Samstag, 15. April 2017

Der große Apfel, der niemals schläft (2.Teil)



„Wo geht hier das Fenster auf?“, hat der Pit gefragt, kaum hatten wir die Tür unseres Hotelzimmers hinter uns geschlossen.
„Wieso? Ist dir heiß?“, habe ich zurückgefragt.
Nö, er würde nur die Höhe überprüfen wollen, das täte ihn interessieren, schließlich wären wir in einem Wolkenkratzer in Manhattan und der Fahrstuhl wäre ziemlich lange gefahren, da müsse es doch gut was runterzugucken geben, oder etwa nicht? Hm, das leuchtete ein. Ich bin zum Pit aufs Fensterbrett geklettert. Einen Fenstergriff konnten wir aber nirgends entdecken

„Oh Mann, ihr Blitzbirnen“, wurden wir von der Mia belehrt. „Die haben 'ne Klimaanlage hier. Die Fenster kann man nicht öffnen, damit keiner rausfällt.“
Sie war dabei, ihr Schminkzeug in die Schublade des Nachtschränkchens zu schütten. Das prasselte wie Steinschutt in der Eimerrutsche, nur nicht ganz so lange. Die Cora stand daneben und schaute zu. Sie hielt Kamillenteebeutel in den Krallen. Die würde sie sich am Abend anfeuchten und auf die Augen legen und dabei aussehen wie 'ne Eule auf Crack. Wir kannten das schon. Wenn man Weiber dabei hat, lernt man die Klappe zu halten. Sonst hatte der Pit ja auch immer noch einen Beutel mit Proviant dabei. Der war wenigstens nützlich, falls man nachts Hunger kriegen sollte, doch diesmal hatten sie ihn am Flughafen konfisziert. Mit dem Import von Lebensmitteln sind die Amerikaner sehr eigen.

Okay, wenn man sich also nicht aus dem Fenster lehnen konnte, weil es nichts zu öffnen gab, dann war es wenigstens möglich, in die Tiefe zu blicken, zumindest soweit es der Radius zuließ und sofern man sein Gesicht an die Scheibe drückte. Der Pit und ich taten unser Bestes. Ich fand den Ausblick gut. Ich habe den Karlsson gerufen. Sein Papa hatte schließlich das Hotelzimmer bezahlt, und das musste honoriert werden durch entsprechenden Beifall. Er würde doch später zu Hause davon erzählen müssen.


Der Karlssons wollte aber nicht ans Fenster kommen. Er wollte überhaupt nichts, außer wie angewurzelt auf dem Bettvorleger stehen zu bleiben. Schon beim Einchecken an der Hotelrezeption war er auffallend ruhig gewesen, hatte nicht zugehört, sondern uns den Hintern gekehrt und immer nur auf die Fahrstuhltür geschaut, als ginge sie gleich auf, Tarzan würde sich an der Liane herausschwingen und mit seinem Bruftschrei exakt zwei Zentimeter vor seiner Nase landen. Mir war, als wären seine Locken plötzlich viel kräuseliger geworden, fast wie nach dem Baden. Seine Zunge war fliegenpilzrot (inklusive der weißen Tupfen) und hing ihm seitlich aus der Schnauze.
„Willst du 'n Pfefferminzbonbon?“, hatte sich die Cora erkundigt.

Archivfoto
Karlssons Rucksack hatte der Pit tragen müssen, sonst wäre er glatt in der Hotelhalle liegen geblieben. Karlsson selbst hatte sich brettartig an die Rückwand der Aufzugkabine gedrückt. Er stand absolut still. Gesagt hat er nichts. Nur als sich der Fahrstuhl in Bewegung setzte, erfuhren seine Beine eine bemerkenswerte Streckung in Richtung Deckenlampe. Noch ein klein wenig mehr und der Karlsson wäre als Heiratskandidat für Thaya oder Io in Frage gekommen.
„Glotz da nicht so hin!“, hat mich die Mia angemeckert.

Schade, als der Fahrstuhl hielt, sackte alles wieder zusammen, die Wippetbeine waren weg. Der Karlsson ist den Flur entlanggetrottet. Es mutete ziemlich wackelig an. Einmal ist er breitseitig gegen eine Tür gekippt, hat sich aber wieder aufgerappelt und ist brabbelnd weitgezockelt. Ich glaube, er hat sich selbst Mut zugesprochen.
„Furchtbar, nicht?“, hat die Cora geflüstert. „Wenn man so krank ist ...“

Wieso? Wer hat denn unbedingt nach New York gewollt? Wir oder er? Und weiß man nicht als Hund von Bildung und Kultur, dass Manhattan vollgestopft ist von Hochhäusern und dass man da nicht hinfährt, wenn man keine Höhe verträgt? Nee, so hatten wir nicht gewettet. Er sollte froh sein,  dass wir nicht viel weiter oben wohnten, sonst sähe es vor unserm Fenster jetzt so aus:


„Du bist herzlos“, hat die Mia gemeint.
Aber noch ehe ich antworten konnte, wurde ich abgelenkt. Der Körper unseres festgeklebten Lockenwiesels tat sich nämlich in Bewegung setzen. Der Karlsson ist zur Minibar geschwankt. Er riss die Tür auf, glotze lange auf die gefüllten Fächer, nahm schließlich eine Flasche, drehte mit den Zähnen den Verschluss auf, legte den Kopf in den Nacken, bis die Flasche leer war, rülpste einmal kräftig und seufzte erlöst: „Huppaaaa!“
Eine Fuselwolke aus Rum (oder Brandy) waberte durchs Zimmer.
„Nun ja“, meinte die Mia vorsichtig. „Ihr Jungs könntet ja auch hier im Hotel bleiben, dem Karlsson Gesellschaft leisten. Dann gehen die Cora und ich solange einkaufen.“

Kommt gar nicht in Frage! Wir sind zusammen hergekommen, nun würden wir auch zusammen unser Schicksal tragen. Keiner scherte hier aus. Wir hatten einen Invaliden an Bord und jeder war berufen, den Sanitätsdienst gewissenhaft zu erfüllen. Der Karlsson kriegte einen nassen Waschlappen ins Gesicht, danach einige motivierende Piekser von meinen Krallen in die Lenden, und als er stand, haben wir ihm das Halsband angelegt. Zur Vermeidung von Missverständnissen blieb die Hundeleine dran. Genauer gesagt wollten wir vermeiden, dass er für einen herrenlosen Straßenköter gehalten und womöglich abgeführt werden würde, zumal der Karlsson nach Schnaps roch. Die Hundeleine trug er in Dreierrunde um den Hals.

So, und was genau stand nun an? Programmpunkt 1? Da sich unser Gastgeber nicht weiter dazu äußerte, sondern nach wie vor dumpf vor sich hinstarrte, habe ich die Sache selbst in die Hand genommen. Wir würden mit unserm Kulturprogramm beginnen: erst mal die architektonischen Highlights abarbeiten, Empire State Building und so. Dafür hatte der Karlsson schließlich nach New York gewollt, und uns blieben nur wenige Tage Zeit.

Kaum hatten wir die Hotelhalle verlassen und standen auf dem Bürgersteig, fiel mir auf, dass der Pit einen unbekannten Plastikbeutel bei sich trug. Nanu? Er würde es doch wohl nicht geschafft haben, auf dem kurzen Weg vom Hotelzimmer bis zum Ausgang ein Proviantsortiment zusammenzuraffen?
„Was ist da drin?“, habe ich ihn gefragt.
„Ein Hot Dog mit Senf, eine Apfeltasche und zwei Schoko-Muffins.“
„Wo hast du die her?“
„Geht dich nichts an.“
Oh Mann, das war der absolute Rekord. Bisher hatte immer ein Büfett, ein Lebensmittelladen oder wenigstens eine Ablage mit essenden Menschen zwischen dem Vorher und der Ausbeute gelegen. Der Kerl war mir unheimlich. Auf unserm Weg nach unten hatte ich nichts dergleichen bemerkt. Wie hat er das gemacht?
„Max, ist dir auch schlecht?“, hat die Cora wissen wollen. „Du siehst so kohlrabig aus, so blass.“

Das fehlte noch. Ich habe mich zusammengerissen. Dass der holsteinische Ringelplüsch einen an der Waffel hat, wusste ich nicht seit gestern. Erst Schlösser zu Ruinen popeln und jetzt unsichtbar Proviantbeutel abgreifen. Mir blieb aber auch nichts erspart. Gut nur, dass es in New York keine Schlösser gibt; das entlastete ungemein. Mit dem Karlsson hatte ich genug zu tun. Er stand da wie 'n rheumatisches Schaf aufm Deich mit eingeknickten Hinterbeinen, Passanten zogen an uns vorbei,  Autos hupten und die frische Luft hatten nichts bewirkt.

Mit der Metro durften wir ja leider nicht fahren, weil Hunde dort verboten sind. Also hieß es ein Taxi anzuhalten. Die Cora hatte kein Glück. Ihr albernes Flügelgewedele am Straßenrand wurde glatt ignoriert.
„Vielleicht musst du mal kräftig pfeifen“, habe ich gesagt.
Die Mia ist dann beherzt einen Schritt auf die Straße getreten, um sich bemerkbar zu machen, war aber schnell wieder zurück, noch gerade rechtzeitig, bevor sie plattgemacht worden wäre. Besonders schnell fuhren die Autos zwar nicht, denn dazu waren zu viele unterwegs, aber wenn kein Fahrer zur Seite guckte, nutzte das alles nichts. Erst als der Pit einem Taxi mit vollem Anlauf auf die Motorhaube springen tat, quietschten die Reifen und wir konnten einsteigen. Den Proviantbeutel und den Karlsson haben wir hinten reingetan. 

Wohin zuerst? Die Cora trug den Notizzettel im Brustbeutel bei sich. Manches lag dicht beieinander und konnte zu Fuß erreicht werden, für andere Strecken mussten der Pit wieder sein turnerisches Talent zur Verfügung stellen. Tröstlich, dass immer derjenige Schuld hat, der hinten auffährt. Ich meine nur theoretisch. Der Pit hat vor dem Anlauf natürlich immer darauf geachtet, dass hinter dem Taxi eine ausreichend große Lücke zu sehen war. Wir wissen schließlich, was sich gehört.

Für euch Daheimgebliebenen, die ihr nicht dabei sein konntet, habe ich unsere Tour zu einer kleinen Fotoserie zusammengefasst. Ein paar Erklärungen sind auch dabei von wegen Bildung und so. Auch der Karlsson wird sich bestimmt sehr freuen, dass er auf diesem Wege nachlesen kann, was er alles verpasst hat. Nur zur Erinnerung: Das Thema hieß Architektur. Wir hatten uns auf Hochhäuser und Kirchen beschränkt. Fangen wir klein an:

Flatiron Building und Crown Building

Dieses Dreieck links mit dem hübschen Geschnörkel am Dach ist das Flatiron Building. Es ist eines der ältesten Wolkenkratzer in New York, 1902 erbaut und nur 91 Meter hoch. Der Karlsson hat trotzdem gefragt, ob er da jetzt rauf müsse.
„Nö, wir gucken nur von außen“, habe ich ihn beruhigt.
Da sind ihm die Pupillen vor Erleichterung gleich auf Kastaniengröße geschrumpft. 91 Meter sehen trotzdem ganz schön hoch aus, wenn man unten steht und raufschaut.
„Hier vorne, wo die Wände zusammenlaufen, kann man bestimmt nur schlecht 'nen Kleiderschrank hinstellen“, hat die Mia sinniert.
Wieso heißt das Ding eigentlich Bügeleisen? Ich fände Käseecke passender.

Bei dem anderen historische Gebäude rechts handelt es sich um das Crown Building (früher Heckscher Building). Es wurde 1921 fertiggestellt, hat 26 Etagen und ist knapp 127 Meter hoch. Mir gefallen die Schnörkel auf der Haube. Früher hat man sich noch Mühe gegeben, nicht so wie heute, wo alle Fassaden glatt und plan sind und wo um Gottes Willen kein einziges Dekoteilchen die Symmetrie stören darf. Und dann all das Glas! Wer das putzen muss, na, vielen Dank.

Hier auf dem unteren Bild sieht man das Bügeleisen-Gebäude noch mal in voller Größe. Die Straßen, die links und rechts vorbeiführen, sind übrigens der Broadway und die Fiftsävenju. Dort sind wir auch gewesen, ein bisschen flanieren, allerdings nicht lange, weil es dort laut ist und überladen bunt und jeder einem auf die Füße latscht.


Flatiron Building

Sogar die Mia und die Cora haben Erleichterung geäußert, dass sie vom Gewimmel wegkamen, obwohl es natürlich überall tolle Geschäfte zu entdecken gab. Aber urteilt selbst: Wird einem da nicht dusselig im Kopp vor lauter Plakaten und Geblinke und Geschiebe?


Und dann die breiten Straßen – bis man die mal überquert hatte mit seinem erlahmten Terrier vor sich, den man anschieben musste, damit er heil auf die andere Seite kam. Die Mädels und ich, wir wären ja sonst geflogen, und der Pit hätte auch für sich selbst sorgen können, aber nein, dem Karlsson wollte es einfach nicht besser gehen. Er trottete mit glasigem Blick in die Richtungen, die wir ihm in die Waden kniffen. Ich wette, wenn man ihn gefragt hätte, in welcher Stadt wir uns gerade befanden, hätte er es nicht gewusst. Immerhin war seine Alkoholfahne weg. Wenigstens das. Für den Big Apple braucht man einen klaren Verstand, sonst geht man unter (oder man hat Freunde, die das für einen erledigen).

Weiter im Programm:

Empire State Building und Crysler Building

Wie man am Portal lesen kann, waren wir auch am Empire State Buildung. Jetzt ging es schon um mehr als um die 26 Etagen oder die 91 Meter vom Crown Buildung oder dem Flatiron. Das Empire State Building ist ganze 381 Meter hoch (ohne Antennenspitze). Es war bis 1992 das höchste Gebäude der Welt (fertiggestellt 1931). Dann kamen die Twin Towers (und andere Länder hatten in der Zwischenzeit auch nicht geschlafen), so dass die Führungsposition abgegeben werden musste, aber nach 2001 war das Empire State Building dann noch einmal das höchste Bauwerk von New York – bis ungefähr 2014, denn seitdem gibt es das One World Trade Center, und das ist höher.

Soweit ich mich erinnere, war es hier, wo der Pit seine Apfeltasche gemampft hat. Der Karlsson hat nichts abhaben wollen. Ich war für das Fotografieren zuständig, die Cora hatte das Programm im Blick und die Mia hat nach Handtaschengeschäften Ausschau gehalten. So war jeder nach seinem Talent eingesetzt. 

Am Crysler Building (das auf dem obigen Foto rechts zu sehen ist), ist dem Pit das zweite Schoko-Muffin runtergefallen und in den Rinnstein gerollt.
„Heb das bloß schnell auf!“, hat die Cora gerufen. „Sonst glauben die noch, das wäre 'n Hundehaufen, und wir kriegen 'nen Strafzettel.“
Na, da musste ich den Karlsson aber mal in Schutz nehmen. So weit war er nun doch nicht entrückt, dass er 'ne Papiermanschette unten drunter zu setzen imstande war.
„Nicht, Karlsson?“
„Lass ihn in Ruhe, er schlafwandelt.“
„Ach, Quatsch. Kaaaaarls-soooon!“
„Siehste? Er reagiert nicht mal an.“
Gut, dann also nächster Programmpunkt. Die Bewegung würde ihn stärken. Ich habe die Nachhut gemacht, damit unser Patient nicht unbemerkt abdriftete und verloren ging.

Ach ja, noch was zum Crysler Building. Hätte ich fast vergessen. Es ist 62 Meter kleiner als das Empire State Building (nämlich 319 Meter hoch). Es wurde ein Jahr vor dem Empire State Building fertiggestellt (1930) und hat diese schicken Rosetten an der Spitze, außerdem Stacheln am Hals. Sehr originell – ein bisschen zu wehrhaft anmutend vielleicht, aber wirklich sehr kreativ. Der Auftraggeber hieß Walter mit Vornamen. Und Percy.
„Hach, so sweet“, hat die Mia geseufzt.
Ja, Percy klingt Meilen besser als Harald.

Hier auf dem nächsten Bild links, das Schiefe und Krumme, das aussieht wie 'ne mittelschwere Unachtsamkeit vom Polier, ist natürlich mit Absicht gemacht. Der Entwurf stammt vom berühmten Architekten Frank Owen Gehry, der ja auch woanders auf der Welt die Kunstliebhaber erfreut. Ich, Max von Gelbnacken, darf mich glücklich schätzen, in einer Stadt zu leben, die ebenfalls was Krummes von Frank Gehry hat, nämlich den Gehry-Tower in Hannover, hier zu sehen auf dem rechten Bild.

Frank-Gehry-Turm in Manhatten und Gehry-Tower in Hannover

Okay, ich gebe zu, unser Turm hat nur neun Stockwerke, während der Frank-Gehry-Turm von New York 267 Meter hoch ist mit ganzen 76 Etagen. Aber glaubt mir, so ein dominanter Finger würde gar nicht zu uns Hannoveranern passen. Wir in Niedersachsen sind Plattes gewohnt. Da gelten sogar Rodelberge als alpine Konkurrenz. Wie sähe das aus? Wie 'n Schnittlauchhalm im Gurkenbeetbeet.

Weiß übrigens jemand, wie der korrekte Name des Frank-Gehry-Turms in New York lautet? Nein? Ich sag's euch: 8 Spruce Street oder Beekman Tower. Beim Jauch gäbe es dafür bestimmt 'ne hübsche Summe.

„Mir ist schlecht“, hat der Karlsson gejammert.
„Dann guck nicht hoch“, habe ich geantwortet.
Wenn der Knabe jetzt schon schlapp machte, was sollte er erst vorm Rockefeller Center machen?

Rockefeller Center bei Tag und bei Nacht

Das Rockefeller Center ist zwar nicht eines der höchsten Bauwerke von New York, aber eins der massigsten. Über imposante drei Straßenblocks erstreckt sich der Gebäudekomplex. Das Comcast Building ist das höchste Gebäude mit 70 Stockwerken und 259 Metern. Nur zur Erinnerung: Das Empire State Building ist 381 Meter hoch, also ganze 122 Meter höher. Trotzdem kann man sich der Präsenz des Rockefeller Centers nicht entziehen. Man fühlt sich so klein und unbedeutend daneben.
„Du BIST klein und unbedeutend“, hat der Pit gesagt und ungerührt in seinen Hot Dog gebissen.
An der Seite kam Senf aus dem Brötchen gequollen.
„Du kannst gern die Gruppenführung übernehmen, Pit, und die Leitung der Krankenabteilung ebenfalls, wenn ich dir zu mickrig bin“, habe ich geantwortet.
„Streitet euch nicht“, ist die Cora dazwischengegangen. „Der Karlsson wacht sonst auf aus seinem Koma, und dann wird er womöglich starrsinnig oder sogar aggressiv.“
Okay, das war ein Argument.

Bei unserer nächsten Etappe (hier zu sehen auf dem Foto unten) hatte der Pit, soweit ich mich erinnere, seinen Proviantbeutel nicht mehr dabei.

UNO-Hauptgebäude und ... tja ...

Deswegen konnte er nun ohne Ablenkung das UNO-Hauptquartier bewundern. Es besticht durch seine grünlich schimmernden Scheiben. Sonst ist es nicht sonderlich auffällig, sogar ziemlich klein mit seinen 155 Metern und 39 Stockwerken.
„Da haben wir aber schon Besseres gesehen“, war die Mia am Stänkern.
Nun ja, als man 1949 den Grundstein gelegt hatte, waren die Ansprüche andere als heute. Das Hochhaus ist schlicht, absolut symmetrisch, sehr flach und steht frei, was man in Manhattan ja auch nur selten antrifft. Das alles sind Pluspunkte, die für einen Besuch sprechen. Ich jedenfalls habe den Abstecher nicht bereut. Nur der Nacken tat mir allmählich weh vom dauernden Hochgucken.

Vom Gebäude rechts auf dem Foto habe ich den Namen leider vergessen. Ich weiß aber noch, dass sich in der blanken Fassade die Sonne toll gespiegelt hat. Hier würde ich gern mal 'nen angebissenen Mars-Riegel an die Scheibe werfen. Allzu große Perfektion macht mich kribbelig.
„Mir ist heiß. Mir ist kalt“, hat der Karlsson gejammert.
Zu diesem Zeitpunkt hat aber schon niemand mehr auf ihn gehört.

Beim One World Trade Center (eröffnet 2014 an der Stelle, wo die Twin Towers gestanden hatten) ist er dann zusammengeklappt. Das war zu viel für ihn. 541 Meter glänzendes Glas und die schlimmsten Befürchtungen, die in seine gebeutelte holsteinische Hundeseele nun Einzug hielten.

One World Trade Center

„Ich geh da nicht rauf!“, hat er gequiekt. „Ihr kriegt mich da nicht hin! Das ist Teufelswerk. Ihr wollt mich nur dalassen. Ich soll die Fenster putzen. Ich kenn euch. Ich habe euch durchschaut.“
„Er fiebert“, hat die Mia gemeint.
Oh-oh, jetzt war guter Rat teuer. Der Karlsson hat zu hecheln begonnen. Dann ist er im Kreis gedreht, immer rundum, so wie es Hunde tun, bevor sie sich hinlegen, nur dass es auf dem Steinpflaster nichts zum Niedertrampeln gab.
„Gleich kommt Qualm aus seinen Puschen, wenn er so weiter macht.“

Wir hatten einen Kreis um ihn gebildet, um rechtzeitig mit den Erste-Hilfe-Maßnahmen einschreiten zu können. Die Cora hatte aber glücklicherweise eine bessere Idee. In ihrem Brustbeutel fanden sich drei Tütchen Erfrischungstücher. Der Pit und die Mia haben den Karlsson an den Hinterbeinen festgehalten, während ich ihm mit den miefenden Feudeln an die Schnauze geflogen bin und sie ihm fest auf die Nase gedrückt habe. Es dauerte ein wenig, bis der Alkohol zu wirken begann. Mit glasigem Blick stand der Karlsson schließlich da und machte nichts mehr.
„Puh, er ist wieder der Alte“, konnte ich Entwarnung geben. „Das hätte auch schiefgehen können.“

Wir sind dann essen gegangen. Der Karlsson kam artig mitgetrottet. Weil er so verschwitzt aussah und wir als wohlerzogene Touristen keinen schlechten Eindruck riskieren wollten, haben wir im Imbiss gar nicht erst gefragt, ob der Hund mit rein dürfe. Die Mia ist mir ihm draußen vor der Tür geblieben. Dem Karlsson war sowieso flau im Magen, und dem Teint der Mia bekommt Fritteusenfleisch nur in Maßen. Sie kriegt davon Pickel, behauptet sie. Wir andern haben uns einen Burger geteilt, echt amerikanisch belegt.


„Was soll denn die Wurstscheibe da drauf? Und das Toastbrot mittendrin?“, hat sich die Cora gewundert.
Der Pit hat sich von der Bedienung einen zweiten Burger einpacken lassen, dazu ein paar lose Frikadellen. Nun war er wieder mit Proviantbeutel unterwegs. Der Mia haben wir eine Packung Kekse gekauft, damit sie was im Bauch hätte, und der Karlsson kriegte Mineralwasser in einer Einweg-Salatschüssel aus einem Kiosk serviert.
„Vielleicht hat er Durst“, war einem von uns eingefallen.

Nachdem er tatsächlich alles in Null Komma nichts ausgesoffen hatte wie ein Verdurstender in der Wüste, kam wieder Leben in seine Löckchen. Erst hat er sich getreckt, dann hat er sich geschüttelt und schließlich hat er „Mit ist schlecht“ gesagt. Wir waren erleichtert, dass der Karlsson nun wieder vollständig genesen und transportfähig war. Ein Taxi (vom Pit versiert angehalten) hat uns zum Hotel zurückgebracht. Es war inzwischen Abend geworden. Die Füße taten uns weh. Während die andern mit dem Fahrstuhl nach oben gefahren sind, habe ich mit dem Karlsson die Fluchttreppe genommen. Er sollte sich kurz vorm Ziel nicht noch mal unnötig aufregen. 

Als wir endlich in unserm Hotelzimmer angekommen waren, hatten die Mädels schon das Bett aufgeschüttelt. Der Karlsson konnte sofort Platz nehmen. Er ist augenblicklich eingeschlafen. Wir standen drumherum und haben uns gefragt, ob wir uns Sorgen machen müssten, wenn er im Traum so dolle herumrannte mit seinen Füßen und dabei erschreckte Wufflaute von sich gab.
„Seine Psyche muss das erst alles verarbeiten“, war Coras Meinung.

Wir hatten sowieso keine andere Wahl, als den nächsten Tag abzuwarten. Wir haben ihn also rennen lassen und uns (immer mit einem Auge auf dem Bett) um unsere eigene Erholung gekümmert. Die Cora hat sich ihre feuchten Kamillenteebeutel aufgelegt, die Mia war mit dem Eincremen ihrer Füße beschäftigt, der Pit hat seine Frikadellen im Proviantbeutel umgeschichtet und ich habe die Fotos durchgesehen, die ich heute geknipst hatte.

Es waren ein paar schöne dabei. Die Hochhäuser in New York sind beeindruckend, das kann man nicht anders sagen, selbst wenn man es nicht so hat mit der Architektur. Andererseits ist alles so neu und modern in Manhattan. Das ist auch nicht jedermanns Sache. Das Historische, zumindest das, was man in Mitteleuropa darunter versteht, ist im Manhattan den Stein- und Glaspalästen gewichen. Und doch haben sich ein paar wenige Überbleibsel gehalten. Ein Beispiel ist die Kathedrale St. Patrick. Sie steht gegenüber dem Rockefeller Center.

Das hier ist das Portal:

Kathedrale St. Patrick

Man könnte glatt glauben, man sei in Nantes oder in Paris, nicht wahr? Tatsächlich ist St. Patrick jedoch nicht gotisch, sondern nur neogotisch. Die Kathedrale wurde 1879 geweiht. Zwar ist sie die größte im neogotischen Stil erbaute Kathedrale in den USA, und die 123 Meter Länge und die rund 100 Meter hohen Türme sind kein Pappenstiel, aber wenn man sieht, was daraus wird, wenn sich rundherum Hochhäuser ansiedeln, dann bekommt man ein Gefühl für den Begriff „gigantisch“.

Seht ihr, was ich meine? St. Patrick aus einer anderen Perspektive:

Kathedrale St. Patrick

Noch deutlicher wird der Kontrast bei diesem Ensemble hier. Da kriegt man sofort Beschützerdrang:

Our Lady of the Holy Rosary und James Watson House

Links, das ist eine Kirche. Ich meine nur, falls man das nicht auf Anhieb erkennt. Es ist die katholische Kirche Our Lady of the Holy Rosary. Sie stammt aus dem 19. Jahrhundert. Rechts das sogenannte James Watson House wurde 1806 fertiggestellt. James Watson war ein New Yorker Politiker. Eine spätere  Eigentümerin hat das Gebäude gekauft, um darin eine Mission zu gründen (1884). Sie war Anlaufstelle vor allen für junge Immigrantinnen. In der Kirche nebenan werden noch heute Messen gefeiert. Und so sieht das dann aus, wenn man im Rücken Wolkenkratzer hochzieht. Würde man genauso staunen, wenn die Häuser auf der grünen Wiese stünden?

Egal, Schluss jetzt mit den vielen Zahlen und Höhen und Stockwerken.

Habt schöne Osterfeiertage und bleibt mir gewogen. Wir haben ja noch mehr erlebt in New York. Das muss ich euch noch erzählen. Bald. Später. Im dritten Teil. 

Fotos: Cora: © G.H.
          Pit: © Club der glücklichen Vierbeiner
          Karlsson: © Terrierhausen


          Gehry-Tower Hannover: harry_nl, Flickr, Bild steht unter Creative Commons Licence 

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