Dienstag, 6. April 2021

Wir sind furchtlos und brauchen das Geld (Teil 3)

Beim dritten Fotoshooting war es schon Mittag. Nun aber hurtig, damit wir rechtzeitig fertig würden. Ungeachtet dessen kam der Pit wieder mit dem Servierwagen hereingeschoben, diesmal mit dem Mittagessen: Gulaschsuppe mit Baguette, Schnitzel, bunter Salat und Tiramisu. Ein anerkennendes „Aaah“ ging durch die Reihen der Fotoleute. Nur der Luke hat böse geguckt. Und dann hat er auch noch verkündet, dass er jetzt dringend zu einem Kunden müsse, ist auf dem Hacken umgedreht, zur Tür rausstolziert und hat obendrein den Lütten mitgenommen. Wer sollte nun in der Küche das Geschirr in die Maschine räumen? Und was wäre jetzt mit der vertraglich zugesicherten Modelvielfalt? Letzteres interessierte den Fotografen, allerdings auch nur den. Ihm quollen schon wieder die Adern aus dem Hals. Er solle sich nicht so aufregen, hat die Polly leise zur Amy gesagt, sonst könne er seine dämlichen Deckel selber aufsetzen, wir seien doch keine Sklaven! Mir kam der Verdacht, dass die Polly der kommerziellen Kunst noch immer nichts abgewinnen konnte.

Den kannten wir inzwischen richtig gut
 
Sie hat dann auch nicht mitgeholfen, den Paule zu suchen, als jemandem eingefallen war, dass wir ihn ursprünglich mitgenommen hatten. Ja, wo steckte der Kerl? Seit der Hecke am Morgen vor dem Haus hatte ihn niemand mehr gesehen. Und natürlich war er kein einziges Mal abgepudert und vor die Leinwand befohlen worden. Ihn hatte man schlichtweg vergessen. Das wäre auch weiter nicht schlimm gewesen, wenn der Fotograf jetzt nicht so eine Thermik gemacht hätte und wir nicht unter Stress geraten wären, einen Ersatz für den Luke und den Lütten zu stellen. Alles schwärmte aus, was nicht gerade zum Shooting an der Reihe war.

Ich sage es gleich: Im Haus, im Schuppen und Stall haben wir den Paule nicht gefunden, dafür aber die Lütti. Sie musste mitkommen für die Strohhut-Präsentation. Erst hat sie sich gesträubt, weil sie keine Lust hatte, sich zwischen all die Leute ins enge Wohnzimmer zu quetschen, dann aber war sie doch bereit, als der Fotograf meinte, das sei jetzt auch schon egal, für den Strohhut würde er ausnahmsweise vor die Tür kommen. So stand dann die Lütti im Vorgarten, eine Assistentin hat die braune Leinwand gehalten, eine andere das komische Reflexionsdingens, das die da immer benutzen, und der Fotograf (der nun bedeutend leiser schrie) ist mit der Kamera vor ihr herumgeturnt. Mit Mimik war nicht so viel beim Pferd, aber die Lütti hat hübsch stillgehalten und am Ende strahlt das Foto eine würdige Eleganz aus, finde ich.

„Kann ich jetzt wieder gehen?“, hat sie gefragt und ist mit einem großen Satz über die Blumenrabatte gesprungen, nachdem die Bilder im Kasten waren.
Die Hufabdrücke im Rasen und die Spuren von dem Getrampele der Crew hat der Pit später den Hausherrinnen damit erklärt, dass ein Ufo im Vorgarten gelandet sei, das leider zu spät gesichtet werden konnte, um den Schaden abzuwehren, doch wenigstens habe man die Insassen am Aussteigen hindern können, bevor sie wieder weggeflogen seien.
 
Wir andern haben unterdessen die Suche nach dem Paule fortgesetzt. Das Rufen der Cora verursachte dem Fotografen schmerzverzerrtes Betasten der Schläfe, weswegen sie es bleiben ließ. Sogar auf der Koppel haben wir nachgeschaut – nichts. Ich bin dann mit dem Karlsson die Straße runtergelaufen, das heißt, er ist gerannt und ich habe aus der Luft geschaut. Auf einem Nachbargehöft habe ich endlich was Eigelbartiges entdecken können. Drum herum war es grün mit einem bunt aufgefächerten Schwanz, also konnte es sich nur um den Paule handeln. Und tatsächlich hockte er auf einem Zaunpfosten im Hof und gockelte vor den Gänsedamen, die dort wohnten. Was meint ihr, was ich dem erzählt habe! Er gibt hier den Gigolo, während wir im Studio von dem wild gewordenen Fotoheini niedergemacht werden. Er solle sich was schämen, im Übrigen sofort mitkommen und seine Pflicht erfüllen. Das fand auch der Karlsson. Böse angefunkelt hat er ihn und von Tierehre gemurmelt und von gänzlich ungeeignet für sozialpolitisches Engagement. Ich glaube, die beiden trennt mehr als eine silberne Schärpe.
 
Klagen sind uns Gott sei Dank nicht gekommen
 
Nun, am Ende hat sich der Paule ganz gut geschlagen vor der Leinwand, und der Fotograf hat sich genauso schnell wieder beruhigt, wie er sich aufgeregt hatte, nachdem ihm auch dieser (ja, wir wissen) vertraglich vereinbarte Ersatz zugeführt worden war und er seine Arbeit endlich beenden konnte. Wir als Models haben unseren Part erfüllt, das ist schon mal klar. Zehn Kreuze, dass dieses Gepudere und Gezerre endlich vorüber war. Manche Hüte waren echt unbequem. Nur die Mia zog einen Flunsch. Sie wäre gern noch weiter auf dem Schemel herumgerutscht und hätte die Beine in die Luft geworfen. Andererseits glühte sie vor Stolz, dass sie uns all die Kohle herangeschafft hatte. Wie viel es genau ist, wollte sie noch immer nicht verraten. Im Flur auf der Kommode unterschrieb sie dem Fotografen ein Papier. Das Geld ist ihr später aufs Konto überwiesen worden. Die Mia unterhält ja ein geheimes Konto, von dem die Putze nichts weiß. Weil sie schon 18 ist, darf sie das. Ich werde auch bald 18. Dann eröffne ich ein Kundenkonto bei Matchbox und lege mir auch ein geheimes Girokonto zu, jawohl!

Aber ehe auch wir uns ebenfalls verabschieden konnten, mussten wir aufräumen. Die Crew hatte blitzschnell alles eingepackt und im Van verstaut: alle Requisiten, die Leinwände, die Scheinwerfer, die Kosmetikkoffer und natürlich die ganzen Hüte und Mützen. Gerade dass wir die Menschen noch hatten dazu anhalten können, wenigstens die Couch, die Essecke und die Dekovasen wieder an den ursprünglichen Platz zu räumen. Dann waren sie weg und wir hatten die restliche Spurenbeseitigung an der Backe. Glücklicherweise waren gerade rechtzeitig der Luke und der Lütte zurückgekehrt. Die Amy bediente den Staubsauger, die Cora und ich kümmerten uns ums Geschirr, die Polly verpackte oder entsorgte das übriggebliebene Essen, der Paule sammelte Papierschnipsel von der Fußmatte und lüftete, der Karlsson befreite die Tischplatten vom Puder, der Lütte klaubte die Krümel vom Sofa und kratzte Gulaschsuppe aus den Kissen, der Pit feudelte die Fußböden, die Mia kämmte die Teppichfransen und hängte im Gästeklo frische Handtücher auf, und der Luke überwachte alles mit professionellem Überblick, damit wir auch nichts vergaßen. Eile war geboten, denn gleich würden Tante Susanne und Lisa zurückkehren.

Und dann wäre es fast passiert. Jemand hörte ein Auto vorfahren.
„Schnell! Schnell! Lisa kommt!“, hat der Pit gerufen.
Wir grabschten unsere Rucksäcke oder was wir dabei hatten und huschten zur Hintertür. Dort legte der Luke die rechte Pfote auf den Mund und machte „Psst!“, während wir alle darauf lauschten, dass in der Haustür das Schloss knacken würde. Als es so weit war, hat der Luke die Hintertür aufgemacht und uns im Gänsemarsch ums Haus herum zur wohlbekannten Hecke geführt. Dort haben wir angehalten und vorsichtig geschaut, ob sich was Bemerkenswertes an der Vorderfront täte. Das war aber nicht der Fall, weil der Jack und die Amy drinnen damit beschäftigt waren, die Lisa am Rausgucken zu hindern. Also haben wir uns leise verabschiedet und sind auf schnellstem Weg die Straße langgelaufen. Wir mussten ja damit rechnen, dass uns unterwegs Tante Susanne im Auto begegnen würde. Sicher hätte sie sich gewundert, was wir hier wollten, weil sie uns doch kennt (oder zumindest die meisten von uns). Glücklicherweise waren wir gerade ins Taxi gestiegen, das der Pit inzwischen bestellt hatte und das am Seitenstreifen auf uns wartete. Puh, noch mal Schwein gehabt. Wir duckten uns vorsichtshalber, aber ich glaube, Tante Susanne hatte sowieso nicht auf das Taxi geachtet.

Später hörten wir vom Pit am Telefon, dass die beiden Hausherrinnen tatsächlich nichts von dem Fotoshooting mitgekriegt haben. Unsere Aufräumaktion war also erfolgreich gewesen. Nur dass es im Wohnzimmer ziemlich penetrant nach Apfel, Zimt und Rosenblättern gerochen habe, sei verwundert bemerkt worden. Aha, natürlich die Cora. Das nächste Mal soll sie gefälligst das Parfüm weglassen und auch nicht dauernd nachspühen, um den Fotografen zu umschwänzeln. Aus diesem Grund hat die Amy lügen müssen, sie habe sich Flavor Drops bestellt und damit auf dem Sofa experimentiert. Den vielen Müll von Pits kulinarischer Gastfreundschaft übrigens, der uns hätte ebenfalls verraten können, haben der Luke und der Jack beim Nachbarn in die Tonne geworden. Siehst du, Cora? So geht Mitdenken.

Am Abend waren wir alle wieder zu Hause, außer dem Paule und der Cora, die ja noch ganz bis Duisburg fahren mussten. Ich war fix und fertig. Mir war so, als drückte noch der harte Rand der letzten Mütze auf dem Schädel. Modeln ist enorm anstrengend, vor allem wenn man anschließend hinter den Leuten herräumen muss. So schnell brauche ich das nicht wieder. Aber, hey, wir hatten jetzt Kohle für einen schönen Urlaub verdient. Vielleicht dürfen wir ja bald mal wieder verreisen. Im Sommer?

Ach, jetzt hätte ich fast vergessen, euch das Ergebnis der dritten Shootingrunde zu zeigen. Na, waren wir nicht gut? Als Bonus gibt es noch eine kleine Auswahl vom Karlsson allein.

 

 
 

 
Gestrahlt hat er unaufhörlich, der Karlsson, geradezu beängstigend hartnäckig. Deswegen hat er vom Fotografen als Einziger (und nicht die Mia) eine kleine Fotomappe zugeschickt bekommen mit all seinen Bildern. Der Fotograf muss den Karlssons sehr gemocht haben, und der Karlsson freut sich über seinen exquisiten Kopf. Nur das letzte Bild der sechs Beispiele gefällt ihm nicht. Darauf sollte er nämlich ausnahmsweise mal ernst schauen, um die Würde des Zylinders herauszuarbeiten. Auch hatte man ihm die orangefarbene Signalweste aufgenötigt, sicher aus Gründen des künstlerischen Ausdrucks. Also ich finde das Foto sehr gelungen, aber der Karlsson meint, darauf sehe er ja aus wie ein Droschkenkutscher, nicht wie ein Gutsherr.  Ooooch ...


 Fotos: Cora und Paule: © G. H.
            Pit, Lütti und Amy: © Club der glücklichen Vierbeiner
            Karlsson und Polly: © Terrierhausen

            Fotograf, Gänse: Pixabay
            ALLE Kopfbedeckungen: AlLes: Pixabay

© Max: Papageiengeschichten