Sonntag, 28. Dezember 2014

Die große Sause (12. Teil)

Mann, das war vielleicht 'ne Nacht bei Clifford und Marjorie im Wohnwagen. Das viele Gulasch lag schwer im Magen und machte ordentlich Durst. Ich hätte den ganzen Loch aussaufen können. Dazu das ewige Geniese vom Harald, das wieder zugenommen hatte, seit sich der Pit wieder lückenlos in unsere Gesellschaft reihte, statt allein in Conwy Burgen zu plätten. Aber das war noch nicht alles, auch die Cora hatte was zu melden. Immer wenn man gerade mal ein wenig weggeduselt war, tat sie aufheulen:
„Ich bin nicht diiiiick.“
Dann musste der Grunzer seine Brust hinhalten zum Bewässern und Gegenteiliges trösten:
„Nein, du bist nicht dick.“

Über die kugeligen Kopien, die jetzt in Schottland herumlaufen und auch alle Cora heißen, war das Stollenputchen nur schwer zu beruhigen. Wenn die jetzt alle einen Ebay-Account aufmachen täten und peinliche Sachen verkauften, hat sie gemeint, oder bei YouTube Videos hochladen würden, wo sie sich ausziehen und mit Schmollmund Dessous in die Webcam werfen, dann täte man ja denken, das käme von ihr. Wie stünde sie dann da? So verrucht und schamlos.
„Aber Coralein“, hat der Grunzer geantwortet. „Wie sollte man dich verwechseln, wenn du doch gar nicht so dick bist wie die ganzen andern Coras?“
Und schon ging das Geplärre wieder los. Das Wort „dick“ im Zusammenhang mit ihrem Namen war zu viel für ihre Nerven. Schon mal 'ne Werkssirene in Endlosschleife gehört? Die Mia hatte sich längst Haralds Flügel um die Ohren geklappt, um Ruhe zu finden, der Pit schlief draußen und ich bin auch bald gegangen. Neben dem Wohnwagen saßen unsere Gastleute im Bademantel in den Campingstühlen.
„Wir fahren morgen früh“, habe ich gesagt. Eine Erwiderung habe ich nicht erhalten.
Trotzdem hat uns Oma Marjorie am Morgen einen ordentlichen Pott Porridge gemacht. Nur der Pit kriegte Wurstbrot. Der hatte ja auch als Einziger kein Bauchweh.

Sollten wir noch mal zum Loch runtergehen und gucken, ob wir den Regenwurm sähen zum Verabschieden? Och, nö, was? Der war glücklich ohne uns, der hatten sich die ganze Zeit nicht blicken lassen. Wir haben unsere Sachen gepackt. Opa Clifford hat uns mit dem Wohnmobil nach Iverness gefahren. Im Bahnhof sind wir in den Zug nach Edinburgh gestiegen. Edinburgh ist auch noch Schottland, aber mit mehr Bevölkerung. 

Edinburgh

Wusstet ihr das? In Edinburgh ist Robert Louis Stevenson geboren (das ist der mit der „Schatzinsel“), auch Sir Arthur Conan Doyle, der Sherlock Holmes geschrieben hat, stammt von dort und Sean Connery, der one and only James Bond.
„Den möchte ich gern mal treffen“, hat der Pit geseufzt.
Ansonsten gibt es viel zu begucken, Großstadt eben, nicht wahr? Ich glaube, Edinburgh ist die Hauptstadt von Schottland. Früher war das Pörff. Das schreibt man „Perth“. Die Stadt liegt etwas weiter nördlich. Als Wahrzeichen von Edinburgh thront weit sichtbar eine große Burg oben auf dem Hügel: Edinburgh Castle, offen für Touristen und andere Interessierte.

Edinburgh Castle. Großartig. Wie 'n Sofabild, nicht?

„Kommt gar nicht in Frage!“, habe ich klargestellt. „Da gehen wir nicht hin. Nicht mit dem Pit und nicht nach allem, was gewesen ist. Das mach ich nicht mit!“
Der Harald hat die Schultern gezuckt und die Cora hat mich angeguckt, als täte sie noch was gut haben bei mir.


Noch mal die Burg, diesmal von näher und im andern Licht

Erst mal haben wir ein Hotelzimmer gesucht. Solange in Edinburgh nicht das international bekannte Festival stattfindet, wo viel Kunst und Akrobatik in den Straßen gemacht wird, kann man ganz gut unterkommen. Ich habe mich nicht lumpen lassen und ein Zimmer mit großem Bad genommen, falls die Cora noch mal ihre Anfälle bekäme, damit man sie in der Nacht bequem wegsperren könnte. Dann haben wir uns ins Getümmel gestürzt.

Die Mia wollte einkaufen, der Grunzer was gegen seine Blähungen unternehmen und ich meine Ruhe haben. In eins der vielen Museen hat keiner gewollt. In den Zoo auch nicht. Sonst hätte man uns dort womöglich gefragt, warum ausgerechnet wir außen vor dem Gitter stünden und sie innen drin. So was ist doch peinlich. Was will man darauf antworten? Dazu noch als Ausländer. Shit happens?

Ich war dringend dafür, dass wir uns die berühmte Altstadt anschauten. Sie liegt unterhalb der Burg. Die Häuser sind bemerkenswert. Hübsche Architektur.


Als wir an einer Gruppe Straßenmusiker vorbeikamen, habe ich mich unauffällig dazugestellt. Geld kann man schließlich immer gebrauchen. Ich habe ein bisschen mit den Hüften gewackelt, ab und zu die Flügel hochgereckt und „Yeah“ gerufen. Ich weiß nicht, was für Musik das war, was die Jungs da gezupft haben, ob Jazz oder John Denver, aber den Passanten hat's gefallen. Schon nach wenigen Minuten hatte ich fünf Münzen im Körbchen. 


„Thanks a lot, boys“, habe ich gesagt. Das Körbchen wurde später natürlich in den Supermarkt zurückgetragen.
„Was machst DU denn hier?“, hat mich die Mia angebellt, als sie mit den andern vom Klo kam. „Schämst du dich nicht?“

Der Pit kam aus einer andern Richtung. Eine kleine Schachtel hatte er dabei. Für 'nen Hamburger war sie zu klein, für Erfrischungstücher zu schick.
„Ist das der Verlobungsring für die Cora?“, habe ich gefragt.
„Blödmann“, hat er gefaucht und mir den Hintern zugekehrt. 

Grunzer
Das Abendessen haben wir in Anbetracht der gesundheitlichen Einschränkungen ausfallen lassen. Stattdessen gab's Pfannkuchen mit Banane. Wir haben uns einen geteilt. Der Grunzer tat mich dankbar anblicken. Die Knackwurst hat nichts gesagt, nur stumm am Tisch gesessen und uns beim Futtern zugeschaut. Banane täte immer so an den Zähnen kleben, hieß es. Ich glaube eher, dass der Pit beim Kauf der kleinen mysteriösen Schachtel unbemerkt einen Hot Dog gefuttert hat. Sonst hätte sein Magen lauter geknurrt.

Später hat mich die Cora dann doch noch rumgekriegt. Ich habe einfach ein zu weiches Herz. Was kann man schon ausrichten gegen tränenschwere, plinkernde Augen, die mich anschmachten und meiner Zunge den telepathischen Befehl geben, gegen meinen Willen so einen Satz zu sagen wie:
„Na schön, wir gehen rauf zur Burg.“
Der Harald kam gleich mit den Busfahrkarten angelatscht. Die hatte er wohl schon vorher gekauft. Den Rest mussten wir zu Fuß gehen.
„Aber wir gehen nicht rein in die Burg“, habe ich gesagt. „Wir bleiben draußen.“

Zugegeben, die Aussicht ist phantastisch. Man kann weit über die Stadt blicken. Wir haben die andern Touristen vorbeilaufen lassen. Ein sommerliches Lüftchen tat wehen und das Licht war auch noch gut. 

Cora

Mitten in diese malerische Stimmung hinein tat mich der Pit plötzlich anquatschen. Er hätte da ein Anliegen. So? Was denn? Was Privates, was mit der Cora. Ach ja? Wenn das was Ferkeliges wäre, dann täte ich aber nicht mitmachen, das könne er sich gleich abschminken, habe ich klargestellt. Nein, nein, hat er geantwortet, es täte um was ganz anderes gehen, nämlich um ein Anliegen, wie gesagt. Darauf hat er mir seinen Plan erläutert.

Hm, gut, ja, das war zu akzeptieren. Genehmigt.
„Aber mit dem Grunzer redest du noch?“, habe ich Wert darauf gelegt.
„Logisch!“
Ich konnte den Grunzer nicken sehen.

Als nächstes war die Cora dran. Geschickt hat sie der Ringelplüsch von uns andern abgedrängt. Was er ihr gesagt hat, als sie allein an der Burgmauer standen, konnte ich leider nicht hören, aber er hat ihr das Schächtelchen überreicht, das er die ganze Zeit bei sich hatte. Darin war ein Zettel, ein Gutschein, glaube ich. Die Cora war seitdem ziemlich – wie soll man sagen?– angeschmeichelt, so wie brettharte Geschirrtücher überraschenderweise dann doch noch weich werden, wenn man Softlan in den letzten Spülgang gibt. Dümmlich gelächelt hat sie die ganze Zeit, mit glasigen Augen, und bei jeder Gelegenheit dem Grunzer den Schädel an die Schulter gelegt. „Dir gehöre ich und nur dir allein“, sollte das wohl heißen. Oder aber: „Mach dir nichts draus, wenn ich gleich mit dem Pit durchbrenne.“ Mir war das egal, Hauptsache, das Weibergeflenne hatte endlich aufgehört.

Als es dunkel war, haben wir uns einen Pub gesucht. Ich weiß, das war riskant. Guinness war ja nicht drin und Whisky auch nicht. Aber wenn wir schon mal in so einer geschichts- und gastronomieträchtigen Stadt wie Edinburgh waren, sollten wir uns das auch näher anschauen, fand ich. Ich bin schließlich kein Spielverderber und Apfelsaft ging auch. Die Kneipe war voll und laut.

Eins muss man dem Pit lassen: Er passt in jedes noch so wunderbare Foto

„Darauf kannst du dich freuen“, hat die Mia zur Cora gesagt.
Und der Grunzer hat gemeint:
„Der Pit ist halt doch ein feiner Kerl, ein Ehrenmann durch und durch.“
Oh, Mann ...

Ohne weitere Zwischenfälle haben wir gegen Mitternacht unser Hotelzimmer erreicht. Als Reiseleiter ist man ja schon für wenig dankbar. Wir waren todmüde. Das Aussondern der Cora ins schalldichte Bad erwies sich als unnötig. Sie ist als Erste eingeschlafen, neben sich den Frankenheinz. Er hatte Sodbrennen.

Am nächsten Morgen beim Aufwachen ist mir gleich als Erstes was Sonderbares  in den Blick geraten. Nanu? Seit wann hatte sich der Harald den Schnabel verbrannt? Der war ja knallrot. Halt, Moment. Das war ja gar nicht der Harald. Der Harald ist hell, aber dieser Schwan war schwarz. Wie kam der Kerl in unser Hotelzimmer?

Dann erst tat ich es registrieren. Ha ha ha. Super! Nöööö, Pits Katzenhaare hatten damit überhaupt nichts zu tun, natürlich nicht. Der Teicheumel war nur extrem anfällig gegen Wetterschwankungen und Handynetze. Er pflegt darauf ungewöhnlich zu reagieren.
„Schick siehst du aus“, habe ich gesagt. „Damit kannst du jetzt bei jedem Krippenspiel den Melchior geben.“
Die Mia tat mich anglotzen wie 'ne Mikrowelle, in der gleich 'ne Currywurst explodiert.

Dafür war die Cora umso fröhlicher. Sie hatte sich von der Mia Rouge ausgeliehen und trug eine Perlenkette, die ich noch nicht kannte. Nach dem Frühstück haben wir uns getrennt. Der Harald, der Grunzer, die Mia und ich sind in die Stadt gegangen. Wir waren im Park und am Teich. Der Harald hat dort sein Schwimmtraining gemacht.

Auch das ist Edinburgh. So grün wie die Mia um den Po


Unterdessen ist der Pit mit der Cora nach Leith gefahren. Der Ort ist nicht weit entfernt. Man kann bequem mit dem Bus hinfahren. Dort in Leith ist der Hafen und dort liegt die „Britannia“, die königliche Yacht. Man kann sie besichtigen. Sie ist inzwischen zu einem Museumsschiff umgerüstet, seit sie nicht mehr zum Transport gebraucht wird. Für den Pit war der Ausflug eine liebe nette kleine Entschuldigung für die Unannehmlichkeiten, die die Cora nun auszubaden hat wegen seinem Rumgelatsche auf den falschen Knopf im High-Tech-Labor. Die beiden haben Fotos mitgebracht und viel erzählt vom Schiff und seiner Einrichtung.

Ich hatte ja lange geglaubt, im Pit täte doch noch so was wie ein uneigennütziges Herz schlagen, denn warum sonst hätte er sich die Mühe machen sollen, die Cora erstens zu besänftigen und zweitens auch noch in den Hafen auszuführen? Und die Sache mit dem Gutschein in der Schachtel und der zarten Überreichung an der romantischen Burg ist perfekt ausgeklügelt gewesen, das muss man ihm lassen. Dann aber, je länger ich später seinen Ausführungen zuhörte, desto schlechter wurde ich den Eindruck los, dass es ihm in Wahrheit um was ganz Anderes gegangen war: Er hat sich auf der Britannia informiert. Über Kreuzfahrschiffe. Und dann ist er zu Hause damit zu seiner Mama gegangen und hat ihr kluge Ratschläge erteilt, auf was sie achten muss und was das Richtige für sie wäre. Er wusste ja, dass sie bald auf Kreuzfahrtreise gehen täte. Da hat er sich mal eben als Experte aufgespielt, dieser Angeber. Ih, pfui, wie kann man nur so hinterhältig sein? 

Die Britannia in Leith
Hier geht man rein
Habt ihr gesehen? Bei den Kissen fehlt der Knick

Die Cora tat mir sehr, sehr leid. So naiv, das dumme Putchen, dachte sonst was von sich und dem Pit. Natürlich habe ich ihr nichts von meiner Entdeckung verraten. Wo denkt ihr hin? Ich bin doch kein Monster. Die schöne Erinnerung wollte ich ihr nicht verderben. Und natürlich hätte mich das neuerliche Geflenne sehr gestört. Schließlich muss man auch an seine eigenen Nachtruhe denken.

Fortsetzung folgt.

Fotos: Cora © G.H.
          Grunzer © U.W.
          Pit © Club der glücklichen Vierbeiner
          Edinburgh Stadtansicht, Burg mit Brunnen, Burg 1, Burg 2, Dächer, Straßenmusiker, Waffel mit Bananen,
          Kanonenrohr, Taverne, Schwan, Garten, Landkarte: Morguefile
          Fassade, Korb: Pixabay
          Britannia 1, Britannia 2, Britannia 3: Gary Bembridge/Flickr, Bilder stehen unter Creative Commons Licence

© Max: Papageiengeschichten

Samstag, 27. Dezember 2014

Matchboxgarage - ha!

Es gibt neugierige Leute unter euch. Die wollen wissen, was ich zu Weihnachten bekommen habe. Aber ihr glaubt doch wohl nicht, dass ich hier meine Unterschwäsche, den Schlafanzug und die Socken ausbreite?

Viel mehr bleibt aber nicht übrig. Oder meintet ihr das komische Ding, das der Grunzer als die Matchboxgarage ausgibt, die er mir schon lange geschenkt haben wollte?

Okay, dann schaut gut hin. 


Das also soll 'ne Matchboxgarage sein. Dazu noch fünfstöckig. Ich krieg die Krise.

Bevor jemand was sagt - ich seh alles. 


Und wehe, ich höre jetzt so was wie: "Die ist doch hübsch." Dann werde ich ungemütlich.


Ich kann nämlich bösen Blick. Der reicht von Pickeln, jucken, verdorbenen Keksen bis zu leeren Telefonkarten. Na, möchte es jemand versuchen? Oder bekomme ich das Mitgefühl, das ich verdiene?

© Max: Papageiengeschichten

Dienstag, 23. Dezember 2014

Weihnachten 2014

Liebe Zweibeiner mit Federn und ohne, liebe Vierbeiner,

ich habe einen Gruß für euch:


Es handelt sich hierbei sozusagen um eine Zusammenfassung. Ich möchte euch aber noch was erzählen.

Heute war ich mit der Putze einkaufen, noch letzte Leckereien besorgen. Im Supermarkt war der Bär los. Überall Hamsterer mit vollen Einkaufswagen, alle Kassen geöffnet, lange Schlangen davor. Ein Stück weiter vor uns in der Schlange stand eine Dame, ein Fleisch gewordenes Vorurteil: Pelzjacke, Typ Geschäftsführerin oder Fabrikantengattin, ein Habitus angesiedelt zwischen Überheblichkeit und Widerwillen. Erst hielt sie den Verkehr auf, weil sie keine Anstalten machte, ihre Waren vom Band zu nehmen, dann sah ich, wie sie beim Bezahlen die Geldscheine der Kassiererin nicht etwa hingab oder hinlegte, sondern allen Ernstes mit Schwung hinwarf, so dass die Frau hinter der Kasse die Scheine einzeln vom Band klauben musste. 

Ich weiß nicht, was Weihnachten jedem Einzelnen von euch bedeutet. Jeder hat ja seine eigenen Gedanken, seine Vorlieben und seine Definition, was Weihnachten ist oder wenigstens sein sollte. Eins ist mir heute im Supermarkt klar geworden: Verächtlich hingeworfene Geldscheine passen nicht zu dem, was ich unter Weihnachten verstehe. An diesen zwei Tagen lässt sich zwar keine Welt verbessern, aber man kann es ja wenigstens versuchen. Ich bin heilfroh, dass ich bei dieser "Dame" nicht am Tisch sitzen muss. 

Wir wünschen euch schöne Feiertage, guten Appetit und viele Geschenke.

Euer Max und die Mia

Fotohintergrund: Pixabay

Sonntag, 21. Dezember 2014

Die große Sause (11. Teil)

Am Morgen sind wir wieder an den See gegangen, nachdem wir gefrühstückt und Oma Marjorie beim Abwasch geholfen hatten. Wir wollten nachsehen, ob wir den Regenwurm treffen würden, aber so sehr wir auch guckten, er blieb verschwunden. Opa Clifford hatte seine Angelrute rausgeholt. Er tat auf dem Klapphocker am Ufer sitzen und auf Hechte warten. Lachse soll es im Loch auch geben, aber im Sommer, als wir dort waren, war gerade keine Laichzeit. Dem Harald war das egal, er ist mit Schmackes ins Wasser gerannt. 

Der Loch bei Iverness

Sonst sah der See eigentlich genauso aus wie der Loch Lomond: hellblau und begrünt am Ufer. Er ist aber bedeutend kälter (das konnten meine Zehen bestätigen) und viel tiefer (stand im Reiseführer), dafür aber nicht ganz so groß wie der Loch Lomond. Und eins war auch noch anders: die Leute hier hatten viel mehr Ferngläser dabei. Ob in Ruderbooten oder am Ufer, überall standen und saßen Menschen und glotzten aufs Wasser hinaus. Oder kam mir das nur so vor?
„Was gucken die denn alle so?“, hat sich auch die Cora gewundert.

Falls man zufällig keine Lust hatte auf Seebeobachtung, Angeln, Schwimmen oder Spazierengehen, womit könnte man stattdessen seine Zeit verbringen?
„Wir könnten nach Iverness fahren“, hat die Mia vorgeschlagen. 

Hm, Stadtbesichtigung? Dazu muss ich erklärend vorausschicken: Unser Campingplatz befand sich gar nicht direkt in Iverness. Auch der Loch grenzt nicht direkt an die Stadt. Iverness liegt ein paar Kilometer entfernt. Dazwischen ist schottische Landschaft, „Highlands“ genauer gesagt. Keine große Sache, wenn man ein Auto hat oder jemanden findet, der einen mitnimmt.

In Iverness leben etwa 50.000 Menschen. Der Name bedeutet „Mündung des Ness“. Der Ness ist der Fluss, der dort in den Atlantik fließt. Die Gegend war früher ziemlich umkämpft. Von unten kamen die Engländer, von oben die Schotten, von links und rechts andere Völker, aber alle mit Schwert und Begehrlichkeiten. Davon zeugt das Burgschloss auf dem Hügel vor der Stadt. In dessen Vorläuferbau im 11. Jahrhundert hat Macbeth gelebt und regiert, bevor er später von Shakespeare verwurstet wurde. 

Schloss Iverness

Heute gibt es in Iverness High-tech-Industrie. Die großen Whisky-Destillerien sollen inzwischen dichtgemacht haben, aber ich tat dem Frieden nicht trauen. Noch mal unsere Schnapsdrosseln einzusammeln und auszunüchtern, dazu hatte ich keine Lust. Und dann noch das Schloss da oben auf der Anhöhe. Nachher popelt der Pit dort wieder herum und das Ding rutscht uns in den Fluss. Das hatten wir ja alles schon. So ähnlich jedenfalls.

Nee, nee, nix mit Stadtbesichtigung. Wir blieben dort, wo wir waren. Am Loch gibt es nämlich auch Geschichte zu bewundern. Hier steht Urquhart Castle, eine Burg aus dem 12. Jahrhundert, leider inzwischen zu einer popeligen Ruine zusammengeschrumpft. Ein kleinwüchsiges, stark rötlich-weiß behaartes Volk aus dem Ostseeraum unter Phitghard I. soll was damit zu tun haben. Was, weiß ich nicht genau, alles umgerissen, niedergetrampelt, umgeblasen oder was auch immer und dann auf Nimmerwiedersehen verschwunden. Den Rest haben die Anwohner erledigt. Sie sind aus der Umgebung gekommen und haben nach und nach die Steine abgetragen für ihre eigenen Häuser, so dass Urquhart Castle heute nur noch eine recht dürftige Figur macht.  

Urquhart Castle

„Du erzählst vielleicht einen Scheiß“, hat der Pit gesagt.
Oh-ho, war gerade jemandem etwas aus dem Mund entwichen? Jemandem, der mich konspirativ gezwungen hatte, diesen Umweg in die Einöde einzuschlagen, nur um einen Regenwurm im Gurkenglas zu schmuggeln und in seinem Heimatgewässer abzusetzen? Hatte ich das richtig verstanden?
„Alles okay, Max, reg dich nicht auf“, hat der Grunzer gemeint.
Und die Cora hat hinzugefügt:
„Wir wollen ja gar nicht nach Iverness. Wir machen das, was du vorschlägst. Darauf haben wir jetzt totalen Bock.“

Na bitte, geht doch. In diesem Fall hatte ich eine Landschaftsbesichtigung vorzuschlagen. Wir würden wandern gehen, die Highlands erkunden. Oder, Herr Ringelplüsch, andere Vorschläge? Der Pit hat mir den Hintern zugedreht und mit der Schwanzspitze Kreise in die Luft gekringelt. Wie jeder weiß, heißt das überall auf der Welt „volle Zustimmung“. Außerdem hatten wir erfahren, dass Iverness einen Bahnhof hat. Wir würden also morgen mit dem Zug weiterfahren können, ohne auf die Reisepläne anderer Camper angewiesen zu sein. Dadurch blieb mehr Zeit für unser Tagesprogramm.


Wir hatten Wurstbrote und eine Thermoskanne mit Earl Grey von Oma Marjorie dabei. Wege gab es nur im Seenähe, später mussten wir querfeldein laufen. Haralds Plattfüße taten Schneisen in den Rotkohl latschen.
„Das ist Erika, du Depp“, hat die Mia gesagt.
Ach so, ja, richtig, wie in Wales. Hatte ich ganz vergessen.  


Später wurde es steiler. Die komische Erdform mit dem pickeligen Aussehen hat was mit der Eiszeit zu tun. Hier waren Kräfte langgeschrammt, die hinter sich nicht ordentlich aufgeräumt haben. Unter den Grasnarben befinden sich Felsen, aufgelockert von hier und da abgelegten Seen, die von weitem wie Pfützen ausschauen. Überhaupt hatte man ständig den Eindruck, dass einem gleich ein Hobbit-Volk entgegengerannt käme, um einen zu fesseln und in ein Erdloch zu zerren.
„Manchmal ein bisschen gruselig“, tat auch der Grunzer meinen. 


Ein paar Kilometer weiter entfernt an der Küste fallen die Felsen steil ab ins Meer. Man kann sich direkt vorstellen, wie die keltischen Fischerfrauen dort gestanden und den Horizont abgesucht haben, ob nicht schon die Segel ihrer Männer zu sehen wären. Dort an der Küste sind wir allerdings nicht gewesen. So weit hatten wir dann doch nicht laufen wollen. Ich zeig euch das Foto nur, damit ihr wisst, wie es dort aussieht. Der Fotograf hat einen irren Blick für Stimmungen, nicht wahr? Vielleicht arbeitet er als Umschlagdesigner für Fantasyfilme.

Nicht weniger interessant waren die Begegnungen mit den Einheimischen. Nur selten trifft man dort oben auf Menschen, dafür aber auf etliche andere komische Gestalten. Sie stehen dort einfach in der Landschaft herum.
„Pst, Max, wenn die uns hören!“, hat die Mia gewarnt. „Die komischen Kauze sind wir. Hier sind wir die Ausländer.“


Doch wie sich bald herausstellte, war übertriebene Vorsicht ganz unnötig, weil die Herrschaften uns sowieso nicht verstanden. Man spricht dort Gälisch. Das ist so was Ähnliches wie Walisisch, nur anders, also eine Sprache, die unsereinem völlig fremd ist und die auch nicht viel zu tun hat mit meinem Oxford-Englisch aus dem Internetkurs. So verlief die Kontaktaufnahme meistens ergebnislos. Das war schade, denn ich hätte gern gefragt, welche Motivation man haben sollte, dort oben in der Einsamkeit am Hang zu stehen und Gras zu mampfen.
„Die arbeiten in der Fleischindustrie“, hat der Pit gemeint.
„Oder in der Bekleidungsbranche“, fand die Cora.
„Flokati“, war Haralds Wahl.

Einen haben wir dann doch noch gefunden, der bereit war für ein Gruppenfoto. Coinneach hieß er und verstand gebrochen Englisch. Im Vordergrund sitzt der begeisterte Pit, daneben steht die Cora. Wofür der Flusenbüffel allerdings diesen dämliche Kleiderbügel an der Stirn hat, hat er mir nicht sagen können. Dafür reichten seine Englischkenntnisse dann doch nicht aus. 


Ein paar Wiesen weiter auf dem Rückweg ist uns dieser kleine Kerl vor die Linse gelaufen:


Wie die Schafe heißen, zu denen er gehört, habe ich vergessen. Jedenfalls sind sie eine traditionelle, ganz alte Sorte. Wie man sieht, liefern sie die Wolle für den Schottenrock. Beim Lämmchen muss das natürlich noch ordentlich nachdunkeln, das ist ja klar. Wir haben uns sehr gefreut, dass wir diese außergewöhnliche Begegnung erleben durften. Freilaufende Kiltschafe trifft man nämlich nicht überall.

Ja, genau – Kiltschafe, so heißen die.

Diese beiden entzückenden Damen wiederum (hier zu sehen mit mir) trugen den Namen Dolly. 


Ihr habt richtig gelesen. Beide hießen Dolly. Sie sprachen gut Englisch. Woher sie kämen und wie es ihnen gehe, haben wir gefragt. Gut, haben sie geantwortet. Sie täten von einer High-tech-Farm stammen. Eigentlich sei es ein Labor, so richtig mit Computern und allem Drum und Dran, genau wie man es sich vorstelle. Schöne Erinnerungen an eine kuschelige Kindheit hätten sie daher nicht, aber Herkunft sei nun mal Herkunft und daran hänge man, das täten wir doch sicher verstehen.

Die Mädels taten heftig nicken. Die Cora hatte Tränen in den Augen. Bei der waren die Krankenschwesterhormone angesprungen. Ich fühlte mich eher von der technischen Seite angesprochen.
„Kann man das Labor besichtigen?“, habe ich gefragt.
Ja, generell schon, hieß es zur Antwort, der Bau sei ganz in der Nähe, unten am Hügel auf der andern Seite, allerdings täten sie nicht wissen, wann die Öffnungszeiten wären.
„Früher waren die Führungen immer am Nachmittag.“

Na, das war doch mal 'ne Ansage, 'ne willkommene Abwechslung im Programm, oder wünschten die Herrschaften noch länger in der Landschaft herumzulatschen?
„Ach, nö, Max … wir richten uns da ganz nach dir.“
Schön, dann waren wir uns ja einig.

Etwas weiter entfernt hinterm Hügel tat sich tatsächlich ein kleines Fabrikgelände auf. Die Dollys hatten nicht gelogen. Beim Pförtner war allerdings erst mal Schluss. Heute sei keine Führung, hat er behauptet, morgen erst wieder. Okay, ich will hier nicht näher darauf eingehen, wie wir es dennoch geschafft haben, dass sich die Tote öffneten. Ich sag nur so viel: Wimperngeklimper, Weiberflunsch, Bestechungsgeld. Plötzlich waren wir drin. Ein Angestellter im weißen Kittel tat uns rumführen.

Mann, das war wirklich total interessant. Überall blinkende Maschinen mit tausend Knöpfen. Dass die da den Überblick behielten. Also ich würde da ja durcheinander geraten. Wissenschaftlich gesehen tat sich das Labor mit der Doppelung von Lebewesen beschäftigen. Aus eins mach zwei sozusagen. Wahrscheinlich hing das mit der typischen Geizigkeit der Schotten zusammen, denn warum sonst würde man auf so eine Idee kommen?

Der Pit war mit der Cora ein Stück zurückgeblieben. Von hinten hörte man die Cora gniggern. Ihr wisst schon, so perlig, wie es nur Tussen hinkriegen.
„Meine Liebste“, hat der Grunzer geseufzt, „Sie ist immer so hilfsbereit, erklärt jedem geduldig, wenn er was nicht versteht.“

Später sind die beiden aufgerückt. Der Führungsmann hat uns gerade einen Produktionsschritt erklärt. Wir saßen auf einem Tisch, um besser sehen zu können. Nur der Harald war groß genug, der kriegte das auch vom Fußboden mit. Plötzlich war ein Geräusch zu hören, so ein „Däääd-däääd“, wie es Alarmanlagen manchmal machen. Wir haben uns natürlich sofort umgedreht. Gesehen habe ich erst nur den Pit mit der Cora neben sich, dann aber leider auch den Monitor. Jesses, Maria und Josef. Das hatte gerade noch gefehlt.

Ich sag's mal so: Liebe Tante Gisela. Wenn du hier liest: Du musst jetzt ganz stark sein. Nee, das ist falsch. Die Tante Gisela liest hier ja nicht mit. Also andersherum: Wenn du davon erfährst, Tante Gisela, flipp nicht aus, bleib ganz ruhig. Aufregung ist nicht gut für dich, sowieso nicht und erst recht nicht, weil du ja schon mit dem Paule geschlagen bist.

Was war passiert? Da hatte wieder einer mit der Pfote gefummelt. Alle mal raten, wer das wohl war. Ich sag nur: Knackwurst. Einen Knopf hat er gedrückt. Und jetzt sind da ganz viele Coras. Das war nämlich eine Maschine neuster Version. Die hat erst von der Cora ein Foto gemacht, dann hat sie intuitiv ihr Wesen errechnet und schließlich das zugehörige Design ausgespuckt. So was beherrscht die Maschine. Die ganzen Coras haben wir später hinten auf dem Gelände gefunden. Sie taten wirklich alle absolut gleich aussehen.


„Ich bin nicht fett“, hat die Cora geheult. „Und auch keine Kugel.“
„Nee, bist du nicht“, hat die Mia getröstet.
Ich habe mir den Ringelplüsch zur Brust genommen. Er tat sich in aller Seelenruhe die Pfote lecken.
„Weibergezicke“, hörte ich ihn zischen. Sonst hat er nichts gesagt.

Um den krebsroten Laborangestellten tat sich unterdessen der Harald kümmern. Ob wir den Schaden bezahlen müssten, hat er gefragt. Nach einem Telefonat mit der Firmenleitung hieß es glücklicherweise, nein, die vielen Amazonen täte man schon irgendwie unterkriegen als Kantinenhilfen oder im Erste-Hilfe-Raum. Puh, da hatten wir ja noch mal Glück gehabt.

Wir sind rausgelaufen, nach hinten zu den Ställen, wo die Fertigungsergebnisse aus den Maschinen rutschten und gesammelt wurden. Die plärrende Cora musste von der Mia und dem Grunzer gestützt werden. Als wir vor der Herde dieser korpulenten – wie soll man sagen? – Ebenbilder standen, hat der Frankenheinz dann doch das Schlucken gekriegt.
„Willst du dir eine aussuchen?“ habe ich gefragt.
„Halt die Klappe!“, hat er geschrien, und die Cora hat aufgejault wie ein Motor beim Kavaliersstart.

Wir haben dann noch ein bisschen Konversation gemacht. Ich fand, das waren wir den Damen schuldig. Übers Wetter haben wir geredet und über Urlaubspläne und den Wildwuchs der schottischen Erika. Dann war der Zeitpunkt gekommen, wo es schicklich wurde, dass wir uns vom Acker machten. Die Cora hatte sich am Ende wieder einigermaßen im Griff. Sie hat sogar den Mädels ihre Adresse dagelassen und gesagt, sie könnten gern mal zu Besuch kommen, ihre Mama in Duisburg würde sich bestimmt sehr freuen.

Ich meine, verstehen kann man das ja. Schließlich will man sich selbst ja nicht im Stich lassen, sondern wissen, was aus einem wird, aber mal ganz nüchtern betrachtet war das ganz schön blöd von der Cora. Ich hätte die ganze Herde ja stattdessen dem Pit aufgedrückt. Sollte der sich doch darum kümmern, wenn schon der ganze Schlamassel von ihm ausging. Ich konnte mir gut vorstellen, wie dieser Pulk grüner Schnatterhennen plötzlich bei Tante Susanne und Lisa vor der Tür stehen und nach Urlaubsbetreuung verlangen täte. Und Pits blödes Gesicht, wenn die beiden darüber so gar nicht erfreut wären, das konnte ich mir ebenso gut vorstellen. 

Unser Campingplatz

Auf dem Rückweg hat uns eine Frau mitgenommen. Sie arbeitete auch im Labor, hatte von dem Zwischenfall aber noch nichts gehört. Sie wohnte in Iverness. In der Nähe vom Campingplatz hat sie uns rausgelassen. Bei Oma Marjorie kriegten wir ein prima Fußbad für unsere müden Muskeln. Warum die Cora so verhuscht aussehen täte, hat sie wissen wollen. Och, ihr wäre der Schlüsselanhänger mit dem Bild vom Grunzer abhanden gekommen, haben wir gesagt. Später gab es Abendessen.


Eigentlich steht keiner von uns Vögeln so sehr auf Fleisch. Diesmal aber haben wir uns alle tapfer – ohne Verabredung – die Brocken reingewürgt, bis sie uns fast zu den Ohren rauskamen. Der Pit durfte unterdessen den Reis essen.
„Der Pit macht heute Diät“, haben wir Oma Marjorie informiert. Den Abwasch durfte er auch allein machen.

Später sind wir noch mal kurz zum See gegangen. Der Regenwurm hat sich auch diesmal nicht blicken lassen. Dafür war der Harald plötzlich verändert. Die tägliche Nähe zum Ringelplüsch tat ihm sichtlich gut. Der Hals war wieder weiß, allerdings der Schnabel wieder schwarz und oben drüber tat ein dicker Gnubbel pranken. Die Mia stand am Ufer mit weit aufgerissenen Augen und zeigte mit zittrigem Flügel auf den See hinaus, wo der Harald seine Runden paddelte. Sofort kam von rechts ein Fernglas angerannt.
„Hast du's gesehen?“, wurde gefragt.
Was gesehen? Haralds Nasenpickel? Ist schon ulkig, für was sich wildfremde Leute so interessieren. Verrückt.

Fortsetzung folgt.

Fotos: Cora © G.H.
          Pit © Club der glücklichen Vierbeiner
          Loch Ness, Landkarte, Landschaft 1, Landschaft 2, Landschaft 3, Hochlandrind, Schafe, Schaf, Beine,   
          Hochlandrind 2, Lämmchen, Karomuster, Zahlenhintergrund, Campingplatz: Pixabay
          Urquhart Castle, Schafe 2, Gulasch, Schwan: Morguefile
          Schloss Iverness: Ristl Manfred/Fotocommunity, Bild steht unter Creative Commons Licence

© Max: Papageiengeschichten

Sonntag, 14. Dezember 2014

Die große Sause (10. Teil)

Also wie gesagt, wir haben abends am Loch Lomond gesessen mit den Hintern auf den Majonäse-Eimern, die Füße baumelten im Wasser. Nur der Harald tat weiter draußen seine Runden ziehen und der Pit war zurück in die Pension gegangen, um zu gucken, ob er ein paar Chips oder Erdnüsse auftreiben könnte. Die Luft war noch recht warm und das Licht noch nicht ganz fort. Der See tat uns Wohlbehagen an die Knöchel spülen. Ich glaube, ich hätte ewig so sitzen bleiben können. Endlich mal Ruhe, kein dämliches Gequatsche von meinen ach so schlauen und niemals besoffenen Begleitern. Dass es allerdings deutlich nach gedünstetem Whisky roch, war ein Umstand, den ich hier mal rügend erwähnen muss. 

Der Loch Lomond am Abend

Obendrein kriegte der Grunzer auf einmal Konzentrationsmangel. Er fing an, auf seinem Eimer herumzuhampeln. Dauernd guckte er rechts neben sich ins Wasser.
„Bleib doch mal still sitzen, sonst kentern wir noch“, habe ich gesagt.
„Ich glaub, da ist was“, hat er geantwortet.
So? Was denn? Ich habe auch mal geguckt, aber nur einen Regenwurm verschwinden sehen.
„Der hat hallo zu mir gesagt“, tat der Grunzer behaupten.
Ja, nee, ist klar, und vorher hat er seinen Hut gezogen und die erste Strophe von Schillers „Glocke“ aufgesagt.
„Nee, wirklich, er hat seinen Kopf aus dem Wasser gesteckt und hallo gesagt.“

Grunzer
Der Grunzer tat darauf bestehen, dass das absolut wahr wäre. Jetzt kam die Cora durchs Wasser gelatscht. Sie wollte ihrem Liebsten zur Seite stehen. Von der andern Seite folgte die Mia, getrieben von weiblicher Neugier. Durch den Wellengang war der höflich grüßende Wurm natürlich endgültig vertrieben.
„Können wir uns jetzt alle wieder hinsetzen und weitermachen im Abendprogramm?“, habe ich gefragt.
„Wart doch mal“, hieß es aber nur.
Dann wurde so lange ins Wasser gegafft, bis ein Aufschrei mich fast rückwärts vom Eimer gefegt hätte:
„Da! Da! Da ist er wieder!“
Wo? Das musste ich mir genauer ansehen. Tatsächlich. Dort tat ein Wurm schwimmen. Er hob sogar seinen Kopf aus dem Wasser und fing an zu reden:
„Halloooo?“
„Ja?“

Mia
Nun standen wir zu viert um das Ereignis herum. Beinahe wären wir mit den Köpfen zusammengestoßen.
„Könnt ihr mir mal helfen?“, hieß es weiter.
„Wie … helfen? Wobei?“
„Ich habe mich verlaufen. Ich möchte nach Hause – in meinen Heimatsee. Aber ich finde den Weg nicht zurück.“
„Woher kommst du denn?
„Aus der Nähe von Iverness. Könnt ihr mich dort hinbringen?“

Der Grunzer hat sich als Erster wieder aufgerichtet.
„Da müssen wir doch eingreifen!“, hat er gerufen. „Das arme Ding!“
Moment mal, ja? Da konnte ja jeder kommen und irgendwas behaupten. Ich war nicht so einfach zu beeindrucken, ich hatte noch ein paar Fragen, die ich gern geklärt haben wollte. Zum Beispiel die:
„Wann war das denn, als du dich verlaufen hast?“
„Gerade eben erst. Vor ungefähr 42 Jahren.“
„Hä?“
„Na ja, wir werden sehr alt. Für uns ist das nicht viel. Ich bin in eine unterirdische Höhle geschwommen. Auf einmal war ich hier. Ich möchte aber gern zurück. Ich habe Heimweh.“


Der Mia taten Tränen in den Augen steigen:
„Du tust sicher deine Familie vermissen, was?“
„Nö, eigentlich nicht“, kam es prompt retour. „Ich lebe schon lange allein, schon 200 000 Jahre, aber Heimat ist halt Heimat, wenn du weißt, was ich meine.“ 
„Hach ja …“, tat die Cora seufzen. Ihre Augen hatten das Schielen von gefluteten Zucchini-Scheiben. Fehlte nur noch, dass sie jetzt von Duisburg schwärmen täte. Dazu hatten wir aber keine Zeit. Ich war ja noch nicht fertig mit meinem Verhör.

Ich
„Und da hast du nicht längst jemanden gefunden, der dich nach Hause bringen konnte?“, hätte ich gern noch gewusst. „In all den Jahren nicht?“
„Nein, hier waren immer nur Angler und Bootsfahrer und Spaziergänger. Einmal hat lange eine Frau hier gesessen und sich mit jemanden unterhalten. Die war nett. Die kam aus Germany, aus Stuttgart, glaube ich. Die hätte ich fast angesprochen. Meinen ganzen Mut musste ich zusammennehmen, aber dann habe ich sie sagen hören, dass sie für immer in Schottland bleiben wollte, und da war es wieder aus mit meiner Hoffnung. Ihr aber seid keine Menschen und ihr wohnt hier nicht. Ihr seid anders. Ihr seid die Ersten, die ich anspreche. Helft ihr mir? Bitte!“

Jetzt taten auch dem Grunzer die Futterklappen zittern:
„Sei so gut, Max, sag ja. Wir haben doch Zeit. Wir können doch gut in Iverness vorbeifahren. Das hätte ich sowieso vorgeschlagen. Ich will da schon lange hin. Da soll es gaaaanz toll sein.“

Cora
Dagegen war natürlich schwer anzukommen, besonders wenn sich gleichzeitig links und rechts zwei Hennenflügel unterhakten und einem der Ohrenschmalz erwärmt wurde durch lieblichstes Gehauche:
„Gell, Maxilein, das tust du doch? Du hast so ein gutes, gutes Herz.“
Dazu hat mir die Mia am Bauch gepuschelt und die Cora ihren nordrhein-westfälischen Schädel an die Schläfe gedrückt. Das war echte Nötigung; ich hatte keine Chance zur Gegenwehr. Prompt hörte ich eine Stimme sagen, die wohl meine gewesen sein muss:
„Na schön, fahren wir nach Iverness. Jeden Tag eine gute Tat. Das ist jetzt auch schon egal.“

Die andern haben „Yeah“ geschrien und der Regenwurm kriegte einen rosa Täng. Dabei grinste er glücklich einmal quer über den Eierkopf. Wir schraubten die Majonäse-Eimer aus dem Untergrund, ließen Wasser in einen laufen und unsern blinden Passagier darin einsteigen.
„Wie heißt du eigentlich?“, wollte der Grunzer wissen.
„Örnestien heiße ich, aber ihr könnt ruhig Nessie zu mir sagen.“

Die Mia ist noch am See geblieben, um den Harald einzusammeln und ihn über die neuste Entwicklung zu informieren. Wir andern sind zur Pension gelaufen. Die überschüssigen Majonäse-Eimer haben wir hinten an der Küchentür abgestellt. Als niemand im Flur zu sehen und zu hören war, sind wir reingehuscht und blitzschnell in unserm Zimmer verschwunden. Uff, niemand hatte uns gesehen. Die Nessie haben wir in die Duschwanne geschüttet, aber selbstverständlich erst nach Prüfung, ob auch der Stöpsel festsitzen tat. Nicht dass sie uns aus Versehen durchs Sieb gespült worden wäre. Man weiß ja nie, wie dünn sich solche Leute machen können.

Harald
Kurz darauf kam auch der Pit wieder – mit einer Packung Käsekräcker. Nach kurzer Einweisung ist er ins Bad gegangen. Dort musste er natürlich gleich seine Quadratbirne über die Duschwanne halten. Sofort kriegte unser Zögling Panik. Aufquieken und ein Hops auf den Wannenrand waren eins. Wir mussten beruhigend einwirken. Der Wurm zitterte am ganzen Schlauch.
„Du brauchst keine Angst zu haben“, habe ich gesagt. „Das ist nur der Pit. Der tut dir nichts. Das ist ein alter, blinder, zahnloser Kater. Der kapiert eh nix mehr.“

Falls es jemanden interessiert: Die Federn, die daraufhin durch die Luft wirbelten, fehlten mir fortan an der rechten Seite. Es hat Wochen gedauert, bis sich die Lücke wieder geschlossen hatte. Das sah nicht nur ungepflegt aus, sondern tat auch kalt und unhygienisch ziehen, wenn der Wind mal etwas stärker blies oder Dreckpartikel mit sich führte. Klagen liegt mir allerdings fern; ich wollte es hier nur mal erwähnt haben.

Als auch die Mia mit dem Harald zurück war, sind wir schlafen gegangen. Vorher haben wir noch einen Kräcker in die Dusche gekrümelt. Wir wussten ja nicht, was solche Örnestienen sonst futtern, und einen Oktopus hatten wir sowieso gerade nicht parat.

Pit
Beim Einschlafen meinte der Pit:
„So, so … verlaufen … Iverness … 2 Millionen Jahre. Ich dachte, die wären größer – viel größer.“

Natürlich, Mister Knackwurst. Du weißt Bescheid. Du kennst dich aus mit prähistorischem Gewürm. Wenn wir dich nicht hätten, alter Angeber.

Am nächsten Morgen habe ich erst mal nachgeguckt, wo Iverness überhaupt liegt. Ui, so weit oben?  Dort war der Reiseführer ja schon ganz dünn. Führten da überhaupt Straßen hin, oder müsste man sich mit Wanderstock und Machete selbst drum kümmern? Die Einheimischen aus der Pension haben uns den Tipp gegeben, es doch mal auf dem Campingplatz zu versuchen, vielleicht würde uns jemand mitnehmen. 

Das war eine gute Idee. Sofort nach dem Frühstück sind die Mia und die Cora losgezogen. Sie konnten von uns allen noch immer am besten die Mitleidstour abspulen, so mit Wimperngeklimper und Zittern in der Stimme. Dafür sind Männer einfach viel zu authentisch. Der Ringelplüsch ist mitgegangen zum Schutz. Er hat sich dann hinters Gebüsch gesetzt und gewartet.

Ich habe unterdessen die Putzfrau abgefangen, damit sie nicht ins Bad kam. Dort wäre alles noch sauber, habe ich gesagt:
„Wir gehen draußen.“

Eins hatten wir aber noch gar nicht geklärt: Wie wollten wir die Nessie eigentlich transportieren? So offen im Majonäse-Eimer wäre ja viel zu auffällig. Hier wusste der Grunzer Rat. Aus seinem Rucksack tat er ein Glas hervorholen. „Mixed Pickles“ stand drauf, Gewürzgurken waren drin. So, so, das war ja interessant, was der Ökoheinz hier alles so mitschleppte. Ordentlich ausgespült ergab es jedoch ein prima Reiseaquarium, vor allem weil unser Schmuggelgast versichern tat, dass der Drehverschluss fest verschraubt bleiben dürfe, da Kiemenamphibien oder wie das noch mal heißt auch gut unter Wasser atmen könnten, ohne auftauchen zu müssen. Mir war das recht, denn so tat nichts rauskleckern.

Am Nachmittag waren auch unsere drei Emissäre wieder zurück. Sie hatten tatsächlich eine Mitfahrgelegenheit gefunden. Das muss ich zugeben: Mit den Anschlüssen hatten wir während der ganzen Reise großes Glück. Diesmal war es ein älteres Ehepaar mit Wohnmobil. Er hieß Clifford, sie Marjorie. Der Mann wollte am See bei Iverness angeln. Das traf sich gut, denn der Wagen war voll ausgestattet mit Essen, Kojen und Toilette.

Gleich nach dem Packen und Bezahlen sind wir zum Campingplatz gezogen. Die Nessie im Pickelglas war beim Grunzer im Rucksack. Die Mia musste wieder hinten am Schnarchkissen-Trolli anfassen, weil die Räder auf den holperigen Grasnarben dauernd umkippten. Wir mussten ja querfeldein laufen von der Pension hinten durch den Garten bis ganz zum Wohnmobil.

Unser Campingbus

Am späten Nachmittag ging's endlich los. Wir haben mal vorn im Cockpit gesessen, mal hinten drin. Zu sehen gab's viel Grün, viel Himmel und Gewelltes, also das Übliche. Aber diesmal war auch Straße dabei. An Zivilisation gab's noch weniger zu erkennen als in Wales und in Cumbria. Ich glaube, die haben da gar keine Menschen, da wohnt nur Gras. Selten, dass uns mal ein Auto entgegenkam, und seitlich war auch nichts zu sehen, das auf ein McMampf oder Möbelcenter hingedeutet hätte. Ich war froh, dass Marjorie uns mit verpflegen tat, denn außer Pits Käsekräckern hatten wir ja nichts dabei wegen unseres ungeplanten Aufbruchs.

Abfahrt vom Loch Lomond

Immer noch keine Menschen ...

... dafür aber mehr spitzes Grün mit Pfützen

Am Abend ist der Opa links rangefahren. Nachts täte er nicht gern fahren, hat er gesagt. Außerdem wäre es besser, wenn wir morgens am Ziel ankämen, weil dann noch der ganze Tag vor uns läge. Ob wildes Campen in Schottland erlaubt ist, weiß ich zwar bis heute nicht, aber stören taten wir jedenfalls keinen. Clifford hat den Grill rausgestellt und dann haben wir Würstchen draufgelegt. Dazu gab es Sandwich und Tomatensalat auf Papptellern. Den Müll haben wir natürlich mitgenommen. In den Kojen ließ es sich angenehm schlafen. Nessie ging es gut. Sie war schon ganz aufgeregt vor lauter Vorfreude. Im Gurkenglas war jedes Mal Wellengang, wenn man nachschauen ging.

Am nächsten Morgen sind wir tatsächlich früh auf dem Campingplatz angekommen. Unsere Gastleute haben gemeint, dass wir noch länger bei ihnen wohnen dürften, wenn wir wollten, wir wären ja nette Tiere und soooo wohlerzogen (die Grillwurst hatte der Grunzer ordnungsgemäß vor die Tür gekotzt statt in den Wohnwagen). Nun, das war erfreulich zu hören, doch erst mal hatten wir Wichtigeres zu erledigen. Ob es noch andere Seen hier gäbe, haben wir uns erkundigt. Nö, wäre der eine große nicht genug, kam es zur Antwort. Schön, dann waren wir hier ja richtig. Wir haben alles  stehen und liegen lassen, nur Grunzers Rucksack geschnappt und sind ans Wasser gelaufen.

Der Loch bei Iverness

Als niemand zu sehen war, haben wir das Glas rausgeholt. Nessie tat der Mund zittern.
„Ist das hier, wo du zu Hause bist?“
Heftiges Nicken.
Wir haben den Deckel aufgeschraubt. Nessie ist ins Wasser geschwommen.
„Danke, danke, danke!“, hat sie gerufen. „Ihr seid super!“
Dann war ihr Kopf weg. Unter Wasser hat man noch ihren Schatten sehen können. Er war schwarz und … öhm … sonderbar riesig. Ein letztes Mal ist sie in einiger Entfernung aufgetaucht – mit Hals und Taille, beides genauso groß  angeschwollen, als täte es gar nicht zu ihr gehören.
„Mann-o-Mann, das Wasser bricht hier aber doll“, hat die Cora gekeucht.
„Siehste“, hat der Pit zugefügt. „Ich hatte Recht – groß.“
Schade, dass wir die Digicam im Wohnwagen vergessen hatten. Das wäre sicher ein hübsches Erinnerungsfoto geworden.

Wir sind noch ein bisschen am Ufer stehen geblieben und haben gewinkt. Unser Regenwurm ist aber nicht noch mal zurückgekehrt. Das hätten wir also geschafft. Immer diese Hetzerei. Doch was sollten wir jetzt anfangen, hier am Arsch der Welt? Das hatten wir doch gar nicht eingeplant. Angeln finde ich doof. Gab's hier noch was anderes zu besichtigen und zu machen? Davon wird der nächste Teil handeln. Habt Geduld.

Fortsetzung folgt. 

Fotos: Cora © G.H.
          Grunzer © U.W.
          Pit © Club der glücklichen Vierbeiner
          Straße beim Loch Lomond: Morguefile

© Max: Papageiengeschichten

Rätsel 194

Guten Tag, ihr Lieben.

Hier kommt euer exklusiver Erinnerungsservice, damit der heutige Tag korrekt und harmonisch vonstatten gehen kann:

  1. Drittes Licht anzünden
  2. Das Rätsel hier lösen
  3. Mittagessen
  4. Kaffee trinken
  5. Kekse essen
  6. Über Weihnachtsgeschenke nachdenken
  7. Abendessen
  8. Kekse essen
  9. Schlafen gehen
Auf Punkt zwei möchte ich näher eingehen. Ich habe euch mal wieder etwas Schickes gestickt. Was stellt es dar?


Leider hatten wir nur schwarzes und weißes Garn. Lieber hätte ich gelb und rosa genommen, aber die Mia hat gefragt, ob ich bescheuert wäre, da habe ich es gelassen. Also was ist es?