Mittwoch, 1. Mai 2019

Kühe

Der Karlsson war nicht davon abzubringen. Wir müssten uns mal ordentlich öffentlichkeitswirksam sozial betätigen, hat er gemeint. Immer nur im Verborgenem dem Weihnachtsmann zur Hand zu gehen oder New Yorker Straßenkatzen in die Schranken zu weisen wäre ja schön und gut, aber auf die Dauer zu mickrig. Wer Gutes tue, müsse auch die Fahne schwenken, damit das Unrecht publik werde. Die Öffentlichkeit wisse ja oft nichts von den himmelschreienden Missständen, daher sei es unsere Aufgabe, sie davon zu unterrichten, am besten durch eine spektakuläre Aktion. Aha, und an was dachte er dabei?
„Wir befreien Kühe“, hat er am Telefon gesagt.
„Kühe?“
„Ja, wen denn sonst? Schildkröten vielleicht?“
Hm, da war was dran. Kühe machen mehr her.
„Und an was genau hast du gedacht?“, habe ich gefragt.
Überraschenderweise konnte der Karlsson ein komplettes Manuskript vorlegen:
„Wir fangen mit Tiertransporten an. Die Vögel lassen ein Laken vor die Windschutzscheibe gleiten. Steht der LKW, popelt der Pit die Fahrerkabine zu und den Frachtraum auf. Die Pferde und wir Hunde lenken die Rinder auf freie Weiden, davon gibt es bei uns im Norden genug. Max schreibt, die anderen Vögel filmen. Luke verkauft die Reportagen und das Bildmaterial für viel Geld im Internetz.“

Karlssons Vision: freie, glückliche Kühe in einer freien, glücklichen Welt

Da war ich platt. Dass der Karlsson so versessen darauf war, sich und uns in Gefahr zu bringen, war mir neu. So risikofreudig hatte ich ihn nicht in Erinnerung. Ich sage nur: Hoooooochhäuser. Und der wollte jetzt Kühe aus den Legebatterien befreien? Ausgerechnet der? Ich habe mir einen Vormittag Bedenkzeit ausgebeten, um darüber nachzudenken, ob ich den Plan gut finde und ob ich bereit wäre, dafür meinen soliden Ruf zu riskieren, schließlich hätte bestimmt nicht jeder Verständnis für unsern selbstlosen Einsatz. Außerdem hatte ich Bedenken wegen des Mittelteils, genauer gesagt wegen dem Pit. Dass der gut popeln kann, steht außer Frage, aber wäre er auch in der Lage, die Fahrerkabine so rasch zu versiegeln, dass der Fahrer uns nicht erwischen könnte?

„Über die Feinheiten können wir später reden“, hat der Karlsson gesagt. „Was ist nun? Machste mit?“
Sollte ich meinen Freund hängen lassen? Zusehen, wie der Pudel allein in sein Unglück rennt? Auch die Cora fand das nicht angebracht:
„Klasse, endlich mal Action in der Bude! Natürlich bin ich dabei!“
Oh, Mann. Wusste die Gans überhaupt, um was es ging?
„Keine Angst, Hoppelhase. Mir ist bekannt, dass bei einer Befreiungsaktion kein Cuba Libre serviert wird. Passt schon.“

Bei der Mia hatte ich noch argere Bedenken. Wisst ihr noch, als wir beide auf Pellworm waren? Das ist schon lange her. Damals hatte uns ein Graf in sein Penthouse eingeladen. Das war zwar landschaftlich toll gewesen, aber auch etwas langweilig. Um sich die Zeit zu vertreiben, hatte die Mia Beratungsstunden gegeben, und zwar den Kühen vor Ort, weil sie sich beschwert hatten, dass sie dauernd Kälber kriegen müssten, ohne dass sie um Zustimmung gefragt würden, außerdem täte man ihnen ständig mit kalten Pfoten ans Euter grapschen. Das wäre unwürdig und frauenfeindlich. Daraufhin hatte die Mia geraten, dass sie sich Schutzhosen um den Hintern knoten, zum Beispiel aus blauen Müllsäcken. Das hatten die Kühe tatsächlich gemacht. Nun leuchteten auf ganz Pellworm blaue Müllsäcke auf den Weiden, und deswegen gab es Ärger mit dem Fremdenverkehr, weil die das unnatürlich fanden. Seitdem hat die Mia nie wieder was mit Kühen zu tun gehabt und auch keine Beratung mehr für Empfängnisverhütung gegeben. Ich hatte Zweifel, ob sie sich jetzt von Karlssons Plan angesprochen fühlen würde.
„Meinetwegen“, hat die Mia geseufzt. „Wenn die Cora mitmacht, komme ich auch mit.“

Nun ging es ans Feintuning. Der Plan musste ausgearbeitet werden. Von meiner Idee, das Herrenzimmer in Karlssons Haus als Operationsbasis zu nutzen, haben wir allerdings schnell Abstand genommen. Erstens wollten wir keine Mitwisser haben (Menschen stören), zweitens tat der Karlsson behaupten, wir würden unsere Malzbierdosen auf den Miles-Davis-Platten abstellen, drittens liegt Schleswig-Holstein zu ländlich, um jedes Mal die Cora dorthin zu karren, und viertens fand ich es besser, wenn wir so wenig Spuren wie möglich hinterließen, und deswegen waren Verabredungen per Telefon das Beste.

Aber erst mal haben der Karlsson und ich uns allein beraten. Er hatte nämlich noch ein besonderes Anliegen, für das wir den großen Kreis nicht brauchten. Die Amy sollte befreit werden, weil sie auf einem Katzenbaum schlafen musste. Als Hund! Na und, habe ich gefragt, wenn's ihr gefällt? Dem Karlsson überschlug sich fast die Stimme. Ich wäre roh und empathielos, hat er gekreischt. Als Hund auf einem Katzenbaum zu liegen, das ginge ganz und gar nicht. Noooo way! 

Amys Martyrium
 
Er hat dann den Pit angerufen und gefragt, ob der Missstand inzwischen behoben sei. Nö, hätte der gesagt und seelenruhig weiter seine Kräcker in Karlssons Ohr gemampft. Der Luke wäre nicht zu erreichen gewesen (Anrufbeantworter) und der kleine Jack hätte gemeint, er täte überhaupt nichts verraten, solange er vom Karlsson nicht das Versprechen bekäme, dass er nächstes Mal mit auf Reisen dürfe.
„Siehste“, habe ich zum Karlsson gesagt, „bei denen weiß man nicht, wo man anfangen soll.“

Der Karlsson war trotzdem nicht aufzuhalten.
„Schreib 'nen Erpresserbrief!“, hat er mich angeherrscht.
„Wie komme ich dazu?“
„Du bist Reporter, und wir können ja wohl schlecht zur Amy fahren und den Katzenbaum mitnehmen, also schreib was Schönes, damit die Menschen dort wissen, was sie zu tun haben.“
Na, das ist ja köstlich. Der Kerl hat Karitas und ich soll ihm die Arbeit erledigen.
„Nu mach schon, Max. Keiner kann so gut Erpresserbriefe schreiben wie du.“
Echt? Wirklich? Na, wenn das so ist, musste ich ja wohl meine Fertigkeit zur Verfügung stellen.

Ich habe mir ein Glas Cola neben den PC gestellt und eine Schaumwaffel dazugelegt – Nervennahrung. Dann habe ich das Zimmer abgesperrt, um ungestört zu sein, und folgendes Schreiben aufgesetzt. Es hat mich viele Stunden überlegen und unzählige Entwürfe gekostet:


Zum Verwischen aller Spuren habe ich den Brief selbstverständlich mit einem Stempelkasten aufgesetzt. Die Anschaffungskosten von 11,99 Euro wurden dem Karlsson in Rechnung gestellt. Ich wäre ein egoistischer Geizhals, hat er geantwortet, und ich habe gesagt, huch, ich glaube, ich hätte aus Versehen mit „Karlsson“ unterschrieben. Da war dann Ruhe. Weil wir das Schreiben nicht mit Umschlag versenden wollten (ihr wisst schon – Stempel), musste der Pit noch mal ran. Diesmal habe ich angerufen. Er täte bald einen Brief bekommen, den solle er auspacken, den Umschlag verbrennen (aber ohne das Haus abzufackeln!) und das Blatt Papier heimlich vor die Tür legen, so als hätte es jemand anders dort abgelegt. 

„Wozu?“, wollte er wissen.
„Tante Susanne hat im Preisausschreiben gewonnen. Ihr kriegt einen Mega-Fresskorb. Darum. Es soll eine Überraschung sein.“
So. Das war erledigt. Hoffentlich würde der Pit nicht vorher aufs Blatt gucken und das Schreiben lesen. Der bringt es fertig, schreit laut: „Was soll das denn?“ und schmeißt den Brief weg. Andererseits: Dann müsste sich der Karlsson selbst drum kümmern. Ich hatte getan, was ich konnte.

Den Befreiungsplan auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen, erwies sich leider als ziemlich schwierig. Ich meine, hätten wir alle zusammen in Karlssons Herrenzimmer verhandeln können, wäre 'n Flipcharts oder 'n Overheadprojektor hilfreich gewesen. Doch so sabbelte jeder (außer der Mia) wirres Zeug in den Hörer, und der Karlsson und ich hatten alle Hände voll zu tun, den Überblick zu behalten. Die Cora wollte unbedingt filmen, der Mia war alles egal, der Pit hatte zwar zugesagt, wie geplant die Fahrerkabine zuzupopeln, wünschte aber genauere Angaben zum Material, der Luke wollte den fertigen Film erst sehen, bevor er sich für die Vermarktung einsetzen täte, und mir war nicht klar, wen wir überhaupt befreien sollten.
„Na, Kühe“, hat die Mia gelästert.
Dabei wieherte sie wie ein Pferd. Das brachte mich auf eine Idee.
„Wie wäre es, wenn wir statt den Pit popeln zu lassen, zwei Pferde mitnehmen, die von außen die Fahrertüren versperren?“
Der Karlsson fand das gut, der Pit nicht.

„Traut ihr mir etwa nicht zu, dass ich schnell genug arbeite?“
Doch, aber darum ging es nicht. Es hätte schon Schnellkleber sein müssen, um den Fahrer am Aussteigen zu hindern, aber wollten wir uns wirklich Ärger einhandeln wegen Beschädigung fremden Eigentums?
„Du kannst hinten die Ladeklappe aufpopeln, während die Stuten vorne alles zuhalten“, habe ich zur Versöhnung angeboten.

Ich dachte an Lütti und Marina, dass die mitkämen. Wenn man sie nett fragte, täten sie bestimmt zusagen. Sie hatten ja sonst nicht viel Abwechslung auf der Weide. Dass der Pit allerdings beleidigt war, das fand ich bemerkenswert. Ich hätte nicht gedacht, dass er sich so mit dem Popeln identifiziert. Früher ist es ihm überhaupt nicht recht gewesen, wenn man ihn daran erinnerte. Aber, hey, der Karlsson mit seinem Weltrettertum plötzlich ist früher ja auch ganz anders gewesen. Noch jemand, der mit Persönlichkeitswandel überraschen wollte? 

Die Cora hatte schon mal angefangen, das Filmen zu üben, daheim mit dem Camcorder vom Onkel Jürgen. Die Ergebnisse hat sie abwechselnd dem Karlsson und mir auf den PC geschickt. Mann-o-Mann, das war vielleicht 'n Mist: verwackelte Blümchen hier, verwackelte Bienchen dort, zwischendrin die Beine von der Gartenbank, die Wohnzimmerlampe, wie sie sich in der Vitrine spiegelt, der Papierrollenhalter in der Küche in Zeitlupe von links nach rechts, minutenlanges weißes Bild mit dem Geräusch einlaufenden Badewassers und Engelberts Plattfüße, wie sie über einen Butterkeks latschen. Großes Kino. Wirklich. Hollywood hätte seine Freude dran.
„Cora, versuch doch mal den Camcorder ruhig zu halten ­- und vor allem gerade“, habe ich geraten.
„Mach ich doch!“, hat sie gekeift. „Aber das Ding ist so asig schwer.“

Lütti und Marina hatten inzwischen zugesagt mitzukommen, und auch Amy und Polly wurden angefragt, denn wir würden noch gute Läufer brauchen, um die Kühe auf die Weide zu treiben. In New York hatten sich beide als überaus ausdauernde und verantwortungsvolle Kämpfer erwiesen. Ich erinnere, wie sie den Gang-Katzen in der Bronx zugesetzt hatten, so richtig stilecht mit Knurren, Zähnefletschen und Nachsetzen. Große Klasse. So was würden wir brauchen. 

Allmählich gewann unser Plan an Konturen. Er sah nun so aus: Wir würden den Transport an einer strategisch günstigen Stelle abpassen. Die Mia würde auf die Kühlerhaube fliegen, sich am Scheibenwischer einhaken und den Fahrer mit einer Tabledance-Nummer ablenken. Das würde dem Harald (ja, in der Tat, den weißen Teich-Heini würden wir diesmal einsetzen) genug Zeit geben, um ebenfalls auf den Kühler zu klettern und seine Flügel auszubreiten. Das wird dem Fahrer die Sicht versperren. Die beiden Pferde halten, wie gesagt, die Türen zu (zumindest den unteren Teil), während der Pit hinten den Laderaum aufmacht. Der Karlsson, die Amy, die Polly, der Pit und ich treiben die Kühe auf die Weide. Alles wird von der Cora gefilmt. Wenn wir die Kühe weit genug getrieben haben, dass sie außer Reichweite sind, ruft der Pit die Mia an, damit sie das Bekennerschreiben an den Scheibenwischer klemmt. Lütti, Marina, Harald, Cora und die Mia machen sich aus dem Staub. Die Amy hatte noch vorgeschlagen, dass wir uns maskieren sollten, aber das haben wir verworfen, weil die Mia nicht aussehen wollte wie Zorro. Außerdem bekäme der Harald Pickel von Wollmützen, hieß es. Das konnten wir natürlich nicht riskieren.

Geklärt werden musste noch, welche Legebatterie wir überhaupt befreien wollten – und wo. Keiner von uns hatte Ahnung, wie das funktionierte mit den Transporten. Im Internet steht so was nicht. Wir haben hin und her überlegt. Zwischenzeitlich hatten wir sogar vereinbart, dass der Pit, der Karlsson, die Mia und ich abwechselnd an der Autobahnzufahrt sitzen, um Strichlisten zu machen und die Zeit zu notieren, damit wir eine Idee davon bekämen, wann und wie viele Kuhtransporte unterwegs wären (die Cora war entschuldigt – die musste für den Oscar üben). Als der Pit einwandte, dass am LKW bestimmt nicht geschrieben steht, dass man innen drin Kühe findet, waren wir zum ersten Mal richtig gefrustet. Uns fiel einfach nichts ein, wie wir das Problem lösen könnten. Auch Mias Idee, auf Instagram die betreffenden Kühe einzeln zu kontaktieren und zu fragen, wann sie auf Reise gingen, fand keine Zustimmung. Der Karlsson begann nervös zu werden. Nun hatte er schon mal den Vorsitz an einer Aktion, und dann drohte alles zu scheitern. Jede Nacht habe ich ihn im Dreistundentakt angerufen, weil ich Angst hatte, dass er allein loszieht und irgendwen überfällt, nur damit er überhaupt eine Aktion zu Ende kriegt.
„Bist du bescheuert, hier dauernd anzurufen?“, hat er mich angeschnauzt.
Von der Mia habe ich eine gerollte „Tussi“ über den Schädel gekriegt, weil mein Handy die ganze Nacht gepiept und sie aufgeweckt hatte. Ja, Mensch, ohne Wecker konnte ich dem Karlsson nicht helfen. Schließlich macht man sich Sorgen um seinen Freund.

Die rettende Idee kam schließlich von der Cora: Warum wir nicht Puten-Manni fragen täten. Der wäre doch vom Fach.

Ja, Mensch, klar, dass ich nicht selbst darauf gekommen bin. Unser guter alter Freund Puten-Manni. Mit ihm sind wir früher viel verreist, per Anhalter, vorne drin im Cockpit. Das war noch vor der Zeit, bevor wir Karlssons Papa und seine Kreditkarte hatten. Damals hatte uns das Geld für die Fahrkarten gefehlt, und mit Puten-Manni und seinen Kumpels ist es billig gewesen, von A nach B zu kommen. Ich habe gleich in meinem Adressbuch nachgeschaut und angerufen. Puten-Manni ist 'ne Wucht. Er versprach sofort, sich umzuhören und sich zu melden, sobald er Näheres wisse. Kaum eine Stunde später klingelte das Telefon. Von einem Kumpel, der einen Kumpel kennt, dessen Kumpel mit einem andern Kumpel befreundet ist, hat er erfahren, wann in Schleswig-Holstein demnächst Kühe transportiert würden. Ihm diese Infos zu entlocken, war allerdings kniffelig gewesen, denn um ehrlich zu sein, waren Puten-Manni zunächst Bedenken gekommen, einen Kollegen so auszuliefern, denn so was macht man ja nicht. Doch als ich ihm erklärt hatte, dass wir ja nur Gutes vorhätten im Sinne der armen Kühe und dass unser Freund, der Karlsson, überdies schon urururalt wäre („Der hat kaum noch Zähne“) und wir ihm daher gern seinen letzten Herzenswunsch erfüllen wollten, nämlich noch einmal im Leben etwas Wertvolles zu leisten, da hat Puten-Manni geschluckt und okay gesagt. Er ist und bleibt eine treue Seele.
„Aber seid vorsichtig! Und tut ihm nicht weh!“
Natürlich. Außerdem ist uns der Fahrer gänzlich unbekannt. Der wird uns nicht wiedererkennen.

Der Karlsson war glücklich, als er erfuhr, dass es nun doch weiterging. Gebellt hat er vor Freude. Mir ist das Trommelfell gegen die Leber geknallt. Mit der Polly ist er die Ratsplätze in Schleswig-Holstein abgelaufen, um zu erkunden, ob es einen günstigen Platz gibt, wo wir zuschlagen könnten. Das hat eine Woche gedauert, bis er und Polly Stubenarrest kriegten. Seine Leute hatten gedacht, sie würden weglaufen, obwohl sie jeden Abend zum Essen zurückgekommen sind. Deswegen musste dann der Pit übernehmen. Er hockte mit seiner Provianttüte im Gebüsch und wartete, ob unser LKW vorbeikäme. Er hat sich mit der Amy abgewechselt. Erstaunlicherweise hat sie ihre Aufgabe gut erledigt. Sie fand heraus, dass besagter LKW-Fahrer nicht, wie wir gedacht hatten, auf einem Rastplatz anhielt, sondern am Stadtrand an einer stillgelegten Tankstelle. Dort schraubte er erst seine Thermoskanne auf, dann aß er seine Stulle und dann ging er ein paar Schritte spazieren, um sich die Beine zu vertreten. Das machte er jeden Dienstag um die gleiche Uhrzeit. Mit einem bisschen mehr Engagement hätte der Pit selbst darauf kommen können. 

Hier machte unser LKW jeden Dienstag Pause

Okay, dann hatten wir's also. Die Aktion konnte beginnen. Wir mussten noch zwei Wochen warten, bis der Karlsson und die Polly wieder verfügbar waren. Das Bekennerschreiben hatte ich inzwischen verfasst. Es lautete:

Die Cora kam mit der Bahn zu uns nach Hannover. Den Camcorder hatte sie sich auf den Rücken geschnallt. Gemeinsam sind wir (Mia, Harald, Cora und ich) erst nach Hamburg gefahren und dann mit der S-Bahn weiter aufs Land. Dort haben uns der Karlsson und die Polly abgeholt. Ein Taxi hat uns an den Stadtrand gebracht. Selbstverständlich sind wir ein Stück vorher ausgestiegen, um die späteren Nachforschungen zu verwirren, denn es war ja wohl klar, dass auf uns eine längere Haftstrafe wartete, falls man uns erwischte. Aus diesem Grund hatten wir uns im Taxi nicht unterhalten, damit wir keine Anhaltspunkte lieferten, an denen man uns später identifizieren könnte. So waren wir gewöhnliche Fahrgäste ohne besondere Merkmale.

An der stillgelegten Tankstelle warteten der Pit, die Amy und die beiden Pferde. Sie waren aus der andern Richtung gekommen. Die Amy stand vor uns mit eingeklemmten Schwanz, runtergeklappten Ohren und triefenden Augen wie ein geprügelter Hund.
„Hat jemand Schiss?“, hat der Karlsson gefragt. „Will jemand aussteigen? Noch ist Zeit.“
Alles guckte sich an, außer Marina und Lütti. Sie hatten neben dem Parkplatz das Gebüsch entdeckt und schickten sich an, es auf Verzehrfähigkeit zu prüfen.
„Hey, lasst das!“, ist der Karlsson ausgetickt. „Das brauchen wir noch zum Verstecken.“
Seit der Karlsson die Leitung innehatte, waren seine Regieanweisungen von bestechender Prägnanz. Mit zusammengekniffenen Augenbrauen musterte er die Runde:
„Was ist? Irgendwelche Abtrünnige? Schisser? Weicheier?“
Niemand meldete sich.
„Dann ist ja gut“, hat er gemeint.
Vermutlich war Amys Gemütszustand auf ihre Genetik zurückzuführen. Border Collies gelten ja als sehr sensibel.
„Mir ist auch schlecht“, hat der Harald geflüstert.
„Dann würde ich keine Salzheringe essen“, habe ich geraten.

Inzwischen ging der Pit mit seinem Rucksack herum und verteilte Proviant. Noch eine Stunde blieb uns bis zum Einsatz. So war genügend Zeit, um uns zu stärken. Es war bewölkt, regnete aber nicht. Wir hatten uns auf dem Parkplatz niedergelassen, aßen Käsekräcker, Zitronenkuchen, Mettwurst und Hering (Letzteres nur der Pit). Wir unterhielten uns über dies und jenes oder zählten die Autos, die ab und zu vorbeikamen. Die Cora hatte ihren Camcorder ausgepackt und auf Start gestellt. Die Mia hielt ihren Schnabel unter Haralds Flügel und seufzte verliebt. Es ist schon lange her, dass der Tümpel-Fred mit durfte. Ich weiß auch, warum. Turteltäubchen sind die Pest. Hoffentlich würden sie ihren Part nicht versemmeln.

Der Karlsson lief herum wie angestochen und fragte jeden, ob er auch wirklich wisse, was zu tun sei. Ich konnte hören, wie die Marina der Polly zuraunte, ob er zu Hause auch so unausgeglichen sei. Das wäre nicht gut, das verursache Stress, er solle sich mal entspannen. Von der Amy erfuhren wir, dass sie nicht mehr auf ihrem geliebten Katzenbaum liegen dürfe, weil er neuerdings im Stall stünde. Deswegen hätte sie jetzt dauernd Blähungen. Lütti erzählte, dass sie Reitsport betreibe, um sich fit zu halten.
„Ach, echt?“, hat die Polly geantwortet. Das wäre ihr zu militärisch. Sie würde Freestyle-Jogging bevorzugen:
„Da ist man nicht so angebunden.“

Eine Viertelstunde vor dem errechneten Start wurde es dann ernst. Der Karlsson kläffte zum Aufbruch. Wir rafften unsere Sachen zusammen und quetschten uns befehlsgemäß ins Gebüsch.
„Die Weißen und Grünen weiter nach hinten, sonst sieht man euch. Ihr scheint durch.“
Lütti und Marina waren auf die andere Seite hinters Haus geschickt worden. Sie passten nicht mit ins Gebüsch. Mir stand der Harald auf den Krallen. Von hinten überdeckte eine flauschige Fellhaube meinen Körper. Das war die Brustbehaarung der Amy, die hinter mir saß. Im Augenwinkel konnte ich sehen, dass die Polly den Camcorder in der Schnauze hielt. Offenbar hatte ihn die Cora nicht auf dem sandigen Boden ablegen wollen. Nach meinem unmaßgeblichen Eindruck war niemand zufrieden mit seinem Aufenthaltsort. Es war einfach total unbequem in dem engen Grünzeug.
„Ist jetzt endlich Ruhe da hinten?“, kam es streng von unserm gelockten General.

Als Einziger war der Karlsson draußen geblieben. Er machte auf streunenden Hund. Dabei überwachte er sowohl die Straße als auch uns. Und dann war es so weit: Der LKW kam. Wir sahen, wie er auf den Parkplatz fuhr, wir hörten, wie direkt vor uns die Bremse gezogen wurde. Dabei habe ich kaum bemerkt, dass mir stetig etwas auf den Scheitel tropfte. Es kam aus Amys Schnauze. Für meinen Begriff hechelte sie auch viel zu laut. Das hat man ja hören können in der Fahrerkabine! Sie verriet uns noch, die dumme Gans. Blöd war auch, dass der LKW so hoch war, dass wir in unserm Versteck mal gerade das Nummernschild im Blick hatten. So mussten wir verstärkt die Ohren einsetzen. Als endlich Karlssons Pfiff ertönte (nach einer Ewigkeit), hat sich die Mia durch die Äste gearbeitet und war verschwunden. Beim zweiten Pfiff hat sich der Harald in Bewegung gesetzt. Die Cora ist gleich mitgegangen. Den Camcorder hatte sie dabei, das weiß ich genau. Kurz darauf war der Pit dran. Inzwischen waren auch Lütti und Marina da. Man konnte es erkennen an den Schenkeln, die etwas schräg standen, so wie Schenkel halt stehen, wenn man sein ganzes Gewicht gegen einen Gegenstand presst.

„Ich komm da nicht hoch!“
Das war allerdings ein Satz, der nicht verabredet war. Er kam vom Harald. Als ich aus dem Gebüsch stürmte und die Ladefläche ansteuerte, konnte ich im Vorbeifliegen sehen, wie der Teich-Heini auf Kniehöhe am Kühlergrill hing und wild mit den Flügeln flatterte.
„Hoch mit dem Hintern!“, hat der Karlsson geschrien.
„Wie denn, du Blödkopp? Hier gibt’s keine Kühlerhaube zum Festhalten, hier ist alles flach.“
Hinterher haben wir erfahren, dass er Recht hatte. Wir hatten an einem virtuellen Ami-Truck geübt, und die haben in der Tat einen Kühlergrill zum Draufsteigen und Draufsitzen.

Deutlich zu sehen: Beim Ami-Modell hätte der Harald bequem vor der Scheibe stehen können

Unser LKW jedoch war vorne komplett platt.  Da gab's nichts zum Klettern und Festhalten, schon gar nicht für Plattfüße mit Schwimmflossen:

Wenn wir das vorher gewusst hätten

Okay, das war jetzt dumm gelaufen. Die Fahrerkabine musste unverdeckt bleiben. Wir konnten nur hoffen, dass die Mia mit ihrem Tabledance ganze Arbeit leistete. Dem Gebollere an den Fahrertüren nach zu urteilen, war das allerdings nicht der Fall. Immer im Wechsel mal links, mal rechts rappelte es von innen am Türgriff. Die Pferdemädels haben sich mit aller Gewalt dagegen gestemmt. Also hatte uns der Fahrer bereits bemerkt und wollte aussteigen. Eile war geboten. Der Karlsson ist hektisch hin und her gerannt.
„Haltet durch!“, hat er Marina und Lütti zugeschrien.

Wir an der hinteren Station wurden zum zügigen Arbeiten angehalten. Inzwischen waren alle aus dem Gebüsch gekommen und standen auf ihrem Posten. Während der Pit an der einen Seite die Halterung der Ladeklappe lospopelte, hat die Polly an der andern Seite mit der Schnauze den Hebel hochgebogen. Tatsächlich ging die Ladeklappe auf. Kuhärsche wurden sichtbar. Es muhte und roch würzig nach Stall. Zusätzlich musste man irgendwelche Knöpfe drücken, damit die Hydraulik die Rampe ausfuhr. Keine Ahnung, wie es funktionierte, jedenfalls hat der Pit es prima hingekriegt. Die Damen standen zum Ausstieg frei.
„Huch, die sind ja ganz weiß“, hat sich die Amy erschreckt.

Ja, die Kuh war weiß

„Laber nicht, tu deine Pflicht!“, hat der Karlsson gebellt.
Leider wollten die Herrschaften nicht aussteigen. Wie jetzt? Die Freiheit winkte und die blöden Weiber standen einfach nur da und glotzen? Das durfte doch wohl nicht wahr sein! Der Karlsson, die Amy und die Polly haben wild gekläfft (und schließlich Verwünschungen ausgestoßen), aber es wollte sich einfach nichts rühren. Niemand bewegte sich einen Zentimeter.
„Was machen wir jetzt?“, habe ich gefragt.
Der Karlsson wirkte nervös.
„Max, versuch du's. Aber schnell!“

Ich bin zur nächsten Kuh geflogen, habe mich auf ihren Kopf gesetzt. Dann habe ich ihr ins Ohr gebissen – zackig. Gott sei Dank, das wirkte. Ich musste mich zwar gut festhalten, damit ich nicht weggeschüttelt wurde, doch nach anfänglichem Gemuhe hat sich die erste Kuh in Bewegung gesetzt und darauf folgten die andern. Eine Karawane schimpfender Walrösser kam die Rampe heruntergetrampelt – endlich. Unten wurde sie unsanft von den Hunden empfangen. Ich glaube, man hat ihnen gelegentlich in die Waden gezwickt, um sie zu beschleunigen. Am Ende des Parkplatzes ging es am Gebüsch vorbei hinunter auf eine Weide. Dazu mussten die Damen ein wenig springen, um den Höhenunterschied zu überwinden. Manche Kuh hat das nicht einsehen wollen. Weil jedoch keine Verzögerung eintreten durfte, bin ich wiederum eingeschritten. Während die Amy und die Polly geschoben haben, habe ich meinen Schnabel in den Hintern gebohrt. Auch der Pit hat seine Krallen ausgefahren. Mir war nicht bekannt, wie gut Kühe springen können. Außerdem können sie ziemlich flott laufen, vorausgesetzt man bleibt in der Nähe und motiviert sie.

So, die Herde hatten wir also schon mal auf dem Grün. Nun hieß es, sie außer Reichweite zu bringen. Während ich mit der Polly, dem Pit und der Amy in Richtung Horizont aufgebrochen bin, ist der Karlsson zurückgeblieben, um die übrigen Posten anzuleiten. Er ist später nachgekommen. Von ihm erfuhren wir, dass die Pferde sowie die Mia, die Cora und der Harald ebenfalls in Sicherheit waren. Sie haben sich rechtzeitig absetzen können.

Den halben Nachmittag sind wir gelaufen, das heißt, ich bin vorgeflogen und unter mir ist der Pit gesprintet. Wir sollten den Weg ebnen, falls Weidezäune im Weg stünden. Manchmal mussten wir tatsächlich anhalten. Dann hat der Pit eine Zange aus seinem Rucksack geholt (es war nicht sein Proviantbeutel) und den Draht von den Pfosten geknipst. Das Loch reichte aus, die nachfolgende Karawane durchzulassen, ohne dass jemand aus dem Galopp kam. Irgendwann hat der Karlsson entschieden, dass es genug sei. Endlich folgte das Signal zum Anhalten. 

Manche Zäune waren sehr renitent

Ich meine, Schleswig-Holstein ist ja ganz hübsch – sofern man eine Kuh ist. Es gibt dort in der Tat, wie der Karlsson versprochen hatte, unendlich viel Natur, auf der man herumstehen kann.


Schleswig-Holsteins abwechslungsreiche Landschaft


Seht ihr?

Áuch mit Sonne

Ich fand, hier ließ es sich aushalten.

Die Hunde hatten prima Arbeit geleistet. Kein Befreiungsgut war verloren gegangen. Sie hechelten und auch den Kühen hingen die Zungen heraus. Die Euter bimmelten jetzt nicht mehr im Takt. Alles fuhr herunter. Allerdings kaum, dass die Leitkuh (oder wer das war) ihren Atem wiedergefunden hatte, gab es 'ne deftige Ansage. Wir waren geplättet. Was das hier für 'n erbärmlicher Scheiß wäre, hieß es. Die ganze Zeit so rennen zu müssen wie blöd. Was uns einfiele, sie so zu traktieren. Würden wir uns etwa kennen, hä? Und was sie jetzt hier sollten in der Pampa im Niemandsland. Ob ihnen das jemand mal gütigst erklären könne.

Öhm. Dem Karlsson lagen die Ohren an, so heftig war er angebrüllt worden. Auch wir anderen guckten ratlos in die Runde. Damit hatte keiner gerechnet. Sollte das etwa der Dank sein? Für unsern aufopferungsvollen Einsatz?
„Nun, wir haben euch befreit“, hat der Karlsson schließlich vorsichtig gesagt.
„Befreit? Von was?“, kam es unerbittlich zurück.
Die Leitkuh war jetzt fast am Kreischen, so sehr tat sie sich aufregen.
„Vom … äh … Schl...haus?“
„Ihr seid wohl nicht ganz dich! Ihr Idioten! Wir sind VIPs. Uns fährt man nirgendwohin, wo es gekachelte Wände gibt. Wir sind Fotomodels. Wir waren gerade auf dem Weg zum Frisör -­ und zum Shooting. Nächste Woche ist Misswahl. Daran werden wir teilnehmen. Bringt uns sofort zurück!“

Oh-oh (aber die Frisur sitzt)

Uff. Das kam jetzt ein wenig ... höm ... überraschend. Wer hätte das ahnen können? Gibt's überhaupt so was, Frisör für Kühe? Oder verarschten die uns? Doch, hat der Pit geflüstert, so was gäbe es tatsächlich. Manche Fotografen hätten sich sogar darauf spezialisiert. Die bringen erst die Kühe in Form, zum Beispiel mit Mehl, das sie auf die weißen Stellen pudern, damit es makellos aussieht, und anschließend werden sie in Szene gesetzt und fotografiert. Manche Besitzer ließen sich das viel Geld kosten, weil es natürlich den Verkaufspreis in die Höhe treibt, wenn die Kuh super aussieht.

„Bei dem vielen Weiß haben die aber viel zu pudern“, hat die Polly angemerkt.
Dem Karlsson war nicht nach Scherzen zumute. Er tat finster gucken. Verständlich, so schwer, wie die Verantwortung auf ihm lastete.
„Was ist nun?“, hat die Leitkuh gedrängelt „Rückweg! Aber flott, wenn ich bitten darf.“
Darauf hat der Karlsson tief geseufzt und sein Handy gezückt. Dabei fiel ihm ein, dass er versäumt hatte, der Mia Bescheid zu sagen, dass sie nun das Bekennerschreiben an die Windschutzscheibe klemmen könne. Später erwies sich, dass die Mia den Schrieb ohnehin auf dem Bahnhofsklo liegen gelassen hatte. Jetzt erhielt sie die neue Order, einen neuen Zettel zu schreiben und ihn dem LKW-Fahrer zuzustecken. Darauf sollte stehen, dass seine Ladung in Kürze zurückkehre, Polizeieinsatz wäre daher unnötig.

Wir setzten uns also wieder in Bewegung, diesmal allerdings nicht im Galopp, sondern nur im gesunden Walking-Stil. Keiner sprach ein Wort, schon gar nicht die Kühe mit uns. Ich glaube, sie waren mächtig stinkig. Die Leitkuh hatte nur gesagt, dass sie sich Benehmen ausbitte, weil sie Jugendliche dabei hätten, von denen bisher jeglicher proletarischer Umgang ferngehalten worden sei, und das solle auch so bleiben. Der Karlsson hörte gar nicht mehr hin.

Das zarte Jungvolk

Als ich mich zwischendurch mal auf einen Kuhhintern gesetzt hatte, um ein wenig auszuruhen, flog mir sofort 'n Schwanz um die Ohren. Oha, das war aber unfreundlich. Stattdessen hat mich die Amy aufsitzen lassen. Man kriegt nämlich schnell Muskelkater in den Flügeln, wenn man zu langsam fliegt. Das ist wie Radfahren in Zeitlupe.

Irgendwann, nach endlosem Gelatsche, sind wir wieder am Ausgangspunkt angelangt. Man konnte die Rückwand der verlassenen Tankstelle sehen. Der Karlsson hat den Treck angehalten. Mit dem Pit ist er vorausgeschlichen, um die Lage zu peilen. Sie lukten durchs Gebüsch. Nach einer Weile kehrten sie zurück. Der Karlsson hat uns informiert, dass die Polizei gerade vom Parkplatz gefahren sei. Nun stünde nur noch der leere LKW dort. Vom Fahrer sei nichts zu sehen.
„Dann können wir wohl jetzt einsteigen, ne?“, hat die Leitkuh gesagt.
Ihre Stimme klang schnippisch. Der Karlssons hat keinen Einwand erhoben.

Die drei Hunde, der Pit und ich sind zurückgeblieben. Wir haben zugeschaut, wie die Herde an uns vorbeigeschaukelt ist. Auf Wiedersehen hat niemand gesagt. Es dauerte noch ein Weilchen, bis sich die Damen den kleinen Abhang hinaufbemüht hatten, den sie wenige Stunden zuvor so sportlich hinuntergesprungen waren. Jetzt konnte man deutlich erkennen, dass ihr stolzes VIP-Weiß empfindlich an Leuchtkraft verloren hatte. Grasflecken waren zu sehen und erdiges Braun zierte Bauch und Schenkel.

„Ich kenne jemanden, der zu Hause als Erstes 'n Bad nimmt“, hat die Polly gekichert.
Pst, wenn das einer gehört hätte! Nicht noch in letzter Sekunde auffliegen. Wir pirschten uns ans Gebüsch und guckten, was an der Tankstelle vor sich ging. Man konnte sehen, wie die Kühe brav die Rampe hinaufstrebten. Dann machte der Fahrer die Ladeklappe zu, guckte sich noch mal um (wir duckten uns), stieg in seinen LKW und fuhr davon. Nach einer weiteren halben Stunde, in der tatsächlich kein Polizeiauto aufgetauchte, haben wir uns ins Freie getraut. Es begann dunkel zu werden. Ein Taxi zu rufen haben wir nicht fertig gebracht wegen der Aufdeckungsgefahr, so blieb nur, zu Fuß zu unserm Treffpunkt zu laufen.
„Ich hab keine Lust mehr“, hat die Amy gemault.
Es ging an der Landstraße entlang, einmal ums Städtchen herum, bis wir endlich am MacMampf ankamen. Durch die Scheibe konnten wir die Mia, die Cora und den Harald dort sitzen zu sehen. Sie futterten Hamburger.
„Boah“, hat der Karlsson  gewürgt, „ich kann kein Rindfleisch mehr sehen.“
Marina und Lütti waren bereits nach Hause gegangen. Sie wohnten ja nicht weit entfernt und hatten sich noch die Beine vertreten wollen.

Na ja, hat der Harald gemeint, als wir alle um den Tisch saßen, wenigstens ist niemand verletzt. Außerdem hätten wir ja noch die Video-Aufnahmen. Vielleicht könne man sie klug zusammenschneiden und doch noch 'n paar Euro rausschlagen beim Verkauf. Ha! Der kennt die Cora nicht. Als wir uns übers Display beugten, um eine erste Kostprobe zu begutachten, haben wir uns sehr gewundert. Alles war so komisch weiß und so schlierig.
„Hast du nur Kuhbäuche gefilmt?“, hat der Pit gefragt.
Wenn's nur das gewesen wäre. Der ganze Film war im Dutt. Unbrauchbar. Kaputt. Vermurkst. Das schlierige Weiß erwies sich als Sabber auf der Linse. Hatte die Polly nicht den Camcorder in der Schnauze gehalten, als wir im Gebüsch saßen?
„Und ich hatte doch so dolle geübt“, ist die Cora zusammengebrochen.

Wir haben dann noch heiße Kirschtaschen gegessen. Die waren selbst für den Karlsson bekömmlich. Spät am Abend ging's zurück zum S-Bahnhof. Amy und Pit sind dageblieben. Sie haben auf Tante Susanne gewartet, dass sie abgeholt würden. Vorher haben sie noch schnell auf dem Smartphone nachgeschaut, um was es in dem Film ging, den sie angeblich gesehen hätten, falls man sie auf der Rückfahrt danach fragen sollte. Der Karlsson und die Polly sind unterwegs ausgestiegen.
„Kühe sind doof!“, habe ich ihn zum Abschied getröstet.
Er hat nur schief gelächelt und mit den Schultern gezuckt.

Als die Cora, die Mia, der Harald und ich in Hamburg am Bahnhof ankamen, war es schon Nacht.

Das ist der Bahnhof in Hamburg

Es fuhr aber noch ein Zug nach Hannover. Ich war erleichtert, dass wir Raum zwischen uns und die verlassene Tankstelle bringen konnten. Zu Hause ist der Harald gleich auf seinen Teich abgeschoben. Ich nehme an, dass er seinen Leuten nicht erzählen hat, wie er dämlich wie 'n Klops am LKW gehangen und mit den Flügeln gefuchtelt hatte. Die Cora ist noch über Nacht geblieben und erst am nächsten Morgen zurück nach Duisburg gefahren. Schlafen konnte ich nicht, weil die Weiber die ganze Zeit am Schnattern waren. Von Nagellack und Kerlen war die Rede, nicht von Kühen und Gewaltmärschen. Kunststück, sie sind ja auch nicht von der Euter-Furie zusammengeschrien worden.

Auch vom Karlsson ist bisher keine neue Idee zur Weltverbesserung geäußert worden. Wir haben nicht mehr darüber geredet. Nur einmal, etwa zwei Wochen nach unserer Aktion, hat er mir ein Bild geschickt. Er hätte es von der Leitkuh bekommen, hieß es. Wie sie an seine E-Mail-Adresse gekommen ist, könne er sich nicht erklären, es wäre ihm aber egal. Unter dem Foto stand: „Miss Kuh, Schleswig-Holstein 2019. 1. Platz im Landeswettbewerb und Exklusivertrag bei der Model-Agentur Cow, Vache & Vaca.“ 


Vielleicht hätten wir es doch mit Schildkröten versuchen sollen.

Fotos: Karlsson und Polly © Terrierhausen
           Pit, Amy, Lütti und Pferde © Club der glüclichen Vierbeiner 
           Cora © G. H.

            Kuhherde mit Haus, Tankstelle, Schwan, Ami-Truck, LKW, Kuhnase, Zaun, Landschaft 1, Landschaft 2, Landschaft 3
            Einzelkuh, Kuhherde, Bahnhof Hamburg, Kuh auf Couch: Pixabay

© Max: Papageiengeschichten 

6 Kommentare :

  1. Ich analysiere: Es lag an der (weiblichen!!!) Eitelkeit. Die Modelkarriere ist kurz. Dann kommt der Schlachthof. Oder eine Laufbahn als Milchkuh. Heißt - in kurzer Zeit ein Kalb nach dem anderen gebären, zehntausende Liter Milch geben, dann Schlachthof. Aber die Mehlstaubdamen waren nicht bei Sinnen. Gut, dass wir Männer nicht eitel sind, stimmt's Max?

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    1. Ganz genau, mein lieber Freund. Männer sind nicht eitel. Ich würde nie auf die Idee kommen, mir Erbsenpulver aufs Gefieder zu schütten, nur damit ich auf dem Foto gut aussehe, genauso wenig wie du dir Lockenwickler reindrehen würdest oder der Pit sich seine Indianerstreifen mit Steaksoße nachziehen würde. Das ist nicht nötig, wir sehen auch ohne all dies umwerfend aus.

      Aber, hey, ich nehme an, du hast die Schlappe an der Tankstelle inzwischen verdaut? Das freut mich zu hören. Es hat ja Gott sei Dank kaum jemand mitgekriegt.

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  2. Ach du grünes Schnabeltier, Schlappe, woher denn? Wir haben doch insgesamt gut zusammengearbeitet. Manche Leute können nicht filmen, ok. Manche Leute können nicht ZUHÖREN, ich hatte gesagt "Ein Laken über die Windschutzscheibe gleiten lassen". Dann ist die Form des LKW unerheblich. Aber das sind peanuts.
    Übrigens - die bunten Zierfische in den Aquarien haben schreckliche Schäden durch Inzucht, weil sie ihre Freunde im offenen Meer nicht mehr treffen können. Wir müssen sie nach Bali und ins Rote Meer bringen. Wir tragen Verantwortung, Wegsehen geht nicht mehr. Taten müssen folgen. Beste Grüße vom motivierten Karlsson.

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    1. Hömma, Freund. Wo liegt Bali überhaupt? Und da willst du hin und Fischli retten? Das musst dir mir genauer erklären. Und komm jetzt nicht mit „Wir haben Verantwortung“, ich will Praxis hören. Also streng dich an, du … du … Schwadronierterrier.

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  3. Oh Mann, gar nicht so einfach. Aber geht, wir kennen uns ja aus. Wir waren schon in der Karibik, hatten ein Schnellboot, usw. Letztens habe ich mal wieder Ocean's 11 gesehen. Du bemerkst den Bezug!! Ocean!! Also der Harald muss Elektronik lernen. Mit DEM Schnabel kann er Kabel abisolieren und verdrallern und alles. Dann manipuliert er Standbilder in Überwachungsvideos. So können wir in Ruhe exotische Fische aus Tierhandlungen befreien. Die transportieren wir heimlich in den Hamburger Hafen auf ein Schiff, das am Paradise Reef bei Sharm el Sheikh vorbeikommt. Wir fliegen nach Kairo, fangen das Schiff ab und lassen die Fische im Riff frei. Läuft.

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    1. Wat für'n Scheich? Mein lieber Freund, du träumst. Du hast zu viele Piratenbücher gelesen. Aber ein netter Versuch, davon abzulenken, wie es wirklich war. Ich nehme noch Gelder entgegen, damit ich den Bericht gar nicht erst schreibe. Das gilt für ALLE Mitwirkenden.

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