Sonntag, 18. Januar 2015

Die große Sause (14. Teil)

Kennt ihr Lincoln? Ich meine nicht den hier:



Auch nicht den:



Ich meine das hier:


Die Stadt Lincoln im östlichen England, umgeben von lieblicher grüner Landschaft mit sanften, fast gar nicht vorhandenen Hügeln und blauem Himmel in der Grafschaft Lincolnshire (das da links bin ich. Ich hatte gerade was zum Grunzer sagen wollen, da knipst er los).

Erst hatte ich ja Bedenken wegen der historischen Bausubstanz, denn in Lincoln gibt es nicht nur eine uralte Burg, sondern auch eine wertvolle Kathedrale. Auf beides aufzupassen erschien mir zu viel verlangt. Aber dann fiel mir ein, dass sich der Pit bisher noch nie in einer Kirche daneben benommen hat (abgesehen vom Rumgegrabsche an der textilen Deko in der Kathedrale in Bristol), und das tat mich im Vertrauen bestärken, dass man einfach mal ans Gute im Kater glauben sollte. Die Devise lautete also: Castle – no, Cathedral – yes.

Falls jemand an dieser Stelle das Ausbleiben näherer Informationen zu besagter Burg bedauern sollte, dem sei diesen Bild gezeigt:

Lincoln Castle
Lincoln Castle wurde im 11. Jahrhundert von Wilhelm dem Eroberer errichtet (das ist der aus dem Englischbuch). In der Burg befindet sich ein Exemplar der berühmten Magna Charta. Ihr wisst schon, das ist diese wichtige verfassungsrechtliche Schrift aus dem Mittelalter, worin die Rolle des Adels und des Klerus gegenüber der Krone geregelt war.
„Warum dürfen wir uns das nicht ansehen?“, hat der Grunzer gemeckert.
„Weil ich nicht will, dass der Pit seine Fettsemmel dort drauflegt“, habe ich gesagt.

Zwar glaube ich ja, dass die Leute ihr historisches Papier schutztechnisch gut durchdacht hinter Glas aufbewahren, aber ich wollte kein Risiko eingehen. Schließlich ist Burg Conwy vorher ja auch sehr stabil gewesen. Also, noch mal in aller Deutlichkeit: Wir haben Lincoln Castle NICHT besucht. 

Trotzdem – wie hätte es anders sein sollen? – blieb noch genug anderer Ärger übrig. Er fing schon an bei der Wahl der Unterkunft. Wir waren gerade vom Busbahnhof gekommen und standen nun im Fremdenverkehrsbüro. Die Frau in Uniform hat uns Bilder von Hotels gezeigt. Ob wir lieber etwas Kleines, Ländliches suchten wie das hier ...


… oder lieber etwas Gediegenes in der gehobenen Luxus- und Preisklasse?


Ich war gerade abgelenkt, weil ich auf den Pit geguckt hatte, wie der da so rumstand mit seinem Schnarchkissen-Trolli im Schlepptau, und da habe ich auf den Harald geschaut und gedacht, nee, das Rot von seinem Nasengeschwür passt ja überhaupt nicht zum Rot vom Schnarchkissen. Dabei muss es passiert sein. Jedenfalls tat ich gerade noch so mitkriegen, wie die Uniformfrau zur Mia sagte:
„Sehr wohl, Mädäm. Darf es die King-George-Suite sein?“
Und die Cora hat hinzugefügt:
„Du, Mia, ich glaub, das dürfen wir nicht. Ein einzelnes Zimmer reicht.“

Da hatten wir den Salat. Ob sie bescheuert wäre, habe ich die Mia gefragt. Was das kostet! Und dann so weit draußen! Und das ewige Gelatsche durch die langen Gänge, bis man mal an seinem Zimmer angelangt ist! Rausgeschmissenes Geld und rausgeschmissene Blasen an den Füßen. Hat man da Worte? Der Kassenwart bin ich, niemand sonst, verstanden?

Immerhin hatte das Geschmatze von Haralds Plattfüßen ein Ende, denn  alles war mit Teppichboden ausgelegt, selbst die Korridore und die Aufzüge. Im Bad stand eine runde Wanne, so groß, dass der Frischkäse dort problemlos seine Gymnastikrunden absolvieren konnte, ohne vor die Tür zu müssen. Schade nur, dass er vorne noch immer schwarz war, sonst hätte das in der weißen Wanne noch besser ausgesehen. 

Auch sonst war es sehr ruhig, fast schon einsam. Blickte man aus dem Fenster, war weit und breit nur grüner Rasen zu sehen. Kein Verkehrslärm, keine blökenden Schafe, nichts. Für den Weg zurück zur Stadt mussten wir ein Taxi nehmen. Ein Diener hat uns die Tür aufgerissen. Dann fuhr der Wagen die lange Auffahrt hinab. Ich habe hinten gesessen und im Geiste unser Budget durchgerechnet.
„Ach was, wofür haben wir unsere Passagen vertickt?“, hat die Mia gemeint.
Sie tat mich süffig angrinsen. Bei nächster Gelegenheit würde ich sie auf Diät setzen, das stand schon mal fest.

Für erlebnishungrige Touristen hat Lincoln viel zu bieten. Ich erwähne das in lobender Anerkennung. Die Stadt hat eine lange Geschichte, so ungefähr 2000 Jahre. Die Römer waren da und auch die Normannen, und alle haben sie gebaut. Manches ist noch heute zu besichtigen, einiges komplett, anderes nur noch in Teilen.

Das hier zum Beispiel ist ein römisches Bauwerk aus dem 3. Jahrhundert. Der Rest ist inzwischen weggebröckelt:

Newport Arch in Lincoln

Dann gibt es noch die so genannte normannische Architektur. Darunter versteht man eine englische Variante der Romanik. Wie ich schon mal in Bristol sagte, ist die Gotik feiner, leichter, niedlicher und nicht so klobig wie die romanische Bauweise, doch muss es deswegen nicht schlechter aussehen, wie man hieran erkennt. Beide Gebäude sind normannischen Baustils und aus dem 13. Jahrhundert:



Und dann ist da noch Fachwerk. Auch sehr hübsch:



Das Ganze gibt es sogar mit Brücke:


Die Brücke heißt High Bridge (nicht Rialto) und ist aus dem 16. Jahrhundert. Der Fluss heißt Withham, und die Schwäne, die da rumlungern, lassen wir mal beiseite. Wir haben dem Harald gesagt, er soll sich nicht drum kümmern, sonst kämen wir nicht durch mit unserm Programm. Der Pit täte ja auch nicht jeden Straßenkater anquatschen, nur weil man eine ähnliche Evolution teilt. Daraufhin ist der Harald beleidigt weitergewatschelt. Ich glaube, die Cora hat heimlich ihre Kekse über die Mauer gekrümelt, als sie dachte, es würde keiner mitkriegen. Sicher taten ihr die bettelnden Schwimmproleten leid. Die Mia habe ich seufzen hören:
„Wenigstens sind DIE anständig weiß ...“
Sie sagte das so mehr vor sich hin, aber laut genug, dass es der Harald hören konnte.

Habt ihr darauf geachtet? Der Boden in Lincoln ist vielfach nicht ganz waagerecht. Das liegt daran, dass die historische Altstadt an einen Hügel gebaut wurde. Die Steigung ist stellenweise beachtlich, man muss gut zu Fuß sein.
„Na, knacken schon die Gelenke?“, habe ich mich beim Grunzer erkundigt.
Der Cora taten ordentlich die Schwanzfedern wippen, als sie vor mir den Hügel hochkraxelte.
„Soll ich schieben? Gnihihi“,  habe ich gefragt.

Oben drauf auf dem Hügel thront die Kathedrale. Man kann sie schon von weitem sehen, aber nicht nur, weil sie erhöht steht, sondern auch, weil sie sowieso groß und hoch ist. Ganze 143 Meter lang ist sie, und im Reiseführer stand geschrieben, dass die Kathedrale von Lincoln zweihundert Jahre lang als das höchste Kirchengebäude der Welt galt, bis ins 16. Jahrhundert hinein. 


Ich kann das bestätigen. Ich meine, wir waren ja drin, und wenn man da so steht zwischen den vielen Säulen und es nimmt kein Ende nach oben hin und auch kein Ende vor einem und nach einem, da kriegt man schon Gedanken an Mickrigkeit und Ehrfurcht. 

Ich mit der Cora (links) in der Kathedrale von Lincoln

Angefangen zu bauen hat man die Kathedrale im 11. Jahrhundert (siehe Wilhelm der Eroberer). Zu der Zeit war noch normannische Romanik modern. Aber als man dann schon weiter fortgeschritten war, etliche Jahrzehnte später, hatte sich die Gotik durchgesetzt, also hat man gotisch weitergebaut. In vielen alten Kirchen ist das so, unten Romanik, oben Gotik. Im Grunde ziemlich zusammengewurschtelt, doch bei so großen Bauten ist das egal, da sieht man das nicht so dolle, da zählt der Gesamteindruck. Wir kannten das ja schon so ähnlich von der Kathedrale in Bristol. 


Liebe Mama daheim, lieber Opa, liebe Amy, lieber Luke, liebe andern,
so habe ich geguckt, als ich die tolle große Kirche von Lincoln gesehen habe. Die ist größer als unsere Dorfkapelle. Darin darf man kein Wurstbrot futtern, das ist unerwünscht. 
Es grüßt euch euer Pit

Ich hatte gut zu tun, den Ringelplüsch im Auge zu behalten. Es wäre doch jammerschade um dieses wunderbare Kunstwerk, ganz zu schweigen davon, dass ich ungern von der Insel gejagt worden wäre. Gott sei Dank hat er sich anständig benommen, ich brauchte nicht zu schimpfen. Leider aber hallt es in großen Kirchen immer so. In der Kombination mit Haralds Plattfüßen war das mal wieder ziemlich peinlich.
„Zieh dir doch mal Waschhandschuhe über“, habe ich ihm befohlen.
Wozu hängen diese Dinger schließlich in unserem Hotelzimmer? In manchen Schlössern bei uns in Deutschland muss man sich Puschen überziehen, um das Bohnerwachs nicht zu verkratzen, aber hier hatte ich so was Praktisches leider nicht gesehen.

Als es Zeit wurde zum Abendessen, war unser beachtliches Pensum fast geschafft.
„Mit tun die Füße weh“, hat die Cora gejammert.
Die Mia, der Pit, der Harald und der Grunzer hatten Hunger. Nach all den Sandwiches und den Schokoriegeln zwischendurch tat ihnen jetzt nach einer warmen Mahlzeit gelüsten.
„Nö“, habe ich gesagt.
„Wie … nö?“
„Dass ich kein Abendessen spendiere, soll das heißen. Wir müssen sparen. Das Hotel kostet zu viel.“
Hi hi hi, wie die Mia jetzt angeglotzt wurde, war enorm spaßig anzusehen. Ich habe mir aber nichts anmerken lassen und stattdessen einen Vorschlag zur Güte gemacht:
„Wir gehen jetzt in einen Pub. Dort trinken wir was Nettes, und davon werden wir auch satt.“

Meine Mannschaft ist lahm hinter mir hergetrottet. Hierhin zog es mich, zu einer der altehrwürdigen Adressen in Lincoln:


In diesem Gebäude befindet sich schon seit 1794 eine Schankwirtschaft. Wir würden ein paar Tonic Water trinken oder Ginger Ale, meinetwegen auch Apfelsaft, und danach nach Hause gehen. Ach, ich tat mich schon richtig freuen auf das besondere Flair in diesen alten Gemäuern. Mir war an diesem Tag nach historischer Umwehung zumute, nach dem Hauch des Vergangenen mit der Gewissheit des Hier und Jetzt und der Prophezeiung des Unbekannten in der Zukunft – und alles zusammen mit einem schönen Glas Cola.
„Wenn jetzt noch mal einer die Augen verdreht, dann könnt ihr zu Fuß nach Hause laufen“, habe ich gewarnt.
Danach war Stille.

Gerade hatte ich noch gedacht, ich hätte sie sicher im Griff, meine Untertanen, da tat sich das Unheil von einer unerwarteten anderen Seite auf. Mann, war das ein Scheiß! Hätte ich außerdem gewusst, dass die Nacht noch lange nicht zu Ende sein würde, wäre ich gar nicht erst in Lincoln ausgestiegen. Ich war so sauer, dass es mir jetzt noch schwerfällt, darüber zu reden. Ich muss erst mal tief Luft holen, bevor ich weiterschreibe. Vielleicht werde ich das nächste Mal dazu in der Lage sein. Drückt mir die Daumen. Versprechen kann ich nichts.

Fotos: Cora © G.H.
          Pit © Club der glücklichen Vierbeiner
          Abraham Lincoln, Auto, Landhaus, Schloss, Landkarte, Kathedrale außen, Kathedrale innen: Pixabay
          Morguefile: Stadtansicht

          Lincoln Castle: Richard Croft/Geograph, Bild steht unter Creative Commons License
          Newport Arch: Richard Croft/Geograph, Bild steht unter Creative Commons Licence
          Normannisches Steinhaus 1:Brian/Flickr, Bild steht unter Creative Commons Licence
          Normannisches Steinhaus 2: Brian/Flickr, Bild steht unter Creative Commons Licence
          Fachwerkhaus 1: Brian/Flickr, Bild steht unter Creative Commons Licence
          Fachwerkhaus 2: Brian/Flickr, Bild steht unter Creative Commons Licence
          High Bridge: Brian/Flickr, Bild steht unter Creative Commons Licence
          Pub: Brian/Flickr, Bild steht unter Creative Commons Licence

© Max: Papageiengeschichten

2 Kommentare :

  1. So ein wenig historische Umwehung hätte mir Landei bestimmt auch gut gefallen - ich hätte doch mitfahren sollen - auch wenn du etwas knauserig warst mit dem Essen und so - nun ja, ich freue mich jetzt auf einen fetten Skandal ...
    Deine Bente

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  2. Ach, Bente, du enttäuscht mich. Denkst du auch nur ans Futtern? Wart mal ab, wie's weitergeht und ob ich meine Leute wirklich verhungern lasse.

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