den Rest mach ich dann schon.“
Wie? Die Cora? Ausgerechnet die? Ha ha ha, das konnte ja was werden: Problemlösung á la Stollenputchen aus Duisburg. Ich war gespannt.

Im Fahrstuhl nach unten hat sich der Karlsson gut gehalten. Man tat ihn nicht anmerken, dass er gestern noch vorm One Trade Center 'nen Heulkrampf gekriegt hatte. Höchstens dass er ein bisschen glasig gucken tat und der Schwanz zwischen den Pobacken klemmte, aber sonst: alles ruhig. Auch auf der Straße mit all dem Gehupe und dem fehlenden Weitblick wegen der im Weg stehenden Hochhausfronten ist er vorbildlich stumm geradeaus gelaufen.
„Wir sind stolz auf dich“, hat die Cora ihm zugeflüstert.
Nach etwa zehn Minuten war ein geeigneter Fresstempel gefunden. Die Speisekarte hat uns das verraten. Drinnen saßen Leute, tranken Kaffee und lasen Zeitung. 

„So“, hat die Cora verkündet. „Wenn Fleisch auf den Tisch soll, dann hält sich jetzt jeder an mein Kommando.“
Wir Jungs zogen den Kopf ein.
„Du, Karlsson, bleibst mit dem Pit hier draußen vor der Tür stehen. Pit, setz deine Sonnenbrille auf! Ihr wartet exakt 10 Minuten, dann kommt ihr rein, tut aber so – das ist wichtig! – , als würdet ihr uns nicht kennen. Ihr setzt euch an einen andern Tisch und bestellt selbstständig eure Kuhplatte oder was ihr da essen wollt. Erst wenn wir alle wieder draußen sind, könnt ihr wieder ganz normal mit uns reden.“
Dann zur Mia:
„Komm, Liebes, wir gehen jetzt zusammen rein. Und DU (damit war ich gemeint) kommst auch mit, aber du hältst die Klappe, verstanden? Nicht dass du mir ins Geschäft sabbelst. Du sagst nichts und du fragst nichts, du bist einfach nur Dekoration. Kapierst du das, Holzkopp?“

Na, ich war ganz froh, dass ich mal nicht die Verantwortung hatte. Außerdem schien mir Coras Plan wenig überzeugend, da intellektuell ungenügend ausgereift. Exklusiv dem Scheitern beizuwohnen erschien mir daher als Privileg.

Im Restaurant tat die Weiberspitze nun geschäftig an den Tresen eilen. Ich bin in einiger Entfernung hinterhergelatscht. Oh … uh … ach … tat die Cora keuchen. Ob der Herr Manager – „Sie sind doch der Manager hier?“ – bemerkt hätte, wer dort draußen vor der Tür stünde. Der Wuschelkopf da mit seinem Agenten. Nein? Das könne sie ja gar nicht glauben (entsetztes Gesicht). Das sei doch Curly Karli, der berühmte Hund aus Germany, der, den jeder kenne aus dem Werbefernsehen.
„Mann, ich glaub es nicht! Der hier?“

Hä? Curly Karli? Was war das denn für ein Scheiß? Oder meinte sie etwa den Karlsson? Ha ha ha. Der und Fernsehstar. Ich brech zusammen. Für was sollte der denn Werbung machen? Für Lockenshampoo vielleicht?

Aber die Cora ließ nicht locker. Jetzt redete sie sich geradezu in Rage, untermalt von Mias aufgesetztem Teenie-Gekichere. Der Curly Karli sei bestimmt hier, um ungestört ein ausgezeichnetes Essen zu genießen, tat sie behaupten. In Germany dürfe jeder Hund ins Restaurant und erst recht so ein berühmter wie er.  Da wäre man stolz auf so einen Besuch. Außerdem wisse man ja gar nicht, was für eine Wirkung von einem gelungenen Mahl ausgehe. Vielleicht würde der Karly Cörli … äh … Curly Karli Fotos machen und seine Empfehlung dann auf Facebook und Twitter posten. „Denken Sie mal an, Herr Ober!“ Jedenfalls sie, die Cora, und sicher auch ihre nette Freundin hier links neben sich –  „Nicht, Mia? –, sie würden garantiert nicht müde werden, von ihrem denkwürdigen Erlebnis in diesem wunderschönen Restaurant zu erzählen, möglicherweise auch den einen oder andern heimlich aufgenommenen Schnappschuss teilen. Die Welt würde aufhorchen. „Mick's Barbecue & Breakfast“ wäre aber auch ein zu und zu goldiger Name, viel zu schade, um sich auf lokalen Ruhm zu beschränken, besonders jetzt, wo man die einmalige Gelegenheit habe, den berühmten Curly Karli bei sich zu begrüßen.

Anschließend sagte die Cora zu dem verdatterten Kellner: „Bringen Sie uns bitte 3x Frühstück mit Milchkaffee und Croissant. Wir setzen uns schon mal hier vorne hin, ja?“
Und dann ging auch schon die Eingangstür auf und der Karlsson kam mit dem Pit den Gang entlangelaufen. Sie guckten uns auftragsgemäß nur leicht mit dem Hinterkopf an. Sie setzten sich an einen Tisch neben uns.

Nichts für Fleischfresser

Jetzt kapierte ich endlich, warum der Pit seine Sonnenbrille aufsetzen sollte. Er tat den Agenten mimen. Ha! Der und Agent. Dass ich nicht lache. Bevor der einen Deal fertig kriegt, wäre die Vorkasse schon längst bei MacMampf oder an der Wursttheke verschwunden. Er sah aus wie 'n Gärtner, der gleich den Schlauch ausrollt, um die Schnecken wegzuspülen. Da hatte der berühmte Curly Karli aber ordentlich an Personalkosten gespart und stattdessen zur unqualifizierten ABM-Kraft gegriffen. Ich fand, das schmälerte seine Exklusivität enorm.

Pit
„Tu die Sonnenbrille runter, Pit!“, hat die Cora ihm zugezischt, als der Ober gerade woanders war.
„Was?“
„Du sollst die Sonnenbrille absetzen!“

Er hatte sich Ketchup aus dem obligatorischen Tischset auf die Pfote geträufelt und war nun dabei, sie abzulecken. Die Cora hat ihn böse angefunkelt. Gott sei Dank blieb wenigstens der Karlsson standhaft. Der Ober kam zurück und der Karlsson hat für sich bestellt und für den Pit dazu. Daran war nichts auszusetzen. Dafür dass der Karlsson gar nicht wusste, dass er Curly Karli war, machte er seine Sache gut. Er blieb absolut ruhig, sogar als die Mia ihm verliebte Blicke zuplinkerte und ihm obendrein kichernd die Digicam vor die Schnauze hielt. Das müsste ihm doch komisch vorgekommen sein. Andererseits: Wenn ich Hunger habe, ist mir so was auch egal.

Der Kellner brachte das Essen. Donnerwetter, das konnte sich sehen lassen:

Nur was für Fleischfresser

Fast wäre ich ein bisschen neidisch geworden, wenn mir als hauptamtlichem Vegetarier diese Fleischmassen nicht etwas zu viel gewesen wären. Der Pit hatte Augen wie Hilahoop-Reifen vor Glück. Die beiden langten gierig hin. Bald hörte man sie andächtig mampfen. Nach einer schicklichen Pause, in der keiner von uns nach nebenan auf den Tisch gegafft hatte, merkte ich plötzlich, wie die Cora abhob und propellernd auf dem Nebentisch landete, dort wo neben der Fleischplatte gerade noch ein Streifchen Holzuntergrund sichtbar war.
„Entschuldigung, dass ich störe“, hat man sie sagen hören. „Darf ich bitte ein Autogramm haben?“
Jetzt hatte der Karlsson die Hulahoop-Augen.
„Watt willst du?“
„Mach einfach, was ich sage“, tat die Cora flüstern.
Daraufhin hat der Karlsson seine Papierserviette genommen, einmal seine Fettpfote draufgehauen und gesagt:
„Gut so?“

Die Mia tat die Augen verdrehen vor Fremdschämerei, aber was hätte der Karlsson auch machen sollen, wenn ihm die Cora plötzlich auf die Pelle rückt und er nicht weiß, welcher Film gerade läuft? Vom Pit war keine Hilfe zu bekommen, denn er war damit beschäftigt, sich roboterhaft einen Fleischlappen nach dem andern in die Fressluke zu schieben. Ich habe ihm „Na, schmeckt's?“ zugerufen, um ein wenig Solidarität von Gast zu Gast zu verschenken. Er hat nicht mal hochgeschaut. Ich weiß nicht wie, aber am Schluss hatte es die Cora sogar noch geschafft, dem Karlsson zuzuraunen, dass er seine Kreditkarte zum Bezahlen dem Pit geben soll. Dann war sie wieder an unserm Tisch. Wir mussten den erbeuteten, kostbaren Fettfleck bewundern. Er wurde von der Mia ausgiebig bekreischt. Dann war die Fleischplatte endlich leer und der Pit hat den Arm gehoben und in einem dämlichen Italo-Akzent gerufen:
„Sinjore Ober, zahlen prego!“

Als der Karlsson und der Pit wieder draußen waren, sind wir auch aufgebrochen. Die Cora hat pro forma noch ein bisschen mit der Digicam durch die Gegend geknipst. Es sollte doch alles glaubhaft wirken. Die vielen Fotos von den Stuhlbeinen und der Deckenverkleidung haben wir sofort wieder gelöscht. Vorne an der Straßenecke warteten die beiden auf uns. Die Sache mit dem Curly Karli haben wir dem Karlsson gar nicht erst erzählt, sonst hätte er sich womöglich unnötig aufgeregt über den blöden Namen. Wir haben nur gesagt, er wäre ein berühmter Herzchirurg gewesen und der Pit sein Sekretär. Als Herzchirurg hätte er gerade einen Artikel veröffentlicht, dass Berge von gebratenem Fleisch zum Frühstück, insbesondere mit Fettrand und in ordentlich Frittierfett zubereitet, von der Wissenschaft als gesundheitsfördernd noch völlig verkannt seien. Diesbezüglich gebe es noch viel Aufklärungsarbeit zu leisten.
Den Karlsson habe ich noch nie so schnell nicken sehen – und den Pit auch nicht. Beiden flogen die Wangen hoch und runter wie an einem Gummiband zwischen Stirn und Kinn.

Schön, dann konnten wir ja jetzt mit unserm Tagesprogramm beginnen.
„Central Park!“, haben die Mädels befohlen.

Aha. Sie wollten klein anfangen, dem Patienten mit niedrigem Grünzeug eine Basis schaffen. Mir sollte es recht sein. Der Central Park ist ja berühmt. Und auch wenn Simon & Garfunkel mal gerade kein denkwürdiges Open-Air-Konzert gaben, konnte man sich den Laden ruhig mal anschauen.

Der Central Park

Hier auf dem Bild sieht man gut, wie sich der Central Park mitten durch Manhattan zieht, umsäumt von den Hochhausschluchten. Das, was wie Brokkoli ausschaut, ist Landschaftsgarten, 860 Meter breit und 4 Kilometer lang. Es gibt mehrere Seen, Spazierwege, viel Rasen, wo man auch drüberlaufen darf, und sogar einen Zoo haben sie dort, aber den wollten wir nicht sehen wegen Pietät. Der Knasttourismus liegt uns nicht, und wer weiß, welche seelischen Erschütterungen man provoziert, wenn man einen holsteinischen Kater dabei hat, der vorm Gehege steht und Schokoriegel mampft. Wir wollten mal ein bisschen was anderes sehen als Glas, Beton und überdimensionale Reklame. Und die Luft war dort sicher auch besser als auf der Straße.

Apropos Pit. Er war natürlich wieder zuständig für den Transport. Ihr wisst ja, in New York dürfen Hunde nicht mit in die U-Bahn. Also musste der Pit wieder ein Taxi anhalten. Ehrlich, ich sag's nicht gern, aber der Kerl war derart vollgefuttert vom Frühstück, dass er beim ersten Versuch, einem Taxi vor die Windschutzscheibe zu springen, zu kurz gegriffen hatte und in Zeitlupe an der Seite wieder runtergerutscht kam. Passiert ist ihm nichts; bei dem Verkehr fahren die Autos ja nicht schnell. Wir haben ihm aufgeholfen. Er guckte ein bisschen geniert, hat sich aber schnell wieder gefangen, und das zweite Taxi konnte anstandslos geentert werden. Während der Fahrt hat mich die Cora angestänkert:
„Na?“, hat sie gesagt. „Wie war ich vorhin mit meinem unausgegoren Plan? Hat der Karlsson seine Fleischplatte gekriegt oder nicht?“
Mir war gerade ein Schuhband aufgegangen, deshalb habe ich nicht antworten können.
„Weichei“, hat die Cora geflötet und mit der Mia High five gemacht.

Im Central Park dürfen auch Hunde spazieren gehen, nur benehmen müssen sie sich. Das habe ich dem Karlsson natürlich gleich gesagt.
„Blödmann“, hat er geantwortet.
Wir haben uns vors Gebüsch am Rand eines Rasenstücks gesetzt. Der Karlsson hat sofort damit begonnen, wie ein Irrer hin und her zu rennen. Mal ist er im Kreis gewetzt, mal war er so weit fortgelaufen, dass ich ihn nicht mehr sehen konnte. Glücklicherweise war wenig los an lagerndem Publikum, so dass sicher keiner auf die Idee käme, ihn als Streuner zu verdächtigen.

Im Central Park

Mich erinnert der Central Park immer an diesen alten Film von 1970, wo alles eine einzige Hetzerei ist. Wie heißt er noch? Er ist mit Jack Lemon. Er spielt einen Mann aus einer Kleinstadt, der mit seiner Frau nach New York kommt, um dort ein Bewerbungsgespräch zu absolvieren. Vorher wollen sich die beiden die Stadt anschauen. Dabei geht alles schief, was nur schiefgehen kann: Gepäck weg, Geld weg, Papiere weg, Hotelzimmer weg. Schließlich landen die beiden im Central Park, wo sie die Nacht verbringen müssen. Am Morgen zieht der Mann einen kleinen Jungen ins Gebüsch, um in seinen Hosentaschen zu wühlen, ob er vielleicht ein paar Cent-Münzen dabei hat, die er gut gebrauchen könnte. Weil das auffällt und man ihn für einen kriminellen Schmutzfinken hält, muss er fliehen. Zuvor hatte er mit seiner Frau im Central Park gegen einen Hund um ein paar Cracker zum Frühstück gekämpft. Die Szene sieht man hier im Ausschnitt. Ach ja, der Film heißt „The Out-of-Towners“, auf Deutsch „Nie wieder New York.“

* * * * * *

Eine Zusammenfassung des Films, einen Trailer,  gibt’s auch. Für die Interessierten unter euch. Bitte sehr:

* * * * * *

Nur gut, dass WIR ein Dach über dem Kopf hatten, obendrein genug zu essen und in den Regen waren wir auch noch nicht gekommen. Karlssons Papa tat gut für uns sorgen mit seiner Kreditkarte, deswegen durfte der Karlsson jetzt ungestört seinem Laufsport nachgehen, auch wenn wir seinetwegen inzwischen schon eine Stunde in der Landschaft herumsaßen. Die Mädels hielten die Beine über Kreuz und schnatterten über Mode und Geschäfte und die neuste Fäschnschow von Victoria's Secret. Der Pit war immer noch dabei, sein Frühstück aus dem Fell zu putzen. Katzen sind diesbezüglich ja ausdauernd. Alles lutschte er ab, jedes einzelne Haar. Gern hätte ich mal an seinen Antennen gezogen, um zu prüfen, ob sie „ping“ machten, wenn man losließ. Stattdessen habe ich ihn nach seiner Tätigkeit in Lukes Business gefragt.
„Ich bin da Geschäftsführer“, hat er geantwortet.
Sonst war nichts aus ihm rauszukriegen. 

Die holsteinische Rennsemmel in Action

Zwischendurch kam immer mal wieder der Karlsson angehetzt, um sich zu zeigen. Von seiner glücklich wippenden Zunge sprühte eine Dusche auf uns nieder, doch eh ich mich beschweren konnte, war er schon wieder weg. Er war in seinem Elemente. Von Depression keine Spur, ein waschechter Landjunge eben, Also, mir würde diese ewige Rennerei keinen Spaß machen. Und dann zwischendurch dauernd dieses Geschiebe mit der Schnauze auf dem Boden. Was das für einen Sinn hätte, habe ich ihn mal gefragt.
„Wir platzieren unsichtbare Mikrochips, damit wir die Weltherrschaft übernehmen,“ hatte er zur Antwort gegeben.

Na, wer ist hier puppenlustig?
Boah, als hätt ich's nicht schon immer geahnt. Und das gibt er so einfach zu? Wer weiß, welche ungesunde Vereinigung man unwissentlich unterstützt, nur weil man mit einem Hund befreundet ist. Andererseits: Verrückt machen sollte man sich auch nicht, denn wenn so viele Hunde tagtäglich auf der ganzen Welt mit ihrer Schnauze unterwegs sind und es Hunde schon seit Tausenden von Jahren gibt und die Menschen noch immer das Sagen haben, dann kann ihr Konzept ja nicht so dolle sein. Wahrscheinlich vergessen sie immer wieder, wo sie ihre Chips hingetan haben. Und so müssen sie immer wieder von vorn beginnen. Schön doof.
„Was grinste denn so gütig vor dich hin?“, hat mich der Pit gefragt.

Irgendwann, nach gefühlten sechs Stunden, stand der Karlsson japsend und breitbeinig vor uns. Er sei fertig mit seinem Verdauungs-spaziergang, hat er gesagt. Seine Löckchen strahlten. Wir erhoben uns. Wir waren gut durchlüftet. Ich fand, da unser Patient nun hinreichende Stärkung erfahren hatte, hätten wir prima unsern Therapieplan fortsetzen können: New York, wie es leibt und lebt:


„Mensch, bist du fies“, hat sich die Mia aufgeregt. „Zartgefühl wie 'n Panzer. Das bringt den Karlsson doch um.“

Ja? Na gut, dann eben eine Stufe einfacher – mit Himmel dabei:


Hey, schaut mal, dort hinten, das Gebäude mit den grünen Fenstern. Wer hat aufgepasst beim letzten Mal? Richtig, es ist das UN-Gebäude. Als wir gestern davorgestanden und hochgeguckt hatten, sah es bei weitem nicht so mickrig aus.

Von den Mädels kam leider trotzdem kein Okay für meinen Vorschlag. Sie hatten Brooklyn im Visier.

Brooklyn

Aber mal ehrlich, Leute. Hübsch anzuschauen mögen sie ja sein, die niedlichen bunten Häuschen mit ihren süßen Vorgärten, aber so was haben wir selbst zu Hause. Deutschland ist voll davon. Deswegen muss ich nicht extra nach New York fahren. Überhaupt geht es jenseits von Manhattan in New York sehr manierlich zu. Nix mit Wolkenkratzern, eher flächendeckende Bodenbepflanzung mit Flacharchitektur. Seht ihr?

Nee, nicht Manhatten

Das ist übrigens die Throgs Neck Bridge (falls das jemand wissen will). Das viele Wasser ist der East River (mit Bucht). Diesen Weg kann man nehmen, wenn man von der Bronx nach Queens will, aber damit war ich ganz und gar nicht einverstanden, weil ich nicht mit dem Pit, dem Karlsson und den beiden Weibern so lange im Auto herumgurken wollte. Das war doch viel zu weit draußen, und im Taxi kann sich wieder keiner benehmen. Der Pit futtert, die Mia und die Cora schnattern und der Karlsson will nie mit mir Flugzeug-Quartett spielen. Darauf hatte ich keinen Bock. Und ist die Bronx nicht sowieso tabu? Wegen Kriminalgefahr und so? Das liest man ja dauernd.

Schließlich hat die Cora ein Machtwort gesprochen. Wenn wir hier ewig weiter diskutieren würden, ohne zu einem Ergebnis zu kommen, täte eben nur noch Entschiedenheit helfen. Wir hätten die Wahl: Shoppen oder Kunst. Entweder wir würden jetzt alle zusammen zur Park Avenue fahren und für die Mia und sie Klamotten aussuchen, oder wir würden das Metropolitan Museum of Art besuchen.
„Museum!“, haben der Karlsson, der Pit und ich geschrien.
„Na also, geht doch“, hat die Cora gegrinst.

Wir setzten uns in Bewegung. Das Mett-Museum …
„M-e-t“, heißt das, „Dummkopf.“
… befindet sich gleich nebenan, am Saum des Central Parks. Wir hatten es nicht weit. Von außen sieht der Bau ein bisschen aus wie ein griechischer Tempel; das war wohl modern, als man ihn 1872 eröffnete.

Das Metropolitan Museum of Art

Drinnen gibt es viele Gemälde zu sehen, z.B. von Monet, Tizian, Rembrandt oder Dürer. Alles, was Rang und Namen hat, ist dort vertreten. Darüber hinaus kann man Fotos begucken, Skulpturen und allerlei neue, alte und ganz alte Kunst aus der ganzen Welt.
„Ich will mir das Schlaraffenland anschauen“, hat der Pit verlangt.
Er meinte das Bild von diesem alten Holländer. Der Senior, nicht? Bei uns heißt er „Breughel“,  und in seiner Heimat nennt man ihn „Brööööchel“. Tja,  ausgerechnet dieses Bild hängt aber nicht in der Met (sondern in München – wer hätte das gedacht?), und zweitens kann sich der Kerl mal abgewöhnen, bei allem ans Futtern zu denken.
„Und du gib nicht so an mit deinem Wissen“, hat die Mia gemeckert. „Hinterher im Internet nachgucken kann ich auch.“

Wir hätten uns gar nicht so anzustrengen brauchen, denn am Eingang, wo wir die Karten kaufen wollten, hat man uns nicht reingelassen. Hunde seien nicht erlaubt, hieß es. Der Karlssons und der Pit haben nur mittelmäßig enttäuscht geguckt. Ich hätte am liebsten geantwortet, dass der Karlsson schon mal im Louvre war, ganz lebendig und artig. Das ist in Paris. So! Was glaubten die denn, was so ein Hund aus feinstem holsteinischen Haushalt täte zwischen all dem Ausstellungszeugs? In den griechischen Henkelvasen nach Frolics suchen? Oder 'ne Vitrine ablecken? Nein, ich war sehr enttäuscht. Da will dieser Provinzknabe endlich mal Bildung tanken, und dann darf er nicht.

„Lass gut sein“, hat die Cora gesagt. „Dann gehen wir eben ins Naturkundemuseum.“ 

Das American Museum of Natural History, wie es offiziell heißt, steht auf der andern Seite vom Central Park, genau gegenüber. Wir mussten nur einmal direkt durch die dünnste Stelle, die 860 Meter Grünstreifen laufen. Die Mädels und ich sind geflogen, der Pit und der Karlsson gerannt, damit's schneller ging.  Als die beiden an der andern Seite ankamen, wo wir schon am Straßenrand standen und warteten, hatten sie einen Pulk fremder Hunde bei sich. Die dachten wohl, der Karlsson täte eine blöde Katze jagen, und da waren sie dem Kumpel selbstlos zur Hilfe geeilt.
„Danke, Jungs“, hat der Karlsson gerufen. „Mit dem Rest werde ich schon allein fertig.“
Das war das erste und einzige Mal, dass er näheren Kontakt zur einheimischen Bevölkerung hatte. Die Hunde trotteten zurück zu ihren Haltern in den Park. Der Pit war sauer.
„Unerhört, so mit 'nem zahlenden Touristen umzugehen. Ich und 'ne blöde Katze!“
Auf den Schreck hatte er jetzt dringenden Hunger. Er brauchte was zwischen die Zähne - sofort! Hier, da drüben, der Imbiss, dort würde er jetzt einkehren. Wir könnten ja mitkommen oder so lange warten. Das wäre ihm gleich. Er gehe jedenfalls jetzt los.

Mit erhobenem Schwanz und gekringelter Spitze ist er abmarschiert. Seine cornedbeeffarbenen Streifen bewegten sich zielstrebig auf die Straße zu. Wir machten, dass wir hinterher kamen. Nicht, dass der Pit uns noch verschütt ging. Ich meine, um die Wolkenkratzer war's mir nicht bange, denn der Pit hatte bisher nur an WIRKLICH alten Bauwerken von historischem Wert gepopelt, und so was haben die in Manhattan nicht, glaube ich. Da würde schon nix passieren, aber wer wusste, ob er sich nicht den Magen verdarb bei all seiner Gier?

Besagter Imbiss erwies sich als Glücksfall. Alle durften wir rein, sogar der Karlsson, und das ohne jegliches Curly-Karli-Getue. Natürlich hatten wir vorher höflich an der Tür gefragt. Die Mia hat dem Kellner vorsichtshalber noch runde Augen zugeworfen. Dann hat sie einen Flügel in die Hüfte gestemmt, hat ein Bein eingeknickt und die getuschten Wimpern hoch und runter geklappt, dass ich dachte, gleich bringt er ihr Augentropfen.
„Mann-o-Mann“, hat der Pit gestaunt.
So viel weibliche Hintertriebeinheit war ihm wohl neu. Kein Wunder, wenn man nur die Amy kennt.

Gegessen haben wir Speck-Burger mit Pommes. Der Karlsson hat bezahlt.

Unser Mittagessen

So gestärkt sind wir zum Nationalkundemuseum zurückgekehrt. Äußerlich ist es von 1869, innen zeigt es die Entwicklung der Menschheit von der Steinzeit bis zur Raumfahrt. Ich habe sehr darauf geachtet, dass der Karlsson nicht plötzlich in die hübschen Blumenrabatten am Eingang gesprungen wäre. Damals in Versailles hatte er ja drin gebuddelt und wir hatten fliehen müssen. Das musste ich nicht noch mal haben.

Das American Museum of Natural History

Auf fünf Stockwerken werden 30 Millionen Exponate gezeigt. Das ist ein Haufen zu gucken für einen kurzen Besuch. Deshalb wollte die Cora auch nur das lebensgroße Blauwal-Modell besichtigen, das dort unter der Decke hängt. Andere Publikumsmagneten sind die vielen Saurierskelette.
„Na, dann passt mal auf, dass man euch nicht gleich dabehält“, hat der Karlsson gemeint.
„Wieso?“
„Na, ich denke, ihr Vögel seid direkte Nachfahren von den Flugsauriern. Vielleicht fehlt ihr noch in der Sammlung.“
Boah, da hätte ich gleich wieder umkehren können. Sagt ausgerechnet 'n Hund, wegen dem wir nirgends rein durften und der uns an jeder Ecke aufhielt, diese Spaßbremse.
„Streitet euch nicht“, hat die Cora gesagt. „Es ist sowieso egal – wir dürfen auch hier nicht rein.“

Der HUND durfte nicht mit rein. Das wollte ich mal klargestellt haben, ja?

„Jetzt reicht's aber, ihr Arschgeigen!“

Wir sind direkt zusammengezuckt, so haben wir uns erschrocken. Alle Köpfe flogen rum. Die Ansprache kam vom Karlsson. Er hatte zusammengekniffene Augen, abgespreizte Beine wie eine Klappleiter und eine Stimme, die man leicht mit bellen verwechseln konnte. Was war in den denn gefahren?
„Wenn hier noch mal einer meckert von wegen, dass ich hier alles aufhalte, dann geh ich allein los und ihr könnt zusehen, wer euch die Cola bezahlt.“
Oh-ha, der war sauer.
„Außerdem bin ICH jetzt mal dran. Bisher habe ich euch alles allein entscheiden lassen. Jetzt will ich auch mal was sehen. Wir gehen zur Ffffthth Street., Ecke 77. Straße.“
„Wohin?“
„Zur Ffffthth Street.“
„Ah ja … und was ist da, wenn man fragen darf?“
„Da hat Miles Davis gewohnt.“

Der Mia stand das Fragezeichen ins Gesicht geschrieben. Es hat sich aber keiner getraut aufzumucken. Als wir zur Straße gingen, habe ich schnell die Cora gefragt, wer denn dieser Miles Davis sei.
„Mönsch, das ist doch der berühmte Jazz-Trompeter“, hat sie mir zugeflüstert.
Sie brauchte gar nicht so überheblich zu tun, denn die Mia hat's ja auch nicht gewusst, und der Ringelplüsch lief vorneweg, so als gehörten wir nicht dazu. Laut dem Karlsson waren wir ganz nah dran. Wir brauchten nur geradeaus zu gehen, über ein paar Querstraßen und über den Broadway rüber, und gleich dahinter wäre es dann.

Auf dem Weg ergab sich glücklicherweise doch noch eine Möglichkeit, um mehr zu erfahren. Man will ja schließlich wissen, warum man sich Blasen läuft.
„Mein Papa mag die Musik von Miles Davis sehr“, hat der Karlsson verraten. „Manchmal sitzen wir zusammen im Herrenzimmer, wenn eine CD läuft. Nur wir beide. Weiber haben da nichts verloren. Und wenn ich schon mal in New York bin, will ich mir anschauen, wo er gewohnt hat, damit ich das meinem Papa erzählen kann. Der wird stolz auf mich sein, und dann können uns die Polly und die Mama (die ja eigentlich ganz nett ist) endgültig den Buckel runterrutschen. Nur wir Männer wissen, was richtig gut für die Ohren ist. Es heißt ja nicht umsonst Herrenzimmer.“

Karlssons Herrenzimmer (Privatfoto)

Es stellte sich heraus, dass diese komische Ffffthth Street in Manhattan lag, klar, genauer gesagt auf der Upper West Side. Folglich heißt die andere Seite vom Central Park (wo sich das Met befindet) Upper East Side. Dort fließt der East River. Auf der andern Seite, wo wiederum die Upper West Side zu Ende ist, weil Wasser kommt, fließt der Hudson River. Das Land zwischen diesen beiden Flüssen ist dann Manhatten, jedenfalls am unteren Ende. So weit ist alles klar, oder?

Na gut, noch mal von vorn. Manhatten ist ja 'ne Landzunge. Hier, das ist eine Luftaufnahme. Sie ist nicht schön, aber hilfreich.

Manhattan ist das in der Mitte

Der Fluss oben ist der East River, der Fluss unten der Hudson. Das grüne Rechteck in der Mitte mit dem Teich drin, das ist natürlich der Central Park. Und am hinteren Ende nach unten hin zum Wasser, dahin waren wir gerade unterwegs. An dieser Seite liegen die Docks, wo Passagierschiffe anlegen. Das sind dieses hellen Stäbe, die vom Ufer abstehen wie Zinken vom Kamm. Hier sieht man sie von nahem:

Manhattan Upper West Side mit dem Hudson

Ganz links am Rand, dort wo die Häuser niedriger werden, dort in etwa soll der Herr Davis also gewohnt haben. Irgendwann standen wir vor der Adresse und legten den Kopf in den Nacken. Groß anzustrengen brauchten wir uns nicht, denn das Haus hatte nur vier Stockwerke.
„Fast so wie bei uns in Hannover“, hat die Mia gestaunt.
Da hatte sie Recht. Die Straße war eine Wohnstraße, nicht sehr breit und ziemlich ruhig. Die Häuser standen links und rechts lückenlos in einer Reihe. Unser Haus war rötlich gestrichen. Es hatte hübsche halbrunde Erker und eine Steintreppe, die ins Hochpaterre führte. Die Haustür war aus Holz. Auf dem Bürgersteig standen Bäume. So hatte man bei uns um 1900 auch gebaut.
„So-so“, habe ich vor mich hingemurmelt. „Der berühmte Herr Davis wohnte also auf der Etage.“
Das hat dem Karlsson gar nicht gefallen.
„Na und?", hat er gezischt. „John Lennon hat im Hochhaus gewohnt.“
„Ja, genau“, musste sich die Cora einmischen. „In Manhattan gibt es gar keine Einfamilienhäuser. Da ist das hier eine Nobeladresse. Und dann so nah am Broadway!“

Den Karlsson hatte die Andacht ergriffen. Minutenlang tat er auf die Haustür starren. Wir wollten nicht stören. Vielleicht überlegte er gerade, was leicht zu entfernen wäre, um es mitzunehmen. Schließlich hat er geseufzt und gesagt:
„Macht mal ein Bild von mir mit dem Haus.“
Nun, fürs Fotografieren war ich zuständig. Ich habe den Karlsson angewiesen, dass er sich schön plastisch vor den Sockel stellen und freundlich gucken soll. Dann habe ich das Haus geknipst. Ich finde, es ist gar nicht schlecht geworden. Karlssons Papa kann es sich ja im Drogeriemarkt zum Poster vergrößern lassen. Dann hat er ein einmaliges Andenken, etwas, was andere nicht haben. Der Karlsson selbst hat das Foto erst auf dem Rückflug gesehen. Er hat dann bis zur Landung kein Wort mehr mit mir geredet. So sieht also Dankbarkeit aus – widerlich. 


Der Karlsson mit berühmtem Andenken

Ich glaube, der Karlsson war berauscht von seinem Erfolg, dass er uns seinen Willen aufgedrückt hatte. Statt es dabei bewenden zu lassen, tat er nämlich noch einen draufsetzen. Heute Abend würden wir alle zusammen einen Jazzclub besuchen, hat er uns mitgeteilt. Entweder würde es ins „Blue Note“ oder ins „Village Vanguard“ gehen, das wisse er aber noch nicht, das täte er später entscheiden. Dort habe der Miles Davis gespielt in den 50er und 60er Jahren (oder auch nicht). Beide Clubs liegen in Greenwich Village. Das ist weiter unten bei der Universität, zwischen dem Flatiron Building und dem One Trade Center. Dort gibt es viele Bars und Clubs.

„Jazz?“, hat die Mia gefragt und große Augen gemacht.
Die Putze sagt immer, dass man eine gewisse Reife haben muss, um Jazz zu mögen. Wenn das stimmt, dann hätte die Cora jetzt in Begeisterungsgeklatsche ausbrechen müssen, denn die ist ja schon überreif mit ihren – wie viel sind es inzwischen? - na, über zwanzig Jahren. Die Cora tat aber nur schweigen und lediglich dumm gucken. Dem Pit war sowieso alles egal, weil Kultur an dem abtropft wie Sprühsahne auf Autolack. Er kaute an getrockneten Aprikosen. Keine Ahnung, wo er die her hatte.

„Aber heute Abend ist doch Laufsteg bei Victoria's Secret“, hat die Mia geheult.
Ach? Und sie glaubte allen Ernstes, dass sie da reinkäme?
„Hast du 'ne Eintrittskarte?“, habe ich gefragt.
„Noch nicht“, hat sie geantwortet.
Na, dann hatte sie ja noch genügend Zeit, an der Abendkasse eine zu besorgen. Und für uns waren sicher auch noch genug übrig.
„Was machen die denn da auf dem Laufsteg?“, hat sich der Pit nun doch eingemischt.
„Die führen Unterwäsche vor, Spitzenschlüpper und BHs.“
„Das ist gar nicht wahr!“, hat die Mia das Kreischen gekriegt. „Das sind keine Schlüpper, das sind Dessous, und die sind berühmt und total schick!“
„Das will ich nicht sehen“, hat der Pit klargestellt.
Da hat die Mia noch lauter geheult und die Cora musste ihr mit dem Taschentuch die verlaufene Wimperntusche aus den Federn tupfen. Und das alles in einer Nebenstraße vom Broadway.

„Was wollt ihr euch noch anschauen, bevor wir heute Abend zum Jazzclub fahren?“, ist der Karlsson dazwischengegangen.
Seine Stimme klang beunruhigend ausgeglichen. Aha, er machte auf siegesgewisse Autorität. Da hat man kein Geschrei nötig. Aber besser Jazz als Damenschlüpper. Das war meine Devise. Von mir würde keine Gegenwehr kommen.
„Wir könnten es noch in andern Museen versuchen“, hat die Cora vorgeschlagen. „Es gibt ja noch viel mehr davon in New York. Oder wir gehen zur Public Library. Die sollen dort eine waschechte Gutenberg-Bibel haben, also eine von ganz früh, von 1452 oder so. Aber bestimmt werden sie uns auch dort nicht reinlassen. Wenn's um Kunst geht, sind die piefig mit ihrem Hundeverbot.“

Die Mia war noch immer eingeschnappt, der Pit hatte Hunger und ich hatte mir ein Kaugummi zwischen die Zehen gelatscht. So haben wir uns entschlossen, zum Hotel zurückzufahren. Es war ja schon Nachmittag. Im Hotelzimmer haben die Mädels ausgiebig gebadet. Die Fenster waren beschlagen und die Parfüms mieften um die Wette. Wahrscheinlich hatten sie alle durchprobiert, weil sie sich nicht entscheiden konnten. Wir Jungs haben auf dem Bett gelegen und Fernsehen geguckt. Es gab irgendein wichtiges Footballspiel. Football ist das, wo man ein Sieb vorm Gesicht trägt und eine Melone durch die Gegend wirft. Irgendwann mussten wir dem Pit sagen, dass er aufhören soll, ständig „Foul!“ zu schreien. Erstens täte ihn sowieso keiner hören, und zweitens gehört Rempelei zum Spiel. Er hatte Schaumwaffeln dabei. Anstandshalber muss ich zugeben, dass er selbstlos abgibt, wenn man ihn danach fragt.
„Was habt ihr denn da ins Kopfkissen geschmiert?“, hat die Cora geschimpft, als sie aus dem Bad kam.

Zu Abend haben wir in der Hotel-Pizarria gegessen. Es erschien uns einfacher, als wieder auf die Suche zu gehen und womöglich wieder die Curly-Karli-Show abziehen zu müssen. Wir haben Pasta bestellt. Man muss auch mal was Gesundes zu sich nehmen.

Unser Abendessen

Weil die Mia noch immer traurig war wegen dem ausfallenden Schlüpfer-Abend, hat der Karlsson noch einen schicken Nachtisch spendiert. 

Fast 'n bisschen kitschig, aber sehr lecker

„Ich will nicht“, hat die Mia geschmollt.
Ihren Teil hat sich der Pit auf den Teller geschaufelt. Kann jetzt jemand ermessen, was es heißt, mit so einer hohlen Nuss die Voliere, die Wohnung und überhaupt sein ganzes Leben teilen zu müssen? Die Mia trug eine Halskette aus lila Strasssteinchen (ha! Noch nicht mal echt) und die Krallen waren genauso, nur metallic lackiert. Die Cora hatte sich einen hellblauen Flusenschal um die Schulter geworfen. Er erwies sich beim Verzehr der Pastasoße als hinderlich. Hi hi hi.
„Willst du nachher allein losziehen und unsere Reisekasse aufbessern, Cora, oder wozu soll dieser Puschelstrick sonst gut sein?“, habe ich gefragt.
Ruckzuck war die Stimmung auch bei dieser Östrogen-Häfte im Keller. Frauen sind einfach viel zu unsachlich.

Nach dem Essen sind wir aufgebrochen, wir drei Jungs vorneweg und die beiden beleidigten Miefkugeln hinterher. Weiter ging's im Taxi. Dort tat uns der Karlsson mit einer Neuigkeit überraschen. Damit wieder Frieden herrsche, schlage er vor, erst mal dorthin zu fahren, wo dieses besagte Secret-Event stattfinde, bevor es weiter zum „Blue Note“ ginge. So könnten die Damen wenigstens von außen gucken, wer alles vorfährt. Na, wäre das nichts? Ein Vorschlag zur Güte?
„Ja, gut“, tat die Mia maulen. „Außerdem wird das hinter der Victoria englisch ausgesprochen, nicht deutsch. Merkt euch das mal, Jungs.“

Das Taxi hielt in einer noblen Straße. Die Wolkenkratzer hatten Baldachine überm Gehsteig, damit die Besucher nicht nass würden.



Wir stellten uns strategisch klug an eine Hauswand. Von hier aus konnte man alles gut beobachten. Vor uns hielten blank geputzte Autos. Die Beifahrertüren wurde aufgerissen und Stöckelschuhe schwangen sich aufs Pflaster. Die Herren trugen dunkel mit Krawatte. So was hatten wir eh nicht im Gepäck.
„Das ist doch ganz egal“, hat die Mia gekeucht.
Ihre Augen taten leuchten wie Christbaumkugeln. Der Schnabel stand offen. Auch einige Limousinen fuhren vor. Die Mia begann zu zittern. Man konnte es sehen an den vibrierenden Federchen.
„Die haben dort bestimmt Erdnüsse drin, wetten?“, hat mir der Pit zugeraunt.
Vom Karlsson war nur ab und zu ein leichtes Kopfschütteln zu bemerken. Ich kann mich allerdings auch täuschen. Er saß mit schlankem Hintern auf dem Pflaster, die Zunge in leichter Schaukelbewegung den Ereignissen zugewandt. Die Cora tat neutral gucken. Kann man verstehen. Als alte Henne hat man so was hinter sich, und wahrscheinlich kitzelte ihre alberne Veilchen-Boa an der Nase. Manchen der aussteigenden Frauen dürfte es ziemlich schlecht gegangen sein. Sie waren total dünn und das Geld für genug Stoff fürs Kleid hatte ganz offensichtlich auch gefehlt. Etliche mussten sich rückenfrei ins Publikum setzen.

Ich hatte gerade so einer bedauernswerten Gestalt nachgeschaut, als eine schwarze Stretchlimousine hielt. Die Fenster waren verspiegelt, man konnte nicht reinschauen. Auf der Beifahrerseite schnurrte eine Scheibe herunter. Ein Sektglas kam zum Vorschein.
„Hallo, Eierkopf“, tat es lieblich säuseln.
Hey, die Stimme kannte ich doch. Oder nicht? Hier in New York? Nee, das konnte nicht sein. Mir flog trotzdem der Kopf zur Seite, zum Ort der Ansprache hin. Dagegen konnte ich nichts machen,  das ging ganz automatisch.
„Was macht IHR denn hier?“, habe ich geschrien.
Auch dagegen habe ich nichts tut können, auch das ging ganz automatisch.

Fortsetzung folgt.

Fotos: Cora: © G. H.
          Pit: © Club der glücklichen Vierbeiner
          Karlsson: © Terrierhausen
          Croissants, Fleischplatte, Central Park 1, Central Park 2, Central Park 3, Wolkenkratzer 1, Wolkenkratzer 2,
          Brooklyn, Throgs Neck Bridge, Met, Burger, Museum of Natural History, Herrenzimmer, Luftaufnahme Manhattan,
          Hudson mit Anleger, Wand, Nudeln, Kuchen, Straße: Pixabay

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