Mittwoch, 6. Mai 2020

Down Under




Immerhin, wir saßen im Flugzeug – sogar auf vier Sitzen, nicht wie sonst auf zwei. Das lag an der Polly, die diesmal mit war und die unbedingt am Fenster sitzen wollte.
„Wenn ich schon alles bezahle, dann will ich auch was sehen“, hat sie gesagt.
Neben ihr hockten die Cora und die Mia, beide mit nagelneuen Rucksäcken versehen, ihr wisst schon, solchen aus dünnem Stoff, die aussehen wie Turnbeutel, aber mit aufgedrucktem Spruch und mit Kordeln zum Umhängen. Auf Mias stand „Wir kommen“, auf Coras „Hello from Duisburg“. Mich hatte schon gewundert, dass die strenge Polly das durchgehen ließ, wo sie doch den Reiseplan detailliert ausgearbeitet hatte und bereits durchblicken ließ, dass sie auch sonst keinen Widerspruch und keine Abweichung dulden würde. Außerdem saßen wir in der 1. Klasse und da benimmt man sich nicht wie 'n Backpacker, schon gar nicht mit so albernen Stoffbeuteln. Was denn nun? Rucksacktourist oder Girlie-Vamp?
„Habt Ihr die Reisetipps aus der „Tussi“?, hat die Polly gefragt.
Hihihi, ich hätte mich wegschmeißen können, wie augenblicklich Ruhe auf der Hühnerbank herrschte. Das laute Geschnatter wollte danach erst mal nicht wieder in Gang kommen.

Uns Jungs hat so was Lächerliches wie Reiseaccessoires natürlich nicht interessiert. Wir saßen auf den beiden Sitzen in der Reihe davor. Abgesehen davon, dass der Pit unentwegt Pistazien futterte (aus einem Beutel von zu Hause mitgebracht) und der Karlsson mir beim Schlafen dauernd seinen Schwanz um die Hüfte feudelte, hatten wir eine gute Zeit mit einem spannenden Actionfilm im Kino und vielen männlichen Pausen, wo niemand sprach und keiner gezwungen war, sich Überflüssiges anzuhören.

Jetzt befanden wir uns kurz vor Melbourne. In Doha, der Hauptstadt von Katar, waren wir zwischengelandet zum Auftanken. Von Frankfurt nach Melbourne sind es nämlich über 21 Stunden Flug, und so lange kann kein Flugzeug ohne Treibstoff in der Luft bleiben. Wir schrieben den 27. Dezember morgens nach Sonnenaufgang. Aufgebrochen waren wir also am zweiten Weihnachtstag, schön artig, wie es sich gehört, nachdem wir Heiligabend und den Braten am Tag darauf mit unseren Familien geteilt hatten. Nun lagen sowohl alle Verpflichtungen als auch der trübe deutsche Winter hinter uns und wir freuten uns auf spannende Tage in Australien. Dort war jetzt Sommer. Die Polly hatte festgelegt, dass wir in Melbourne beginnen.

Melbourne
 
Ach, noch was muss ich rasch erwähnen: Da in Australien Heimtiere nicht einreisen dürfen, ohne wochenlang in Quarantäne zu gehen, und wir dazu keinerlei Lust verspürten, hatten wir den Luke einspannen müssen, damit er uns den Status als Geschäftsreisende beschaffte. Daher waren wir nun offiziell die Belegschaft des holsteinischen Schädlingsbekämpfungsunternehmens „Ex & Hopp“ auf der Reise zu einem Erfahrungsaustausch mit australischen Geschäftskollegen. Alles stand fein säuberlich in den Papieren: Der Pit konnte Geschäftsführer bleiben, die Polly fungierte nun als Controlerin, die Cora als Assistentin der Geschäftsleitung, die Mia als Telefonistin (wie passend!), der Karlsson als Laborleiter für die verwendeten Pulver und Sprays (was ihm als engagierter Tierbefreier absolut nicht recht war), und ich war der Facility Manager der Firma. Keine Ahnung, was das bedeutete, aber es hörte sich gut an.

Dem Luke muss man zugute halten, dass er uns diesen Service ohne jegliche Mätzchen (und Bezahlung) überließ. Andernfalls hätten wir nicht einreisen können. Er selbst war wieder nach Malibu aufgebrochen zu seinem Küstengestarre als Baywatch. Das lieferte uns Gott sei Dank das nötige Argument, um die Amy daheim zu lassen, denn vier Weiber bei nur drei Männern, das hätte uns Jungs das Genick gebrochen. Obwohl die Polly sehr auf Amys Anwesenheit gepocht hatte, war sie am Ende zum Einlenken gezwungen, nachdem der Pit ihr auftragsgemäß (und übrigens sehr professionell) wiederholt am Telefon vorgejammert hatte, dass die Amy auf keinen Fall mit dürfe, weil sonst niemand zu Hause den Geschäftsbetrieb aufrechterhalten könne, denn es war ja sonst niemand mehr da außer dem Lütten, und der ist noch in der Ausbildung.
„Na gut“, hatte die Polly sich schließlich gefügt. „Dafür spendiere ich der Amy einen Wellness-Urlaub in Binz und ihr andern macht in Australien, was ich sage -­ ohne Widerrede und ohne Gemecker.“
Um ehrlich zu sein, hatte ich damals schon geahnt, dass anstrengende Tage auf uns zukämen.

Aber jetzt waren wir erst mal in Melbourne gelandet. Trotz 1. Klasse endlich mal die Beine vertreten, herrlich. Wow, strahlend blauer Himmel, angenehme 21 Grad.
„Ja, hier unten an der Ostküste herrscht mediterranes Klima“, hat die Mia gesagt.
Das hatte sie wohl auch im Tussi-Reiseführer gelesen.

Vor dem Flughafen wartete bereits eine Limousine auf uns: schwarz, sehr schick und natürlich mit Klimaanlage, zwar nicht so toll wie die in Malibu, aber immerhin. Die Augen der Mia leuchteten. Wir dachten, es ging ins Hotel.
„Nö“, hat die Polly gesagt. „Wir fahren direkt weiter, keine Zeit verlieren.“
Und so fuhren wir los, die so genannte Great Ocean Road entlang, immer nach Süden, direkt an der Küste mit Blick aufs Wasser – und das noch auf der falschen Seite. Linksverkehr nennt sich das.

Blick von der Great Ocean Road: Hier badete wohl niemand

Wirklich sehr schön, was wir zu sehen bekamen, aber allmählich schliefen mir die Füße ein.
„Mir auch“, hat der Karlsson geflüstert.
Der Pit vermisste das Barfach mit den Erdnüssen. Die Mia hat gleich mitgegrabbelt in den Klappen und Netzen an den Sitzseiten. Was suchte sie da? Den Schampus zum Anstoßen?
„In Malibu gab's Catering“, hat sie leise gemeckert.
Die Polly hat es trotzdem gehört:
„Du kannst ja aussteigen, wenn's dir hier zu gewöhnlich ist“, kam als Antwort.

Wir zogen die Köpfe ein. Oh-oh, nur jetzt keinen Streit riskieren, denn die Polly verwaltete das Budget und die Limousine war privat gemietet. Man konnte auch sagen, dass wir auf Gedeih und Verderb der Polly ausgeliefert waren. Mitten in der Pampa wollte daher niemand aussteigen. An den Ortschaften unterwegs fuhren wir vorbei. Dort hätten wir schön einkehren können. Doch nichts da, die Polly starrte mit zusammengekniffenen Augenbrauen aus dem Fenster. Der Fahrer gab Gas.

Trotzdem kamen wir irgendwann zum Stehen. Der Fahrer, der sich nun als Touristenführer entpuppte, lud uns ein, an den Straßenrand zu treten und inmitten der Wellen Delfine und Wale auszumachen. Er reichte uns Ferngläser. Der Karlsson äußerte sich als Erster:
„Ich seh nichts.“
Doch, dort hinten, links ... noch weiter links, die weißen Striche, die sich bewegen. Da … da … jetzt hüpfen sie! Das sind Delfine.
„Nöö.“
„Genau. Da ist nix“, habe ich bestätigt.
„Kann ich auch nicht sehen“, hat der Pit hinzugefügt.
Die Cora humpelte auf einem Bein und schlug dazu heftig mit den Flügeln: Muskelkrampf. Die Mia hielt das Fernglas verkehrt herum.
„Jetzt ist aber Schluss!“, hat die Polly gebrüllt. „Wenn ihr hier einen auf Revolte macht, kann ich gern umkehren. Dann fliegen wir zurück nach Hause. Mit solchen säuerlichen Hackfressen wie ihr habe ich keine Lust auf Urlaub.“

Wir stiegen wieder ein. Niemand traute sich um eine kleine Wanderrunde zu bitten, dabei schrien unsere Beinmuskeln geradezu nach Bewegung, schließlich hockten wir schon seit gut einem Tag auf dem Hintern.
„Ist die immer so?“, habe ich den Karlsson unauffällig gefragt.
Er rollte mit den Augen:
„Na ja, Geld macht halt manchmal etwas humorlos und die Polly ist verreisen nicht gewohnt.“
Okay, das leuchtete ein: untrainiertes Östrogen. Wollen wir hoffen, dass sich die Polly bald entspannte.

Ausgiebige Gelegenheit dazu erhielt sie an unserm ersten Reiseziel, einem kleinen Hotel ein paar Kilometer im Landesinnern. Endlich! Wir quälten uns seufzend aus den Sitzen. Der Karlsson und der Pit fingen sofort mit den Selbsterhaltungsmaßnahmen an: energisches Dehnen und Strecken, gefolgt von einem leichten Trab um den Parkplatz herum. Die Mia, die Cora und ich sind ein paar Runden geflogen. Unten konnte ich die Polly sehen, wie sie erhobenen Hauptes dem Eingang zustrebte. Als wir später dazustießen, saß sie im Speiseraum vor einem hübsch gedeckten Tisch. Oh, wie schön, sie hatte bereits das Mittagsessen bestellt. Wir langten zu. Es gab Steaks (sehr zur Freude vom Karlsson, der seit dem fleischlosen Ägypten unter Panikattacken litt), Pommes, Salat und eine süße Pampe zum Nachtisch, die wir nicht kannten, die aber sehr lecker schmeckte. Unsere Geister erwachten wieder. Der erste Toast ging zu Ehren der Polly, der zweite Toast zum Dank an die Polly und der dritte Toast als Hoch auf die Polly. Mineralwasser stand ja genug auf dem Tisch.

Das versöhnte mit manchem

„Na?“, hat die Mia zu unserer Gönnerin gesagt „Siehst du wohl, wir sind ganz verträgliche Leute. Man muss uns nur gut füttern. Und scheuchen sollte man uns auch nicht. Dann sind wir ganz geschmeidig.“
„So?“, kam als Antwort.
Die Polly guckte uns starr an, einen nach dem andern.
„Dann ist's ja gut, wir machen nämlich jetzt einen Ausflug.“
„Wie? Jetzt?“
Eigentlich hatten wir uns auf einen gemütlichen Nachmittag in der Hotellobby gefreut. Ich wollte mit den Jungs Karten spielen. Die Cora und die Mia hatten duschen und Pediküre auf dem Programm. Stattdessen kriegten wir vorgeführt, wie weit es mit der Entspannung bei der Polly noch her war. Wohin sollten wir überhaupt aufbrechen?
„In den Eukalyptuswald, Koalas besichtigen.“

Tatsächlich, jetzt, wo sie es sagte, fiel mir das viele Grün um uns herum auf. Es hatte so gar nichts von der knochigen Küste. Unser kleines Hotel lag inmitten eines Ressorts und die Einnahmen aus dem Tourismus flossen in ökologische Projekte. Das las uns der Karlsson aus dem Hotelflyer vor. Die Sache mit dem Naturschutz erfreute ihn, er strahlte über alle Locken. Die Cora fand Koalas süß und schlug sich daher überraschend auf Pollys Seite. Daraus resultierte eine doppelte Speerspitze, die sich nun, mit einer kleinen Wanderkarte versehen, in die Vegetation begab, gefolgt von einem Häufchen Fußgänger, das sich aus uns übrigen Befehlsempfängern zusammensetzte. Wir marschierten ohne Dschungelführer. Hoffentlich hatte das seine Richtigkeit. Wenigstens waren beschriftete Pfade zu sehen. Die beiden Feldherrinnen gaben ein ordentliches Tempo vor. Wir drangen tiefer und tiefer in den Wald. Die Mia guckte säuerlich, weil ihr die Freundin vorübergehend aus der Symbiose gelaufen war.

„Was ist?“, kam es von vorn geschrien. „Ich dachte, ihr wolltet euch die Füße vertreten? Nun aber mal zack-zack hier!“
Zu diesem Zeitpunkt war ich endgültig überzeugt, dass es eine gute Entscheidung war, den Urlaub zu nutzen, um die Polly unter die Haube zu bringen. Sie sollte einen Dingo kennenlernen. Zwar waren wir nicht über Einzelheiten unserer Etappen informiert, doch die grobe Reiseroute war uns bekannt, und so würde bald unsere Chance kommen, die Polly abzugeben. Bestimmt würde sie aufgrund unserer liebevollen Intervention ihren Traumhund finden und liebend gern hierbleiben. So zumindest hatte es der Karlsson angeregt, und so fand ich es nun auch gut und notwendig. Ich verstand jetzt, warum der Karlsson diesen Vorschlag gemacht hatte. Ich beneidete ihn darum; ein weiberfreies Zuhause würde ich auch gern haben.

Selbstverständlich hatten wir der Polly nichts davon verraten, sonst wär's ja kein Geheimplan gewesen. Die Mia und die Cora hatten die Vorbereitungen schon zu Hause erledigt. So würde es noch ein paar Tage und etliche Tausend Kilometer nordostwärts dauern, bevor wir die Polly zum vereinbarten Treffen lotsen könnten. Erwartungsgemäß fanden die beiden Hennen das romantische Arrangement voll niedlich und waren mit Feuereifer dabei. Was sie aber nicht wussten, war, dass wir Jungs heimlich eine zweite Verkupplung für die Cora arrangiert hatten, zwar an einem andern Ort, aber auch sie sollte ihren Traumprinzen finden und in Australien bleiben. Es wurde langsam Zeit für die alte Jungfer. Ich hatte an einen Brillenpelikan gedacht, doch der Pit und der Karlsson waren für einen Kakadu, weil er häufiger in Australien anzutreffen ist und damit die Erfolgschancen erhöhte.

Wenn ich mir jetzt das Gebrülle der Polly und der Cora von dort vorn aus dem Befehlsstand anhörte, dann war ich mir sicher, dass wir Jungs ein mildtätiges Werk verfolgten. Manchen Frauen tut es einfach nicht gut, wenn sie keinen Mann haben.

Nach einer endlosen Latscherei sind wir plötzlich auf unsere Speerspitze aufgelaufen. Neben dem Wanderweg standen die Polly und die Cora mit eingeknicktem Hintern halb in einem Eukalyptusgebilde und starrten durch die Blätter in dir Höhe.
„Psst!“, haben sie gemacht, als wir näher kamen.
„Was ist?“
„Da! Ein Koala!“
Jetzt glotzen auch wir nach oben.
Das Kerlchen schien uns nicht zu bemerken. Es schlief in einer Astgabel. Auf dem Bauch hielt es ein Kleines.

Keine Chance für Gipsbettvertreter

„Toll ...“, hat die Mia gehaucht.
„Kenn ich aus der Chipstüte“, hat der Pit gemeint.
„Ach, du wieder, immer nur an essen denken.“
Der Karlsson gähnte: Ob wir jetzt zurückgehen könnten, ja? Der Vollzug der Mission, die Koalasichtung, sei ja nun bestätigt und ihm würde es allmählich nach einem Nachmittagsimbiss gelüsten.
„Au ja!“, haben der Pit und ich gleichzeitig gerufen.
Dadurch ist die Koala-Mutter aufgewacht und langsam über die Äste davongeklettert. Vorwurfsvolles Kopfschütteln wurde uns zuteil, diesmal von allen drei Weibern.
„Was ist?“, habe ich gefragt. „Wie lange hättet ihr denn noch glotzen wollen? Der Koala wäre bestimmt nicht heruntergekommen und hätte euch seine Instagram-Adresse gegeben.“
Der Karlsson hat gekichert, aber die Mia fand das gar nicht komisch. Ihr war vom Schrappen über den Waldboden der Nagellack von den Krallen geplatzt.

In lockerer Schwarmformation ging's zurück zum Hotel. Wenigstens wurden wir jetzt nicht mehr angetrieben, denn die Cora und die Polly hatten sich zu uns gesellt, ohne das Tempo an sich zu reißen. Erleichtert sind wir in die Sitzpolster der Hotelterrasse gefallen. Ein Ober brachte Tee und eine Etagere mit Törtchen und Gurkensandwiches. Das hatte man von der englischen Kultur übernommen. Australien war ja mal eine britische Kolonie.
„Kann ich ein Steak auf mein Gurkensandwich haben?“, hat der Karlsson gefragt.
Der Pit bestellte einen Bratfisch:
„Die Gurkenscheiben können Sie vorher runternehmen.“

„So was sind wir gewohnt“, hat die Mia tröstend der Polly die Krallen auf die Pfote gelegt, als diese entsetzt die Augen aufriss. Offenbar war sie wenig erfreut über die rohe Entweihung des stilvollen Nachmittagstees. Dabei war es längst noch nicht fünf Uhr. Sie selbst knabberte graziös an einer der labbrigen Weißbrotecken und tupfte sich anschließend an der Serviette den Mund ab, indem sie ein paar Mal mit der Schnauze auf den Tisch aufstupste. Der Pit und der Karlsson haben unbeeindruckt weitergefuttert. Manchmal rülpsen Männer auch, aber das haben wir gelassen, weil wir die Polly nicht überfordern, sondern langsam an uns gewöhnen wollten.

Gerade als ich das Kartenspiel auf den Tisch legte, erschien der Limousinenfahrer und meldete, dass es Zeit sei.
Zeit wofür?
„Zur Weiterfahrt“, hat die Polly informiert. „Packt euren Kram zusammen, wir kommen nicht zurück.“
Ehrlich gesagt, haben wir ziemlich blöd aus der Wäsche geguckt. Schon wieder im Wagen sitzen, wo sich der Hintern durch die Koala-Wanderung doch erst leidlich erholt hatte? Und wieso diese Eile? Waren wir hier auf Tournee oder im Urlaub?
„Weil die zwölf Apostel in der Dämmerung am schönsten sind“, hat die Polly gerufen. „Und nun zügig aufschließen, meine Herrschaften, hopp-hopp!“

Beim Einsteigen hörte ich den Pit flüstern
„Will die jetzt mit uns in die Kirche?“
„Nein“, hat die Cora richtiggestellt. „Die zwölf Apostel sind eine Felsformation an der Küste, eines der meistfotografierten Wahrzeichen des Landes.“
Sie musste es ja wissen, denn sie war ja schon mal in Australien. In mir machte sich Erleichterung breit. Ich kriege immer ein mulmiges Gefühl, wenn es mit dem Pit in eine Kirche gehen soll.

Die zwölf Apostel

Aber an der Aussichtsplattform gab's nichts zu meckern. Wir hatten freie Sicht, obwohl noch etliche andere Touristen herumstanden. Die Cora machte Fotos. Der Karlsson und die Polly lehnten mit den Vorderbeinen am Geländer und hatten die Schnauze auf den Handlauf gelegt. Ich muss schon sagen, was die Landschaft betraf, hatte man uns nicht zu viel versprochen.
„Das gibt einen wunderbaren Bildschirmschoner“, fand der Pit.
Die Felsen sind aus Kalkstein und bis zu 60 Meter hoch. Die Form hat das Wasser gemacht. Eigentlich sind es auch nicht zwölf, sondern nur acht Felsen, doch wer zählt schon nach? Die Cora wusste hinzuzufügen, dass die Dinger früher „Sau und Ferkel“ hießen. Na, da war der Gedankensprung zu den Aposteln aber gewaltig.

Als wir weiterfuhren, war es bereits dunkel. Kein Wunder, denn wir befanden uns ja südlich des Äquators. Irgendwann sind wir in eine große Stadt gekommen. Man merkte es an den Straßenlaternen und daran, dass wir an einer noblen Hotelauffahrt hielten. Es hieß, wir seien in Adelaide angekommen. Mir war es egal, ich war hundemüde. Auch die andern sind gleich aufs Zimmer gegangen. Ins Restaurant wollte niemand noch so spät – außer dem Pit und der Polly. Ich weiß nur noch, dass ich kurz aufgewacht bin, als die beiden zurückkamen. Der Pit hat sich gleich zu uns aufs Bett gelegt. Die Polly hat noch in ihrem Notizbuch die Etappen abgehakt.
„Weicheier“, hörte man sie schimpfen.
Jetzt freute ich mich richtig darauf, ihr mit der Kralle in die Flanke zu pieksen, sobald sie schnarchen würde. Ich glaube, ich habe die ganze Nacht darauf gewartet.

Am nächsten Morgen fühlte ich mich etwas gerädert. Die Mia hatte bereits ihre verunglückten Lackkrallen in Ordnung gebracht. Das Frühstück war eingenommen, nun folgte das Strammstehen zum Empfang des Tagesprogramms. Da Adelaide eine Großstadt mit über einer Millionen Einwohnern ist, standen die Chancen gut, dass wir uns ein paar urbane Highlights ansehen würden. Besonders die beiden Hennen hofften auf einen kleinen Abstecher zu den Schaufensterauslagen. Ihre Turnbeutel hielten sie schon gesattelt. Dem Pit stand der Sinn mehr nach dem Studium der lokalen Supermarktangebote (notfalls auch in Marktform), und der Karlsson und ich hätten uns gern mal informiert, wie es um die hiesige Tierbefreiungszene stand. Doch danach zu fragen, haben wir uns alle nicht getraut.

So nahmen wir entgegen, was die Polly für uns ausgesucht hatte:
„Wir fahren eine Opalmine besichtigen. Die südaustralische Opalindustrie vor Adelaide ist berühmt. Aber zuvor machen wir einen Abstecher zu den Adelaide Hills. Dort werden wir erst spazieren gehen, dann Mittagessen und dann ein Weingut besichtigen.“
Okay, also wieder nichts mit Großstadt.
„Wenn ich hätte wandern wollen, wäre ich in die Lüneburger Heide gefahren“, hat der Karlsson beim Einsteigen gesagt.
Es folgte allgemeines Kopfnicken. Nur die Polly hatte nichts gehört, weil sie draußen mit dem Fahrer sprach.

Spaziergang in den Adelaide Hills

Man fährt erst eine Zeitlang sehr waagerecht, bevor sich eine Gebirgskette auftut. Dort hielt unsere Limousine an und wir mussten zu Fuß weiter. Das Wetter war okay, so um die 22 Grad, der Himmel zeigte sich von herrlichem Blau, und die Hügel, zwischen denen wir herumlatschten, erfreuten durch eine liebliche Form mit grünem Flachbewuchs. Da hatten wir schon Schlimmeres erlebt im Santa-Monica-Gebirge. Es leuchtete augenblicklich ein, dass man hier gut Weinbau betreiben konnte. Auf Ausflügler war man eingestellt. Von der Polly kriegten wir eine Käseplatte mit Baguette spendiert.
„Die liegt nicht so schwer im Magen beim Laufen“, hat sie bestimmt.

Die ganze Zeit war sie mit elastischen Hüften vor uns hergefedert, nun saß sie an der Stirnseite des Mittagstisches im Restaurant und atmete konzentriert tief durch. Wir guckten gespannt zu, ob vielleicht noch ein engagiertes „Omm“ käme oder wir über die therapeutischen Vorzüge regelmäßiger Bewegung in frischer Luft unterrichtet würden. Vielleicht war es dieser Konzentration geschuldet, dass niemand so recht beim Käse zulangen wollte. Nur der Pit holte sich Nachschlag, obwohl er ziemliche Grimassen schneiden musste, um den klebrigen Camembert von den Zähnen zu kriegen.
„Was starrt ihr mich so an?“, hat sich die Polly schließlich gewundert.

Bald sollte sich herausstellen, dass sie keinerlei Erfahrung mit Weinproben hatte, sonst hätte sie uns bestimmt nicht hingeführt. Die Cora kann nämlich einen ordentlichen Schluck vertragen, und wenn Frust hinzukommt, können auch wir andern zu Hochform auflaufen, und Frust hatten wir gerade mehr als genug. Außerdem wäre eine solide Grundlage im Magen hilfreich gewesen, aber nicht zu erreichen mit einem ausgefallenen Abendessen, einem einfachen Hotelfrühstück und einer blöden Käseplatte am Mittag. So waren wir sowieso nicht präpariert für den nächsten Programmpunkt. Also haben wir die Besichtigung des Weinhofes kurzerhand der Polly überlassen (hu! Meuterei!) und sind schon mal allein zur Verköstigung vorgegangen.
„Ich hab Durst“, hat der Karlsson verkündet.
„Hauptsache, die Latscherei hat ein Ende“, habe ich gesagt.

Ah, Gold für staubige Kehlen

Als die Polly später nachkam, sah die Welt bereits deutlich rosiger aus. Ich weiß noch, dass wir die Weißbrotscheibchen, die man uns freundlicherweise dazugestellt hatte, in den Wein getunkt und dem Pit auf die Stirn gepappt hatten. Am Ende stand ihm ein blonder Afrolook vom Schädel. Die Mia konnte sich nicht mehr einkriegen vor Lachen und auch der Pit grinste selig. Der Karlsson steuerte eine gerappte Version von „Schwarzbraun ist die Haselnuss“ bei (mit Tanz!), die Cora hatte Schluckauf und ich war nach draußen gegangen, um einen Blumentopf zu veredeln. Wie man uns später mitteilte, hatte die Polly ein ordentliches Sümmchen dalassen müssen, um unsern Aufenthalt zu neutralisieren. Vielleicht war sie stinksauer auf uns, aber das sollte unsern Arsch nicht kratzen, jetzt wo das Leben endlich mal wieder leicht und unbeschwert war.

Ich nehme an, wir sind in der Limousine zurückgefahren. Erinnern kann ich mich nicht daran, auch nicht an das, was danach kam, nur dass wir auf dem Bett in unserm Hotelzimmer lagen. Ich glaube, es war schon dunkel draußen. Neben mir schnarchte der Pit mit der Cora (!) im Arm. Daneben lag der Karlsson auf dem Rücken, alle viere von sich gestreckt. Unterm Fensterbrett hinter der Gardine hockte die Mia, vermutlich weil sie die Gardine mit der Bettdecke verwechselte. Von der Polly war nichts zu sehen. Wenn man alles zusammenzählte, konnte man fast sicher sein, dass wir die Besichtigung der Opalmine verpasst hatten.

Da man ja immer ehrlich sein muss, gebe ich gerne zu, dass wir keine Sekunde bereuten. Zwar klebte uns am nächsten Morgen die Zunge am Gaumen und der Kopf brummte, doch kriegten wir unwillkürlich ein kollektives Grinsen, sobald die Polly wegschaute. Wir hatten uns ein Stück Freiheit erkämpft, jawohl! Mutig hatten wir den Fesseln getrotzt. Was machte es schon, dass wir uns jetzt eine Predigt anhören mussten von wegen, wie daneben wir uns benommen hätten und wie ärgerlich es wäre, dass der Reiseplan sabotiert worden war? Für Adelaide wäre eigentlich noch ganz Anderes vorbereitet gewesen, aber nein, die Herrschaften wollten sich ja besaufen.

Deswegen mussten wir die Stadt nun halbgebildet verlassen, obendrein mitten in der Nacht. Unser Fahrer samt Limousine war nach Hause geschickt worden. Sie hatten ihre Schuldigkeit getan. Dafür stand jetzt eine kleine viersitzige Chartermaschine bereit. Sie sollte uns nach Alice Springs bringen, immerhin etwa 1300 Kilometer entfernt.





„Hoffentlich schaukelt das da nicht so“, hat der Karlsson befürchtet.
Er trug einen nassen Waschlappen auf der Stirn, am Ort gehalten von einem dicken Gummiband, das am Hinterkopf seine Locken in eine Furche teilte. Ich glaube, damit war im Hotelzimmer die Blumendeko befestigt gewesen. Irgendwer miefte nach Mundwasser, wahrscheinlich die Mia. Das Zeug hatte sie sich offenbar ins Gefieder geschüttet, damit sie nicht mehr nach Rotwein roch.

Von uns allen war die Cora noch am besten beisammen, natürlich abgesehen von der abstinenten Polly. Es hat eben was für sich, wenn man Alkohol gewohnt ist. Ich hatte während des Fluges mit Würgen zu kämpfen, besonders als der Pit einen Stapel Speckscheiben auspackte.
„Reiß dich zusammen“, hat mich die Mia ermahnt. „Sonst zerrinnt dein Argument, warum der Lütte nie mit ins Flugzeug darf.“

Gesehen haben wir unterwegs nicht viel. Das lag zum einen daran, dass wir geschlafen haben, und zum andern, dass es nicht viel zu sehen gab. Erst war's noch dunkel, dann eintönig. Wir verließen den fruchtbaren, milden Süden und steuerten das kahle und heiße Outback an. Die Landschaft ist sehr karg mit viel hellem oder rotem Sand und Bergketten aus nacktem Fels. Als dicht bewohnt kann man den Landstrich nicht gerade bezeichnen. Der Flug dauerte ein paar Stunden. So gesehen konnten wir froh sein, dass die Polly uns das Flugzeug spendierte, statt uns die weite Strecke mit dem Geländewagen machen zu lassen. Wenn nur nicht das Gebrumme von dem idiotischen Motor gewesen wäre. Gott sei Dank hatte die Cora Tabletten dabei.
„Na, Max?“, hat sich die Polly zu mir umgedreht. „Ist der Rotwein am Scheitel angekommen?“
Mich hielt der Gedanke an den gottvollen Dingo aufrecht. Nur ja die Klappe halten, jetzt nicht provozieren lassen, unsere Stunde wird bald kommen.

Alice Springs ist eine Kleinstadt mit ca. 24.000 Einwohnern. Sie besteht seit 1874 und ist heute ganz auf den Tourismus eingestellt. Die Leute kommen her, weil sie in der Nähe den berühmten Ayers Rock besichtigen wollen, diesen großen roten Felsen, der wie ein überdimensionales Marzipanbrot in der flachen Steppe liegt.
„Wie Marzipan? Wo?“, hat sich der Pit verwirrt umgeschaut.
Er war der Einzige (neben der Polly), der von den 39 Grad Hitze, die uns sofort umhüllten, als wir aus dem Flugzeug kletterten, nicht seine Sprache verloren hatte. Ich fühlte das dringende Bedürfnis, mein Gefieder auszuziehen. Mir war, als säße ich im Shetlandpullover im Backofen. Die Mia riss ihren Flügel hoch, schaute darunter und fragte ängstlich:
„Hält mein Deo noch?“

Alice Springs: einsam und heiß

Wir bezogen Quartier im Hotel. Auf dem Weg dorthin im neuen Leihwagen konnte man Cafés, Bars, Souvenirläden und etliche Geschäfte mit Backpacker-Klamotten sehen, genug Auswahl also, um uns sinnvoll zu beschäftigen. Aber lasst mich raten: Wir würden keine Rast einlegen, nicht wahr? Wir würden nur das Gepäck abstellen und gleich weiterziehen, hinaus in die Natur, richtig?

„Exakt“, kam die Bestätigung von der Polly.
Sie warf dem Karlsson einen Touristenflyer zu:
„Da! Kannst du schon mal im Auto laut lesen, damit ihr Bescheid wisst.“
Auf dem Deckblatt stand „Uluru“. Was ist das denn?
„So heißt der Ayers Rock in der Landessprache“, hat der Pit gemeint.
Er wunderte sich über die sechs Tüten, die aufeinandergestapelt auf der Hinterbank des Leihwagens lagen. Bei näherer Inspektion offenbarten sie je ein Schinkensandwich, eine Banane und eine kleine Flasche Wasser als Inhalt.
„Das ist unser Mittagessen“, hat die Polly fröhlich verkündet.
Wir guckten uns an. Sogar die sonst so milde Cora kriegte diesmal unwillkürlich Gesichtsmuskelentgleisung, als sie das hörte. Gott sei Dank stand sie mit dem Rücken zur Polly. Na, das konnte ja heiter werden: in der Hitze um den Felsen latschen und als Belohnung ein trockenes Sandwich futtern.

Von Alice Springs sind es über 400 Kilometer bis zum Ayers Rock. Die Zeit hat der Karlsson genutzt, um uns auftragsgemäß mit Informationen zu versorgen. So erfuhren wir, dass der Marzipanberg zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört. Er ist ca. 3 km lang, 2 km breit und 860 Meter hoch.
„Das macht nach Adam Riese mindestens 5 km Fußmarsch“, hat die Cora ausgerechnet.
In der Tat betrüblich. Wenigstens hatte auch der neue Leihwagen Klimaanlage. Die Mia trug frisches Deo unterm Flügel auf.

„Der Uluru gilt als heiliger Berg der Aborigines“, hat der Karlsson vorgelesen.
Aha. Da hätte ich gleich mal eine Frage: Wer ist denn mit den Aborigines gemeint?
„Wie gemeint?“, hat der Karlsson gesagt. „Das sind die Ureinwohner Australiens. Die haben hier schon gelebt, bevor die weißen Europäer kamen.“
„Ja, ist klar, das weiß ich. Nur heißt Aborigines doch nur „Ureinwohner“ auf Englisch. Wie heißen sie denn wirklich?“
Betretenes Schweigen. Hätte ich mir denken können. Wenn es mal um eine intellektuell anspruchsvolle Sache ging, waren die Herrschaften überfordert.
„Na?“, habe ich in die Runde geschaut, als sich noch immer niemand rührte.
Dann kam es wie aus der Pistole geschossen:
„Koori, Anangu bzw. Pitjantjatjara, Ngaanyantjarra, Ghyeisyriieue ...“
Die Polly guckte mich triumphierend an:
„Möchtest du noch was wissen, Max?“
Der Karlsson blätterte in seinem Touristenflyer, wo er das überlesen hatte. Aber die Polly zitierte aus einer andern Quelle.
„Bei den Aborigines handelt es sich um kein einheitliches Volk. Sie bestehen aus Stämmen oder Clans mit unterschiedlichen Sprachen und Gebräuchen. Etwa 464.000 Aborigines gibt es heute, Dreiviertel haben sich assimiliert und leben in Städten.“
Gut ... ja … danke. Genau das hatte ich gemeint. Ich wollte ja nur mal prüfen, ob die andern sich anständig auf die Reise vorbereitet hätten.
„Ha-ha!“, hat der Pit blöde gelacht.

Doch bevor ich was antworten konnte, wurde unsere Aufmerksamkeit von etwas anderem eingenommen. Erst leise, dann immer schneller und lauter trommelte es an die Wagenscheiben. War das Regen? Nee, ne? Hier? In der Steppe? Ich gebe zu, dass ich leicht irritiert war. Aber dann wurde es amtlich: Wir fuhren inmitten eines Wassergusses.
„Kommt manchmal vor im Sommer“, hat die Polly gemeint.
„Endlich mal ein bisschen Abwechslung in der Einöde“, fand die Cora.

Wenig später, als der Guss aufgehört hatte und wir ein gutes Stück weitergefahren waren (in der Hitze trocknete alles sehr schnell), wurde es sogar noch aufregender. Unser Fahrer trat auf die Bremse. Vor uns tauchten Kängurus auf. Sie standen auf der Straße und tranken aus den Pfützen.

Ein Kegelausflug war das jedenfalls nicht

„Schaut mal! Kängurus!“, hat die Mia gerufen.
„Ach, ich dachte, das wären dünne Elefanten“, hat der Pit mir zugeraunt und männlich gelacht. Ich fand das auch komisch. Aber immerhin konnten wir auf diese Weise einen weiteren Part der heimischen Tierwelt abhaken. Australien ohne Kängurus gesehen zu haben, wo gab's denn so was? Wusste vielleicht jemand, um welche Art es sich handelte? Graues Riesenkänguru? Wallaby? Was anderes? Doch diesmal musste selbst die gut vorbereitete Polly passen. Sie zuckte die Achseln. Irgendwann haben die Kerle die Straße wieder frei gemacht und sind zurück in die Steppe gehoppelt. Wir konnten weiterfahren.

Und dann tauchte er vor uns auf, majestätisch in der Landschaft gelegen, der Uluru.

Viel ist nicht drumherum: der Ayers Rock

Ich muss schon sagen, wie er so herausragte aus dem Nichts, das war beeindruckend. Man kann verstehen, warum die Aborigines den Berg verehren. Er hat was Magisches an sich. Auch die andern guckten fasziniert aus dem Wagenfenster. Um es mal anders auszudrücken: Wir waren der Polly sehr dankbar, dass sie uns diesen wunderbaren Anblick ermöglichte, doch, hey, jetzt aussteigen und in der Hitze dort herumlaufen, das war doch wirklich nicht nötig, oder? Statt einer Antwort winkte die Polly nur fröhlich mit einer der Provianttüten. Der Karlsson las seufzend aus dem Touristenflyer die Auswahl vor. Demnach gab es je nach Startpunkt eine Wanderroute, die 2 km lang war, eine von 4 km Länge und dann die Komplettumwanderung mit 10,5 km.
„Wir nehmen die lange“, hat die Polly entschieden.
„Ja, natürlich, warum nicht auch noch den Berg hochsteigen?“, hat die Mia zickig geantwortet.
„Weil das nicht geht, Mia, Schätzeken. Seit Oktober 2019 ist das Besteigen verboten. Das haben die Aborigines erwirkt.“

Dann warf die Polly die Provianttüten aus dem Wagen und forderte uns auf, jeder eine zu nehmen und ihr zu folgen. Die Karawane setzte sich in Bewegung. Ich glaube zwar nicht, dass die Aborigines den Pit kennen, aber wenn es etwas zu schützen gab, war es besser, dass seine Krallen von vornherein keinen Zugang hatten. Außerdem war es brüllend heiß. Niemand hatte Lust, auf einen kochenden Felsen zu klettern. Der Ringelkater patschte mit der Pfote am Sockel an den Stein und meinte:
„So heiß ist es gar nicht.“
Ach, du liebe Güte, jetzt musste ich auch noch hier unten auf den Kerl aufpassen.
„Bleib da weg!“, habe ich gewarnt.
Lieber sollte er die Tafeln vorlesen, die überall den Wanderweg säumten und Wissenswertes über den Ayers Rock mitteilten. Der Karlsson war dankbar, dass er dieses Amt abgeben konnte.

Noch mal am Ayers Rock: befestigter Wanderweg

Trotzdem hing uns schon nach kurzer Zeit die Zunge aus dem Hals, Information hin oder her. Erst war vorsichtiges Murren zu hören, dann wurde es lauter und noch lauter und irgendwann hat die Cora ihre Provianttüte fallenlassen und zur Kenntnis gegeben, dass es eine dämliche Idee wäre, hier in der Mittagsglut herumzulaufen. So käme man ja nie voran. Sie schlage vor, dass stattdessen wir Vögel den Weg fliegen würden, während die beiden Hunde und der Pit einen Zahn zulegten und den Rundweg im Sprint absolvierten. Das sei zugegebenermaßen zwar etwas anstrengend, aber so sei man am Ende früher raus aus der elenden Sonnenbestrahlung.
„Und wo bleiben die Provianttüten?“
„Die tragen der Karlsson und die Polly in der Schnauze.“

Jo, das war endlich mal ein guter Vorschlag. Damit die Polly gar nicht erst was einwenden konnte, haben die Mia und ich unsere Provianttüten gleich dazugeschmissen, sind mit der Cora abgehoben und zügig davongeflogen. Als ich mich noch mal umschaute, konnte ich sehen, wie dort unten die Polly und der Karlsson tatsächlich die restlichen Tüten in die Schnauze nahmen und sich in Bewegung setzen. Der Pit rannte mit. Hihihi, welch herrlicher Anblick.

Als die drei am Startpunkt wieder zu uns stießen (wo wir im Schatten unter einer Anzeigentafel saßen und uns ausruhten), waren sie außer Atem. Durchnässt sah ihr Fell auch irgendwie aus. Sie werden doch wohl nicht ins Schwitzen geraten sein?
„Wer von euch hat mir auf den Rücken gekackt?“, hat die Polly als Erstes gefragt.
Die Mia, die Cora und ich guckten uns an.
„Lass mal sehen“, habe ich vorgeschlagen und der Polly den Rücken inspiziert.
„Das ist nicht von uns“, lautete meine Expertise.
„Von wem denn sonst? Es war ja niemand anderes über mir.“
Tja, das konnte ich leider nicht beantworten, so leid es mir tat. Obwohl: So gut getroffen hatte ich schon lange nicht mehr aus großer Höhe, und das, wo die Polly mit ihrem rötlichen Fell keinen hilfreichen Kontrast zur Umgebung abgab. Yeah!

Den Fleck hat die Mia mit ihrer Sonnencreme herausgeputzt. Sie hatte ja glücklicherweise ihren Turnbeutel dabei. Anschließend durften wir endlich unser trockenes Sandwich essen. Der rohe Schinken war in der Zwischenzeit hart hart geworden und krullte sich zur Welle, die Banane war dafür umso weicher. Frisches Wasser kriegten wir aus einem öffentlichen Spender – Gott sei Dank, denn unsere Wasserflaschen hatten wir unterwegs schon geleert.
„Soll das eigentlich Proviant für 'ne Strafkolonie sein?“, hörte ich die Mia dem Karlsson zuflüstern.
Er fühlte sich offenbar verantwortlich, weil die Polly aus seinem Haushalt kam.
„Sonst ist sie nicht so“, hat er versichert.
Das Weißbrot klebte ihm an den Zähnen wie gestern der Camembert an Pits.

Nach diesem kulinarischen Highlight durften wir einsteigen. Es ging zurück nach Alice Springs, diesmal ohne Regen und ohne Kängurus. Im Hotel haben wir auf der Terrasse gesessen, selbst als die Sonne schon untergegangen war. In die Geschäfte gehen durften wir nicht. Wie nennt sich eigentlich die Krankheit, wo man dauernd draußen sein muss? Anders ist nicht zu erklären, warum es die Polly ständig an die frische Luft zog. Wenigstens brauchten wir jetzt nicht noch zu wandern. Die Ruhe tat gut. Heiß war es trotzdem, aber wenn man sich wenig bewegte, ging's.

Zum Abendessen kriegten wir eine Steakplatte serviert, sehr zur Freude vom Pit und vom Karlsson. Wir Vögel bestellten einen Salatteller. Es kam nicht gut an, als ich den mampfenden Karlsson fragte, ob er sicher sei, dass er nicht gerade Känguru verzehrte. Ich meine, Kängurus gab es in Australien so zahlreich wie Häschen bei uns, und würde er etwa Häschen essen?
„Ist mir egal“, hat er gesagt und sich die Pfote geleckt.
Die Polly hatte ihre Serviette auf dem Stuhlsitz ausgebreitet. Das macht man so unter kultivierten Hunden. Die Mia guckte beeindruckt. Das mit dem Toast auf die Polly haben wir diesmal gelassen, so was muss man sich schließlich verdienen.

Zum Abschluss hätten wir noch gern einen Drink aus der Minibar genommen, aber das klappte nicht, weil uns die Polly die Tür wieder zuschlug.
„Nix da, besauft euch woanders, dafür bezahle ich kein Geld.“
„Spaßbremse“, hat die Mia gezischt.

Am Morgen stiegen wir wieder in die Chartermaschine. Es ging nordwärts und ein Stück nach Osten. Acht Stunden dauerte der Flug. Unser Ziel war Jabiru im Kakaku-Nationalpark. Natürlich mussten wir unterwegs landen und tanken, aber ich weiß nicht mehr, wo es war. Eine größere Stadt war es jedenfalls nicht, eher eine ländliche Tankstelle, aber so eine ohne Kaffeeautomat und Müsliriegel. Eine Ergänzung zu unserm Sandwichpaket ließ sich dort jedenfalls nicht erwerben.

Flott unterwegs
 
Die Polly hatte verlauten lassen, dass wir im Kakadu-Nationalpark ein wenig länger verweilen würden, weil es dort so viel zu sehen gäbe. Damit meinte sie natürlich Flora und Fauna, nichts anderes.
„Hätte ich mir denken können“, hat die Cora gemeckert.
Apropos. Dort in der Nähe von Jabiru würde die Cora bald ihren Herzensvogel kennenlernen. Wir Männer brauchten keine Worte, um uns darüber zu verständigen; Blicke reichten. Wir wussten auch so um die Bedeutung dieses Termins. Unvorsichtiges Grinsen wäre zu diesem frühen Zeitpunkt allerdings fehl am Platz gewesen.

So bequem Charterflugzeuge zum Reisen sind, so sehr gehen einem bald die Enge und die Flugdauer auf die Nerven. Das trockene Outback hatten wir längst verlassen. Nun befanden wir uns in tropischen Gefilden. Folglich regnete es. Um genau zu sein: Es schiffte sogar. Von Dezember bis April herrscht dort nämlich Regenzeit. Es pladderte an die Fenster und selbst der hastig winkende Scheibenwischer an der Frontscheibe ließ nur Verschwommenes erkennen. Unter uns waren Bäume zu sehen und bewachsene Felsen. Wenn das man gut ging. Nicht, dass jetzt noch ein Monsun niederkäme und uns in Schwierigkeiten brächte. Doch das Flugzeug bewegte sich ruhig voran. Es blieb sogar Gelegenheit für den Karlsson, uns vorzulesen, dass der Kakadu-Nationalpark eine Ausdehnung von fast 200 km von Nord nach Süd und über 100 km von West nach Ost hat. Das ist fast die Hälfte der Schweiz. Ungefähr 50 % des Landes gehört den Aborigines (unter Aborigines Land Rights) und alles zusammen ist UNESCO-Weltnaturerbe und -Weltkulturerbe: wegen der Felsmalereien und weil dort mehr als 60 Säugetierarten zu Hause sind, 280 Vogelarten, 50 Frischwasserfischarten, 1600 Pflanzenarten und 10.000 Insektenarten.

Na, da hatten wir ja genug zu tun. Oder hegte jemand Zweifel, dass die Polly auch nur einen Käfer und einen Halm auslassen würde? Die gesamte Rückbank hinter Pollys Vordersitz schickte die Augen zum Himmel:
„Allerdings! Wie wahr!“
„Regenzeug habe ich aber nicht dabei“, hat die Mia informiert.

Wie gesagt, Jabiru ist vom Kakadu-Nationalpark umgeben. Der Ort selbst ist winzig. Nur 1100 Leute leben dort. In der Regenzeit kommt man oft nur per Flugzeug hin, weil die Straßen überschwemmt sind. Dann sind auch viele Zufahrten zum Park für Touristen geschlossen. Unsere Mienen erhellten sich, als wir das hörten. Bestimmt hätten wir keinerlei Mühe, auf dem Hotelzimmer Karten zu spielen oder, je nachdem, Pediküre zu betreiben. Außerdem würde es dort sicher einen Fernseher geben – und eine Hotelbar.

Es war ganz schön schlammig, als wir das Flugzeug verließen. Aber das Grün der Vegetation sah zarter und frischer aus als im Süden. Ausreichend Wasser macht eben doch eine Menge her. Das Hotel versprühte einfachen Charme. Wir waren froh, erst mal aus den nassen Klamotten zu kommen, denn vom Landeplatz bis zur Unterkunft hatte der Regen uns ordentlich durchnässt. Die Cora und die Mia haben sich erst gegenseitig trockengeföhnt, dann abwechselnd die Polly. Uns Männern reichte rubbeln mit dem Handtuch.

Da wir hungrig waren und wir gefragt hatten, ob die Küche für uns schon öffnen könnte, saßen wir bereits am Nachmittag in dem kleinen Speisesaal am Abendbrottisch. Wir kriegten Spaghetti serviert mit weißlichen Gnubbeln drin. Sie entpuppten sich als Fisch. Ob sie den in der Nähe fingen?
„Ja, Tiefkyhl heißt er“, hat der Karlsson gesagt.

Ich kannte nur Spaghetti mit Mettbällchen

Weil es draußen noch immer pladderte und die Hotelterrasse feucht war, durften wir den Abend drinnen verbringen. Sogar die Bar war für uns geöffnet. Während die Mia und die Cora Cocktails probierten und die Polly auf dem Zimmer das morgige Programm auswendig lernte, haben wir Männer uns unauffällig an die Rezeption geschlichen, um die letzten Instruktionen für Coras Verkupplung abzuprüfen. Ihr erinnert euch sicher an Sydney, diese weiße Knalltüte aus Australien, die mal vor Jahren bei uns über Weihnachten als Austauschschüler war? Ich habe den Knaben immer für lachhaft gehalten, doch nun konnte er uns endlich mal nützlich sein. Vom Laptop des Hotelbesitzers haben wir Kontakt zu ihm aufgenommen. Er bestätigte, dass er einen geeigneten Kandidaten ausfindig gemacht hätte, handverlesen nach unserer Beschreibung der Cora. Wir sprachen noch mal ab, wann, wo und wie hier im Nationalpark der Kontakt stattfinden sollte, dann gingen wir zurück an die Bar und pichelten mit den Hennen mit. Keinen Verdacht erregen war jetzt die Mission der Stunde.

Der weißen Knalltüte war kalt in Deutschland

Ach, eins hatten wir doch noch vergessen: zu fragen, wie der Kerl überhaupt aussah.
„Wieso?“, hat der Pit geflüstert.
„Na, weiß. Oder nicht?“, hat der Karlsson gemeint.
Habt ihr 'ne Ahnung, wie unterschiedlich Kakadus aussehen können. Es gibt sogar schmutzig graue, welche mit orangefarbener Brust, welche in Pink, und das Federngetüdele dort oben am Kopf ist noch mal anders bei jeder Art. Aber egal, wir würden ihn schon finden. Chucky hieß er. Das musste reichen.

United colors of Kakadu
 
Nach einer kurzen Nacht, die in jeder Hinsicht feucht verlaufen war, standen wir am nächsten Morgen vor dem Hotel und warteten auf den Leihwagen. Es regnete nicht mehr. Stickig warm war's trotzdem, 35 Grad, diesmal versehen mit hoher Luftfeuchtigkeit. Da wünschte man sich glatt die trockene Hitze des Outbacks zurück. Dazu der Nachdurst von all den gestrigen Cocktails und Pollys grimmige Bereitschaft, uns wieder in einen Gewaltmarsch zu verstricken: Attraktiv war das nicht.

„Freut euch“, hat die Polly geflötet. „Heute habt Ihr's noch bequem. Ihr werdet mit dem Auto bis vor die Tür gefahren.“
Damit meinte sie den Ausflug nach Ubirr, etwa 40 km entfernt. Dort befinden sich Felsen mit berühmten prähistorischen Malereien und einem Rundgang, den man ablaufen kann. Irgendwie kam mir das bekannt vor.
„Ach was“, fand die Polly. „Der Ayers Rock ist viel größer. Hier ist der Wanderweg nur 1 km lang. Keine Lustlosigkeit vorschützen, auf, auf, meine Herrschaften! Eingestiegen! Zusammenrücken!“

Mit dem Geländewagen fuhren wir die Asphaltstraße entlang. Üppiges Grün wechselte mit flachen Auen und überschwemmten Wiesen an schmalen Flüssen. Manches erinnerte an europäische Vegetation.

Könnte an der Aller sein. Ist aber im Kakadu-Nationalpark

Übrigens muss man eine Eintrittskarte kaufen, damit man den Nationalpark besuchen kann. In unserm Fall hatte die Polly das schon erledigt – wie ich sie kenne, gleich für die nächsten Tage mit, damit nichts unsere Freiluftbetätigung behinderte. Außerdem hatte sie schon im Hotel abgeklärt, dass unsere Straße befahrbar war. Nichts gegen Australien und seine Schönheiten, wirklich nicht, aber eine gesperrte Zufahrt, die uns einmal – ein einziges Mal – Freizeit zur individuellen Gestaltung bescheren würde, das hätten wir mehr als verdient.

Bald tauchte vor uns eine Felsenlandschaft auf. In der Tat, mit dem Ayers Rock hatte sie nichts gemein. Die hier war grau, stellenweise bewachsen, flacher und weitläufiger. Am Parkplatz konnte man eine Halle betreten. In der dortigen Galerie waren Felsmalereien der Aborigines ausgestellt. Die andern, die sich noch am Felsen befanden, konnte man über den genannten Wanderweg erreichen.

Die Felsen bei Ubirr: ziemlich grün

„Wir laufen!“, hat die Polly befohlen.
Die Mia kicherte resigniert:
„In Venedig fuchteln die Reiseleiter mit einem Regenschirm voran. Vielleicht sollten wir das der Polly auch mal vorschlagen.“
„Bloß nicht“, hat der Karlsson gewarnt. „Sonst lässt sie uns noch Liegestützen machen.“

Jo, damit sollte man nicht scherzen. Aber ich war sowieso nicht ganz bei der Sache, weil später die Aktion mit Coras Kakadu laufen sollte. Ich guckte mich dauernd um, ob schon jemand zu sehen wäre, der nach Chucky aussah.
„Entspann dich“, hat der Pit gemeint. „Es ist noch Zeit.“
Der hatte gut reden, ich kannte die Cora schließlich länger und wusste, wie schwer es sein würde, sie an den Mann zu bringen. Es musste auf Anhieb klappen, denn wir hatten nur diesen einen Kandidaten. Außerdem tat mir der Kopf weh.
„Morbus Mojito, was?“, hat die Polly gestänkert.

Feldmalerei: ein Känguru?

Als wir den Kilometer Fußmarsch und die Felsmalereien glücklich hinter uns gebracht hatten und uns gerade niederlassen wollten zur verdienten Rast, ertönte ein Pfiff. Unsere Köpfe schnellten herum. Hinter uns stand die Polly und zeigte mit der Pfote nach oben.
„Watt will die jetzt?“, hat der Pit gefragt.
Er trug eine Packung Kekse bei sich, die er gerade aufreißen wollte.
„Ich glaube, sie will, dass wir in die Berge steigen“, hat die Cora vermutet.
Nee, echt jetzt? Das durfte doch wohl nicht wahr sein. Es waren 35 Grad Hitze wie im Treibhaus. Irgendwann musste doch die Entspannung von der Polly Besitz ergreifen, auf die wir schon so lange hofften. Man konnte doch nicht ewig so hyperaktiv sein.
„Vielleicht hat sie ADHS und kann nichts dafür“, habe ich zu bedenken gegeben.

Keine Ahnung, wie wir es dennoch geschafft haben. 30 Minuten dauerte der Aufstieg.
„Wie im Film „Picknick am Valentinstag““, kommentierte die Mia die Landschaft.
„Ja, pass auf“, habe ich gesagt. „Nicht, dass du mit der Cora und der Polly verloren gehst.“
„Ach, Quatsch“, hat sich die Polly eingemischt. „Der Hanging Rock aus dem Film ist ganz woanders, viel weiter im Süden, bei Melbourne.“
Trotzdem hätte ich die Suche nach den Weibern amüsant gefunden. Ich hätte mich als Aufklärungsflieger zur Verfügung gestellt und wäre ohnmächtig vom Karlsson oder vom Pit aus einer Felsennische gerettet worden mit einem Büschel rötlichem Fell in meiner Kralle, das dann zur Rettung von irgendwem geführt hätte.
„Vergiss es“, hat der Karlsson gemeint. „Freiwillig steige ich hier nicht noch mal im Berg herum.“

Ubirr: Diesmal gucken wir runter

Oben angekommen hatte man zwar einen schönen Ausblick, doch musste man ja wieder eine halbe Stunde zurücklaufen. Anhöhen gehen einem immer so auf die Knöchel. Der Meinung waren auch die Mia und die Cora. Schließlich durften sie der Polly in den Nacken steigen und wurden nach unten getragen. Damals im Santa-Monica-Gebirge waren die beiden bei einer ähnlichen Aktion im Gebüsch gelandet, weil der Karlsson zu viel Gas gegeben hatte. Diesmal blieben sie oben.
„Angeber!“, hat der Karlsson ausgespuckt.

Ich bin ein wenig in Rückstand geraten, denn plötzlich hörte ich, wie jemand hinter mir „Kss-kss“ machte, obwohl ich schon der Letzte in der Karawane war. Die Ansprache kam von einem Kakadu. Er war weiß mit gelber Haube und stellte sich als Chucky vor. Na, Gott sei Dank, pünktlich war er schon mal. Ich blieb stehen und wartete, bis die andern ein Stück weitergegangen waren, damit sie nichts merkten.

„Hey, Kumpel“, wurde ich angehauen. „Wer ist es denn? Die süße Kleine ganz in Grün?“
„Nee, die hat schon einen Freund.“
„Ach ja? Dann ist es wohl die andere. Egal, ich suche sowieso nur eine Frau für meine acht Kinder. Sie muss gut backen und kochen können.“
„Da bist du bei der Cora genau richtig“, habe ich bestätigt.
O-ha, das würde schwerer werden als gedacht, aber aus andern Gründen. Ob die Cora auf schlichte Gemüter mit Versorgungsanspruch stand, das hätte ich jetzt nicht beeiden können.

„Dann bis nachher unten am Parkplatz“, hat sich der Chucky verabschiedet und ist weggeflogen. Ich bin ebenfalls abgehoben und habe die andern eingeholt. Jetzt müsste ich nur noch unsere Truppe dazu bringen, dass wir uns am gewünschten Ort zur Rast niederließen.

Als wir unten angekommen waren, wurden wir sofort vom Karlsson (der natürlich Bescheid wusste) zu einem Baum geschleust, unter dem es sich gut verweilen ließ. Einwände kamen Gott sei Dank nicht. Wir tonnten uns hin. Die Polly holte die Sandwichpakete aus dem Auto, der Pit verteilte die Kekse. Wir genossen den Schatten. Für Genuss am Essen waren die Sandwiches mal wieder zu trocken. Die Schokoriegel, die diesmal beigefügt waren, hatten in der Hitze eine künstlerische Form angenommen. Dem Pit war das egal, er aß unsere gleich mit.

Chucky

Später sah ich im Augenwinkel etwas Weißes angeflogen kommen. Ich nickte dem Pit zu und der stieß den Karlsson an – endlich, es würde losgehen. Gespannt beobachteten wir, wie der Chucky vom Baum segelte und einen Meter neben der Cora auf dem Boden aufsetzte. Dort hob er einen Flügel zum Gruße, grinste schmierig und schnarrrte der Cora ein sumpfiges „Hallo-oooo“ entgegen. Die Cora starrte ihn einige Sekunden an, drehte sich zur Mia und meinte:
„Was ist das denn für 'n Idiot?“
Okay, es kam nicht oft vor, dass wir von Einheimischen angesprochen wurden. Doch wenn es der Fall war, sollte man höflich sein und tolerant und um Völkerverständigung bemüht. Das habe ich auch der Cora gesagt. Aber das interessierte sie nicht.
„Ich lass mich doch nicht von dem dahergelaufenen Kerl anmachen“, hat sie gesagt.
Bestätigung kam von der nickenden Mia, und selbst die Polly fand die Ansprache ein wenig zu intim dafür, dass die beiden sich noch nicht lange kannten. Umso mehr hatten wir Männer zu tun, damit die Sache nicht schon nach einer Minute vorbei war.
„Der ist doch nett“, hat der Pit gelogen.
„Ja, genau, finde ich auch“, ist ihm der Karlsson zur Hilfe gekommen.
Den Verweis auf das sexy weiße Gefieder habe ich beigesteuert.

Doch nichts zu machen, die Cora war verstimmt. So würde das nichts werden. Der Chucky kriegte einen unauffälligen Wink, dass er verschwinden sollte. Wir könnten es bei anderer Gelegenheit noch mal versuchen. Außerdem musste ich dringend mit der Knalltüte, dem Sydney, reden, was für einen Honk er uns da vorbeigeschickt hatte. Die Cora brauchte einen Galan, der sie umgarnt, meinetwegen einen Heiratsschwindler, aber doch nicht so eine Flasche, die noch schwerer zu vermitteln war als die Cora selbst.

Am Nachmittag fuhren wir zurück zum Hotel. Wir staunten nicht schlecht, als der Chucky bereits auf dem Vordach saß. Diesmal pfiff er ein schleimiges „Olalá“ und warf der Cora Kusshände zu.
„Hau ab!“, hat die Polly gerufen und „Sch-sch“ gemacht, so wie man lästige Hunde verscheucht.

So, das reichte. Ich würde jetzt dem Sydney den Marsch blasen. Er sollte diesem Volltrottel sagen, dass die Aktion abgebrochen sei. Nicht, dass die Cora womöglich noch merkte, dass wir die Finger im Spiel hatten. Wir Jungs setzten uns sofort zum Telefon ab, während die beiden Hennen von der Polly auf die Terrasse geführt wurden. Ja, in Ordnung, hat der Sydney kleinlaut eingelenkt, als wir verlangten, dass sich sein ach so passender Kandidat hier nicht mehr blicken ließ.
„Hoffentlich klappt das mit der Polly und dem Dingo besser“, hat der Karlsson geseufzt.

In dieser Nacht sind wir alle früh schlafen gegangen. Wir ahnten, dass ein strammes Programm – noch strammer als sonst – auf uns wartete. Hatte die Polly nicht gesagt, dass es morgen vorbei sei mit dem bequemen Transport bis vor die Tür? Auf Klardeutsch hieß das: Fußmarsch im unwegsamen Gelände. Ich hatte was von Krokodilen gehört. Da es auch in der Nacht nicht mehr geregnet hatte, durften wir nicht auf gesperrte Straßen hoffen.

Und wisst ihr was? Vor lauter Müdigkeit hatten wir ganz vergessen, dass Silvester war. Hier im Nationalpark böllerte niemand und feuerte auch niemand Raketen ab. Den Fernseher hatten wir nicht angestellt. Lediglich die Polly dürfte gewusst haben, dass es der 31.12. war. Ob sie uns nicht wecken wollte oder ob ihr das Gläserklingeln um Mitternacht auf die Nerven gegangen wäre, keine Ahnung, wir waren jedenfalls ahnungslos wie frisch geschlüpfte Hamsterbabys. Erst als uns die Polly am Frühstückstisch mit der Tasse zuprostete und „Schönes neues Jahr“ wünschte, dämmerte uns, was wir verpasst hatten. Die Mia fand es besonders schlimm, weil sie extra ihre Glitzer-Leggings eingepackt hatte für die noble Silvesterparty in Australien. So was ist schwer zu verzeihen. Aber Schwamm drüber, wir brauchten jetzt unsere Energien für den Marsch durch den Regenwald.

Just als wir in den Geländewagen steigen wollten, schrie die Cora plötzlich auf. Etwas hatte sie am Rücken getroffen (ein Keks, wie sich bald herausstellte). Bei Rückverfolgung der Wurfrichtung wurde was Weißes sichtbar. Es hockte auf der Mülltonne, fuchtelte mit den Flügeln und rief: „Huhuuu, hie-iier, Süüüße!“ Oh, Gott, nicht schon wieder. Der Kerl war ja merkbefreiter, als die Polizei erlaubte. Die Mia begann sich zu wundern:
„Cora, Liebes, hast du eine Kontaktanzeige aufgegeben oder was will der Typ dauernd von dir?“
Der Pit ist hingegangen und hat einmal kräftig mit seiner Pringles-Rolle auf den Abfalleimer geschlagen, so dass es schepperte. Man konnte sehen, wie sein Mund schnell auf und zu ging. Aha, das war also die längst fällige Ansage. Gut so, das Problem waren wir ja wohl endlich los.

Unser Fahrer brachte uns tief in den Regenwald. Die Polly prüfte den Weg anhand einer Landkarte. An einer Gabelung ließ sie anhalten. Wir mussten aussteigen und unsere Provianttüten mitnehmen. Der Fahrer würde uns am Nachmittag irgendwo wieder abholen.
„Bitte passen Sie auf, Madam,“ hat er gewarnt. „Nicht zu nah ans Wasser treten, dort gibt es Krokodile.“
„Ja, und nicht schubsen“, habe ich gerufen und eine Laola-Welle gemacht.
Die andern kicherten, aber nicht lange, weil hinter uns aus dem Dickicht eine wohlbekannte Stimme erklang:
„Cooo-raaa, Süüüüße! Hier ist dein Liiiiiiebster!“
„Zieh Leine! Du nervst!“, hat die Mia zurückgebrüllt.
Wie war der Kerl so schnell hergekommen? Wenn er unserm Wagen gefolgt war, dann alle Achtung: Kondition besaß er, das musste man ihm lassen.

Der Weg führte uns wieder eine Wanderroute entlang. Es war aber mehr ein breiter Trampelpfad, denn hier im Regenwald war es sicher nicht einfach für das Personal, alles tipptopp in Ordnung zu halten. Ab und zu raschelte es. Dann waren Einheimische unterwegs. Die Cora behauptete, sie hätte Kängurus vorbeihuschen sehen. Möglich war's, da sie laut Reiseführer hier lebten.

Einmal sahen wir Flughunde am Ast hängen. Wie man sofort erkennen konnte, handelte es sich um entfernte Verwandte vom Roosevelt und Otis, unmissverständlich zu identifizieren an den Gummilappen am Flügel und dem impertinenten Grinsen. Wir standen unten und guckten hoch.
„Flughunde?“, hat der Pit geprustet. „Also Vogel und Hund? Jo, Karlsson, dann weißt du ja Bescheid, was dabei herauskommt, wenn du den Max heiratest.“
Blödmann.

Flughunde: tagaktiv mit Lederwedeln

Von dem vielen Gepiepe und Gekrächze aus der Luft, das uns umgab, waren dagegen kaum zugehörige Körper auszumachen. Man wusste zwar, dass Vögel unterwegs waren, aber sehen konnte man sie selten. Nur ein weißer Kakadu folgte uns auf Schritt und Tritt, flog von einem Baum zum andern und stierte unverschämt auf uns herab. Er gab sich keinerlei Mühe, sich zu verbergen. Im Gegenteil, manchmal tanzte er wild herum und schrie der Cora Anzüglichkeiten zu wie „Aloha!“ oder „Komm zu mir, Püppi!“ Boah, der nervte! Von uns reagierte längst keiner mehr darauf, die Cora am wenigstens. Manchmal hätte ich am liebsten Zielwerfen mit der Provianttüte gemacht.

Zwischendurch riss das Baumgewölbe immer mal wieder auf. Mehr oder weniger flache Ebenen mit und ohne Felsen unterbrachen den Regenwald. Dann stolzierten bunte Störche am Ufer entlang auf der Suche nach Nahrung.

Lecker!

Wasserfälle sollte es hier auch geben, aber wir haben keine gesehen. Dafür schwammen Wasserlilien, Lotusblumen und Seerosen in Tümpeln und Teichen.
„Herrlich“, hat die Cora geseufzt.

Wasserlilie: Farbe im Regenwald

Das hätte sie besser nicht sagen sollen, denn prompt kam von schräg oben eine Fuhre Blüten auf sie niedergeregnet. Vor Schreck ist die Cora einen halben Meter zur Seite gesprungen und fast im Teich gelandet. Daraufhin ist die Polly schnurstracks zum Weißtrottel marschiert.
„Du machst dich jetzt vom Acker, aber flott!“, hat sie gebellt. „Sonst schieß ich dich vom Ast.“
Ha! Von dieser Seite war also auch schon an den Einsatz der Provianttüte gedacht worden. Recht hatte sie, denn es hätte auch schiefgehen können, wenn im Wasser Krokodile gelauert hätten, schließlich waren wir extra davor gewarnt worden.
„Woher kennt der Typ eigentlich meinen Namen“, hat die Cora misstrauisch gefragt.
„Weil auf deinem Rucksack „Hello from Duisburg“ steht“, habe ich schnell geantwortet, um die Zweifel zu zerstreuen.

Die ganze Zeit lief die Polly mit der Landkarte vorneweg – stundenlang. Zwischendurch hielt sie an, atmete bei geschlossenen Augen tief durch oder wies die Cora an, dieses oder jenes Gestrüpp zu fotografieren. Ich verzichte darauf, hier weitere Kostproben dieser einzigartigen wissenschaftlichen Dokumentation zu veröffentlichen. Es reicht, wenn ihr wisst, dass die Polly uns ganz schön scheuchte. Oft mussten wir uns beeilen, damit wir sie nicht aus den Augen verloren.
„Das ist doch kein Urlaub“, hat die Mia gejammert.

Zum Mittagessen saßen wir auf einem Felsvorsprung und kauten lustlos an unsern zähen Sandwiches. Auch diesbezüglich wären wir für eine Abwechslung dankbar gewesen. Der Chucky verfolgte uns noch immer.
„Huhuuuu!“, rief er. „Hier bin ich, Liebste.“
Einmal dachten wir, dass wir ihn endlich los wären, nämlich nachdem eins der Sandwiches (ich sag nicht von wem) direkt in seiner Visage gelandet war. Das hatte ihn aus dem Gleichgewicht gebracht. Für eine halbe Stunde war Ruhe, aber dann tauchte er wieder auf. Krokodile hatten wir noch nicht gesehen.

Zumindest Letzteres sollte sich bald ändern. Die Polly führte uns an einen großen Tümpel mit schlammigem Ufer. Auf der Landkarte war dort ein rotes Kreuz eingezeichnet. Wir wurden angewiesen, in einiger Entfernung auf einen dicken Ast zu steigen und geduldig die Wasseroberfläche zu beobachten. Wir glotzten auftragsgemäß.
„Vielleicht sollte der Pit ein paar von seinen Pringles reinwerfen“, hat die Mia vorgeschlagen, als sich noch immer nichts tat.

Das war eine gute Idee. Gerade als er ans Ufer getreten war, um seine Spende zu übergeben, sah man eine verdächtige Wasserbewegung wie ein Pfeil auf ihn zustreben. Aber so schnell konnten wir den Pit gar nicht warnen, wie sich plötzlich ein Schlund mit vielen Zähnen aus dem Wasser erhob und nach dem Pit schnappte. Wir schrien auf (auch die Polly). Doch der Pit wäre kein Kater gewesen, wenn er sich nicht blitzschnell und gummiartig zur Seite gebogen hätte. Das Krokodil schnappte ins Leere. Wir machten, dass wir fortkamen. Nicht, dass es uns noch verfolgte. Es war riesengroß. Im Fernsehen und auf Fotos sehen sie immer so klein aus, dabei sind 4 Meter eine imposante Länge. Und schnell sind die Dinger obendrein, das hatten wir ja gerade erlebt.
„Huch! Ist es hinter uns her?“, hat sich die Cora umgeschaut.
Aber der Weg war frei (wenn man vom Chucky absieht).

Salzwasserkrokodil: noch mal Schwein gehabt

Später hat der Karlsson vorgelesen, dass es in Australien Süßwasserkrokodile gibt und Salzwasserkrokodile. Die Namen sind selbsterklärend, wobei interessanterweise die Salzwasserkrokodile auch im Süßwasser vorkommen können. Das gibt es aber nur hier in Australien. Bei diesen „Salties“, wie sie von den Einheimischen genannten werden, handelt es sich um die größte Krokodilart überhaupt. Einzelne männliche Exemplare können bis zu 6 Meter lang werden. Sie fressen Vögel (boah!), Fische, Wasserschildkröten, Säugetiere und sogar kleinere Artgenossen. Speziell von Katern stand zwar nichts dabei, aber wir alle waren uns einig, dass der Pit wahnsinniges Glück gehabt hatte.

Dagegen die „Freshies“, also die Süßwasserkrokodile (Freshwater crocodiles auf English), sind kleiner, maximal 3 Meter lang und haben typische Huckel am Hinterkopf. Sie leben zum Beispiel von Wasservögeln, Amphibien, anderen Reptilien und kleinen Säugetieren. Obwohl das harmloser klang, verspürten wir keinerlei Bedürfnis nach einem Zusammentreffen. Wir waren bedient, wir wollten zurück zum Hotel. Die restliche Zeit bis zum Treffpunkt mit dem Geländewagen ließ uns die Polly aber noch mal ordentlich durch den Regenwald laufen. An Tümpeln, die wir unterwegs passierten, sind wir grußlos vorbeigegangen. Den Weißtrottel hatten wir noch immer am Hacken. Unvermindert rief er sein schmieriges Zeug durch die Gegend. Alles seufzte auf, als wir endlich, endlich aus dem Dickicht traten, vor uns eine Straße auftauchte und unser geliebter Geländewagen dort auf uns wartete. Juhu, wir waren gerettet.

Auch nicht harmlos: Süßwasserkrokodil

Kaum waren wir vorm Hotel ausgestiegen und in Gedanken bereits bei den gemütlichen Rattansesseln in der Lounge, pfiff uns die Polly noch mal zusammen. Was war denn jetzt wieder los? Wir sollten mal schnell herkommen und uns das ansehen. Wir traten hinter den Wagen. An der Stoßstange klebte der Chucky, hielt sich dort mit den Krallen fest. Sein Gefieder sah zerweht aus. Na, guck an, so hatte er also die vielen Kilometer zurückgelegt, dieser Aufschneider.
„Soll ich ihn packen?“, hat der Karlsson gefragt und schon mal die Zähne gefletscht.
„Nee, lass man“, kam die Antwort von der Mia. „Ich sag in der Küche Bescheid, dass wir heute Kakadu-Frikassee essen wollen.“
Ruckzuck war der Kerl aufs Dach verschwunden.

In den wenigen Stunden, die noch vom Abend blieben, haben wir uns pflegerisch betätigt. Blasen oder aufgescheuerte Stellen hatte jeder an den Füßen (außer der Polly). Auf der Terrasse brauchten wir diesmal nicht zu sitzen, weil der Chucky dort hockte. Zum Abendessen verlangte der Karlsson einen Salatteller. Nanu, war er krank? Ach, woher, hat er mir später verraten. Er hätte einen Deal gemacht: hungrig ins Bett gehen gegen einen ordentlichen Regenguss in der Nacht, damit wir morgen nicht noch mal raus müssten in den Regenwald, so wie es die Polly bereits angekündigt hatte. Mensch, das war genial! Danke, dass sich der Karlsson so aufopferte.

Und was soll ich sagen? In der Nacht ging tatsächlich ein Regenguss nieder. Es schüttete wie aus Schläuchen. Dazu rappelte der Wind an den Fensterrahmen und die Baumwimpel huschten aufgeregt als Schatten hinter der Gardine hin und her. Wir lagen im Bett und lauschten.
„Ich glaube, das ist ein Monsun“, hat die Polly gesagt.
Ich bin mal kurz auf die Terrasse gegangen, um nachzuschauen, ob der Weißtrottel noch lebte. Aber er hatte sich bereits hinter einem Stapel Gartenstühle in Sicherheit gebracht. Zumindest wehte er dort nicht weg.
„Ich war schon“, habe ich den Pit informiert, als wir uns auf dem Rückweg begegneten.

Die Auswirkungen auf den nächsten Morgen waren grandios: Schlamm und Pfützen überall. So würde das nichts werden mit der Zufahrt zum Nationalpark. Das musste auch die Polly anerkennen, obwohl sie betrübt guckte. Wir andern klatschten uns ab, als wir unbeobachtet waren: Yeah, endlich Urlaub machen! Unsere Laune besserte sich schlagartig. Karten haben wir gespielt und Fernsehen geguckt, das ganze Programm rauf und runter. Die Hennen waren mit Krallenpflege beschäftigt, mit Gesichtsmasken und Haarpackungen. Die Polly hat die Gräser- und Insektenfotos in Coras Digicam überprüft und später auch zu bestimmen versucht, nachdem sie mitgekriegt hatte, dass sich im Büro des Hotelbesitzers eine kleine Bibliothek befand. Botanikbücher waren auch darunter.
„Na, schon einen Grashüpfer entdeckt?“, hat sich die Mia freundlich erkundigt.

Von Chucky war neuerdings nur noch heisere Ansprache zu vernehmen: Er hatte sich erkältet. Das hielt ihn aber nicht zurück, vor unserm Fenster zu sitzen und mit den Krallen an der Scheibe zu kratzen.
„Mach doch auf, Süße“, hat er gebettelt.
Die Cora ist dann hingegangen und hat energisch die Gardine zugezogen – bis es im Zimmer zu dunkel wurde und sich alles von vorn abspielte. Trotzdem war der Erholungswert dieses einen freien Tages enorm. Es ist nicht übertrieben, wenn ich sage, dass wir geradezu von den Toten auferstanden. Und all das hatten wir dem Karlsson zu verdanken.
„Nicht doch“, hat er bescheiden auf den Boden geschaut.
Als Belohnung habe ich ihn heimlich beim Mau-Mau gewinnen lassen.

Derart gestärkt konnten wir es kaum erwarten, zur nächsten Etappe aufzubrechen. Es ging nach Airlie Beach an der Westküste. Wie bereits der Name verhieß, durften wir auf eine völlig andere Landschaft hoffen. Von tropischem Wildwuchs hatten wir jedenfalls genug. Der Flug mit unserer Chartermaschine dauerte über 10 Stunden. 2000 km waren zu bewältigen. Gern nahmen wir diese Strapaze auf uns. Selbst das trockene Sandwich, das – wie sollte es anders sein? – unsere Reiseverpflegung darstellte, schmeckte diesmal gar nicht so übel. In Airlie Beach würden wir baden gehen und Ausflüge machen zum berühmten Great Barrier Reef.

Nachdem wir gelandet waren, haben wir aber erst mal das Flugzeug umrundet, denn wir wollten sicher gehen, dass sich nicht doch noch der Chucky irgendwo angeklammert hielt. Aber Gott sei Dank war alles in Ordnung. Wir atmeten auf. Diese peinliche Angelegenheit gehörte endgültig der Vergangenheit an. Und das Wichtigste: Die Weiber hatten nichts gemerkt.

Erfreulich war auch das Wetter: strahlend blauer Himmel bei angenehmen 32 Grad. Moment mal – halt! 32 Grad? Echt so viel? Nur etwas weniger als im Regenwald? Es kam einem gar nicht so heiß vor, wahrscheinlich weil das Meer mit seiner frischen Brise für einen erfreulichen Effekt sorgte.

Auch wusste ich nicht, dass ich das mal sagen würde: Die vielen Menschen fielen einem positiv auf. Airlie Beach ist ein Touristenzentrum, besonders für Backpacker. Einwohner leben dort nur wenige, 1200, um genau zu sein (100 mehr als in Jabiru), aber man kam sich hier deutlich mehr in der Zivilisation vor, vermutlich weil weniger wilde Bäume im Weg standen. Die Palmen dagegen waren sehr hübsch.

Exotik pur: Airlie Beach

Da wir so viel Zeit für die Anreise verbraucht hatten und ein Ausflug nicht mehr lohnte, durften wir sofort baden gehen. Die Mia zog ihren Glitzer-Biniki an, die Cora hatte die Sonnenbrille aufgesetzt, die Polly ihren Reiseführer dabei (gebundene Ausgabe). Wir Jungs gingen selbstverständlich nackt.

Als wir den Strand ansteuerten, wurden wir stattdessen zu einem Pool dirigiert.
Wieso? Wir wollten im Meer baden gehen.
„Geht nicht“, hat die Polly gesagt. „Hier gibt es giftige Quallen im Wasser, deshalb ist der Pool da. Dort können wir gefahrlos schwimmen. Oder wollt ihr im Neopren-Anzug in die Wellen?“

Hat die Stadt eingerichtet: den Pool von Airlie Beach

So was aber auch. Nun waren wir schon mal am Strand und dann ging es nicht – blöd. Der Karlsson guckte sich nach Surfern um. Trotzdem wurde es ein denkwürdiger Nachmittag. Wir planschten und schwammen, zogen der Mia das Glitzeroberteil im Wasser aus (hihihi), trieben auf einer Luftmatratze, die wir uns von einem freundlichen Touristen ausgeliehen hatten, wir dösten auf dem Handtuch, schlabberten Eis und freuten uns von Herzen, dass wir nicht wandern mussten. Die Cora erkundigte sich bei der Polly, ob sie sich auch schön entspanne, ja? Das tue nämlich sehr gut, besonders den Nerven, wenn man einfach mal nix täte oder höchstens das, wozu man Lust hätte.
„Mach ich doch“, hat die Polly geantwortet. „Ich wandere gern und das bringt mir Entspannung.“
„Ich geb's auf“, hat sich die Cora weggedreht.

Am Abend offerierte unser Hotel (das erste am Platz) ein reichhaltiges Büfett. Jeder kam auf seine Kosten: die Vierbeiner zu Fleisch und Fisch, wir Vögel zu Salami-Pizza und Waffeln zum Nachtisch. Anschließend saßen wir noch lange an der Hotelbar und ließen uns die Cocktails der Getränkekarte vorstellen, während die Polly auf dem Zimmer, wie gewohnt, das morgige Programm noch mal durchging. Sie tat gut daran, denn morgen Nachmittag nach dem Ausflug würde sie ihren Dingo treffen. Ein ausgeruhtes, frisches Aussehen wäre für dieses Ereignis zweifellos sehr von Vorteil.
„Wie heißt der Knabe eigentlich?“, habe ich mich bei den Hennen erkundigt.
„Phil. Genauer gesagt Philadelphio.“
Ja ... okay, man sollte optimistisch sein und immer an das Gute glauben.

Wisst ihr, was ein … äh ... „P...pp....ppp...orn Star Martini“ ist? Das ist was australisch Leckeres mit gut verstecktem Alkohol, das einem zackig in die Birne steigt, wenn man nicht aufpasst. Auf dem Weg zum Hotelzimmer sind wir mehrfach von geöffneten Türen angezischt worden: Wir sollten leiser sein. Offenbar haben wir gesungen. Oder wir sind links und rechts im Flur gegen die Begrenzungen geknallt. So einer Terrierschädel kann ordentlich scheppern. Die Mia hat auch einmal gegen eine Tür getreten und „Mach auf, Polly!“ gerufen, dabei war das gar nicht unser Zimmer.

Unbeeindruckt von unserem Krankheitszustand sind wir am Morgen hochgejagt worden. Jemand mit einem Megaphon stand plötzlich neben dem Bett und hat uns angeschrien:
„Aufstehn! Frühstück!“
Und dann hat die Polly süffisant hinzugefügt:
„Tja, das passiert, wenn man säuft.“
Geistesgegenwärtig hat der Pit mit Wilhelm Busch gekontert:
„Es ist ein Brauch von Alters her, wer Sorgen hat, hat auch Likör!"
Bumm, das hat gesessen, schließlich tranken wir ja nur, weil wir die ewige Latscherei absorbieren mussten. Unsere Seele schrie nach Hilfe! Und wenn man keine Stimme hat, muss man halt anders auf sein Leid aufmerksam machen..
„Quatsch!“, hat die Polly gesagt „Ihr seid nur verwöhnte Suffköppe. Erst habt ihr gemeckert, dass wir zu lange gesessen haben, und jetzt ist euch die Bewegung zu viel. Was wollt ihr eigentlich?“

Wir hätten schon eine Antwort gewusst, aber stattdessen ging es mit dem neuen Leihwagen erst ein Stück nach Osten, dann bestiegen wir ein Boot. Es handelte sich um ein so genanntes Glasbodenboot. Das sind so quadratische Aussparungen im Erdgeschoss mit einem Geländer drumherum, wo man stehen und schauen kann, was sich unter dem Rumpf im Wasser befindet. Für so eine Attraktion wie das Great Barrier Reef war das eine feine Sache, denn andernfalls hätten wir tauchen müssen, um all das zu sehen, weswegen man herkam.
„Ja, weswegen sind wir denn hier?“, wollte der Karlsson wissen.

Die Mia hatte ihm Salbe unter die Locken gerieben, damit die blauen Flecken besser heilten. Die Kopfschmerztablette brauchte wohl noch ein wenig, bevor sie wirkte. Reiseführer und Vorleseamt wurden daher an die Cora übergeben. Sie kam von uns allen am besten damit klar, wie das schaukelnde Boot unsere Alkoholreste verquirlte. Immerhin hat sich keiner getraut, ins wunderbar tiefblaue Wasser zu ko … äh … kollabieren. Das wäre uns peinlich gewesen. Wir hörten ergeben zu, was die Cora zu verlesen hatte.

Das berühmte Great Barrier Reef ist die weltweit größte Ansammlung von einzelnen Korallenriffen. Es sind über 2900 auf einer Länge von gut 2300 Kilometern. Dieser Streifen verläuft fast parallel zur Küste, allerdings nicht schnurgerade. Mal ist er nur 30 km entfernt, mal ganze 250 km. Außerdem liegen dort ca. 1000 Inseln verstreut. Neben den Korallen leben viele andere Tiere und Pflanzen im Great Barrier Reef, darunter Fische, Schwämme, Seetang, Vögel, Schildkröten, Dugongs (also Seekühe), Schnecken. Auch Buckelwale gebären hier ihre Jungen. Etliche der Arten sind vom Aussterben bedroht. Die Korallen selbst gehen dramatisch zurück. In den letzten 30 Jahren ist der Bestand um die Hälfte geschrumpft, und das setzt sich fort. Die Ursachen sind vielfältig: ungünstige Gewässerchemie, Treihausgasausstoß, globale Erwärmung und Zyklone, die heutzutage häufiger wüten als früher.

Korallen, Korallen, Korallen: das Great Barrier Reef

„So ein Jammer“, hat die Mia gesagt.
Ja, die Unterwasserwelt war atemberaubend, sogar mit dickem Kopf. Wir lehnten oder saßen am Geländer und schauten zu, wie Buntes an uns vorbeizog. Einen Dugong haben wir aber nicht gesehen. Allerdings war mir manchmal, als würde ein weißer Kakadu ins Bild schwimmen und Kusshände hochschicken. Dann musste ich mich schütteln und mir die Augen reiben. Der Pit hatte sich eine Tüte Popcorn aus dem Automaten gezogen. Wir andern hofften aufs Mittagessen.

Doch erst mal sind wir an Land gegangen. Das war im Service der Bootstour inbegriffen. Auf Whitsunday Island gab es den herrlichsten feinen weißen Sandstrand, den ich je gesehen habe, kilometerweit und fast unberührt.

Whitsunday Island: Das ist ein Fleckchen Erde, was?

Ich meine, als normaler Tourist, wenn man gerade von zu Hause ankam und noch keine militärische Ausbildung im Geländemarsch hinter sich hatte, dann verspürte man wahrscheinlich das Bedürfnis, hier spazieren zu gehen. Wir jedoch gehörten inzwischen zu den fortgeschrittenen Rekruten und nahmen uns daher das Recht heraus, ohne Umschweife ein Sonnendach aufzusuchen und uns nicht mehr zu rühren.
„Ihr seid echte Weicheier“, hat sich die Polly beschwert. „Dann gehe ich eben allein zum Schnorcheln.“

Nee, vielen Dank, wirklich nicht. Wir Vögel haben es nicht gern, wenn der Kopf unter Wasser gerät, der Pit ebenso wenig. War der Karlsson nicht damals in Afrika tauchen, in diesem Ort mit „Scheich“ im Namen, ihr wisst schon, dort unten am Roten Meer? Doch damals war er nüchtern gewesen und ohne Hämatome vom Getorkele auf dem Hotelflur. Kein Wunder, dass er jetzt lieber bei uns blieb; ich konnte ihn voll verstehen.

Wir schauten zu, wie sich die Polly entfernte. Sie würde zu einem Verleih gehen und sich eine Taucherbrille, Schwimmflossen und einen Schnorchel besorgen. Dann würde sie im Wasser herumwaten oder vielleicht auch ins Tiefe schwimmen und uns später begeistert erzählen, was sie alles gesehen hätte und wie toll es gewesen wäre.

Tauchen im Great Barrier Reef: Hatte das die Polly gesehen?

Da die Polly aber leider länger ausblieb als erhofft, haben wir den Pit und die Cora losgeschickt, um uns was zu essen zu holen. Das Geld hatten wir gerade so zusammengekratzt. Mönsch, ich konnte es kaum glauben. Kamen sie doch allen Ernstes mit fünf Sandwiches zurück.
„Ja, Mann“, hat sich die Cora verteidigt. „Wir sind hier in der Natur, oder seht ihr irgendwo eine Hotelanlage mit Kasino, Riesenrad und McMampf?“
Wenigstens war das Kopfweh weg. Auch der Alkohol hatte sich allgemein verflüchtigt. Wir waren wieder so gut wie genesen. Nun konnte langsam die Polly zurückkommen. Wir hatten schließlich am Nachmittag noch Wichtiges vor.

Von der Rückfahrt im Boot gibt es nicht viel zu berichten. Die Polly war rechtzeitig zurückgekehrt, nass und mit sandigen Pfoten, hatte aber sonst nichts verlauten lassen über ihre Erlebnisse. Endlich mal eine Frau, die zu schweigen wusste. Mich hat das beeindruckt.
„Mich nicht“, hat die Mia gesagt. „Man möchte schließlich wissen, was andere so erleben.“
Ach, sie hatte ja nur Angst, dass sie was verpasste, weil die Polly in Wahrheit ausgiebig shoppen gewesen war und heimlich einen Rolls Royce gekauft hatte oder wenigstens eine Diamantkette.

Das Boot brachte uns zurück nach Airlie Beach. Von Mittagessen war nicht mehr die Rede. Jetzt saßen wir im Hotelzimmer und machten uns frisch. Mit viel Gesülze und schauspielerischem Einsatz war es der Cora und der Mia gelungen, die Polly zu überzeugen, dass wir am Nachmittag unbedingt einen Spaziergang am Strand unternehmen müssten. Zwar ist es der Polly erst verdächtig vorgekommen, aber nachdem man ihr glaubhaft versichern konnte, dass uns ein wenig moderate Bewegung in frischer Meerluft nach der kurzen Nacht und der anspruchsvollen Besichtigungstour gut täte, hatte sie zögernd eingewilligt, zumal wir von der schönen Landschaft von Airlie Beach ja noch gar nicht viel mitgekriegt hatten. Nun wurde sie von den beiden Hennen mit Haarspray eingenebelt.
„Lasst das!“, hat sie gehustet.
Ein von der Mia kunstvoll in den Schwanz zu flechtendes Haarband hat sie ebenfalls abgelehnt sowie ein Glitzerspray für jene Fellpartien, die abstanden und dringend der Zähmung bedurften. Uns Männern beschlich die Befürchtung, dass uns die Polly unter all diesem Aktionismus wieder abspringen könnte. Deshalb drängten wir zum Aufbruch.

Den Strand sind wir gemütlich in zwei Gruppen entlanggeschlendert: vorneweg die Mädels, dahinter wir Jungs in Hörweite, aber so unbeteiligt, dass es einem Fremden vorkommen musste, als gehörten wir nicht dazu. Die Aufregung stieg. Nur noch wenige Augenblicke, dann würde Amor seinen Pfeil abschießen. Ich hoffte inständig, dass die Hennen eine bessere Wahl getroffen hätten, als wir sie beim Chucky abbekommen hatten. Im Augenwinkel behielten wir unauffällig jede Bewegung im Blick. Und dann sahen wir ihn entgegenkommen, leichtfüßig mit den Pfoten im Wasser (trotz der Quallen), so wie jemand sich bewegte, der hier zu Hause war.

Phil

Doch, durchaus, dem ersten Anschein nach machte der Frischkäse einen ordentlichen Eindruck. Seine Fellfarbe würde gut zu Pollys passen. Selbst der Karlsson, unser Experte für Hunde, nickte anerkennend. Wir schauten zu, wie die Mädelsgruppe nun diskret in schicklicher Entfernung begleitet wurde. Das hatten die Mia und die Cora ihm nämlich im Vorfeld geraten: Er soll sich behutsam nähern, weil die Polly schüchtern sei. Am besten täte er so, als wüsste er nichts von dem arrangierten Date, sondern würde sie ganz zufällig treffen.

Haha, die Polly und schüchtern. Das war ja der Witz des Tages, aber als Strategie sehr wirkungsvoll. Alle paar Minuten rückte er ein Stück näher heran, bis er sich schließlich direkt an die Mädels wandte. Er stellte sich höflich vor, nannten seinen Namen und Beruf und fragte, woher die hübschen Damen kämen und ob sie schon länger in Airlie Beach wären. Ich muss zugeben, er machte das sehr geschickt. Für kein weibliches Wesen, auch nicht für das tugendhafteste, stellte es ein Problem dar, in den unverbindlichen Small Talk einzuschwenken. Zwar blieb die Polly leider etwas reserviert, dafür schnatterten die Mia und die Cora umso mehr. Sie gaben sich alle Mühe, die freundliche Atmosphäre am Laufen zu halten. Man unterhielt sich über die hiesigen Quallen, über die Durchschnittstemperaturen im Januar, über den Monsunregen im Kakadu-Nationalpark und sogar über James Cook und dass er 1771 als erster Europäer die Ostküste Australiens betreten hatte. Na, wenn das nicht beeindruckte, dann küss ich 'ne Taube. Mehr Bildung bei einem Mann geht nicht. Am Ende lud der Phil die Mädels zu einem kleinen Imbiss ein. Er würde sich freuen, hat er gesagt, wenn sie ihm mit ihrer netten Anwesenheit das Abendessen versüßen würden. Da die Mia gleich mit „Oh, danke, wir kommen“ geantwortet hatte und von der Polly keine gegenteilige Reaktion kam, musste die Veranstaltung als gelungen bezeichnet werden.
„Es klappt, es klappt!“, habe ich leise gerufen.
Der Pit, der Karlsson und ich haben High five gemacht. Da war der Frischkäse schon längst davongetrabt und die Mädels zügig in Richtung Hotel unterwegs.

Dort hörten wir die Mia schwärmen:
„Ist er nicht total süß, der Phil?“
„Und so gebildet“, hat die Cora heftig genickt.
„Schnell, wir müssen uns fertig machen. Keine Angst, Polly, wir tuschen dir die Wimpern. Mein Parfüm kannst du auch benutzen.“

Es dauerte einen Moment, bis die Hennen mitkriegten, dass die Polly „Nö“ gesagt hatte. Ganz trocken war das gekommen.
„Wie … nö?“
„Ich komme nicht mit. Ihr könnt allein gehen.“
„Wieso denn? Magst du den Phil nicht?“
„Der Kerl ist unsolide.“

Und dann mussten wir staunend vernehmen, dass der Beruf des Strandläufers zum Einsammeln angeschwemmter Wasservögel und toter Fische nicht ihr Interesse träfe. Außerdem wäre James Cook nicht 1771 in Australien gelandet, sondern 1770. Das sei dilettantisch, wenn nicht gar Aufschneiderei. Oh-oh, jetzt hatten wir aber alle Hände voll zu tun, um das Bild wieder geradezurücken. Doch auch nachdem wir eingewandt hatten, dass es ganz normal sei für Küsten-Dingos, die Nahrung vom Strand zu beziehen, und dass es sich bei dem Phil ganz bestimmt um einen sehr charmanten, eloquenten und naturliebenden jungen Mann mit ernsten Absichten handele, blieb die Polly uneinsichtig.
„Was ist überhaupt mit „ernsten Absichten“ gemeint?“, wunderte sie sich jetzt.
Mist, da hatte sich jemand verplappert.

„Ach, so ist das. Jetzt verstehe ich“, hat sie ihrem Ärger Luft gemacht. „Das war arrangiert. Das sollte eine Heiratsvermittlung sein. Wer von euch hatte die blöde Idee?“
Wir wurden streng inspiziert, einer nach dem andern. Aber glücklicherweise war die Cora so geistesgegenwärtig, dass sie vor allem den Karlsson retten konnte, denn er musste schließlich mit der Polly weiterhin unter einem Dach leben.
„Die Mia und ich hatten die Idee“, hat die Cora schnell gesagt. „Die Jungs wissen nichts davon.
Zur Untermauerung haben der Pit, der Karlsson und ich ein überraschtes Gesicht aufgesetzt:
„Ja, das stimmt, wir wussten nichts davon – ehrlich!“
Daraufhin wurden wir noch gründlicher angestiert als eben. Nur jetzt die Nerven behalten, nicht einknicken. Ich persönlich habe den Schluss daraus gezogen, dass wir Männer uns eben damit abfinden müssen, dass solche Leute wie die Mia, die Polly oder die Amy uns umgeben. Es gibt nun mal Frauen und man kann ihnen nicht vollständig entkommen. Das sollte man akzeptieren, um die Nerven zu schonen.

„Das war ja mal wieder was“, hat der Karlsson geseufzt, als wir allein waren.
Die Hennen mussten auf Geheiß der Polly zum verabredeten Abendessen gehen und den Phil nach Hause schicken. Bald waren sie wieder da (ohne Abendessen). Er wäre enttäuscht, ließe er ausrichten. So ein sprödes Date wäre ihm noch nie untergekommen. Warum die frostige Terrierdame überhaupt heiraten wolle, das wäre ihm unklar. Und ihr Profil sei ja wohl völlig falsch („anschmiegsame Zuckerschnute“), das solle sie mal besser anpassen, damit nicht noch andere Rüden darauf hereinfielen.

Danach hat sich die Polly nie mehr zu ihren amourösen Plänen geäußert. Uns war das recht. Allerdings hätten wir gern was zu Abend gegessen, nachdem schon das Mittagessen so mager ausgefallen war. Da sich die Polly aber nicht rührte, sondern wortlos den Fernseher einschaltete, sind wir allein losgezogen. Fürs Restaurant fehlte uns das Geld (und Pollys Erlaubnis). Auf der Straße fanden wir einen billigen Burger-Laden. So war der Hunger wenigstens gestillt, nicht aber unser Frust. Ein paar Cocktails in der Bar wären jetzt genau das Richtige gewesen. Weil uns aber auch hierfür das Geld fehlte, mussten wir zurück aufs Hotelzimmer. Die Polly schaute eine Reportage (Eishockey in Kanada), uns würdigte sie keines Blickes. Wir sind bald schlafen gegangen, um diesen verunglückten Tag hinter uns zu lassen.

Die nächste Etappe war Surfers Paradise. So heißt ein bekannter Ortsteil der Stadt Gold Coast. Hier sollte es laut Reiseführer ebenfalls kultig sein, vor allem das Nachtleben und der 3 km lange Sandstrand. Nachtleben? Das hatte die Polly allen Ernstes für uns ausgesucht?
„Bei der Planung wusste ich ja noch nicht, was für Schluckspechte ihr seid“, hat sie gesagt.
Der Karlsson freute sich auf das Surfen. Seit er in Malibu gelernt hatte, nicht mehr vom Brett zu fallen, war er ganz wild darauf. Den Mädels gefiel, dass wir wieder eine richtige Stadt ansteuerten, sogar eine dicht besiedelte mit Hochhäusern. Das würde die Chancen auf den lang entbehrten Schaufensterbummel erhöhen. Der Pit und ich hatten keine besonderen Erwartungen. Wir würden nehmen, was sich ergäbe. Hauptsache, keinen Stress mehr.

Wir flogen mehr als 6 Stunden. Das Charterflugzeug brachte uns hin. Beim Anflug auf Gold Coast hatten wir einen phantastischen Blick auf die Bucht mit Surfers Paradise. Wow, das war mal wieder eine imposante Kulisse.

Geradeaus, das ist Surfers Paradise

Nachdem wir im Hotel (fünf Sterne) das Gepäck abgestellt hatten, ging's gleich weiter zum Mittagessen. Die Polly bestellte Fleisch, Fisch, Gemüse, Salat und Nachtisch. Obwohl von allem reichlich vorhanden war, wollte der Karlsson nicht richtig essen. Oh je, war ihm schlecht, oder hatte er wieder einen Deal laufen? Nein, hat er mich beruhigt, er wolle nicht so viel essen, weil wir ja gleich anschließend zum Surfen gingen und da sei es nicht gut, sich den Bauch vollzuschlagen.
„Wir gehen nicht surfen“, hat die Polly ihm roh die Freude genommen. „Erst sind die Mia und die Cora dran. Wir gehen shoppen.“
Die Hennen wurden gleich einen Kopf größer, der Karlsson sackte zusammen. Kann ich gut verstehen; der Pit und ich hatten auch keine Lust, mit den Weibern durch die Geschäfte zu ziehen.

Es half aber nichts, wir mussten mit. Erstaunlich, wie mühelos die beiden Hennen plötzlich die ganze Latscherei absolvierten, ohne auch nur ein Fünkchen Kondition einzubüßen. Fröhlich schnatternd wechselten sie von einem Laden zum nächsten: Kosmetik, Strandtaschen, Badelatschen, Parfüm, Hüte, Gürtel, Schmuck. Nichts blieb unbestaunt und nichts blieb unbegrabbelt. Ab und zu zückte die Polly ihre Kreditkarte. Dann durften die Cora und die Mia sich etwas einpacken lassen. In solchen Momenten kam wieder jene mondäne Polly zum Vorschein, so wie wir sie damals erlebt hatten, als sie uns mit der Amy in New York über den Weg gelaufen war. Ich verstehe sowieso nicht, wie man sich von einer genussfertigen Luxus-Tante zur freiluftfanatischen Geländeläuferin entwickeln kann. Da muss doch ordentlich was schiefgelaufen sein.
„Keine Ahnung“, hat der Karlsson die Achseln gezuckt „Zu Hause ist sie eigentlich schon immer gern in den Wald gegangen.“

Um sich die Laune zu bewahren, hatte der Pit eine Tüte Paprikachips dabei. Das brachte mich auf eine Idee:
„Kümel doch mal ein bisschen hier rum“, habe ich ihn leise aufgefordert.
Um das Ganze zu beschleunigen, habe ich selbst in die Tüte gegriffen. Dadurch waren die Krallen schön fettig und würden sicher hübsche Spuren auf den teuren Spitzen-Schlüppern hinterlassen. Und tatsächlich, wie ich es geahnt hatte, sind die Weiber gleich darauf angesprungen:
„Iiiiih, neee! Lasst das!“, haben sie geschrien.
Und prompt folgte, was ich hören wollte:
„Mit euch kann man sich ja nirgends blicken lassen. Ihr seid echt peinlich. Haut doch ab!“

Okay, machen wir – sofort. Die Polly hat uns Geld gegeben, keine fünf Sekunden später waren wir raus aus dem Geschäft und die Straße runtergelaufen. Wir sind mit dem Taxi zum Strand gefahren. Bei einem Surfverleih hat sich der Karlsson ein Surfbrett geliehen. Zwar gibt es bei Surfers Paradise – ganz im Gegensatz zum Namen – nicht sehr hohe Wellen, so dass sich die Szene lieber an andern Stellen trifft, doch für Karlssons Spaß reichte es allemal. Er jubelte nur so durchs Wasser, dass es eine Freude war, ihm zuzuschauen. Der Pit und ich saßen unterdessen im Sand unter einem Sonnenschirm (den man sich ebenfalls leihen konnte) und genossen den friedlichen Nachmittag.

Das ist nicht der Karlsson, aber er hätte es sein können

Zum Abendessen trafen wir uns wieder im Hotel. Die Hennen waren bester Laune. Sie hatten durch die Shoppingtour ihr Östrogen aufgefrischt. Ihre Turnbeutel standen jetzt prall und knotig von ihren Rücken ab. Immerhin: Die Aufschriften „Wir kommen“ und „Hello from Duisburg“ konnte man nun viel besser lesen, jetzt, wo sie nicht mehr schlaff herunterhingen. Darüber hinaus erzählten sie, dass sie eine tolle Besichtigung gemacht hätten.
Ach ja?
„Ja, wir waren auf dem Q-1-Tower. Der ist über 320 Meter hoch, das höchste Gebäude Australiens. Oben gibt’s ein Skydeck. Dort hat man einen fantastischen Blick über die Stadt. Und das Tollste: An der Außenseite kann man aufsteigen. Man muss sich nur anschnallen für alle Fälle."
Der Karlsson wurde gelb im Gesicht. Seine Locken passten jetzt prima zum Curryreis auf seinem Teller. Er tat mir leid. Bei Hochhäusern kriegt er doch immer psychische Bedrängnis, vor allem in Kombination mit Freifallgedöns wie Glasböden, Glasrutschen oder eben ausseitigen Vorrichtungen, die sonst an keinem anständigen Haus zu finden sind.

Surfers Paradise: der Q 1 Tower

Der Pit zeigte sich ebenfalls verwundert:
„Polly, bist du mit hochgestiegen?, hat er wissen wollen.
„Klar,“ hat sie geantwortet. „Selbstverständlich. Da ist doch nichts dabei. Die Mia und die Cora hatten es als Vögel natürlich etwas leichter, aber, hey – kein Problem.“
Dem Karlsson war jetzt endgültig der Appetit vergangen. Den Eisbecher zum Nachtisch wollte er nicht mehr essen. Ich fand es interessant, mal eine andere Meinung zum Thema Hund und Höhenangst zu hören. Man gerät sonst leicht in Gefahr, alle Exemplare über einen Kamm zu scheren. Dass die Polly so heldenhaft war, hätte ich, ehrlich gesagt, nicht gedacht.

Zur Begutachtung des Nachtlebens wurden wir in eine deutsche Kneipe geführt. Ja, ihr habt richtig gelesen, so was gab es in hier. Um genau zu sein, handelte es sich um eine bayrische Stube mit entsprechendem Interieur und Speisekarte. Fürs Bier interessierten wir uns nicht, weil keiner von uns Biertrinker ist. Aber die Polly fand den Wein ansprechend. Wenn sie danebensäße, hat sie gemeint, würden wir uns schon nicht volllaufen lassen. Der Pit hat gleich noch eine Weißwurst bestellt. Ein Krug mit sechs Gläsern kam auf den Tisch. Boah, nee, das war ja Apfelschorle! Nicht mal einen harmlosen Wein gönnte uns die Polly.
„Es geht doch auch mal ohne, nicht wahr?“, hat sie fies gegrinst.

Trotzdem sind wir später noch in einem Nachtlokal gelandet. Wir haben auf dem Heimweg einfach die Polly in die Mitte genommen und zur Tür reingedrängt. Da konnte sie gar nicht anders, als mitzukommen. Die Hennen sind gleich losgelaufen, um einen Tisch zu besetzen, während der Karlsson schnell dem Wirt die Bestellungen zugerufen hat und der Pit und ich aufpassten, dass uns die Polly nicht wieder abhanden kam. Wir brauchten sie ja noch fürs Bezahlen. Okay, die erste Runde bestand aus einfachem Cuba Libre, weil es rasch gehen musste und dem Karlsson nicht schnell genug andere Cocktails eingefallen waren, doch bei der zweiten, dritten und jeder weiteren Runde konnte sich jeder aussuchen, was er am liebsten mochte. Nur die Polly ist beim Mineralwasser geblieben. Sie wollte auch nicht tanzen. Dazu aufgefordert hat sie ebenfalls niemand, weil wir die einzigen Tiere in dem Laden waren. Dafür haben wir andern uns umso mehr bewegt. Die Tanzfläche gehörte uns bald allein, vermutlich weil der Pit und der Karlsson so wild mit den Füßen und dem Schwanz um sich schlugen. Obwohl: Wie die Cora da so zickzackartig mit wedelnden Flügeln herumstampfte, war auch nicht von schlechten Eltern.

Nö, getrunken haben wir nichts

Zwischendurch sind wir immer wieder an den Tisch zurückgekehrt, um einen Toast auf die Polly auszugeben. Hoch auf unsere liebe Gönnerin! Sie lebe hoch, sie lebe hoch, sie lebe hoch-hoch-hoch! Dann einen Schluck nehmen und den restlichen Cocktail am besten gleich hinterherspülen. Was nutzte das schlechte Leben? So jung kämen wir nie wieder zusammen. Einer geht noch, einer geht noch rein. Als die Mia ein Lied anstimmen wollte („Wir versaufen der Oma ihr klein Häuschen“), hat die Polly dem Barkeeper einen Wink gegeben, damit er unsern Leihwagenfahrer anrief. Er kam, klemmte sich die Mia, die Cora und meine Wenigkeit in den Arm und scheuchte den Pit und den Karlsson vor sich her in den Wagen hinein. Die Polly trabte festen Schrittes hinterher. In diesem Moment erinnerte sie mich an jemanden. Wer war das noch? Ach, ich weiß: Fräulein Rottenmeier, nur dass der Dutt fehlte.
„Ja, Geißen-Peter, halt die Klappe jetzt“, kam als Antwort.

Wenn man's recht bedenkt, ging's uns eigentlich gar nicht soooooo schlecht, als wir am Morgen wieder in der Chartermaschine saßen. Wir waren auf dem Weg nach Sydney, unserer letzten Station. Morgen würden wir heimfliegen. Auf der Landkarte sehen die Großstädte an der Ostküste immer so nah beieinander aus, dabei täuscht das, weil das Land so groß ist. Immerhin waren wir 3 ½ Stunden unterwegs. Ärgerlich war, dass wir keine Kopfschmerztabletten mehr hatten. Unsere Privatapotheke „Mac Cora“ war ausgebrannt.
„Alles weggefressen“, meinte die Inhaberin düster.

Diesmal hatte ich mir auch einen nassen Waschlappen mitgenommen. Wenn man den Kopf zurücklehnte, blieb er auf der Stirn liegen. Dadurch konnte man zwar nicht gut an der Kommunikation teilnehmen, aber das war egal, weil sowieso alle mit sich selbst zu tun hatten. Die Mia hielt trotz imposanter Augenringe und ständigem Schluckauf ihren Turnbeutel fest umklammert: Nicht auszudenken, wenn was von ihren Schätzen weggekommen wäre. Der Pit futterte saure Gurken (!), der Karlsson miefte nach Rum, die Cora hatte sich eine Schlafmaske aufgesetzt und schnarchte und die Polly, tja, die war nüchtern und daher unerträglich.

Gleich nach der Landung mussten wir uns nämlich wieder zum Geländemarsch aufstellen. Unser Gepäck kam ins Schließfach. Sydney ist groß, die größte Stadt Australiens mit 4,3 Millionen Einwohnern. Gerade hier hätten wir den obligatorischen Leihwagen gut gebrauchen können, aber ich hege noch heute den Verdacht, dass die Polly ihn abbestellt hatte, weil sie uns bestrafen wollte. Nun mussten wir zu Fuß gehen oder die U-Bahn nehmen. Bei dem Gedränge war das ganz schön anstrengend.
„Papperlapapp“, hat die Polly behauptet. „Sydney sollte man mit all seinen Sinnen kennenlernen, und das geht am besten auf den eigenen Füßen.“

Ich nehme an, der Karlsson war anderer Meinung, denn im U-Bahn-Schacht ist er sofort mit dem Schädel gegen ein Drehkreuz gerannt. Plötzlich verschraubte er die Vorderbeine zum Zopf und lächelte debil.
„Bist du okay?“, hat die Mia ihm ins Gesicht gepatscht.
Als er wieder zu sich gekommen war, haben wir von der Polly die Reduzierung des Programms verlangt – augenblicklich! Es gehe nicht an, dass wir unsere Gesundheit riskierten. Nicht auszudenken, was dem armen Karlsson alles hätte passieren können, nur weil wir uns hier unters Volk mischen mussten – ohne Limousine! Ohne Sicherheit! Ohne Schutz! Die Mia redete sich jetzt richtig in Rage. Trotzdem hat die Polly nur eine lakonische Antwort hingeworfen:
„Im Opernhaus könnt ihr meinetwegen so lange sitzen, wie ihr wollt.“

Sydney: Opera House

Aha, es ging also zu dem berühmten Gebäude, das so aussieht wie eine Eisschale, in die man Waffeln gesteckt hat. Ursprünglich hatte der Architekt (ein Däne) aber an eine Orange gedacht. So behauptete es jedenfalls der Reiseführer. Da sich der Karlsson als frischer Patient nicht überanstrengen sollte, hat der Pit das Vorlesen übernommen. Gebaut hat man das Gebäude von 1959 bis 1973 – na ja, mit Planung und allem Drum und Dran. Seit 2007 gehört das Opernhaus zum UNESCO-Weltkulturerbe. Es enthält fünf Theater, die jeweils für bestimmte Aufführungen gedacht sind: eine Konzerthalle, ein Operntheater, ein so genanntes „Drama Theatre“, ein „Playhouse“ und ein „Studio Theatre“. Insgesamt beherbergt der Bau ungefähr 100 Räume, darunter ein Kino, vier Restaurants, sechs Bars, Andenkenläden usw.

Beim Wort „Bar“ kriegte der Karlsson plötzlich einen Schwindelanfall. Dass er nicht vom U-Bahn-Sitz rutschte, war dem Pit zu verdanken, weil er sich rechtzeitig stocksteif gemacht hatte, um den Karlsson abzustützen. Wir beschlossen, im Opernhaus eines der Restaurants aufzusuchen. Ein bisschen ausruhen und was essen würde uns guttun. Dass der Karlsson aber noch nicht vollständig genesen war, merkte man daran, dass er einen Teller Muscheln bestellte.

Was hatte er sich bloß dabei gedacht?

Wir machten uns ernsthafte Sorgen, auch weil er die Dinger nicht auspulte, sondern sie sich zwischen die Zehen steckte und davon abbiss. Deswegen bin ich bei ihm geblieben, während die andern – nach demokratischer Abstimmung – allein losgezogen sind, um sich noch was anzuschauen. Es machte mir nichts aus, auf meinen Freund Karlsson aufzupassen. Aber natürlich habe ich auf diese Weise nicht viel von Sydney gesehen und kann daher zu den einzelnen Stationen nur wenig sagen.

Die andern erzählten später, dass sie das Opernhaus besichtigt hätten, zumindest ein, zwei Theaterräume und die Läden mit den Souvenirs. Anchließend hätten sie eine Pizza von der Faust gegessen, weil es gleich weiterging zur Harbour Bridge. Sie ist ja ein weiteres Wahrzeichen der Stadt. Von den Einheimischen wird sie „Kleiderbügel“ genannt, wahrscheinlich wegen des Stahlbogens. 1932 war die Eröffnung (fünf Jahre vor der Golden Gate Bridge in San Francisco).

Sydney: Die Harbour Bridge

Die Polly hätte Wert darauf gelegt, die 1150 Meter einmal abzulaufen und wieder zurück. Überhaupt wäre sie flott unterwegs gewesen. Man hätte sich kaum anschließen können. Wenigstens war es nicht so heiß, nur 21 Grad. Trotzdem: immer nur hetzen, hetzen, hetzen, ein Vergnügen sei das nicht gewesen. Manchmal wären die Hennen vorneweg geflogen und der Pit hätte ebenfalls die Polly überholt, um einen Puffer zu schinden, aber dann wäre die Polly mehr als einmal woanders langgegangen oder sonst wie in der Menge verschwunden, ohne sich umzuschauen, und dann sei es noch nerviger gewesen, sie wiederzufinden, als ihr Tempo mitzuhalten und sie in Sichtnähe zu wissen.

Nach der Harbour Bridge habe man das ehemalige Olympiadorf besichtigt. Ja, klar, im Jahr 2000 waren ja die olympischen Sommerspiele in Sydney. Der Olympiapark, wie er heute heißt, liegt 15 km vom Stadtkern entfernt. Glücklicherweise hätte die Polly zugestimmt, als Transportmittel die Fähre den Fluss entlang zu nehmen. So habe man nicht noch mal zur U-Bahn gemusst, und die Rast auf der Fähre sei natürlich mehr als willkommen gewesen. Im Olympiapark selbst hätte sich die Polly nur für die Besichtigung von Stadien interessiert. Natürlich waren sie gerade leer, aber man hat zwischen den Sitzreihen herumlaufen und runterschauen können. Keine Ahnung, was die Polly daran gefunden hätte, warum sie gerade dorthin wollte. Der Pit sei dann eine halbe Runde über die Aschenbahn gerannt, während die Mädels (samt der Polly) ihn erst angefeuert und schließlich frenetisch bejubelt hätten, als er als Erster ins Ziel gekommen war. Danach sei er aber so platt liegen geblieben, dass die Hennen einen Sonnenstich vermuteten und die Polly mit der Rückfahrt im Taxi einverstanden gewesen wäre.

Sydney: Hier waren mal die Olympischen Spiele

Nun, am Abend, nach Einbruch der Dunkelheit, kamen sie zurück. Ich hatte den Karlsson unterdessen im Restaurant behutsam herumgeführt, immer vom Tisch zur Küchentür und zurück, damit sein Kreislauf in Übung blieb. Zwischendurch hatte er unterm Stuhl geschlafen. Zum Klo hatte ich ihn auch begleitet und ihm das Steak geschnitten, damit er nicht so schlingen musste. Insgesamt war ich mit seinem Zustand recht zufrieden. Er sprach nicht viel und wirkte beeindruckt, doch solche Eskapaden, wie Muscheln zu bestellen, quälten ihn nicht mehr. Die Polly hatte uns Geld dagelassen, daher konnte ich die Krankenpflege großzügig gestalten.

Jetzt, als die andern wieder zu uns stießen, waren sie hungrig und kaputt. Dem Pit merkte man nicht an, dass er zusammengebrochen war. Er saß vor einem übergroßen gekochten Fisch mit buntem Gemüse. Hinter der Serviette, die er hochhielt, flüsterte er mir grinsend zu, dass es ihm prächtig gehe, man müsse halt nur manchmal die Polly ein wenig „anstoßen“, wenn sie nicht von allein darauf käme. Genial!

Die Mia und die Cora aßen eine Minestrone und die Polly ein Cordon Bleu. Die Hennen klagten über wunde Füße. Wieso wären wir überhaupt nur einen einzigen Tag in Sydney, wollten sie wissen. Man hätte doch noch so viel zu besichtigen. Warum die Eile?
„Weil hier kein Regenwald ist“, hat die Polly geantwortet.
Darauf wusste niemand eine stichhaltige Erwiderung.

Immerhin hat sich die Polly freiwillig bereiterklärt, uns zum Abschluss im Taxi eine Rundfahrt durch die Stadt zu spendieren. Die Lichter und all das urbane Getummel waren ja sehenswert. Und so sind wir doch noch auf unsere Kosten gekommen, selbst der Karlsson, der allmählich die Sprache wiederfand und sich wunderte, warum ihm noch immer der Schädel brummte: Die Cocktailnacht war doch schon lange her? O-ha, diesmal hielt der Fuselabbau aber lange an.

Echt jetzt: Sydney bei Nacht ist ein Erlebnis

An unserm letzten Abend sind wir früh schlafen gegangen. Wir vermissten nichts. Da wir die Minibar im Hotelzimmer nicht extra bemühen wollten, haben wir mit Mineralwasser einen letzten Toast auf die Polly ausgegeben. Sie hatte uns zweifellos unvergessene Tage beschert. Damit war sie einverstanden – mit beidem, dem Mineralwasser und dem Resümee.

Fotos: Cora: © G. H.
          Pit: © Club der glücklichen Vierbeiner
          Karlsson und Polly: © Terrierhausen

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