Sonntag, 29. März 2015

Die große Sause (16. Teil)

So, ja … da bin ich wieder. Wir Reisenden hätten schon längst wieder zu Hause sein können, wenn mich nicht akademische Pflichten von der Reportage abgehalten hätten. Aber nun ist die Desertation abgeschlossen und der PC wieder frei. Ich hoffe, ihr seid noch alle da, fit und begierig zu erfahren, wie es weitergeht.

Wo waren wir stehen geblieben? Ach ja, in Lincoln. Genau, in dieser herrlichen Stadt, die voll ist von historischem Bauwerk, wo man sich wunde Füße holen kann, weil es so viel zu gucken und abzulatschen gibt, wo man also voll auf seine Kosten kommt als normaler, bescheidener Tourist, sofern man nicht zufällig mit einer idiotischen Reisegruppe unterwegs ist, die uns im sündhaft teuren Hotel einquartiert, die Angst hat vor andern Hotelgästen, weswegen man sich die Nacht mit Wachestehen um die Ohren schlagen muss, aber die es andererseits total normal findet, dass ich nicht im Pub meiner Wahl ein Glas Cola trinken darf, weil wir draußen bleiben müssen wegen geschlossener Gesellschaft irgendeiner blöden Tourigruppe aus Camelot in Wales.
„Es ist eben Hochsaison“, hat die Cora gesagt.

Kurzum: Ich hatte die Faxen dicke. Weswegen fährt man in Urlaub? Doch um sich zu erholen, um Spaß zu haben, um erfrischt in den Alltag zurückzukehren. Aber all dies hatte sich noch gar nicht eingestellt, obwohl wir schon Woooo-chen unterwegs waren; stattdessen nur Stress, Flucht, Ärger, Kosten und Kopfweh. Lincoln war nur der Tropfen, der das Fass zum Kentern gebracht hatte. Aber damit war jetzt Schluss. Ich tat aussteigen. Endgültig. Sollten sie doch zusehen, wo sie abblieben.
„Von jetzt an kümmere ich mich um nichts mehr. Macht, was ihr wollt“, habe ich gesagt.

„Aber die Fahrkarte zahlst du noch?“, hat es geheißen.
„Und das Hotel.“
„Und das Essen auch.“

Boah, was für Raffzähne. Meinetwegen. Aber sonst würde ich nur noch machen, was ICH wollte. Keine kulturellen Führungen mehr, keine Freizeitprogramme, nur noch ausspannen, ausspannen, ausspannen.

„Und wo möchtest du ausspannen?“, hat der Pit wissen wollen.

Tja, mal überlegen. Es sollte ein Ort sein, der groß genug wäre für Alternativbespaßung, denn sonst würden die Spacken doch wieder nur bei mir in der Pension herumhocken. Und es müsste ein Ort sein, der intim genug wäre für grüne Inseln der Ruhe und Regeneration, sobald ich die andern fortgeschickt hätte. Meine Wahl fiel auf Cambridge. 

Cambridge liegt etwa 80 km nördlich von London. Die Stadt ist bekannt für ihre Universität. Die ist alt und daher voller Architektur, die man sich anschauen kann. Schon 1209 wurde die Uni gegründet. Das ist wirklich extrem alt. Es gibt nicht viele Universitäten, die älter sind, Paris zum Beispiel oder Bologna, aber Princeton und Göttingen beispielsweise sind über 500 Jahre jünger.

Von den 120.000 Einwohnern in Cambridge sind etwa 97.000 normal und 23.000 Studenten. Ich hatte die Hoffnung, dass der Grunzer auf dem Campus jemanden finden täte, mit dem er über  seinen fränkischen Sauerampfer oder über Erotik im Alter diskutieren könnte. Wissenschaftlich, meine ich. Dann wäre er mir von den Hacken und er hätte endlich eine akademische Meinung zu seinen Herzensthemen. Als Laie ist man ja doch nicht immer der richtige Ansprechpartner.

Die Chance war gut, dass er jemanden vom Fach finden täte, denn Cambridge ist voll von Colleges. Es sind insgesamt 31, alle im Laufe der Jahrhunderte entstanden. Die Colleges sind autonome Forschungs- und Lehrbetriebe; sie bilden aber gemeinsam das, was man unter Universität versteht. In England ist das ein bisschen anders als bei uns in Deutschland. Es klingt ziemlich verwirrend und ist es vielleicht auch, aber die dort arbeiten und studieren kommen damit klar.

Jedenfalls ist Cambridge ein absolutes Erfolgsrezept. Viele, viele Nobelpreisträger kommen von dort, so viele wie von keiner anderen Universität der Welt, insgesamt sind es etwa 85.

Die beiden wohl bekanntesten und berühmtesten Colleges sind das King's College und das Trinity College. Ein ehemaliger Student des King's College ist der Schriftsteller Salman Rushdie, das Trinity College besuchten unter anderem der Mathematiker und Physiker Isaac Newton, der Philosoph Ludwig Wittgenstein und Prinz Charles.

Trinity College
King's College
Chapel vom St. John's College - gotisch

In dieser erlauchten Umgebung würde meine Gurkentruppe bestimmt nicht sonderlich auffallen. Entweder würden sie schlicht im Touristenstrom untergehen, oder die Leute täten denken, die  Asservatenkammer hätte Betriebsausflug. Ha ha ha, besonders wenn der Teichheini seinen Stockschirm dabei hätte oder die Mia ihre Umhängetasche. Swanopticus umbrellatus und Tussinella guccilotix. Universitätsbetriebe sind ja Kummer gewohnt. Mich trug die Hoffnung, dass sie kostenlos durch die Kassen kämen, weil man sie für Uni-Inventar hielte.

Apropos Harald. Hatte ich es schon gesagt? Er hatte sich in Lincoln kurz vor der Abreise zurückverwandelt. Vom schwarzen Gefieder, das ihm so gut stand, und dem knallroten Bammelgeschwür auf der Nase war nichts mehr übrig. Leider, muss man sagen. Er hatte sein Schicksal so würdevoll getragen. Selten hatte ich so viel Stolz in Tränen gesehen. Tapferes, tapferes Tümpelschlachtschiff. Gut hattest du dich gehalten.

Keine Ahnung, was passiert war, jedenfalls war er wieder weiß, als ich in Lincoln die Augen aufgemacht hatte. Auch der Schnabel war wieder glatt und von gesundem Orange. Nur – großer Gott! – was war das auf der Nase? Dieser schwarze Gnubbel? Der war doch wohl nicht zurückgeblieben?
„Quatsch!“, hat die Cora gesagt. „Der Harald ist ein Höckerschwan, die haben so was, das ist normal.“

Ach so. War mir vorher gar nicht aufgefallen. Sieht ja 'n bisschen wehrhaft aus, nicht? Wie 'n Stoßdämpfer für zielstrebig vorpreschende Kussweiber. Aber bitte, ich will nichts gesagt haben.

Die Mia hatte wieder Sternchen im Blick. Bei der war die Liebe zurückgekehrt. Ganz plötzlich. Schatzi hier und Schatzi da. Wie 'ne Tütenschlepperin im Prada-Outlet tat sie den Harald hinter sich herziehen. Das Grinsen war breit wie 'ne Fluglandebahn im Längsschnitt. Die historischen Gemäuer täten sie sich jetzt angucken gehen, haben sie behauptet und sind gackernd abgeschoben. Mir war das recht; die war ich schon mal los.

Bei der Wahl des Hotels hatte ich auf einen großzügigen Wellnessbereich Wert gelegt. Ich meine, nach Cambridge kommt man nicht gerade, um sich in den Liegestuhl zu legen, aber es gibt durchaus Hotels in lauschiger Stadtrandlage mit viel Grün und karibischem Flair.

Unser karibisches Flair kam von einer wohl durchdachten Innenarchitektur, von effektvoller Beleuchtung und ansprechender Poolgestaltung. Mir war das egal, ob das künstlich war; Hauptsache, ich hatte meine Ruhe.


Gleich nachdem wir die Rucksäcke abgestellt hatten, bin ich losgegangen. Ich habe mir das Hotel angeschaut. Allein. Ich sagte doch, dass mich nicht interessieren täte, was die andern machten.

Im Hotel gab es eine wundervolle Veranda mit würziger Vegetation drumherum und gemütlich knarrenden Rattansesseln. Ja, ich weiß, die Holzsäulen am Rand, die alles zusammenhalten, heißen Porch. Auf dieser Veranda habe ich einen Fruchtsaft getrunken. Kirschen waren auch drin.

Haaach … endlich Ruhe, endlich Urlaub.

Als ich zurückkam ins Hotelzimmer, waren alle weg. Ich habe mein Badezeug genommen und bin runter in den Wellnessbereich gegangen. Dort habe ich dann allerdings den Grunzer getroffen. Je war mein Laune dahin. Der Frankenheini hatte sich ein grellbuntes Badehandtuch ausgeliehen (mit Aras drauf, dieser Angeber) und hockte an der felsenartig gestylten Poolumrandung. Um die Hüften trug er einen schlabbrigen Lappen mit Gummizug am Bauch.

Das sollte doch wohl nicht seine Badehose sein? Ich meine, ich hatte den Grunzer ja noch nie im Bade-Outfit gesehen. In Blackpool neulich am Strand hatten wir ja nicht gebadet, nur die beiden Mädels zum Sonnen begleitet, daher waren keine Badehosen nötig gewesen. Abgesehen davon – was hatte er hier zu suchen? Schließlich war ich nicht ohne Grund allen aus dem Weg gegangen. Und jetzt latschte mir dieser Kerl frech in die Behaglichkeit.

Grunzer ... boah
Er täte auf die Cora warten, hat der Grunzer gemeint. Und dann erfuhr ich, dass er die Cora zu einem Tät-a-tät eingeladen hatte, ausgerechnet an meinen Pool und ausgerechnet jetzt und heute. Mit andern Worten, es war eine riesengroße Schweinerei im Gange mit Wassergeplätscher, süffigen Getränken, klebrigem Gelaber und Hinführung auf erotisches Tun.

Mit tat die Spucke wegbleiben.

Okay, die Wellnesslandschaft war groß genug mit allerlei Nischen, in die man sich unsichtbar zurückziehen konnte, aber allein das Wissen, dass nebenan diese beiden alterstollen Zähfleischadler ihre Hühnersuppe aufkochen würden, ließ mich schaudern. Wortlos habe ich mich umgedreht und bin davongelaufen.

Am andern Ende der Karibik, so in Höhe Jamaika-Süd, bin ich dann noch auf die Cora gestoßen. Das hatte mir gerade noch gefehlt. Wenn ich das gewusst hätte, wäre ich durch einen andern Ausgang geflüchtet. Ich bin mir nämlich ziemlich sicher, dass die Cora nicht damit gerechnet hatte, dass sie jemand sehen täte. Andernfalls hätte sie sich doch was angezogen. Boah, nee. Sitzt da nackt zwischen Sektgläsern und wartet auf ihren Schwerenöter. Ohne Klamotten, stellt euch das mal vor!
„Cora!“, habe ich geschrien und schnell die Digicam rausgeholt. „Schämst du dich nicht?“

Das Foto ist echt gut geworden, das muss ich zugeben, kein bisschen verwackelt, aber ihr denkt doch wohl nicht, dass ich es euch zeige? Unzensiert? Hier lesen Kinder mit. Und unschuldige, naive holsteinische Hundemädchen. Ich lege Wert auf Anstand und Sitte. Deshalb habe ich die Cora nachträglich verfremdet.


Trotzdem irgendwie obszön, nicht?

Ich war jedenfalls bedient. Ich bin raus aus dem Wellnesskeller und rein in den Garten gerannt. Dort habe ich den Pit getroffen. Ich dachte noch, was liegt da für ein komisch rötlich geringelter Stein im Gras, aber als ich näher kommen tat, war zu erkennen, dass es die Knackwurst war, die sich dort sonnte. Unterm Hintern guckte eine Zeitschrift raus. Ich habe nicht sehen könne, ob es sich um britische Miezen handelte, um Hilfsfonds für burglose Kleinstädte oder um die Hochglanzseiten einer Maklerfirma, die sich auf Schlossimmobilien spezialisiert hat.

Der Pit tat mich angähnen.
„Na?“, hat er gesagt.
Von den Vorgängen am Pool habe ich ihm nichts erzählt. Man muss auch mal schweigen können. Wir sind aber ziemlich schnell überein gekommen, dass es schön wäre, eine keine Bootsfahrt zu unternehmen. Er hätte nämlich ein Floß gefunden, hat der Pit behauptet, es läge unten am Steg. Außerdem sei der hiesige Fluss nicht sehr breit und frei von Handelsschifffahrt, da könne nichts passieren. „Cam“ heißt der Fluß, von dem auch die Stadt ihren Namen hat.

Vorher waren wir noch im Supermarkt, Proviant kaufen. Wir hatten Chips dabei, Würstchen, Sandwiches, ein paar Schokoriegel, Popcorn und Cola. Dann haben wir den Karton aufs Floß gewuchtet, haben die Leine losgeknotet und sind losgefahren. Eigentlich haben wir uns nur treiben lassen. Das Wasser machte das von ganz allein, wir brauchten nicht zu paddeln oder zu rudern. Die Sonne schien, es war ausreichend warm und wenn man sich auf den Rücken legte, konnte man Wettrennen mit den bedächtigen Cumulus-Wolken machen. Ja, in der Tat, es war eine gute Idee gewesen, diese Bootsfahrt zu unternehmen. Langsam tat ich spüren, wie Stress und Ärger aus mir wichen.


Nur wegen der Beschaffenheit des Floßes hatte ich Bedenken. Das waren doch aufblasbare Gummikammern, auf denen wir schwimmen taten, oder? Nicht dass wir plötzlich schmatzend abzischten wie ein Luftballon, bevor er labbrig zusammenfällt.
„Wehe, du popelst wieder blödsinnig mit deinen Krallen herum“, habe ich den Pit gewarnt.
„Musst du gerade sagen“, hat er geantwortet. „Meine Krallen kann ich einziehen. Du hast deine immer draußen. Stech da nicht bloß nicht rein.“
„Mach ich nicht, Blödmann.“
„Dann ist ja gut, Torffkopp.“

Das ist nicht die Rialto-Brücke, das ist Cambridge!

Doch, ich muss wirklich sagen, es hat mir gut gefallen mit dem Pit auf dem Cam. Kleinstadtidylle. An den Ufern wuchsen Büsche und ab und an zogen netten Häuschen vorbei. Es tat nach Sommer riechen. Geredet haben wir nicht viel. Das ist ja das Schöne an Männern: Sie könne auch mal schweigen. Der Pit hatte die Augen zu und döste. Ich bin dann auch irgendwann eingeschlafen.

Aufgewacht bin ich erst wieder, als es rumpsen tat. Fast wäre ich hintenüber ins Wasser gekippt. Geschrei war zu hören und so ein Geknalle wie wenn Holz aneinanderstößt. Ein Ballett aus fuchtelnden Ruderblättern habe ich sehen können und junge Männer ohne Unterleib, aber mit muskulösen Oberarmen, die offenbar eine Polonaise veranstalten taten, immer schön nacheinander. Der Pit hatte sich platt wie 'n Teppich auf den Bauch gelegt und den Kopf eingezogen.

Okay, es hat etwas gedauert, bis sich all die Boote wieder entwirrt hatten. Neue englische Fachbegriffe habe ich gelernt wie „dam...d“ und  arse...le“. Das Wort mit „F“ und das, was so ähnlich klingt wie „Shirt“, kannte ich allerdings schon.

Ruderer in Cambridge, hier noch ordentlich und friedlich

Meine Güte, deshalb muss man doch nicht so brüllen. Wir haben die Ruderer einfach nicht gesehen, weil wir geschlafen hatten – fertig. Da haben wir halt nicht ausweichen können. Ist es unsere Schuld, dass ausgerechnet an dieser Stelle der Fluss so eng war? Und schließlich ist immer derjenige zu belangen, der auffährt. Unsere Kiste mit dem Proviant ist abgesoffen, darüber redet auch keiner. Auch wir hatten Verluste, nicht nur die andern.

Zwei Boote waren kaputt, haben wir hinterher erfahren, sieben Ruderer hatten sich die Schulter geprellt, den Arm ausgerenkt oder die Hand verstaucht. Das waren irgendwelche Sportler, die da jährlich an einem "Boat Race" auf der Themse teilnehmen, Studenten mit besonderen Ambitionen oder irgendwie so. Die Jahreszahl 1829 ist noch gefallen und der Begriff „ungebrochene Tradition“, aber ich habe das nicht so ganz verstanden, was die damit meinten und wieso die so sauer waren. Mir tat der Kopf brummen. Ich wollte nach Hause. Einer hat uns mit dem Ruder ans Ufer geschoben. Der Pit ist rübergesprungen und ich bin geflogen. Dann haben wir uns vom Acker gemacht. Vielleicht hat das Floß allein heimgefunden, wenn nicht, schwimmt es jetzt am Buckinghampalast vorbei. Die Studenten hatten sowieso anderes zu tun, als uns tschüs zu sagen. Dabei hatte der Nachmittag so friedlich begonnen.


Im Hotel habe ich dem Pit Johannisbeertörtchen mit Vanilleeis spendiert. Die Cora und der Grunzer waren nicht zu sehen. Bäh, die taten sich bestimmt inzwischen nackig auf ihrer grünen Pool-Insel räkeln. Vielleicht hätte da mal ein Studenten-Achter reinfahren sollen. Das wäre ja wenigstens moralisch zu vertreten gewesen. Vom Harald mit seiner frisch entflammten Tussi auch keine Spur. Die Sehenswürdigkeiten hatten längst geschlossen.


Wir haben dann noch Mau-Mau gespielt und sind schlafen gegangen. Erst später, viel später habe ich die andern gehört, wie sie reingeschlichen kamen. Es tat nach süßem Likör miefen. Die Weiber haben gekichert. Der Grunzer hatte Schluckauf. Der Harald war dreimal auf dem Klo. Ich hatte große Lust, heimlich abzureisen und das ganze Pack sich selbst zu überlassen. Wenn ausspannen genauso anstrengend war wie das vorher, dann blieb mir ja nicht mehr viel übrig.

Fotos: Cora © G.H.
          Grunzer © U.W.
          Pit © Club der glücklichen Vierbeiner

         Schwan, Brücke, Veranda, Wassersofa, Box, Badetuch, Landkarte, Ruderer, King's College, Kirche: Pixabay
         Hotelzimmer, Pool, Cocktail, Essen, Trinity Collage: Morguefile

© Max: Papageiengeschichten

Sonntag, 15. März 2015

Fuchsi

Es ist wirklich erstaunlich, was es für Leute gibt.

Neulich habe ich bei einem Wettbewerb mitgemacht. Thaya und Io hatten ihn ausgeschrieben. Es war ein Fotowettbewerb. Erst hatte ich gedacht, das wäre nichts für mich, weil die Mädels doch Modelfigur haben und die Mia mit ihren kurzen Kartoffelstampferbeinen dagegen nur abstinken könnte. Dann täte sie den letzten Platz belegen, ich hätte das Geheule in den Ohren und müsste womöglich noch Schmerzensgeld zahlen. Nee, das war mir zu anstrengend.

Aber dann habe ich gelesen, dass es gar kein Hund sein musste, den man verkleidet und fotografiert. Es könnte auch ganz was anders anders. Jo, das war meine Chance. Ich habe ein Foto von der australischen Knalltüte rausgesucht. Erinnert ihr euch? Das war der Feriengast, der vor ein paar Jahren im Zuge der weihnachtlichen Karitas die Feiertage bei uns verbringen durfte. Die Putze hat ja regelmäßig solche Anwandlungen. Und bei dieser Gelegenheiten hatten wir den Kakadu winterfest gemacht. Wir hatten ihm einen Topflappen umgeschnallt, damit er nicht friert.


Ja, und dieses Foto hatte ich bei Thaya und Io eingeschickt.

Dann hieß es warten. Die Spannung war unerträglich. Würde der Weißhaubengockel eine Chance haben? Schließlich kennen die da unten in Down Under keinen Karneval, glaube ich. Die laufen da sowieso alle nackt herum.

Aber dann passierte das Unglaubliche: Wir haben gewonnen! Nun ja, nicht so ganz. Streng genommen hatten alle Einsender den Hauptpreis gewonnen, nicht nur wir, trotzdem war das natürlich sehr kulant von der Jury und wir haben uns sehr gefreut.

Aber … äh, worin bestand eigentlich der Hauptgewinn?

Aus einem Fuchsi, hieß es.

Fuchsi?

„Die werden den doch nicht in ein Paket stecken und zu uns schicken“, hat die Mia gesagt. „Eine Bahnfahrkarte sollte doch mindestens drin sein.“

Ich konnte mir das auch nicht vorstellen. Außerdem musste das ja eine große Familie sein, wenn die Mitglieder in halb Österreich und Deutschland verteilt werden konnten. Oder war das gar eine verkappte Abschiebung, eine ungefragte Adoption über die Tarnung eines harmlosen Fotowettbewerbs? Weiß man's, was die alles auf dem Kerbholz haben?

Ein paar Tage später kriegten wir tatsächlich ein Päckchen aus Österreich. Luftlocher waren drin (immerhin). Ein lieber Brief lag dabei und eine kaputte Auster unter Fuchsis Hintern (das wären Sepiaschalen zum Schnabelwetzen, hat die Mia gemeint). Ach so. 


„Tach“, hat er gesagt und sich umgeguckt.

Wie jetzt? Der Typ war tatsächlich bei uns gelandet? Die hatten das ernst gemeint? Der sollte jetzt bei uns bleiben?

Mann, hab ich vielleicht doof geguckt.


Als ich mich wieder eingekriegt hatte, regnete es erst mal Anweisungen:

Dass das klar ist, ja? Finger weg von meinen Matchboxautos. Die PC-Zeiten kannst du dir mit Roosevelt und Otis teilen, aber nicht mit mir. Wenn du schnarchst, fliegst du raus, und sonntags bist du dran mit dem Gurkenhobeln. Ach ja, und wehe, du köttelst auf den Teppich.

Und dann hab ich noch gesagt, er soll mal zeigen, was er kann.

Da war ich ja mal gespannt.

Schutzmann machen, täte er können, hat er gesagt:


Spagat ebenfalls:


Rückwärts auf einer Kiste sitzen:


Ist das alles? *gähn*

Nee, natürlich nicht, er täte noch ein Stück Apfel auf der Nase balancieren können:


Taddääää!

Oh, Mann … toll.

Eine Plautze hat er und wenn man darauf herumdrückt, fühlt es sich an, als täten dort Kügelchen herumkullern. Verdauungsprobleme?

Die Putze hat sehr mit mir geschimpft, als sie herbeigerannt kam, um den Waldindianer zu retten. Von Gastfreundschaft war die Rede, irgendwas von Toleranz und von Gottes Geschöpf. Meinetwegen. Der Fuchsi hat sich gleich bei der Putze eingeschleimt mit treuem Augenaufschlag und so. Er hockt jetzt auf dem Küchentisch. Von dort dirigiert er die Wasserzufuhr für die Zimmerpflanzen. Zu duschen braucht er nur selten, und wenn es Hühnersuppe gibt (die aus der Tüte), kriegt er das Schwafeln über die Schmackhaftigkeit von Hofgeflügel und dessen Zubereitung. 


Am besten gar nicht dum kümmern; so tun, als sei er gar nicht da.

Trotzdem legt die Putze Wert darauf, dass ich mich bei den Mädels bedanke.

Na schön.

Liebe Thaya, liebe Io, liebe Tante Mel, vielen Dank für Fuchsi. Ich verspreche, dass er nicht länger als nötig in der Kommode eingeschlossen bleiben wird. Ich bin ja kein Unvogel. 

© Max: Papageiengeschichten

Donnerstag, 12. März 2015

Diva
2009 – 2015



„Wo ich bin, da ist hinten“, hat Diva mal gesagt.

Ja-ha, aber nicht im Herzen der Menschen. Sie meinte die Reihenfolge beim Nachmittagsspaziergang, wir meinen die Freude, die wir an ihr hatten, an ihrem herrlichen Gesicht, an ihrer Art, die Welt zu meistern, und natürlich an den vielen Fotos, die uns zeigten, was Diva so machte und wie sie lebte.

Darüber sind einige Jahre vergangen. Wohl keiner von uns hätte gedacht, dass dies je ein Ende haben könnte, denn Diva schien nicht ernstlich krank zu sein. Ihr Blog gehörte dazu, war immer da, wurde gepflegt, wurde besucht, so als sei er durch nichts zu erschüttern. Das haben Institutionen so an sich: Man kommt gar nicht auf den Gedanken, dass es mal anders sein könnte. Und doch ist es passiert, buchstäblich von der einen Sekunde auf die andere. Diva ist bei einem Ausflug an der Mosel tot umgefallen.

Dass die Sonne schien und Diva am Wasser starb, das sie so gern mochte, macht das Fassungslose nicht greifbar. Einen Sinn kann ich darin nicht erkennen, obwohl ich weiß, dass das Leben nicht gerecht ist und es deshalb keinen Sinn hat, nach dem Sinn zu fragen. Aber etwas zum Festhalten möchte man haben, etwas, das einen versöhnlicher stimmt mit dem Grausamen der Endgültigkeit.

Und sicherlich sitzt der Kloß im Hals noch einmal zwei Zentimeter tiefer, weil Divas plötzliches Ende auch uns so gnadenlos vor Augen führt, wie schnell es mit uns zu Ende sein kann – ohne Vorwarnung, ohne Vorahnung. Wir sind mit unserer Endlichkeit konfrontiert, dazu mit unserer Erinnerung an die schlimmen Schmerzen, die unser eigenes Herz verkrampften, als wir selbst einen unserer Liebsten verloren.

Dass  die Trauer die Kehrseite der Liebe ist, macht es nicht einfacher. Ich fände es aber auch nicht gerecht Diva gegenüber, wenn neben all dem Schweren der Stunde kein Platz wäre für das Fröhliche und für das Leichte, das Diva doch so herrlich lebte. Ich möchte sie so in Erinnerung behalten, wie ich dachte, dass sie war. Und für mich war Diva vor allem eins:

Die Queen des gepflegten Energiesparens.

Hier mit Donna

Oder anders ausgedrückt: My Couch is my castle. Soll sich dieser Rolf Benz doch woanders draufsetzen. 



Aber diese effektive Art, den Organismus vor Überanstrengung zu bewahren, ist selbstverständlich nicht gleichzusetzen mit Verantwortungslosigkeit. Ganz im Gegenteil, Diva hatte wichtige Aufgaben zu erfüllen.

Da wäre zum Beispiel den Rhein zu beaufsichtigen, und das möglichst täglich. An- und Abreise waren jeweils zu Fuß zu absolvieren; einen Shuttle-Service gab es nicht.


Oder die Menschen zu bespaßen, indem man sich dusselige Verkleidungen anhängen ließ. Die Zweibeiner kriegten das Jauchzen, einem selbst kratzte das Ding blöde am Teint. Aber was machte man nicht alles für die häusliche Heiterkeit?


Und dann mussten die Menschen natürlich regelmäßig an die frische Luft. Diva hat sie Gassi geführt. Eisern. Bei jedem Wetter. Und wehe, die haben genölt: „Ich will aber nach Hause!“ Nix da, Bewegung ist gut für die Verdauung. 


Da es daheim – leider, man muss es mal deutlich aussprechen – keine ausreichende Versorgung mit Matchwasser gab, musste sich Diva selbst drum kümmern. Verwöhnen geht anders. Geklagt hat sie nie, auch nie nach Luxus gerufen. 


Und schließlich wollte Donna noch unterhalten werden. Rennen, spielen, rennen. Selbstlos hat sich Diva auch hier in die Pflicht nehmen lassen. Sie hatte eben ein großes Herz. 


Mach's gut, Mädchen. Sicher wirst du deine geliebte Emma wiedersehen. Und grüß mir den Angus. Der hat's auch gern gemütlich.

Wo ihr seid, das ist nicht hinten, da ist vorn. Ihr habt mein Leben bunter gemacht, und daran erinnere ich mich gern. 

Dein Max

Fotos: © Diva

Dienstag, 10. März 2015

Bye-bye, Angus

Ja, ihr lest richtig. Angus ist von uns gegangen. Mein lieber Freund Angus.



Wenn ihr's nicht schon wisst, dann seid ihr jetzt bestimmt genauso entsetzt, wie ich es war, als ich gestern nur mal schnell auf Angus' Blog schauen wollte, um zu sehen, was der Knabe so treibt. Doch statt des gewohnten schwarzweißen Gemeckers über die Hektik der häuslichen Zweibeiner („Dass die nie mal entspannen können!“) schrieb – ganz ungewohnt – Tante Manou.

Auch da hatte ich mir noch nicht viel gedacht, weil manche von uns ihre Futterknechte ja gelegentlich an die Tastatur lassen, sofern der Wechselkurs stimmt, doch dann schreiben die was anderes, vielleicht was Lustiges, jedenfalls nichts von der Regenbogenbrücke und auch nichts vom Grab, das jetzt im Garten ist.

Erst da hatte ich es kapiert – der Angus lebt nicht mehr.

Das darf doch nicht wahr sein! Mensch, man geht doch nicht einfach so, ohne was zu sagen! Aber dann habe ich nachgedacht und mir ist eingefallen, dass man manchmal nicht viel Zeit hat, um groß zu überlegen. Tante Manou schreibt, er hat bei der Tierärztin auf dem Tisch gelegen für eine Ultraschalluntersuchung. 14 Jahre alt war er. Und dann ist er dort gestorben. Ohne viel Worte. Ist einfach gegangen.

Einfach? Ach, wer weiß das schon?

Ich finde, es passt zu ihm. Angus war niemand für viele Worte und noch weniger für laute Worte. Ein bisschen stur war er – Sternzeichen Stier eben, die haben nun mal 'nen Betonschädel; ich weiß, wovon ich rede (ich sag nur: Putze). Dafür sind sie aber erdig, verlässlich und solide.

Ich weiß nicht, ob Angus verheiratet war (darüber haben wir nie gesprochen). Nee, ich glaub, das war er nicht. Aber wenn, dann war er der Typ Mann, der allenfalls den Fressnapf zur Spüle getragen hat, aber sonst seine Ruhe haben wollte. Und das Irre: Die Frauen wären ihm sogar noch entgegengelaufen, nur um ihm den Napf abzunehmen. Es gibt solche Männer; die brauchen einfach nur da zu sein und das reicht.

Angus war so einer. Ich hab' s ihm gegönnt. Außerdem hatte er's auch schwer, das sollte man nicht vergessen. Immer dieses olle Wassertreten gegen die Schmerzen in den Knochen. Dauernd da hinfahren, warten, durch die Fluten stampfen, das Fell nass, der ganze Tag im Eimer – nä! 


Und dann noch als Gipfel sich in diese doofe Themo-Pelle zu quetschen, weil das gut sei für dies und jenes. Wie sieht das denn aus! Muss man davon auch noch ein Foto machen? Aber da kommt Angus' Charakter zum Vorschein: Er trägt die Gummiwurst mit Würde, fast wie ein Model. – Okay, er guckt etwas verkniffen, aber das lag nur am Licht, das hatte ihn geblendet.


Außerdem war Angus ein prima Hirtenhund. Als Bordercollie musste er das auch sein, aber er hat nicht etwa Schafe gehütet, das kann ja jeder, sondern er war zuständig für die Segurity auf den Verkaufsveranstaltungen von Tante Manou. Diesen Job hat Angus sehr ernst genommen. So viel ich weiß, hat sich in all den Jahren niemand im Garten verlaufen, keiner hat sein Hanuta-Papier ins Gebüsch geworfen und spätestens abends, wenn es dunkel wurde, ist noch jeder aufgestöbert und zur Gartenpforte geleitet worden. Angus war überaus akkurat im Berufsleben, dabei gänzlich unhektisch und immer freundlich zu allen.

Dass so jemand nun gehen muss?

Ach, ich seh ihn direkt vor mir. Angus, wie er jetzt die Wolken abschreitet, leichtfüßig und ein wenig federnd in den Gelenken (DORT benötigt man keine Aquatherapie). Er gelangt zur Anmeldung, doch zu sagen, wer er ist, braucht er nicht, denn man weiß bereits, dass ER da ist. Also legt sich Angus hin, Pfoten auf die Wolke, der Wind spielt sanft in seinem seidigen Fell, Angus hebt nur leicht eine Braue, und schon stürzen die Englein davon, um rasch die Fenster zu schließen –  es zieht!



Ja, Angus, such dir ein schönes Plätzchen.

Bye, mein Freund. Es war schön, dass ich dich kennen durfte.

Dein Max

Fotos: © Manou