Es ist nicht weich und wir haben es käuflich erworben.
Dienstag, 8. Februar 2011
Sonntag, 6. Februar 2011
Original und Fälschung
Ich habe einen guten Freund. Er ist von sympathischer Lustigkeit und auch sonst sehr in Ordnung, nur leider total fehlgeleitet. Er säuft. Er heißt Coco und ist der Volierengenosse von der Cora.
- Schluck aus der Pulle -
„Nicht erschrecken, Madame: Dir steht der Rock hinten hoch.“
- Schluck aus der Pulle -
„Kennst du das Gebirge „Mount Kác“? Das hast du an den Schuhen.“
- Schluck aus der Pulle -
Hallo Max,
Tschüs
dein Freund Coco

© Max: Papageiengeschichten
© Fotos: G. H.
Ich mach jetzt keine Theorie, ob das Saufen mit der Umgebung zusammenhängt. Es heißt schließlich nicht umsonst: „Zeig mir, neben wen du den Hintern auf die Schlafstange krachst, und ich sag dir, wer du bist.“ Tatsache ist jedenfalls, dass der Coco schon gefährliche Zeiten hinter sich hat. Im Entziehungsheim tat er mit Erbsen auf andere Patienten schießen, und im Supermarkt am Kassenregal hat er Schnapsfläschchen geklaut. Schlimm, sag ich euch, schlimm. Draußen saß er dann auf dem Dach vom Einkaufswagendepot und machte Kundenverhöhnung:
„Omi, Gebiss ist heute aus.“- Schluck aus der Pulle -
„Nicht erschrecken, Madame: Dir steht der Rock hinten hoch.“
- Schluck aus der Pulle -
„Kennst du das Gebirge „Mount Kác“? Das hast du an den Schuhen.“
- Schluck aus der Pulle -
Die Tante Gisela war schon ganz verzweifelt, und auch die Cora hat es nach draußen getrieben. Erst wegen dem ewigen Fuselmief hat sie Hobby angefangen, ihre Kochkurse und das Ehrenamt als Spendensammlerin. Immerhin ist was Gutes dabei herausgekommen. Die Cora kann jetzt Rouladen einwickeln und Eiweiß toupieren, so hoch bis die Quarkcreme über den Rand quillt. Dafür müsste man dem Coco eigentlich dankbar sein, würde sein Zustand nicht so große Besorgnis machen.
Es gibt immer mal bessere Phasen, wo der Coco kaum mehr sabbert und behauptet, er täte nur Gänsewein trinken. Im Moment ist so eine Phase. Es kommen wenig Klagen in meinen Telefonhörer. Duisburg atmet auf, die Tante Gisela fühlt wieder Lebensmut. Neulich erst war sie beim Frisör.
Wir hier hören so was gern; wir sind mitfühlende Leute. Noch glücklicher bin ich, wenn ich armseligen Kreaturen ganz konkret Hilfe geben kann. So hat es mich ganz besonders gefreut, als ich vor kurzem diese Mail hier kriegte. Sie war vom Coco:
Hallo Max,
wie geht es dir? Ich fühle mich sauwohl. Ich bin nämlich jetzt Schauspieler. Jawohl. Da staunst du, was? Ich habe mich der Laienspielgruppe „Letzter Vorhang“ angeschlossen. Es ist ein lustiger Haufen. Wir treffen uns zweimal in der Woche abends in der Schulaula, weil dort die Bühne ist. Hinterher gehen wir immer noch in die Kneipe einen Kamillentee trinken.
Im Moment sind drei Stücke in der Probe: ein Puppenspiel namens „Dantons Tod“, der bayrische Schwank „Wenn mei Mo mich mit der Loren verwechselt“ und das Historiendrama „Hans Huckebein“. Rate mal, für was ich mich entschieden habe. – Richtig. Als Vogel hat man schließlich eine natürliche Bindung an den Stoff. Denk dir, nur einmal hatte ich eine Szene locker angebrummt, da meinte der Chef gleich, ich müsste unbedingt die Hauptrolle spielen, das wäre ja phantastisch, wie gemacht für mich, als ob die Rolle nur auf mich gewartet hätte.
Ich finde auch, dass das Spielen total viel Spaß macht. Ich übe jetzt immer vor dem Spiegel, Gesten, Mimik und so. Text ist ja nicht so viel. Ich komm gut voran, nur leider ist man in meiner Familie so gar nicht kunstverständig. Die Cora rennt dauernd weg zu ihren Lasagne-Türmen, die Mama sagt immer nur: „Schön, mein Junge, schön“, und der Rest hat auch immer gerade sehr Dringendes zu tun. Fast könnte man denken, sie gingen mir aus dem Weg.
Ich brauche aber jemanden, der was von Kunst versteht und der mir ehrlich sagt, was er denkt. Max, kannst du mir nicht helfen? Ich habe mit dem Fernauslöser ein paar Fotos geschossen. Sie zeigen mich bei der Probe. Dazu schicke ich dir Bilder mit, die zeigen, wie Hans Huckebein seine Rolle im Original gespielt hat. Wenn du beides vergleichst – bin ich schon nah dran, oder muss ich noch mehr üben? Ich bin gespannt auf deine Antworten.
dein Freund Coco
Tja, soll man auf so einen verzweifelten Hilferuf die Ohren verstopfen? Natürlich nicht. Ich habe mir die Serie sehr genau angeschaut und zu jedem meinen Senf dazugegeben. Es war alles andere als einfach, weil der Coco ja ausdrücklich um Expertenrat gebeten hatte. Da wollte ich nichts schluren lassen. Drei von den Bilderpaaren zeige ich euch jetzt, damit ihr euch selbst einen Eindruck machen könnt. Die Kommentare sind dieselben, die ich dem Coco geschrieben habe.
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Quelle: Busch/Zeno.org |
"Balancieren: ganz gut. Du musst aber noch ein Stück hoch mit den Haxen; der Hans Huckebein steht auf den Zehenspitzen. Rücken gerade, nicht flach wie ‘ne Knackwurst, sondern steil wie ‘ne Kerze. In deinem Blick vermisse ich Hingabe. Kopf zur Seite und Auge starr in die Tiefe – so und nicht anders zeigt man gieriges Wissbedürfnis. Habt ihr denn kein Glas? Du kannst ja zur Not ‘nen Blumentopf nehmen zum Reinglotzen. Mit den richtigen Requisiten fällt das Proben nämlich viel leichter."
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Quelle: Busch/Zeno.org |
"Hier wieder das gleiche Problem: Halt dich gerade. Okay, man sieht deinen Mut bei der Konfrontation mit dem gefährlichen Riesenteddy, aber trotzdem sollst du auf einem Gefäß stehen und dich voller charismatischer Würde runterbeugen. So verlangt es das Drehbuch. Es hat keinen Zweck, wenn du die Szene falsch einübst. Dein Regisseur wird dir das nicht durchgehen lassen. Der Teddy sollte vor Schreck zurückweichen, bei dir aber liegt er hingefläzt wie bei Verdauungsruhe. Das ist so auch nicht ganz richtig."
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Quelle: Busch/Zeno.org |

"Ja, Mensch! Da bin ich aber froh. Es geht doch, klasse, Coco! Wie du den Gesichtsausdruck hinkriegst – allererste Sahne. Du solltest sowieso lieber Charakterrollen spielen mit mehr Anforderung an die Muskeln weiter oben. Nicht so viel mit Gliederverrenken, das sieht bei dir so bäuerlich aus. Aber bei der Mimik bist du wirklich absolut mit Talent begabt. Herzlichen Glückwunsch. Tust du mir eine Eintrittskarte schicken?"
Ich bin wirklich froh, dass der Coco eine Aufgabe gefunden hat, wo er vom Saufen abgelenkt wird. Noch hat er mir aber nicht geschrieben, wann das Stück zur Aufführung kommt. Ich habe in letzter Zeit ohnehin wenig von ihm gehört. Wahrscheinlich ist er so beschlagnahmt von Zeit und Konzentration, dass er an nichts anderes mehr denken kann. Dann warte ich eben. Das Schauspielhaus in Ruhrpott-County macht ja sicher erst im Sommer Saisonpause. Bis dahin ist‘s ja noch ein bisschen hin.
© Max: Papageiengeschichten
© Fotos: G. H.
Dienstag, 1. Februar 2011
Das Rechtschreibe-Internat
Ich bin sehr enttäuscht. Ihr kennt mich schon lange, trotzdem gibt es mehr als einen ungläubigen Thomas unter euch. Sie machen Behauptung, dass ich gar nicht wegen korrektem Deutsch im Internat war, sondern Haft in einer Besserungsanstalt abgesessen hätte. Das ist infam! Das ist Lüge! Nur meine gute Erziehung gibt mir Hinderung, hier Namen zu nennen. Ich sag nur eins: Der Verbreiter fängt mit demselben Buchstaben an wie „Gurke“, hört mit „r“ auf und hat dazwischen so was wie eine Maßeinheit für Gold.
Die Cora hat mich gefragt, ob meine Mama Bestechung bezahlt hätte, damit sie mich zu den andern ins Klassenzimmer ließen, der Rory hat sich nach dem Zustand der Schlafräume und der Küche erkundigt, nachdem ich weg war, und der Coco, diese Schnapsqualle, hat gemeint, ich wäre ja nur auf ‘ne alberne Käferschule gegangen. Unglaublich … Käferschule. Das sagt einer, der sich Kirschlikör aufs Brötchen plörrt und dann behauptet, es wäre Johannesbeergelee.
Für alle Zweifler, hier ist der Beweis, mein Abgangszeugnis:
Das Internat lag mitten im Wald wegen guter Frischluft und Ablenkungsverhinderung. Aber nicht dass jetzt einer kommt von wegen „Baumschule“ und so. Zugelassen waren nur Schüler, die Fähigkeit mitbrachten, einen Bleistift zu halten. Da fielen schon mal die Fische raus und auch die Elefanten, die Delphine, die Wale und die Schnecken. Die Akademie muss deswegen mit dem Vorwurf zurechtkommen, sie täten fiese Artendiskriminierung betreiben, aber ich finde das nicht, weil trotzdem jede Menge doofer Frettchen, Silbermöwen und Langusten dort waren. Außerdem gibt es immer einen gewissen Prozentsatz von Ausnahmen. Das nennt man Quote. In meinem Fall … nein … als ich dort war – soooo muss es heißen -, handelte es sich um eine Schildkröte. Sie durfte ausnahmsweise auf dem Laptop schreiben. Langsam war sie trotzdem. Wir haben sie morgens auf den Rücken gedreht und mit dem Panzer über die Fliesen geschoben, sonst hätte sie schon um Mitternacht losgehen müssen, um am Morgen pünktlich zu sein. Ich habe ihr immer meine Tomaten und Karotten geschenkt. Sie fand das lecker, aber mir macht das ja Pickel am Schnabel. Auf Wanderung brauchte sie nicht mitzukommen, und beim Frühsport ist sie jeden Morgen ganz allein im Hof zweimal um den Pflanzbottich gelatscht. Dafür war sie gut im Gedichtaufsagen. Die „Glocke“ von Friedhelm Schiller hat sie so toll mit Mimik und Patros und Gefuchtele aufgeführt, dass man denken tat, man wäre im Theater.
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Die Bleistiftprüfung |
Wir hatten auch täglich Schauspielkurs. Bei der Abschlussaufführung war ich eine Sonnenblume von Peter Pan. Ich hatte ein Drahtgestell mit gelben Waschlappen ums Gesicht und brauchte nur dazustehen und ein bisschen zu schaukeln wegen wippen im Wind. Das Unterteil, also den Stängel, hat man sich sparen können, weil ich ja sowieso grün bin. Unsere Frau Direktorin fand das sehr praktisch.
Jeden Tag hatten wir Unterricht: in Grammatik, in Rechtschreibung, in Komma und Punkt, in Diktat, in Aufsatz, in Lesen und in Fremdwörtern. Dazu durfte sich jeder noch was aussuchen für freiwillig. Es mussten mindestens zwei Kurse sein, aber weniger als zehn. Wie gesagt, mein Herz tat für Schauspiel schlagen. Das liegt mir mehr, als meine Alpträume in Wachs zu kneten oder mit einem Hämmerchen aufs Xylophon zu kloppen. Als zweiten Kurs hatte ich "Tischabräumen" gewählt, doch da hat die Lehrerin gesagt, das täte nicht gelten, weil das ohnehin Pflicht wäre für alle, genauso wie Bettenmachen und den Hof harken. Den Kurs „Autoquartett“ gab’s aber nicht, da habe ich „Excel-Tabelle“ genommen. Ich weiß jetzt, wie man aus lauter „m“s einen prima Tannenbaum tippt. Unser Lehrer hat die Augen aufgerissen vor Begeisterung.
Vormittags war Schule, dann gab’s Mittagessen, dann war Verdauungspause, dann Schularbeiten, dann freiwilliger Kurs, Abendessen, Freizeit bis neun und schließlich Licht aus. Wir waren sechs auf der Stube: ich, ein Ferkel, ein Kater, ein Goldhamster, eine Thomson-Gazelle (Gastschüler aus Namibia) und ein Mops. Der hat dauernd geschnarcht. Erst habe ich ihn unter die Kommode gequetscht, aber als das nichts helfen tat, hat er die Nächte aufm Klo verbracht. Es ist nie rausgekommen, wer ihn eingesperrt hat, obwohl ich mich an der Aufklärung beteiligt hatte. Ich kann es nämlich nicht leiden, wenn jemandem Mobberei gemacht wird, nur weil er unsäglich nervt.
Sonntags war erst Kirche mit Singen und Ansprache. Nach dem Mittagessen kriegten wir Wurstbrote in den Rucksack und mussten Wanderung absolvieren. Uns wurden Berge von Riesensteinen gezeigt, eine kaputte Burg, ein kleines Wehr und jede Menge Ameisenhaufen und Kräuterbüschel.
Die Mia war auch nicht mit auf den Singmärschen. Sie brauchte das nicht, weil sie zu den Premium-Schülern gehörte. Das war ihre Bedingung gewesen, sonst wäre sie gar nicht erst mitgekommen, und dann hätte auch ich nicht ins Internat gehen können, weil die Mama ja vorschreibt, dass wir nur zu zweit verreisen. Die Mia wohnte im Mädchentrakt. Nur zum Essen haben wir uns gesehen und bei der Freizeit im Fernsehraum. Die restliche Zeit hat sie sich mit ihrem Weiberkram beschäftigt: mit Anleitung zum Kastanienshampoo zusammenrühren, mit Glitzerketten auffädeln, Häkelschals murksen, ein bisschen Kunst, ein bisschen Musik. Das war dann Collage kleben aus Deo-Werbung und mitbrummen zu James Blunt.
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In der Bibliothek |
Einmal habe ich durchs Fenster geguckt. Da lag die Mia im Klappsessel, aufm Gesicht lauter Wattebäuschchen und von den Beinen baumelten weiße Lappen. Beim Abendbrot tat sie müffeln wie ‘n Drogeriegroßmarkt. Die Federn waren derart dolle imprägniert mit Weichspüler oder was, dass die Mia nicht merken tat, wie ihr mein Kumpel Odin, der Steinadler, die Bratensoße in den Schwanz massierte. Zum Schluss kamen noch zwei Scheiben Bratkartoffeln drauf. Das sah fast so schön aus wie ‘n Brautschleier. Das Nachsitzen in der Krankenzelle haben wir uns brüderlich geteilt. Der Odin hat Schwalbenwitze erzählt und ich habe vorgemacht, wie Amazonenhennen den Hintern über die Stange schubbern, sobald das Juckpulver seine Aufgabe erfüllt. Vögel sind halt immer noch die besten Freunde. Fellträgern und Schwartenkerlen fehlen einfach Humor und Verständnis für die wirklich wichtigen Dinge im Leben.
Im Internat hat die Mia ihre Liebe zum Geocaching entdeckt. Eine rothaarige Dackeltante hat sie angestiftet. Ich hätte ja nie geglaubt, dass ausgerechnet die Mia mit ihrem Schickimicki-Getue freiwilliges Kriechen im Gebüsch machen täte, aber sie war voller Begeisterung und hat sogar der Mama geschrieben, sie soll ihr den alten Jogginganzug schicken, damit ihr teures „Harald & Manfred-Shirt nichts abbekäme. Die Mia hat doch glatt in Maulwurfshügeln herumgebuddelt. Am nächsten Vormittag war dann wieder Maniküre im Schminkkurs dran. Ich glaube, der Odin war ein bisschen in die Mia verliebt. Doch als sie ihn einmal „kleiner Puschelgeier“ genannt hat, ist er ganz schnell wieder in Normalität zurückgeklinkt. Beim Wettspucken mit Blaubeerkompott hat er mich ganz knapp geschlagen.
Nach acht Wochen war der Sommerkurs vorbei. Schade eigentlich, weil mir die Diktate gut gefallen taten. Es war mal was anderes als das viele intellektuell, was ich von daheim gewohnt bin. Nur dass wir „Nils Holgersson“ lesen mussten, fand ich doof. Gänse, die sich für Menschentransport hergeben, sind nicht repräsentativ. Da kommen Dagobert Duck und Gustav Gans weit eher hin. Es ist erschreckend, wie wenig die Welt über Vögel weiß.
Also was ist nun? Glaubt ihr mir jetzt meine Fortbildung? Im Übrigen würde mich interessiren, was ihr so für eure Bildung tut. In der Yucca-Palme hocken mit der Cola-Pulle in der Kralle fällt nicht darunter. Ich höre. Der gute Onkel Max nimmt täglich von 0.00 bis 24.00 Uhr eure Beichte ab. Ihr braucht euch nicht mal anzumelden.
© Max: Papageiengeschichten
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