Freitag, 28. Juni 2019

Bier trinken, Mopedführerschein, eigenes Konto


Ich.
16.

Mehr muss ein Mann nicht sagen.

© Max: Papageiengeschichten

Samstag, 22. Juni 2019

Fischli

Radikale Tierbefreiungen sind jetzt wohl das Hobby vom Karlsson. Das ist erstaunlich nach der blöden Aktion mit den Kühen. Vielleicht deshalb hatte er es jetzt auf kleinere Tier abgesehen, noch dazu auf solche, die ihm weder widersprechen noch ihn anschreien könnten – auf Fische. Ja, wirklich, der Karlsson wollte Zierfische befreien. Als Grund gab er an, dass die armen Dinger angeblich Inzucht betreiben müssten, weil sie keine Gelegenheit hätten, in Freiheit ihre Freunde zu treffen. Ach ja? Das wusste ich nicht.
„Du weißt vieles nicht“, hat der Karlsson am Telefon gesagt.

So was wollte der Karlsson jetzt retten ...

... oder so was

Wenn ich es mir recht überlegte, waren mir plötzlich Fische komplett egal. Und was hieß überhaupt „Freunde treffen“? Dahinter verbarg sich doch Schweinkram. Nee, das war nichts für mich. So weit kommt's noch, dass ich für irgendwelche bunten Aquariumsinsassen den Puff spiele.
„Du sollst doch nur helfen sie zu transportieren“, hat der Karlsson auf mich eingeredet.
Aha. Verstehe. Ich sollte in Schlichtheit gelullt werden, damit ich nicht abspringe, sondern meinen kostbaren Geist und meinen edlen Körper für diese dämlich Aktion hergebe.
„Nun sei doch nicht beleidigt, Max“, ist der Karlsson weiter auf mich eingedroschen. „Mein Plan ist echt gut. Hör mal zu: Zunächst wird der Harald Elektronik lernen. Mit DEM Schnabel kann er Kabel abisolieren und verdrallern. Dann manipuliert er Standbilder in Überwachungsvideos. So können wir in Ruhe exotische Fische aus Tierhandlungen befreien. Die transportieren wir heimlich in den Hamburger Hafen auf ein Schiff.“
Und dann war noch die Rede von Bali oder dem Roten Meer und einem Scheich, wo wir die Fische freilassen würden. Also hieß das, wir müssten dorthin reisen, um vor Ort anwesend zu sein. Bekloppt. Absolut idiotisch.

Wo liegt Bali überhaupt?
„Na, das ist doch eine Insel der Baliaren, so wie Mallorca“, hat die Mia gemeint.
Mallorca? Hö, der Kerl wollte an den Ballermann? So war das. Von wegen exotische Fische in die Heimat bringen. Der Karlsson verarschte uns.
„Ich finde die Idee super“, hat der Luke gesagt.
Er hatte mich extra angerufen, um mir das zu sagen. Mir kam es verwunderlich vor, wo er doch immer so viel zu tun hat mit seinem Ratten-Business.
„Och, geht schon“, hat er beschwichtigt. „Wir können gern das Rote Meer nehmen, wenn es dir sympathischer ist“, hat er noch angefügt.
Um das Maß vollzumachen, war gleich darauf der Pit am Handy. Auch er hatte sich unaufgefordert gemeldet. Keine Ahnung, woher er von der Fisch-Aktion wusste:
„Da müssen wir unbedingt hin, Max. Die armen Kreaturen brauchen unsere Hilfe. Drin-gend!“

Was war denn jetzt los? Die Kater drängten auf Handlung? Ausgerechnet die? Von der Mia kam die Erklärung:
„Denk doch mal nach, Holzkopf: Katze – Fisch. Na, klingelt's?“
Ach sooooo, die Herrschaften wollten naschen, Fischli futtern, und die sollten wir ihnen herbeischaffen, mal so ganz unauffällig vor die Tatze packen. Nee-nee-nee, so ging's ja nicht. Ich habe sofort den Karlsson zurückgerufen und ihn informiert, dass ich dabei wäre, unter einer Bedingung: Der Luke müsste zu Hause bleiben. Und der Pit müsste rund um die Uhr bewacht werden. Ach ja, und wir führen ans Rote Meer, nicht nach Bali.
„Fein“, hat der Karlsson gesagt.  

So viel hatten wir immerhin von der Kuhbefreiung gelernt: Eine gute Vorbereitung ist das A und O allen Erfolgs. Leider sind wir gleich am Harald gescheitert. Ich meine, einen Wasservogel mit Elektronik zu beauftragen war ohnehin … sagen wir mal ehrgeizig, aber das mit dem Verdrallern hat ihm den Rest gegeben. Pfui, mit solchen Ferkeleien wolle er nichts zu tun haben, hat er gezetert. Was wir wohl meinten, was er zu hören kriege, wenn die Mia dahinterkäme? Die sei doch so eifersüchtig. Und das sollte er riskieren? Auf gar keinen Fall.

Auch die Finanzierung erwies sich als anspruchsvoll, nachdem der Luke den Hörer aufgeknallt hatte. Ich glaube, der war angefressen. Mit einem Kredit oder gar einer Spende konnten wir ihm nicht mehr kommen. Aber wir hatten ja noch unseren Verdienst vom Weihnachtsmann. Könnten wir den nicht verwenden, zumindest einen Teil davon?
„Kommt nicht in Frage“, hat die Mia gesagt.
Sie als Kassenwärterin hielt die Krallen auf dem Portemonnaie. Und sie gedenke nicht, einen einzigen Cent rauszurücken, es sei denn, wir würden uns für eine Reise mit kulturellem Wert entscheiden. Mit kulturellem Wert? Das hieß natürlich shoppen gehen und abends mit der Cora an der Bar Cocktails süffeln. Das ließ sich leider, soweit ich es übersehen konnte, mit unserer Fischbefreiung nicht vereinbaren.

Apropos Cora. Die rief auch an und fragte, ob sie am Roten Meer Kopftuch tragen müsse.
„Besser ist das“, habe ich geraten. „Ich glaube, es ist sehr sonnig dort und Baseball-Caps stehen dir nicht.“
Auch die Mia hatte jetzt begonnen, sich auf die Fahrt vorzubereiten. Ein Sortiment an Sonnencremes hielt Einzug in unsere Voliere, und der Kauf eines Badeanzugs wurde erwogen, da ein bisschen mehr Stoff angemessener sei als die Glitzer-Bikinis, die sie sonst immer dabei hatte. Dass Fische freilassen nicht identisch ist mit am Wasser liegen und sich sonnen, ging in ihren Kopf nicht rein.
„Das könnt ihr dann ja machen“, hat sie gesagt. „Ich bleib dann so lange mit der Cora am Hotel-Pool.“

Mir war das sehr peinlich, das mangelnde soziale Feingefühl der Mia. Ich habe mich gar nicht getraut, dem Karlsson davon zu erzählen, aber wie sich bald herausstellte, war er so beschäftigt mit der Geldbeschaffung, dass er sowieso nicht zugehört hätte. 

Es dauerte nicht lange, dann kam der triumphierende Anruf: Die Finanzierung stehe! Alle Achtung, wie hatte er das geschafft? Nun, er hatte seinem Papa erzählt, dass er ein Seminar bei diesem bekannten Hundetrainer mitmachen wolle. Wie heißt der noch gleich? Ach, ist ja auch egal. Jedenfalls hätte der sich zwar gewundert, dass sich der Karlsson als Hund selbst angemeldet hätte, weil sonst die Halter das immer übernähmen, aber formal spreche nichts dagegen und daher stehe er jetzt auf der Teilnehmerliste. Ach, was rede ich? Nicht nur für einen Kurs hatte sich der Karlsson angemeldet, sondern gleich für alle. Dazu müssten Fahrt- und Unterbringungskosten veranschlagt werden, natürlich eine neue Hundeleine, ein Frisörbesuch mit Krallenschnitt, damit man einen guten Eindruck macht, und eine neue Kamelhaar-Decke für die Yoga-Übungen. Als der Papa das Geld hingeblättert hatte – er sei sehr gerührt gewesen von Karlssons Lerneifer –, hat der Karlsson sofort alles storniert und das Geld heimlich beiseite gelegt. Es sollte reichen für einen Flug ans Rote Meer und eine einfache Unterkunft für zwei Personen. Mehr brauchen drei Vögel, ein Hund und ein Kater nicht. Wir sind schließlich oft genug zusammen unterwegs gewesen, um zu wissen, dass ein Doppelsitz im Flieger und ein Doppelbett im Hotel allemal ausreichen.
„Und wenn dein Papa irgendwann dahinterkommt, dass du gar nicht zu diesen Kursen fährst?“, habe ich den Karlsson gefragt.
Aber der winkte nur ab:
„Dann wird mir schon was einfallen. Die Fische befreien ist wichtiger.“

Nächster Schritt: den Befreiungsablauf hier vor Ort organisieren. Dass wir die Aquarien berauben müssten, was klar, doch wie sollte das vor sich gehen und wer sollte das tun? Einen Freiwilligen hatten wir schon mal, den Pit. Man konnte den Karlsson direkt aufseufzen hören, aber am Ende ist er doch mit ihm losgezogen. Sie hatten eine kleine Campingbox dabei. Die Befreiungen liefen immer nach dem gleichen Schema ab: Während der Karlsson vorne in der Zoohandlung das Personal ablenkte mit begriffsstutzigen Fragen, ist der Pit hinten aufs Aquarium gesprungen, hat den Deckel verschoben und mit dem Käscher so viele Fische rausgeholt, wie er kriegen konnte. Die beiden hatten sogar vorher nachgelesen, welche Fische für Süßwasser geeignet sind und welche für Salzwasser. Das heißt, sie haben sich an den Farben orientiert und an den Bildern im Lehrbuch. Laut dem Karlsson schwammen trotzdem manchmal falsche Fische in der Campingbox. 

Dann musste die Polly ran und das Personal noch mal ganz dolle zulabern, damit der Pit die falschen Fische unbemerkt zurückbringen konnte. Extra dafür hat die Polly vor den Geschäften warten müssen. Zwischenzeitlich war auch mal überlegt worden, die Amy mitzunehmen, aber weil wir befürchteten, dass sie sich verplappern könnte, haben wir es gelassen.

Am Ende hatten der Pit, der Karlsson und die Polly ein ganzes Kinderbassin voller Fische zusammengeklaut. Das Wasser war extra mit Salz versetzt worden, weil das Rote Meer ja, wie der Name schon sagt, ein Meer ist und im Meerwasser sich nun mal Salz befindet. Wie viele Fische der Pit nebenbei direkt aus den Aquarien genascht hat, weiß ich Gott sei Dank nicht. Wir waren ja froh, dass es überhaupt so gut klappte, da hätten wir nicht noch einen Aufpasser neben den Pit in die Zoohandlung stellen können.

Die Aktion war als reine schleswig-holsteinische Angelegenheit durchgeführt worden. Es waren nur Zoohandlungen zwischen Flensburg und Lübeck besucht worden, außerdem nur solche, die keine Überwachungskameras hatten. Das aufblasbare Bassin stand hinter Zweigen versteckt auf der Wiese am Waldrand beim Karlsson um die Ecke. Es war mit einer lockeren Plane abgedeckt, damit sich nicht die Bussarde darin bedienten. Bei Karlsson direkt im Garten wäre es nicht gegangen wegen seiner Leute, die dort herumlaufen und alles wissen wollen. Beim Pit hinterm Haus auf der Weide hätte es schon besser gepasst, aber hey, den Kerl mit dem leckeren bunten Knabberzeug allein zu lassen, das wäre bekloppt gewesen. 

Der Karlsson beim Anmischen des Wassers im Eingewöhnungsbecken

Fürs Dichthalten und Helfen hat die Polly einen Restaurant-Gutschein gekriegt. Soviel ich weiß, war er für 'n Steakhaus. Ein Fischrestaurant wäre nicht so gut angekommen, glaube ich. Hi hi hi.  Denn immerhin ist die Polly zweimal davongejagt worden, so wurde mir jedenfalls erzählt. Einmal hatte man sie im Verdacht gehabt, Ochsenziemer klauen zu wollen (was immer das ist), und einmal hatte sie aus Versehen ein Päckchen Hamsterfutter an die Kasse getragen und sich ausgiebig – zu ausgiebig – nach den Inhaltsstoffen erkundigt. Beide Male war es dem Pit zwar geglückt, ebenfalls unbeschadet den Laden zu verlassen, doch die falschen Fische hatte er nicht mehr rechtzeitig zurücksetzen können. Die wurden mitgenommen und im nächsten Laden ins Aquarium gesetzt.

Unterdessen, während die drei unterwegs waren, habe ich mich um den Transport gekümmert. Das war mir ans Herz gelegt worden, nachdem wir beschlossen hatten, die russische Hilfe von Tamara und Ludmilla in Anspruch zu nehmen. Wir wussten nämlich nicht, auf welches Schiff wir unsere Fischboxen schmuggeln sollten. Aber weil der Karlsson sich damals kurz nach unserer Karibik-Kreuzfahrt bekanntlich geweigert hatte, mit Tamaras und Ludmillas Gattenclan Geschäfte zu machen, war er in Ungnade gefallen (er würde lieber das heimische Gewerbe unterstützen, hatte er damals gesagt). Das rächte sich jetzt. Nun sollte ich mein Glück versuchen.

„Klar weiß ich noch, wer du bist“, hat die Ludmilla am Telefon gesagt. „Du bist der kleine, dicke Grüne aus Hannover, nicht? Hast du inzwischen Speedboot fahren gelernt?“
Auf meine Bitte nach weisender Hilfe im Hamburger Hafen kam überraschend ein viel besseres Angebot:
„Wozu eure Boxen aufs Schiff laden? Das dauert ja ewig, bis sie ankommen. Ich spendierte euch einen Cargo-Flug. Wie viel, sagtest du, ist es? Ein Kinderbassin voll? Na, das ist ja nicht viel. Und das sind alles eure Kumpels, die ihr gekauft habt und jetzt freilassen wollt? Im Meer?“
„Ja“, habe ich gesagt.
Und dann brauchte ich nur noch den Termin anzugeben, wann die Boxen fliegen sollten und wohin ich sie nach der Landung geschafft haben wollte. Das habe ich im Atlas nachgeschaut. Es gibt dort einen Touristenort mit Hotels und Verpflegung. Das fand ich sicherer, als später auf eigene Faust loszuziehen. In dem Hotel habe ich gleich ein Doppelzimmer gebucht. Den Namen des Ortes vergesse ich leider immer, weil sie dort unten ganz anders schreiben als hier.
„Das hast du gut gemacht“, hat mich der Karlsson gelobt.

Tamara (rechts), Ludmilla (links) und Luxus (Mitte)

Na bitte, geht doch. Wir fanden es beide sehr erfrischend, dass manche Frauen doch noch beherzt zur Tat schreiten, ohne vorher ewig herumzulabern. Die Ludmilla hatte uns den Glauben an die Weiber zurückgegeben. Von der Mia dagegen war bisher kein einziges Stück Arbeit zu unserer wichtigen Mission beigetragen worden. Sie könne sich dann ja nach der Ankunft mit den Fischen über Windenergie oder gotische Kapitelle unterhalten, hat sie gekichert und den Nagellack für die Reise herausgesucht. Auch von der Cora kam nur Gemurkse. Sie wollte unbedingt die Freilassung fotografieren. Immerhin, nach dem Desaster mit den Kühen bestand sie nun nicht mehr aufs Filmen. Der Camcorder wäre auch viel zu schwer zum Tragen gewesen. Aber wenn die Cora so fotografierte, wie sie filmte, dann gute Nacht.
„Gar nicht!“, hat sie gejammert. „Ihr Jungs glaubt bloß immer, dass ihr alles besser könnt. Ich habe jetzt einen Fotokurs gemacht.“
„Jooo, Fotos ins Album kleben“, habe ich dem Karlsson berichtet.
Wir haben beide sehr gelacht.

Als es endlich so weit war, hat der Karlsson mit der  Polly die Fische aus dem Kinderbassin zurück  in die Kühlboxen geladen (es waren 13 Stück). Dann hat er ordentlich Futter dazugetan und alles per Spedition zum Flughafen nach Hamburg bringen lassen. So, die waren schon mal unterwegs. Nun mussten nur noch wir hinterherfliegen.

Wir haben uns in Hamburg am Flughafen getroffen. Die Cora hatte einen rosa Sonnenschirm dabei, aus dem Rucksack guckte ein Fächer. Sie fiel erst mal der Mia in die Flügel, so als hätten sie sich ewig nicht gesehen. Vom Karlsson kam nur ein kurzes, männliches Nicken. Der Pit hatte sein Fischbuch dabei. Um seinen Hals baumelte ein Dosenöffner mit Anker-Design. Aha, er machte auf maritim, der Angeber. Immerhin ließ sein Halsschmuck auf eine herkömmliche Nahrungsbeschaffung schließen. Trotzdem würde man ihn im Auge behalten müssen. Nicht, dass er am Roten Meer doch noch zulangte.

Eigentlich war ich gut gelaunt. Ich freute mich jetzt auf die Reise, nachdem die Vorbereitungen so gut abgeschlossen waren.  Deshalb traf es mich wie ein Schlag, als die Cora ziemlich zickig fragte, seit wann Jerusalem am Roten Meer liege.
Nicht?
Nein.
Wir standen vor der großen Abflugtafel. Alle guckten erst nach oben, was dort angeschlagen stand, dann verglichen wir die Flugnummern und die Reiseziele mit meinen Flugkarten. 

Ach, da stieg ja sowieso keiner durch

„Das passt nicht!“, hat der Karlsson festgestellt.
„Du Holzkopp!“, musste sich nun auch noch die Tussi von Mia einmischen. „Du hast doch wohl nicht das Rote Meer mit dem Toten Meer verwechselt?“
Öhm, nö, eigentlich nicht. Ist das denn ein Unterschied?
„Doch, das hast du, du Flachbirne. Nicht mal richtig lesen kannst du.“
Die Mia tat jetzt wild die Augen verdrehen. Die Cora hat theatralisch den Kopf geschüttelt, der Pit stand nur stumm daneben und guckte mich mitleidig an, und der Karlsson hat gesagt, nachdem seine Locken wieder die ursprüngliche, eng anliegende Form angenommen hatten:
„Also wenn die Fische auch zum Toten Meer geflogen sind, dann spricht ja nichts dagegen, wenn wir folgen. Wir müssen uns schließlich um sie kümmern.“

Während des gesamten Fluges hat keiner mehr mit mir geredet. Zum Mittagessen kriegte ich von der Mia den Obstsalat in den Schoß geklatscht. Als ich das Magazin durchblättern wollte, das vor mir im Netz steckte, wurde es mir von der Cora aus den Krallen gerissen:
„Du erlaubst doch!“
Der Pit hat sich angeregt mit dem Karlsson unterhalten. Von Zierfischen und wundervollen Farben war die Rede und davon, wie wichtig Bildung sei (insbesondere geographische Kenntnisse), genauso wichtig, wie sich auf seine Freunde verlassen zu können. Dann haben sie bei der Stewardess einen Schnaps bestellt, das Glas auf dem Fischbuch geparkt, die Pforten zum High five zusammengepresst und nacheinander den Schnaps runtergeschüttet, jeder eine Hälfte. Und da sagt man nun, Hunde und Katzen hätten sich nichts zu sagen. Beim Landeflug saß ich zwischen den beiden im Sicherheitsgurt. Aber das passiert mir nicht noch mal. Mir blieb fast die Luft weg, so fett haben sich beide gemacht.
„Gemütlich, was?“, hat der Karlsson geflötet und sich dabei ausgiebig gereckt.
Er miefte nach Fusel. Die Cora und die Mia haben gegrinst.

Als wir nach sechs Stunden und einer Zwischenlandung in Jerusalem ankamen, empfingen uns 30 Grad. Aber es war trocken und das Taxi, das uns zum Busbahnhof brachte, war klimatisiert.
„Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich ja doch meinen lila Glitzer-Bikini mitnehmen können“, hat die Mia gemault.
Der Karlsson war eher besorgt, dass die Busfahrt, die ich gebucht hatte, auch wirklich ans Tote Meer ging und nicht womöglich nach Kasachstan.
„Nun hör aber auf“, habe ich gesagt. „Von wem stammt denn die blöde Idee mit den Fischen? Von mir vielleicht?“
Der Pit hatte sich eine Tupperdose mit Käsewürfeln aus dem Rucksack geholt und begann seelenruhig zu mampfen. Die Cora hat Fotos gemacht.


Jerusalem. Halt, Moment ...

... näher ran, so erkennt man es besser

Leider haben wir nicht viel von der Stadt mitgekriegt, weil es gleich weiterging zu unserm Hotel. Wir mussten noch etwa 30 Kilometer zurücklegen an den Rand des Toten Meeres, nicht ganz dicht ran, aber fast. Wie gesagt, wir fuhren mit dem Reisebus. Unterwegs die Landschaft war sehr karg. Wenn man aus dem Grüngürtel um Jerusalem heraus ist, fällt einem die schroffe, felsige Landschaft  sehr deutlich auf. Der Mia kamen nun Zweifel, ob sie überhaupt irgendeine Bademode würde vorführen können bei dem wenigen Wasser, das wir zu sehen kriegten. Ihre giftigen Blicke verursachten mir Seitenstiche. Die Fotos von der Cora aus dem Busfenster heraus sind, wie sich später herausstellte, allerdings gar so nicht schlecht geworden. Dass sie nur schroffes Gestein zeigen, ist ja nicht ihre Schuld.

Die Straßen waren echt gut

Als wir unser Hotel erreichten, begannen sich die Wogen schnell zu glätten. Das Gebäude hatte eine moderne Fassade, fließendes Wasser, dekoratives Grünzeug in großen Kübeln neben den Türen und – sage und schreibe – einen Swimmingpool. Auch unsere 13 Boxen mit den Fischen standen schon aufgestapelt im Flur neben der Wäschekammer. Das hatte also perfekt geklappt.
„Toll!“, hat die Mia gestrahlt. „Das Hotel ist 'ne Wucht.“

„Erst die Arbeit, dann das Vergnügen.“
Dieser blöde Satz kam vom Karlsson.
„Wir legen unser Gepäck ins Zimmer und fahren gleich mal ans Wasser, schließlich haben wir einen Auftrag zu erfüllen.“
Mit Gemurre (Mia), Fotoapparat und Sonnenschirm (Cora), Provianttüte (Pit), einem Touristen-Flyer von der Rezeption (Karlsson) und einem neutralen Gesicht (ich) haben wir uns wenig später an der Bushaltestelle eingefunden. Diesmal warteten wir auf einen Linienbus. Nach wenigen Minuten Fahrt waren wir tatsächlich am Toten Meer.

Das Blaue dahinten, das ist das Tote Meer

Unschlüssig standen wir am Ufer herum. Vor uns lag ein flacher Badestrand mit allerlei Menschen, die entweder im Wasser herumtrieben oder sich mit Schlamm einschmierten.
„Mein Kopftuch brauch ich hier nicht“, hat die Cora entschieden.
„Ich glaube, der Matsch ist gut für die Haut“, war die Mia der Ansicht, aber ganz sicher war sie sich nicht.
Auch der Pit hatte was zu sagen:
„Wusstet ihr, dass das Tote Meer der tiefste Punkt auf trockenem Land ist?“
„Ja“, hat der Karlsson bestätigt, „über 400 Meter unter dem Meeresspiegel – steht hier im Prospekt.“
Wie jetzt? Hieß das, wir waren an jenem See gelandet, wo man nicht schwimmt, sondern sich nur reinlegt und auf der Oberfläche geschaukelt wird, weil das Wasser so viel Salz enthält? Ich hatte mal davon gelesen, in der Illustrierten, die die Putze immer beim Arzt klaut.
„Korrekt, du Oberlehrer.“ Der Karlsson war jetzt ziemlich angefressen. „Und deshalb sind wir total falsch hier. Im Toten Meer leben keine Fische. Schon mal darüber nachgedacht, warum es „Totes“ Meer heißt?“

Ach herrje, das war ja 'n schöner Mist. Sollten wir die Reise etwa umsonst gemacht haben? Wir haben noch ein bisschen herumgeguckt, ob es in der Nähe vielleicht gastlicher wäre, aber dass wir die Fische hier freilassen könnten, das war und blieb unmöglich. Ich kriegte wieder böse Blicke zugeschossen, diesmal vom Karlsson und vom Pit, diesem Verräter.

An manchen Stellen hätte man das Salz säckeweise wegtragen können

Die Mädels dagegen waren plötzlich sehr aufgeräumt.
„Na, dann können wir ja jetzt baden gehen, nicht wahr?“
Und dann sind die Mia und die Cora losgerannt, sind abgehoben, ein Stück geflogen und auf dem Wasser gelandet, obwohl sie beide kein Badezeug dabei hatten. Man hat sie als zwei grüne Lappen in den flachen Wellen schaukeln sehen. Sie lagen auf dem Rücken, die Flügel ausgebreitet, die Beine in die Höhe. Hoffentlich würden sie kein Wasser schlucken, denn das konnte lebensgefährlich werden, wenn das viele Salz in die Luftblase gelangte. Das jedenfalls hat der Karlsson vorgelesen aus seinem Prospekt.

Seht ihr, sie gehen nicht unter

Wir Jungs haben noch eine Zeitlang stumm dem Treiben zugeschaut, dann habe ich vorgeschlagen, okay, da wir schon mal hier wären, könnten wir's doch auch mal versuchen mit dem Salzbad, oder nicht? Aber der Pit wollte sich das Fell nicht ruinieren, deswegen haben wir Coras Sonnenschirm aufgespannt. Der Pit und ich sind eingestiegen und der Karlsson hat uns angeschubst, so dass unser rosa Boot ein Stück hinaus aufs Wasser geschippert ist. Das klappte gut, obwohl die Seite, wo der Pit saß, natürlich tiefer im Wasser lag als meine. Der Karlsson hat sich auf den Rücken gelegt und ebenfalls treiben lassen.
„Hey, man braucht gar nicht zu tun“, hat er gestaunt. 

Aber erst mal den Rüssel reinhalten – typisch Karlsson

Neben uns waren die Cora und die Mia am Juchzen. Bemerkenswert, wie viel Spaß man haben konnte ohne Glitzer-Bikini. Irgendwann hat der Pit ein Käsesandwich ausgepackt. Ich kriegte ein Eckchen ab. Nach einer Viertelstunde sind wir wieder am Strand gelandet. Der Karlsson hatte unser Boot mit der Hinterpfote vor sich hergetreten. Währenddessen hatten Pit und ich uns an der Stange festgehalten: Bloß nicht kentern auf den letzten Zentimetern. Auch die Mädels kamen an Land. Man darf nicht zu lange im Toten Meer bleiben, da sich sonst der heilende Effekt ins Gegenteil wandelt. Auch das hatten wir aus dem Reiseprospekt. Nachdem sich die Schwimmer ausgiebig abgeduscht hatten unter den Wasserhähnen, die dort überall herumstanden, und wir eigentlich aufbrechen wollten, kam es leider zu einer Verzögerung, weil die Mädels noch nicht fertig waren. Mit nassem Gefieder sahen sie aus wie gerupfte Hühner. Aber nackt haben sie nicht losziehen wollen. Daher mussten wir noch mal Coras Sonnenschirm aufspannen. Die Mädels haben sich dahinter versteckt, bis ihre Federn getrocknet waren und sie alles wieder an hatten.
„Watt 'n Aufstand“, ist es dem Karlsson entfahren.
Er selbst ist ganz ungeniert und völlig öffentlich getrocknet.

Im Bus zurück zum Hotel hat er mit zugeraunt:
„Das mit den Fischen und dem Toten Meer, das bringst du in Ordnung. Heute noch.“

Wir haben auf der Hotelterrasse zu Abend gegessen. Es gab Fleischmedaillons mit Reis und Salat und einen Fruchtcocktail zum Nachtisch. Eine laue Brise wehte erfrischend, die Mädels waren bestens gelaunt. Die Cora trug eine Halskette aus blauen Steinen und die Mia „Oriental Obsession“ von Roxana Vanderbuilt. Immerhin blieben die Mücken fern. Als der Pit nach den Fischboxen sehen wollte und der Karlsson mitgegangen ist, habe ich in der Hotelhalle den Luke angerufen. Er war auch sofort dran. Ich täte dringend Geld brauchen, habe ich gesagt. Wir wären versehentlich in Israel am Toten Meer gelandet statt am Roten Meer, deshalb müssten wir umbuchen, um die armen, armen Fischli doch noch freilassen zu können.
„Kannst du uns das Geld überweisen? Am besten gleich mit Eastern Transfer, damit wir keine Zeit verlieren.“

Aber so schnell hat der Angeber nicht aufgeben wollen. Erst sollte ich noch ordentlich bluten. Er war noch immer angefressen und fühlte sich erhaben. Wie blöd doch manche Leute seien, hat er geplappert, wenn sie ein R mit einem T verwechseln. Ztztzt … nicht zu glauben.
„Das warst doch du, Max, nicht? Du hast das vermurkst. Ich kenn dich doch.“
Dann hat er die Zinsen so weit nach oben getrieben (mal wieder), dass ich fast gesagt hätte, er solle sich sein bescheuertes Geld über sein Katzenfutter streuen und mich mal kreuzweise in Ruhe lassen, aber dann hätten wir in Israel bleiben müssen und das hätte Ärger gegeben mit den andern. Die Ludmilla um Geld anzuhauen wäre auch nicht gegangen, nachdem sie uns ja den Transport der Fischboxen so großzügig geschenkt hatte. Also blieb nichts anderes übrig, als dem Halsabschneider mein Einverständnis in den Hörer zu knirschen. Dafür hat er versprochen, unsere Flugkarte in Jerusalem zurücklegen zu lassen. Ferner wollte er uns ein Hotelzimmer in Sharm el Sheikh buchen.
Wo?
„In dem Ort, an den der Karlsson von Anfang an reisen wollte. Hättest du besser zugehört und nicht nur Scheich verstanden, wäre das alles gar nicht passiert.“


Als ich den andern davon erzählte, waren die Reaktionen durchwachsen. Während die Mia „Schick! Nach Ägypten!“ geschrien und in die Flügel geklatscht hat, musste die staunende Cora erst mal aufgeklärt werden, dass es sich bei dem Ort um eine Hotel-Anlage handelt, die gern und viel von Touristen besucht wird. Daraufhin war auch sie begeistert. Der Karlsson hat mich nur kopfschüttelnd angeguckt und gemeint, wenn ich besser zugehört und nicht nur Scheich verstanden hätte, wäre das alles gar nicht passiert. Vom Pit (der einen Zahnstocher mit aufgespießten Physalis vor sich hielt) kam Unverständnis über mein angeblich schlechtes Verhandlungsgeschick:
„Ja, hast du denn dem Luke nicht gesagt, dass du deine Schulden lieber abarbeiten willst? Dann hättet ihr einen Stundenlohn ausgemacht und von Zinsen wäre gar nicht erst die Rede gewesen.“

Echt jetzt, mir hing dieses Tote Meer allmählich zum Hals raus. Ich wollte heim. Es war alles doof, bescheuert und beschissen. In der Nacht hat mich die Mia vom Kissen geschubst. Auf der Stuhllehne wäre noch Platz, hat sie gemeint. Sie selbst hatte mit den andern bis zwei Uhr in der Hotelbar Cocktails gepichelt. Jetzt schliefen sie ihren Rausch aus. Mir war nicht danach gewesen. Ich hatte die ganze Zeit auf unserm Zimmer gesessen. Im Dunkeln.
„Hast du geweint?“, hatte die Cora gefragt, als sie gekommen war, um ihren Fächer zu holen.

Am Morgen nach dem Frühstück hieß es, unser Flug ginge am nächsten Tag. Ein Mister Luke aus Germany hätte das gerade telefonisch durchgegeben. Wir würden von Jerusalem nach Kairo fliegen und von dort weiter nach diesem Scheich-Dingens. Die Fischboxen allerdings würden sie schon am Nachmittag abholen. Wir sollten uns keine Sorgen machen, alles hätte seine Richtigkeit. Also bedeutete das, noch einen Tag länger mit den Idioten in dieser Einöde hocken. Boah, wie ich ihr Kopfschütteln und ihre schnippischen Bemerkungen satt hatte! Zum Baden im Toten Meer hatte niemand mehr Lust, selbst die Mädels nicht. Und nach touristischem Highlight im Umland sah es auch nicht gerade aus, hier bei den nackten Felsen.
„Doch, hier gibt es Touristenattraktionen zu besuchen“, hat der Karlsson verkündet.
Er hätte an der Rezeption gefragt. Gleich würden wir zu einem Ausflug nach Qumran aufbrechen.
Nach Qumram?
„Jaaaa, das ist doch der berühmte Ort, wo ein Hirtenjunge 1945 diese Schriftrollen gefunden hat, nicht wahr?“
Natürlich, die Cora hatte wieder den totalen Durchblick.
„Zwischen 1947 und 1956“, hat der Karlsson korrigiert. „Es waren 15.000 Fragmente und 850 Rollen, darunter die ältesten bekannten Bibelhandschriften.“
Gut, dass es auch für solche Informationen einen handlichen Touristenprospekt gab. Ohne Smartphone und damit ohne Google wäre man sonst ja ganz aufgeschmissen gewesen.

Qumram

Wir fuhren mit einer Reisegruppe im Bus die paar Kilometer durch die Felsenlandschaft nach Qumran. Dass wir angekommen waren, merkten wir daran, dass der Bus hielt und der Reiseleiter behauptete, dass wir angekommen seien. Selber gemerkt hätte ich es sonst nicht, denn die Landschaft sah auch nicht viel anders aus als die weniger berühmte drumherum. Es war heiß und sehr cremefarben. Farbtupfer gab es so gut wie keine, außer uns drei Amazonen und ein paar Touris, die rote, gelbe oder bunt gemusterte Klamotten trugen. Der Pit und der Karlsson hingegen verschwanden fast unsichtbar vor dem Hintergrund, zumindest nachdem sie eine gewisse Entfernung erreicht hatten.
„Ich such euch nicht, wenn ihr verschüttgeht“, habe ich klargestellt.

Vor uns ging es entweder tief hinab in die Schlucht oder hoch hinauf zur Felswand. Viel Abwechslung war sonst nicht zu sehen, und ich habe mich gefragt, warum man als Hirtenjunge hier herumzulaufen hatte. Weil er eine verirrte Ziege gesucht hätte, stand im Prospekt. Ja, nee, ist klar. Das würde ich auch sagen, wenn ich zum Beispiel nach einem guten Versteck suchen täte.
„Gibt's hier keinen Kiosk? Ich hab Durst.“
Die Mia hat mich wieder in die Gegenwart zurückgeholt.

Auch Qumram

Wir durften uns zwanzig Minuten auf eigene Faust umsehen. Aber mir war es zu blöd, neben den andern Deppen herumzulatschen. Ich bin weggeflogen, habe einfach Gas gegeben, geradeaus durch den Canyon, wieder zurück und mit ein paar Loopings zur Seite weg. Auf einem schmalen Vorsprung ganz oben in der Felswand bin ich gelandet. Dort war es friedlich. Unten ganz klein wie Spielzeugautos hat man die Reisebusse gesehen. Daneben die Fliegenschisse müssen wohl die Touris gewesen sein. Es war ganz still, niemand tat mich ärgern. Für ein paar Sekunden habe ich sogar erwogen, für immer dazubleiben. Aber daheim meinen Matchboxpark zurücklassen? Das hätte ich nicht übers Herz gebracht. 

Ich habe die Augen geschlossen und die herrliche Ruhe genossen. Mein rechter Fuß war gegen die Felswand gestemmt. Nanu? Was war jetzt los? Hey, die raue Oberfläche gab ja eine prima Krallenfeile ab. Und wie ich da so schabe und Pediküre betreibe, bröckelt es plötzlich neben mir. Mit den Krallen habe ich nachgepopelt. Es ging ganz leicht. Und siehe da, ein Loch tat sich auf. Ich habe reingeschaut, aber nichts gesehen. Dann habe ich mit der Hand reingelangt. Auf etwas Flaches, Trockenes, ich würde sogar sagen Knuspriges bin ich gestoßen. Schnell habe ich die Hand zurückgezogen. I gitt, was das wohl war? Ich wollte es gar nicht wissen. Womöglich ein Ablageplatz für Altpapier oder so was. Beim Hotel hatte ich jedenfalls nicht gesehen, dass sie das Altpapier sammelten und an die Straße stellten. Vielleicht erledigte man das hier anders als bei uns, schließlich war ja genug Platz vorhanden, und in der Felswand versteckt störte das Papier auch niemandem beim Bewundern der Landschaft.

Den andern habe ich nichts davon erzählt. Mir war augenblicklich jegliche Lust vergangen, als ich zurückkam und mit „Wo warst du denn so lange?“ begrüßt wurde. Unsere Reisegruppe saß schon im Bus, nur die Cora mit ihrem blöden rosa Sonnenschirm und der Pit mit einer Börekrolle in der Pfote standen davor. Ich wurde angeschnauzt:
„Eine halbe Stunde warten wir schon auf dich! Noch fünf Minuten länger und wir hätten die Rettung verständigen müssen.“
Der Gang durch den Bus zu meinem Platz war natürlich wieder ein Spießrutenlaufen. Alles schüttelte den Kopf, nur dass diesmal auch die fremden Menschen mitmachten.
„Max, du bist undiszipliniert. Du musst dich besser im Griff haben“, hat der Karlsson mich belehrt.
Er blätterte wichtig in seinem dämlichen Reiseführer herum. In Wahrheit war der Prospekt nur so dick, weil alles doppelt drin stand, einmal auf Hebräisch und einmal auf Englisch.

Am nächsten Morgen sind wir nach Jerusalem gefahren. Endlich! Ich konnte es nicht abwarten. Am Toten Meer, das war eine einzige Anklage gewesen. Aber jetzt, wo wir uns der Fischbefreiung näherten, hellte sich die Stimmung merklich auf. Im Flugzeug durfte ich mit dem Karlsson zusammen Film gucken. Er hat mir einen seiner Ohrstöpsel gegeben, den zweiten hat er sich selbst ins Ohr gesteckt. Auch die Cora hat mir mal zugezwinkert, ganz ohne Vorwurf.

Leider sind wir auch in Kairo nur bis zum Flughafen gekommen. Ohne Pause ging's weiter mit einer frischen Maschine in Richtung Süden. Die Stadt haben wir daher nur von oben gesehen. Ganz schön groß ist sie – und ziemlich voll.

Kairo

„Wie? Gehen wir nicht die Pyramiden begucken?“, hat die Mia sich gewundert.
Warum werde eigentlich nur immer ich angemeckert? Die Mia redet oft blöde Sachen, aber keinen kümmert's
„Weiber sind halt was anderes“, hat der Pit gemeint zwischen zwei Happen Dattelkompott.

Nach zwei Stunden sind wir gelandet. Ein Taxi hat uns von dem kleinen Flughafen zu unserm Hotel gebracht. Es lag direkt am Strand. Unterwegs hat man Restaurants und Bars gesehen, was auf ein reges Nachtleben schließen ließ, und das hat die Stimmung bei manchem erheblich gesteigert.
„Toll!“, hat die Mia geschrien.
„Ich glaub, mein Kopftuch brauch ich hier auch nicht“, ist es der Cora gedämmert.
Aber mir machte was Sorgen. Bemerkte das denn keiner?
„Nee, was denn?“
Schon wieder standen Felsen am Ufer herum. Diesmal waren sie ein bisschen dunkler und roter als am Toten Meer, aber Felsen waren es trotzdem. Ich glaube, das nennt man Deschawüh.

Blick von unserm Hotel in Sharm el Sheikh

„Entspann dich, Max“, hat der Karlsson gemeint. „Das Wasser ist doch wunderschön blau. Wir gehen gleich die Fische freilassen, und ob uns Felsen dabei zuschauen, ist doch völlig Wurscht. Wir wollen ja schließlich nicht klettern gehen, nicht wahr?“

Es standen aber wirklich viele Felsen herum

Unsere Fischboxen fanden wir vollzählig aufgestapelt auf unserer Hotel-Terrasse stehen. Von dort hatte man einen schönen Blick hinunter auf die Liegen und Sonnenschirme. Wir haben unsere Rucksäcke abgestellt.
„Ich geh gleich mal runter mein Handtuch auf einen Liegestuhl legen“, hat die Mia gesagt.
Doch der Karlsson hat sie angepfiffen, sie soll da bleiben, wir wären schließlich nicht zum Vergnügen hier, sondern wegen Mission. Alle mussten mit anpacken, bis wir eine der Fischboxen die Treppe hinuntergeschleppt hatten. Anschließend ging es den Strand entlang an den Badegästen vorbei, immer geradeaus, so lange, bis keine Menschen mehr im Weg standen und uns niemand mehr zuguckte. Junge, Junge mit dem Karlsson war jetzt nicht gut Kirschen essen. Verbissen ist er durch den Sand gestampft, wortkarg und mit zusammengekniffenen Augenbrauen. Keiner hat zu widersprechen gewagt aus Angst vor einem Vulkanausbruch.

Endlich hat er angehalten.
„So, hier ist eine gute Stelle.“
Ja, das stimmte. Hier war es flach und das Wasser schimmerte herrlich smaragdgrün.
„Pit, mach die Box auf.“
Wir konnten sehen, dass die Fischli noch lebten. Gott sei Dank. Gleich würde die Welt für eine Sekunde stillstehen. Der Karlsson holte einmal tief Luft, schloss die Augen, legte den Kopf in den Nacken und verharrte regungslos. Ich dachte, er würde sich jetzt bekreuzigen, aber er hat nur langsam mit der Vorderpfote die Box angestoßen, so dass sie umfiel und die Fische ins Meer schwappten. Sie schwammen sofort davon.
„Free Willy!“, hat die Mia geschrien.
Das machte den feierlichen Moment leider ziemlich kaputt, doch weil der Pit auch gerade mit einer Kekspackung geraschelt hatte, hat man die Mia deswegen nicht in Ketten legen können. Der Karlsson guckte dem schwappenden Wasser noch ein wenig nach. Dann sind wir zurückgelaufen. Gerade als wir im Hotel unsere strapazierten Füße aufs Bett werfen wollten, hieß es: „Nächste Box!“

Das war ja wohl 'n Scherz, was? Wir waren gerade erst angekommen, die Boxen waren schwer und der Weg lang und hindernisreich. Die Mia und die Cora maulten. Sie wären schließlich keine Sklaven, die Fische könnten wir auch morgen noch befreien. Aber nix da. Der Karlsson blieb unerbittlich: los, hopp-hopp-hopp! Anpacken! Pflicht erfüllen! Also haben wir uns gefügt und die nächste Box ans Wasser geschleppt. Und dann noch eine und noch eine und noch eine, bis alle dreizehn leer waren. „Free Willy“ hat jetzt keiner mehr gebrüllt und auch sonst wurde nicht viel geredet. Wir wankten nur noch wie Roboter. 

Sharm el Sheikh zur Tagesschauzeit

Inzwischen war es dunkel geworden wegen des Äquators, weil es dort ja keine langen Sonnenuntergänge gibt, sondern die Sonne immer ganz plötzlich verschwindet. So standen wir schon um sieben Uhr abends in der Finsternis. Zwar konnte man sich noch an den Lichtern der Hotels orientieren, aber inzwischen hatten wir den Weg sowieso schon so intus, dass wir ihn sogar im Schlaf gefunden hätten. Wenigstens mussten wir jetzt keine Badegäste mehr umsteuern. Die Urlauber waren weg. Unsern ursprünglichen Befreiungsplatz ganz hinten in der Bucht hat der Karlsson trotzdem beibehalten. Es war anstrengend, im weichen Sand voranzukommen. Mir taten die Krallen weh. Immer runter die Treppen, wieder rauf, eine neue Box anheben, den Strand entlang latschen, auskippen, zurück – immer der gleiche Sisyphus. Zum Schluss ist die Mia einfach im Sand sitzen geblieben. Wir haben sie auf dem Rückweg eingesammelt. Der Pit hat die leere Box am Henkel nach sich gezogen. Sie schleifte im Sand. Der Karlsson trug noch immer seinen finsteren Blick, das konnte man sogar im Dunkeln sehen. Stur wie aufgezogen hatte er am Ende höchst persönlich jede einzelne Box in die Wellen gekippt. Das muss ihm sehr wichtig gewesen sein. Wir andern haben nur schleppen dürfen.

Ich weiß nicht, um wie viel Uhr wir endlich fertig waren. Ich hatte gedacht, es hört nie auf. Jedenfalls sind wir tot ins Bett gefallen.
„Hier bleib ich liegen – für immer“, hat die Mia gehaucht.
Die Cora und ich hatten Blasen an den Füßen und der Pit Hunger. Der Karlsson hat uns Abendessen aufs Zimmer bestellt. Teller und Schüsseln wurden uns auf einem Tischchen ans Bett gerollt. Nie und nimmer hätten wir uns erheben können, um den Weg ins Restaurant zu schaffen. Nie! 

Nach körperlicher Anstrengung muss man bekömmlich essen, fand der Karlsson

Danach weiß ich nichts mehr, denn ich muss neben dem Risotto (oder Couscous, wie es hier hieß) eingeschlafen sein. Als ich am Morgen aufwachte, war es hell und mir klebten kalte Reiskörner im Nacken. Die andern waren schon aufgestanden, allerdings nicht automatisch mit bester Laune. Die Cora war untröstlich, weil sie das Fotografieren der Fischbefreiung verschwitzt hatte. Erst hatte sie vergessen, die Digicam mitzunehmen, und als es ihr eingefallen war, hat man nicht mehr viel gesehen wegen der Dunkelheit. Bei der Mia war abgesplitterter Nagellack zu beklagen. Das hatte allerdings nur eingeschränktes Bedauern zur Folge. Ich fand, der Pit wirkte auffallend gesättigt und zufrieden. Er wird doch wohl nicht doch noch heimlich zugelangt haben? Unauffällig in der Dunkelheit? Haarscharf an der Freiheit der Fische vorbei? Vielleicht hatte er aber nur gestern Nacht unsere Portionen mitgefuttert und war deshalb so voll. Man soll ja nicht immer das Schlimmste annehmen.

Der Einzige, dem es sichtlich gut ging, war der Karlsson. Er war wie ausgewechselt. Von seiner Angespanntheit war nichts mehr zu spüren.
„Konzentration, Max, Konzentration.“
Er lächelte gütig, seine Löckchen strahlten behaglich:
„Ja, das ist wahr, ich bin sehr zufrieden. Unsere Mission ist beendet. Jetzt können wir meinetwegen Urlaub machen.“

Und das haben wir dann auch getan – so gut es ging. Das Scheich-Dorf ist ja ein Ressort mit internationalem Komfort, gutem Essen, Yachten vor dem Ufer und einer faszinierenden Korallen-Welt unter Wasser, die man besichtigen kann. Aber drumherum ist halt Ursprung, Fels und Landschaft und sonst nichts. Für die Mia und die Cora, die den ganzen Tag am Strand lagen und sich sonnten, war das genug. Wir Jungs hatten es schon schwerer, Abwechslung zu finden. 

Ich glaube, es war das Schiff in der Mitte, mit dem wir unterwegs waren

Einmal sind wir mit der Yacht rausgefahren. Dabei hat sich der Pit einen Sonnenbrand geholt. Sein Ringelfell war hinten rostrot angekokelt. Danach haben wir stundenlang in Hotel Billard gespielt, weil es dort kühl und schattig war. Die leeren Fischboxen sind wir übrigens an einen Kellner losgeworden. Das Verticken für 'n paar Kröten hat uns noch mal ein paar Stunden Unterhaltung beschert. 

Später war der Karlsson auf Tauchtour mit Schnorchel durch die Riffe – ihr wisst schon, auf so einer begleiteten Schwimmübung mit Fischen, von denen es nachher heißt, sie wären soooo groß und soooo gefährlich gewesen. Tatsächlich hat er hinterher erzählt, er wäre ein paar von unsern Aquariumkumpels begegnet und sie hätte ihm zugewedelt mit der Flosse, sicherlich aus Dankbarkeit und Glück, dass es ihnen jetzt gut ging:
„Glaubt mir, nur weil Fische stumm sind, heißt das nicht, dass sie keine Gefühle haben.“

Unter Wasser soll es atemberaubend schön gewesen sein


Glaubt man gern, wenn man das so sieht


Auch Clownfisch Jerry aus dem Aquarium in Schleswig-Holstein hat sich noch mal blicken lassen

Eigentlich hätte ich noch fragen wollen, was die Fische daheim mit ihrer Inzucht davon hätten, dass sich ihre ehemaligen Mitbewohner nun im Roten Meer über ein reichhaltiges Angebot an Ehepartnern freuen dürften, aber da kamen gerade die Mia und die Cora vom Strand und wollten mit uns in die Cocktailbar gehen, und danach war mir entfallen, was ich noch hätte fragen wollen. Ja, gesoffen haben die beiden übrigens auch ganz ordentlich. Die Cora verträgt ja 'ne Menge, die Mia weniger. Zum Glück blieben nur noch wenige Tage, dann ging es schon zurück nach Hause. Schnapsleichen waren somit nicht zu beklagen.

Ich hatte dann noch viel zu tun, die Mia zu beknien, dass sie mir mit dem Geld vom Weihnachtsmann entgegenkäme. Die finanzielle Verpflichtung gegenüber dem Luke lag mir schwer im Magen, und schließlich hatten wir auf unserer Reise nachweislich allerhand kulturelle Erlebnisse gehabt, so dass Mias Argument gegen eine finanzielle Beteiligung nicht mehr zutraf. Junge, Junge, war das ein zäher Kampf. Manchmal hat die liebe, süße Mia das Temperament einer Abrisskugel mit Teflonbeschichtung. Am Ende hat sie dann aber doch das Geld rausgerückt. Es ist jetzt futsch, dem Luke in den Rachen geworfen. Schade, davon hätten wir schön zusammen in Urlaub fahren können.
„In ein Seebad vielleicht? Sonne tanken? Aufs Wasser schauen?“, hat die Cora am Telefon gefragt.
Ich wette, sie hat dabei den Kopf geschüttelt. Inzwischen habe ich ein sicheres Gespür dafür, wenn das jemand macht.

Fotos: Cora © G. H.
           Pit und Luke © Club der glücklichen Vierbeiner
           Karlsson und Polly © Terrierhausen

          Totes Meer/Salz: Ralf Steinberger/Flickr (Bild steht unter Creative Commons License)
          Totes Meer/Menschen: Mundus Gregorius/Flickr (Bild steht unter Creative Commons License)
          Sharm el Sheikh/Badestrand: Wolfgang/Flickr (Bild stehen unter Creative Commons License)
          Sharm el Sheikh/Bucht: Wolfgang/Flickr (Bild stehen unter Creative Commons License)

          Fische 1, Fische 2, Schwan, Sack, Frösche, Abflugtafel, Jerusalem 1, Jerusalem 2, Straße in Israel, Qumram 1
          Totes Meer, Qumram 2, Kairo, Sharm el Sheikh bei Nacht, Couscous, Bucht, Unter Wasser 1, Unter Wasser 2, Unter Wasser 3: Pixabay

© Max: Papageiengeschichten 

Montag, 10. Juni 2019

Putengeburtstag (Update)


Die Mia wird heute ...
Na, errät es jemand?
Ich verrate nur so viel: 
Sie darf nicht mehr auf Kinderfahrkarte fahren, sie bekommt aber auch noch keinen Seniorenteller.
Ihr Alter ist nicht durch 12 teilbar, und hinten ist keine Zahl mit Rundung.
Na, jetzt ist es doch einfach, oder?

Und dann hat heute noch jemand Geburtstag (keine Pute):
die Mama vom Pit, vom Luke, von der Amy, vom Jack, von Lütti, von Spooky, von Marina und von Abbatini (die letzten vier sind die Pferde).
Herzlichen Glückwunsch, Tante Susanne.
Ich wünsche dir ein tolles neues Lebensjahr.

Euer Max 💪

Mittwoch, 5. Juni 2019

Unser Lockenfreund ...


... hat heute Geburtstag.



Herzlichen Glückwunsch, lieber Karlsson.
Du wirst heute zehn. 
Dazu gratulieren wir dir herzlich.
Bleib spaßig und entspannt.

Dein Max und die Mia


Und dann hat der Karlsson zwei Fotos geschickt zum Beweis, dass man mit zehn noch fliegen kann: 


Ja, okay, bei den Hinterbeinen gibt's 'nen halben Punkt Abzug wegen Haltungsnote.
Und du wirst doch wohl nicht vom Trampolin gesprungen sein?

Aber sonst ...


... hepp!
Punktlandung!

Alle Achtung. 
Das soll dir erst mal einer nachmachen. 

Fotos: Terrierhausen 
© Max: Papageiengeschichten