Dienstag, 30. August 2016

La isla bonita (10. Teil)

Unser Leben hatte erheblich an Komfort gewonnen, seit wir wieder die „Princess Graziella“  betreten hatten. Die Mia und die Cora sind gleich am Bordkiosk einkaufen gegangen, um den Verlust an Sonnenmilch, Nachtcreme, Nagellack und Pickelstift auszugleichen. Die Bordfunkerin/Zweite Servierkraft unterhielt dort einen kleinen Stand, der auf Anfrage besucht werden konnte. Mit allerlei Tüten kamen sie zurück.
„Na, hatten sie dort auch Pilzführer?“, habe ich mich erkundigt.
An Bikinis und Badeanzügen zum Sonnenbaden waren die Damen durch Zweit- und Drittgarnituren ja Gott sei Dank noch gut versorgt.

Mia
Außerdem wurden Termine bei der Kosmetikerin vereinbart, denn die Schnäbel, die durch das ständige Gehacke in die Kokosnüsse doch recht gelitten hatten, bedurften professioneller Behandlung. Leichte Deformierungen waren zu beklagen.
„Hach, man kann sich ja gar mehr nicht unter die Leute trauen“, hat die Mia geschnattert.
Später lag sie mit der Cora auf der Behandlungspritsche, einen nassen Lappen überm Gesicht, so dass nur der Schnabel rausguckte, während die Pflegetante ihr mit der Feile an der Gurke herumhobelte, bis die Spitze wieder korrekt mittig nach Süden zeigte. Die Cora kriegte zusätzlich eine Kurpackung für strapazierte, stumpfe Federn. Wie 'ne Teigrolle im Küchentuch lag sie festgewickelt auf 'nem Alutablett und starrte an die Decke. Durchs Schlüsselloch habe ich alles beobachten können.

Unterdessen hatte sich der Karlsson für das Gemeinwohl verdient gemacht. Er hatte sich um die Verpflegung gekümmert. Lange war er in der Küche gewesen, um mit dem Chefkoch die Menüs der restlichen Tage zu besprechen. Da wir die einzigen Gäste waren, stand unsern Wünschen nichts im Wege. Seitdem gab es morgens ein englisches Frühstück mit reichlich gebratenem Speck, Eiern und Toastbrot – „Die Bohnen können Sie weglassen“ – oder alternativ Baguettes mit Salami oder kalten, halb aufgeschnitten Frikadellen vom Vortag, schön mit Majo und Ketchup bestrichen. Mittags und abends wurden Fleischgerichte serviert, manchmal auch Wurst. Fisch hatte sich der Karlsson verbeten, ebenso allzu viel Grünzeug und jegliche Zubereitung mit Kokosflocken oder -milch.

Unsere Aufbaukost: schmackhaft und abwechslungsreich

Der Pit war irritiert. Zwar tat er immer schön mitmampfen bei der attraktiven Speisefolge und meist saß er wie gehabt als Erster am Essenstisch, doch man sah ihm an, dass ihm etwas nicht geheuer war. Immer wieder schaute er heimlich in die Runde, als hätte er noch nie Kreuzfahrtgäste beim Dinieren  gesehen.
„Ist was?“, hat die Mia gefragt und sich sie Krallen abgeleckt.
Ihr tropften Fettperlen ins Dekolletee. 

Pit
Besonders der Karlsson schien suspekt. Und damit war sicherlich nicht gemeint, dass er neuerdings selbstbewusst Nachschlag forderte, statt wie früher höflich zu warten, bis man ihm etwas zuteilte.
„Das habe ich so gelernt“, hatte er früher gesagt, jetzt dröhnte sein „Mademoiselle?!“ durch den Salon, noch bevor der letzte Fleischhappen den Weg von der Servierplatte auf seinen Teller gefunden hatte.

Gleich am zweiten Tag hat mich der Pit beiseite genommen.
„Du, Max?“, hat er geflüstert. „Sag mal … der Karlsson, war der gestern nicht irgendwie dicker?“
„Dicker?“, habe ich zurückgefragt.
„Ja, dicker. Ich weiß, das klingt blöd, aber er kommt mir so eingefallen vor im Gesicht und so schmal um die Hüften. Dabei sehen seine Beine irgendwie … muskulöser aus.“
„Nee“, habe ich gesagt, „das kann nicht sein, das kommt dir nur so vor. Und von was sollten seine Beine denn Muskeln gekriegt haben? Das sind nur seine Locken. Der muss zum Frisör.“
„Es sieht aber so aus. Als hätte er Sport gemacht.“
„Sport? Was fürn Sport?“
„Na, Kickboxen zum Beispiel. Oder Hanteln stemmen. Oder Schwimmen. Marathon.“
„Ach, Quatsch“, habe ich ihn beruhigt. „Du hast Delirium von der vielen Sonne und dem Geschaukele vom Schiff. Am Karlsson ist nichts anders. Der ist so wie immer. Und mein Schnabel ist auch nicht gesplittert. Der ist auch so wie immer.“

Luke
Später ist er zum Luke gelaufen. Dort hat er sich die nächste Irritation geholt. Der Luke lag ausgestreckt auf einem Kissen unter dem Sonnenschirm, neben sich einen dänischen Krimi, Sonnenbrille, Orangensaft und Salzstangen, und hat nicht mal das Handtuch vom Gesicht genommen, sondern lediglich ein lapidares „Carpe diem!“ hervorgebrummt. Das war bemerkenswert, denn mit dem Müsli und Salat futternden, Vitaminpülverchen schluckenden Öko-Kater vom Reisebeginn hatte das nur noch wenig zu tun. Bei den Wurst- und Fleischgaben zu den Mahlzeiten griff er nun ebenso beherzt zu wie alle andern (sogar zum Frühstück), und das Fitnessprogramm im Gymnastikraum hatte er gänzlich eingestellt zugunsten einer konsequenten Liegetherapie, bei der es darauf ankam, sich möglichst wenig zu bewegen.

„Geht's dir gut?“, hat der Pit gefragt.
Er stand vorm Luke wie das Rotkäppchen vorm Wolf in Großmutters Bett.
„Bestens“, hat die Antwort gelautet. „Pit, mein Lieber, da du gerade da bist, könntest du mir bitte mal das Handtuch gerade ziehen? Es wirft Falten und darauf liegt es sich so unbequem."

Den Mädels ist der Pit mit Inselausflügen gekommen. Man werde bestimmt bald wieder irgendwo halten und da könne man doch gemeinsam einen schönen Tag am Strand verbringen, so mit baden, aufs Meer gucken, Sandburgen bauen und so. Na, wie wär's?
„Näää! Keine Lust!“
Die Mia und die Cora hockten am Swimmingpool (der noch von der Ludmilla und der Tamara übrig war), natürlich schön im Schatten, mit einem Maracuja-Cranberry-Milchshake in Reichweite und einem Flügel halb im Wasser. Das wurde als erfrischend empfunden – solange es sich nicht um Salzwasser handelte.

„Die sind alle verrückt geworden“, hat der Pit sich beklagt.
„Du auch, Max“, hat er hinzugefügt, als ich ihm nicht antworten wollte.
Ich lag mit dem Karlsson unterm dritten Sonnenschirm. Wir hatten fest geschlafen. Dabei wird man nicht gern gestört.

Nachmittags haben wir uns stets eine kleine Erfrischung kommen lassen, 'n bisschen was Süßes oder Obst, denn Vitamine sind ja wichtig.

Von den Trauben mochte ich die Kerne am liebsten

Am Abend nach dem Dinner wurde an Deck noch ein wenig beisammengesessen. Beim Schein des Windlichts haben wir Karten gespielt, Halma oder Domino, so wie wir es früher schon gemacht hatten. Oder wir haben einfach nur den frischen Wind genossen und die Gewissheit, dass man nicht mehr dauernd auf den Horizont starren musste, um nichts zu verpassen. Das Schiff hat weiter seinen Kurs um die Inseln und Atolle genommen, genau wie im Programm vorgesehen, allerdings inzwischen ohne Landgänge, denn die hatten wir abbestellt.
„Ihr seid echt nicht mehr zu retten“, hat der Pit gemeint.

Die reizende Landschaft hat niemand beachtet

Im gleichen Maße, wie wir an einer wellnessbetonten Freizeitgestaltung interessiert waren – und das auch gnadenlos durchzogen –, fing der Pit leider an, sich zu langweilen. Zunächst hatte das niemand beachtet, doch als er überall herumzufummeln begann auf der Suche nach Sinn und Ziel, kriegte ich rote Ampeln ins Gehirn. Oft war er unten beim Personal, hockte in der Küche, ließ sich den Maschinenraum erklären, half beim Erstellen der Magazinlisten und tüterte sogar an den Tauen herum.
„Ich lerne jetzt Seemannsknoten“, hat er beim Mittagessen verkündet.
Wenig später konnte er auf dem Vorderdeck besichtigt werden, wie er die Reklamefähnchen einer einheimischen Margarinefirma in den Vorderpfoten hielt und damit herumfuchtelte in Richtung Meer.
„Soll das das Fahnenalphabet sein?“, hat sich der Luke gewundert.
Die Cora hatte Bedenken:
„Hoffentlich kommt kein Schiff vorbei. Wer weiß, was er denen da zuwedelt: „Guten Tag, Sie Arschgesicht“ oder „Hilfe! Wir brauchen 50 Tonnen Backpflaumen“ oder irgend so was Beklopptes.“

Der Pit: Nanu, es bimmelt ja, wenn man den Klöppel bewegt

Mir bereiteten die unbeaufsichtigten Erkundungsgänge am meisten Sorge. Nicht dass wir plötzlich rückwärts segeln täten oder womöglich kenterten und in die Rettungsboote müssten. Darauf hatte ich jetzt am wenigstens Bock.
„Du hast ja keine Ahnung“, habe ich dem Karlsson geantwortet, als er mich beschwichtigen wollte. „Der hat schon mal 'n ganzes Schloss in Schutt und Asche gepopelt. Der kennt da nix.“
Daraufhin hat der Karlsson geseufzt, hat „Lass mich mal machen“ gesagt und ist unter Deck verschwunden. 

Karlsson
Am Nachmittag haben wir irgendwo angelegt. Jemand von der Mannschaft ist zu uns an den Sonnenschirm gekommen.
„Ihre Bestellung ist da, Mister Karlsson“, hat es geheißen.
Bestellung? Was für 'ne Bestellung?
„Ich habe mir erlaubt, uns 'n bisschen Spaß kommen lassen“, hat der Karlsson gesagt. „Extra aus Nassau. Damit wir mal auf andere Gedanken kommen – und nur für uns Jungs!“

Jo, und dann lag da 'n Boot am Anleger, aber nicht so eins für Handbetrieb (das wäre ja noch schöner gewesen), sondern ein sogenanntes Speedboat, eins für Wassersport, für Angeberei und Adrenalin.
„Na, ist das nichts?“, hat der Karlsson geprotzt.
Der Luke hat aber nur neutral geguckt, ich habe auch nichts gesagt, lediglich der Pit war aus dem Häuschen.
„Das ist ja der Hammer!“, hat er gerufen.

Ein gewisser William von den Bahamas hat am Lenkrad gestanden. Der war gleich mitgemietet. Er sollte uns ein paar Runden durch die Bucht fahren. Wir sind ins Boot gesprungen. Gut, warum also nicht ein bisschen durch die Landschaft schippern? Wenn's dem Pit Freude machen täte und solange wir nicht selbst für Bewegung sorgen müssten – meinetwegen.

Kein Ort für Spaghettisoße und offene Weine

Die andern drei haben auf dem Boden hinter unserm Chauffeur Platz genommen, ich saß auf dem Armaturenbrett neben dem Lenkrad.
„Alles klar?“, hat der William gefragt. „Bitte festhalten, wir geben Gas.“
Danach weiß ich nur noch, dass eine riesige Pranke von vorn auf mich zukam. Ich bin rückwärts geflogen, fast raketenartig abgezischt. Zum Ausbreiten der Flügel hatte ich keine Zeit gehabt. Das ging eine ganze Weile so. Als ich mich wieder orientieren konnte, war das Boot weg und unter mir nur Wasser. 

Ich
Ich meine, ich als Vogel bin fliegen gewohnt und man hat ja auch seine Kenntnisse und Fähigkeiten, aber das hier – nee! Man setzt einen doch nicht einfach auf dem offenen Meer aus. Das ist ja unerhört.

Gott sei Dank ist mir noch rechtzeitig eingefallen, mit den Flügeln zu schlagen, sonst wäre ich glatt abgestürzt. Später ist das Boot dann zurückgekommen. Es fuhr jetzt bedeutend langsamer. Ich konnte unfallfrei wieder zusteigen. Allerdings habe ich mich gewundert, wo die anderen waren. Der William hat nur wortlos mit seinem Daumen über die Schulter gezeigt. Und tatsächlich, dort waren die drei, zur Mauer aufgeschichtet, flach an die Rückwand geklatscht. Man musste schon genau hinschauen, um zu bemerken, dass es sich um einen Hund und zwei Kater handelte. Bewegt haben sie sich nicht, gesagt auch nichts. Leicht hätte man sie mit einem Stapel achtlos abgelegter Bettvorleger verwechseln können.

„Na, Jungs? Wie war's?“, hat die Mia gefragt, als wir wieder an Bord kamen.
„Männlich-schnell, was?“, hat die Cora gekichert.
Seitdem hatte der Luke Ohrenschmerzen, dem Pit drückte 'n Pfeifton aufs Trommelfell, mir fehlten sieben Schwanz- sowie sechs Schwungfedern, und der Karlsson hatte Rücken, weil er den Aufprall vom Pit und vom Luke abgekriegt hatte, kurz nachdem er selbst gegen die Rückwand gedonnert war. Irgendwie hatte ich die Schnauze voll vom Wassersport. Und vom Segeln. Und vom Meer. Und vom Sonnenschein und all dem lieblichen Feriengedöns, das einem nach einer gewissen Zeit gehörig auf den Zeiger gehen kann.
„Ich würde jetzt gern bei uns zu Haus an der Terrassentür liegen und nach draußen gucken, wie der Sturm die Apfelbäume schüttelt“, hat der Karlsson gesagt.
„Ja, ich müsste auch mal nach dem Rechten sehen“, fand der Luke. „Hoffentlich läuft alles gut mit dem Geschäft.“
Der Mia hatten sich inzwischen sogar unakzeptable Hindernisse in den Weg gestellt:
„Die haben hier nur Enthaarungscreme, von der ich Pickel kriege.“

An Nassau und den Bahamas sind wir auf dem Rückweg nur vorbeigefahren. Es ging direkt nach Miami. Dort war unsere Schiffsreise zu Ende.

Miami

Wir haben uns einzeln per Handschlag von der Mannschaft verabschiedet.
„Du musst denen 'n Trinkgeld geben“, habe ich der Cora zugeflüstert.
„Wieso ich?“ hat sie gemeckert.
„Weil das deine Reise war. Schon vergessen?“

Vom Schiffsanleger sind wir mit dem Taxi direkt zum Flughafen gefahren. Wir mussten noch ein wenig warten, bis unser Flug ging, aber vom Terminal aufs Rollfeld zu gucken war ja auch mal ganz schön. Dort schaukelte es wenigstens nicht.

Hübsch, in Miami die Fahrt zum Flieger, aber jetzt dort liegen? Nee!

Die Cora hat der Tante Gisela im Duty Free eine Flasche Parfüm gekauft („It's never too late“ von Isolde Beutelmann.)
„Das ist besser als Pralinen und mit irgendwas muss ich mich ja bei ihr bedanken.“
Das stimmt. Die Kreuzfahrt zu spendieren ist sehr nobel gewesen. Dass dann einiges – sagen wir mal – unteroptimal gelaufen ist, dafür konnte sie nichts. Wir hatten jedenfalls Geld gespart. Wer weiß, wofür wir das noch brauchen täten.
„Jetzt bin ich aber pleite“, hat die Cora geseufzt.

Cora
Vom Rückflug gibt es nichts Interessantes zu berichten. Im Bordkino lief der „Fluch der Karibik“ und zu essen gab es Scholle mit Feldsalat und Kokoskuchen zum Nachtisch. In Frankfurt haben wir uns von der Cora verabschiedet. Sie ist mit dem Zug nach Duisburg weitergefahren.
„Tschüs dann, war super“, haben wir ihr nachgerufen.
„Ja, bis zum nächsten Mal. Bleibt frisch und sauber.“
In Hannover sind die Mia und ich ausgestiegen, der Luke, der Pit und der Karlsson sind bis Hamburg weitergefahren.

Soviel ich weiß, hat sich niemand unserer Menschen beschwert, dass er uns in einer Form zurückbekommen hätte, die ihnen nicht gefallen täte. Im Gegenteil, wir sähen so wunderbar erholt aus, hat es überall geheißen („Der Pit, so 'nen entspannten Zug um die Nase“). 

Und der Karlsson, na, der hätte wohl ordentlich zugelegt an den Hüften, was? Tja, es war wie mit Majestix bei Asterix und Obelix: Der hatte auf dem Rückweg von seiner Kur dieselben gastronomischen Stationen besucht wie auf dem Hinweg. Das hatte sehr zur Genesung beigetragen. Und Muskeln bilden sich auch schnell wieder zurück, wenn man sie nicht trainiert.

Ende.

Fotos: Cora: © G.H.
          Pit und Luke: © Club der glücklichen Vierbeiner
          Karlsson: © Terrierhausen

          Landschaft, Schiff mit Glocke, Speedboat,  Miami 1, Miami 2, Taue: Pixabay
          Bratwurst, Bockwurst, Kotelett 1, Kotelett 2, Hackbällchen, Grillfleisch, Braten, Fleischteller: Pixabay
          Früchte, Törtchen 1, Törtchen 2, Törtchen mit Obst: Pixabay

© Max: Papageiengeschichten 

Montag, 29. August 2016

Der Spruch des Tages (141)


© Max: Papageiengeschichten (Bild)

Dienstag, 23. August 2016

La isla bonita (9. Teil)

Wir haben uns nicht gerührt in unserm Versteck im Grünzug. Auf dem Piratenschiff tat sich lange nichts, dann kam ein Boot angerudert, direkt auf unsern Lagerplatz zu. Die Meinungen gingen auseinander, was davon zu halten sei. Die Stimmen reichten von „Auch unter Seeräubern gibt’s gute Menschen“ bis zu „Die machen Gulasch aus uns.“ Also haben wir erst mal alles beim Alten belassen und uns weiterhin unsichtbar zu halten versucht.
„Tu bloß deine Digicam weg, sonst spiegelt die sich noch und verrät uns“, hat der Luke mir befohlen.

Seht ihr uns, dort vorn im Versteck? Nein? Dann war es ein gutes Versteck

Und jetzt? Wir sind dort,
wo der Pfeil hinzeigt
Wenig später konnten wir beobachten, wie drei Männer an Land kamen. Sie trugen Bärte und hatten eine Art Säbel am Hosenbund. Einer holte ein langes Fernrohr hervor und suchte die Umgebung ab, während ein anderer ein Papier entrollte und draufschaute.

Wir drückten uns noch platter hinters Gebüsch. Was die wohl wollten? Vielleicht einen geeigneten Platz finden, um was zu vergraben? Oder umgekehrt den Ort wiederfinden, wo sie schon was vergraben hatten?

Gleich darauf war unser Lagerplatz entdeckt. Erst gingen sie um unser erloschenes Lagerfeuer und den Palmwedel herum, dann waren sie am Ruderboot. Wir hielten den Atem an. Ich musste dringend aufs Klo. Dem Karlsson standen die Klappohren zum Dreieck in die Höhe, der Cora waren vor Aufregung die Schwanzfedern ins Vibrieren geraten. 

Als der Anführer Mias pinkfarbene Strandtasche in den Pranken drehte und obendrein das goldene Schminktäschchen mit den Samtbommeln hervorholte und es lange anstarrte, kam plötzlich Bewegung ins Spiel. Ich dachte, ich seh nicht recht. Vor uns teilte sich das Gebüsch. Die Mia, die dumme Nuss, hat sich durch die Lücke gequetscht, ist mit ihren kurzen Beinen eiligst auf die Piraten zugerannt, hat gefuchtelt und  geschrien:
„Geben Sie sofort mein Eigentum her, Sie Wüstling, Sie!“

Nur zwei Sekunden später ist der Luke gestartet, sofort hinterher, vermutlich um die Mia zu retten. Und wieder eine Sekunde darauf hat der Karlsson zum Sprint angesetzt. Ich konnte ihm gerade noch hinterherbrüllen, dass er dableiben soll, aber da wurde ich schon von der Cora in die Seite gepufft:
„Biste verrückt? Du verrätst uns noch!“

Da rennt er, der Held

Da hatte sie allerdings recht. Ein gutes Versteck gibt man nicht ohne Not preis, und den drei Deppen, die sich da zur Weltverbesserung aufgemacht hatten, war eh nicht mehr zu helfen. Wir hörten nur Gequieke und Gejaule, Gefauche, Gefluche und Gebell. Zu sehen war nicht viel außer aufgewirbeltem Sand und allerlei Körperteile und Kleidungstücke, die sich in ständiger Bewegung neu zusammensetzten wie die Lose in der Tombolatrommel. 

Ich
Keine Ahnung, wie lange das so ging, jedenfalls war irgendwann Ruhe. Ich habe den Hals gereckt, um besser sehen zu können. Die drei Männer kehrten zurück zu ihrem Ruderboot. Den Karlsson hatten sie am Strick dabei. Weil er sich heftig wehren tat und dauernd mit den Vorderpfoten in die Bremseisen stieg, mussten sie ihn hinter sich herschleifen. Eine tiefe Spur im Sand zeugte von seinem Elend. Den Luke und die Mia haben wir nicht gesehen. Vermutlich waren sie kaltgestellt und irgendwo verstaut und verschnürt. Die beiden Strandtaschen der Mia und der Cora landeten ebenfalls im Boot, auch die Tupperdose und die beiden Wasserflaschen. Dann wurde angeschubst und die Delegation  machte sich auf in Richtung Schiff.

Oh-ha, das war ja 'ne schöne Scheiße. Gut, dass wenigstens die Cora und ich so klug gewesen waren, uns nicht einzumischen. So waren wenigstens zwei Zeugen übrig, die bestätigen konnten, wer alles im Gulasch landen würde. Andererseits sahen wir ohne die andern ziemlich alt aus. Nur mit der Duisburger Schnatterhenne allein die nächsten dreißig Jahre Kokosnüsse aufzuhacken und für jeden Schluck Trinkwasser zur Quelle latschen zu müssen, das war keine schöne Aussicht.
„Meinst du, ich bin scharf darauf, mit dir hier zu versauern, du Eierkopp?“, hat die Cora gekeift.
Jetzt, wo alle weg waren, tat das ja nichts, wenn sie laut wurde. 

Bei schönem Wetter sah das Piratenschiff gar nicht so gefährlich aus

Wir haben noch ein bisschen gewartet, bis wir dachten, dass man sich auf dem Schiff jetzt eingerichtet hätte, dann sind wir losgeflogen. Wir hätten ja doch keine Zukunft auf er Insel gehabt, und heißt es nicht „Einer für alle, alle für einen“? Das Ruderboot war angebunden und schaukelte noch neben dem Schiff auf den Wellen. Auf Deck war niemand zu sehen, nur von unten, aus den Kajüten, drangen Stimmen nach oben. Wir haben uns vorsichtig vorangetastet. Die Cora ist in die Takelage geflogen und hat von dort geguckt. Es war tatsächlich niemand an Deck, nur 'ne Wache ganz vorn an der Reling.

Die Cora. Eben war's noch sonnig und schön

Allerdings hat sich der Karlsson wieder angefunden. Er lag neben einem Mast im Schatten, die Schnauze auf den Vorderpfoten. Wir haben ihn leise gerufen:
„Psst … Karlssoooon!“
Er hat den Kopf gehoben:
„Ihr hier?“
„Ja. Bist du okay?“
„Ja, bin ich."
„Wo sind die andern?“
„Unten, unter Deck.“

Karlsson
Wir haben erfahren, dass sie aus dem Luke einen Mäusejäger machen wollten. Er sollte das Schiff sauber halten. Und die Mia sollte dem Koch auf der Schulter sitzen, ihn unterhalten und lernen, versaute Wörter nachzuplappern. Na, super, das waren ja tolle Aussichten: der Luke als unfreiwilliger Leiharbeiter und die Mia, das Luxuspüppchen, als maritimer Wackeldackel in Piratenschweiß und Küchendunst.
Und mit dem Karlsson, was hätten sie mit ihm vor?
„Keine Ahnung. Mich haben sie hier angebunden. Dem einen habe ich in die Wade gebissen, aber so was von, das glaubt ihr nicht!“

Wir haben ihm das Seil vom Halsband gepult. Damit war er schon mal frei. Nun keine Zeit verlieren. Wenn wir noch eine Chance haben wollten, dann mussten wir verhindern, dass sie der Mia die Flügel stutzten. Das würden sie zweifellos tun, denn ohne würde die Mia ihnen ja davonfliegen. Außerdem war noch das Ruderboot da. Das mussten wir nutzen, bevor sie es raufholten.

Wir haben noch mal kurz Schnick Schnack Schnuck gemacht, um zu ermitteln, wer von uns, die Cora oder ich, in die Kajüte hinutersteigen müsste, um die nächste Rettungsaktion einzuleiten. Es hat mich getroffen. Also dann. Mit Spionage- und Befreiungsaktionen kenne ich mich inzwischen ja gut aus. Das würde ich hinkriegen.
„Viel Glück!“, hat der Karlsson geflüstert.

Cora
Unter Deck war ordentlich was los. Es war wohl gerade Essenszeit, deshalb saß die Mannschaft vor den Schüsseln und löffelte. Ich habe mich lautlos an ihnen vorbeigequetscht. Weiter hinten in einem Nebenraum fanden sich dann die drei Männer, die auf der Insel gewesen waren. Sie hatten die Strandtaschen der Mädels auf den Tisch gekippt und waren dabei, den Inhalt zu untersuchen. Keine Ahnung, was sie dachten, was ein Lippenstift sei und was man damit anstellen könne. Ununterbrochen wurde er hoch und runter gedreht. Dann wurde gelacht. Jetzt blätterte jemand in Coras Pilzführer. Es war der Pirat mit der zerrissenen Hose an der Wade. Den Zettel mit dem SOS-Ruf aus der Flaschenpost hat wohl keiner lesen können. Waren das Analphabeten?

Auf mich tat niemand achten. Ich habe wie blöd durch den Raum gestarrt. Ich war mir sicher, dass ich hier richtig war. Dann, endlich, unterm Tisch war Lukes graue Schwanzspitze zu sehen. Ich habe leise gebrüllt, so unauffällig wie möglich:
„Luuu-huuuuke! Hiiiieeer!“
Gott sei Dank hat er schnell kapiert, um was es ging. Er war nicht angebunden und auch nicht verletzt. Er ist zu mir gekommen, hinter die Tür geschlichen.
„Wo ist die Mia?“, habe ich gefragt.
„Da hinten im Schrank, eingesperrt.“
„Kannst du ihn aufmachen? Dann hauen wir ab.“

Der Schrank quietschte zwar und ich dachte, gleich würden die Kerle innehalten und alles wäre umsonst, doch der Weiberkram auf dem Tisch hatte offensichtlich eine derart erheiternde Wirkung, dass man sich nicht stören ließ. Der Luke konnte gut Türen öffnen, das hatte er zu Hause gelernt. Einmal an den Riegel gesprungen und zur Seite gedrückt, schon war die Mia befreit. Sie war noch ein wenig blind von der Dunkelheit im Schrank. Deshalb hat der Luke sie am Hals gepackt und vorsichtig im Maul weggetragen. Für eventuelle Einwände war jetzt keine Zeit. Wir mussten uns beeilen.

Mia
An der dröhnenden Essensrunde sind wir problemlos vorbeigekommen. Kurze Zeit später waren wir wieder an Deck. Die Cora und der Karlsson warteten schon.
„Gott sei Dank, da seid ihr ja wieder“, hat der Karlsson geseufzt.
Nun aber flott von Bord. Den Rest konnte die Mia wieder allein erledigen; ihre Augen hatten sich ans Licht gewöhnt. Nur ein wenig schwindelig war ihr noch von der Schräglage in Lukes Maul.
„Boah“, hat sie gesagt und sich den Nacken gerichtet.

Weit kniffliger erwies sich, den Luke und den Karlsson ins Ruderboot zu kriegen.
„Könnt ihr die Hängeleiter runterklettern?“, habe ich gefragt.
Die beiden haben sich angeschaut.
„Nö.“

Darauf war jetzt aber keine Rücksicht zu nehmen. Effektivität ging vor Zimperlichkeit. Wir haben den Luke veranlasst, dem Karlsson auf den Buckel zu steigen und sich dort gut festzuhalten. Der Karlsson wiederum musste auf die Reling klettern und sich Schritt für Schritt nach unten hangeln. Mit den Zähnen hat er sich am obersten Querseil der Hängeleiter festgehalten. Dann hat er blind mit der Hinterpfote nach Halt auf einem der unteren Seilstufen gesucht, und sobald er meinte, er stünde einigermaßen sicher, hat er kurz losgelassen und blitzschnell nach dem nächstgelegenen unteren Querseil geschnappt, um sich wieder auszubalancieren.

Luke
Junge, Junge, das war vielleicht 'ne Schweißaktion. Der Bursche hat doch so runde Pfoten, die liegen gar nicht richtig auf auf dem dünnen, wackeligen Untergrund. Die Mädels und ich sind oben geblieben, haben das Deck beobachtet, ob einer käme oder ob die Wache was merken täte. Dem Luke als Nichtschwimmer ist bestimmt der Arsch auf Grundeis gegangen bei der Aussicht, gleich abzustürzen, doch gesagt hat er nichts. Dem Karlsson glubschten vor Konzentration die Augen raus wie zwei lackierte Rumkugeln.

Der Weg nach unten dauerte ewig – doch er hat's geschafft. Der Karlsson ist unten angekommen, und zwar ohne sein Gepäck zu verlieren oder selbst abzurutschen. Das musste ihm erst mal einer nachmachen.
„Yeah!“, habe ich geflüstert und die Zehen zum Victory-Zeichen gehoben.
Die Mia und die Cora haben „Suuuuper!“ geschrien, leise natürlich.

Jetzt aber nichts wie weg. Der Luke ist ins Ruderboot gesprungen und hat die Leine losgemacht. Wir sind hinuntergeflogen und haben uns ebenfalls ins Boot gesetzt. Der Karlsson musste wieder den Außenbordmotor machen. Er ist hinter dem Ruderboot geschwommen und hat uns vor sich hergeschoben. Hoffentlich würde uns die Wache nicht noch im letzten Moment bemerken. Andererseits: Was wäre dann? Kämen sie uns nachgeschwommen oder was? Nein, wir waren bestimmt längst aus der Gefahrenzone entkommen. Vom Piratenschiff würde uns kein Unheil mehr drohen, allein deshalb nicht, weil wir uns immer weiter entfernten. Das Schiff wurde immer kleiner, bis es schließlich ganz aus der Sicht verschwunden war.

Ich konnte mir ein Zeichen des Triumphes nicht verkneifen.
„Juchhuuu!“, habe ich geschrien.
Die andern haben betreten geguckt, außer dem Karlsson, der noch immer fleißig schieben tat, jetzt allerdings langsamer.
„Was ist?“
„Öhm“, hat der Luke gesagt. „Hätten wir nicht längst an unserm Strand landen müssen? So weit entfernt hat das Schiff doch gar nicht geankert.“
Ich guckte mich um. Tatsächlich, kein Strand zu sehen, nichts Grünes, keine Palmen, nicht mal ein Strich am Horizont, nur blaues Wasser und ein wolkenloser Himmel mit hellem Sonnenschein.

Nur Wasser, Wasser, Wasser

Plötzlich ein Aufjaulen:
„Wir werden doch noch verdursten!“, hat die Mia zu plärren angefangen.
Gut, dass die Cora so versiert ist in psychologischer Betreuung. Bei einer heulenden Henne im Boot kann ich nicht arbeiten.
„Was machen wir jetzt?“, hat der Luke gefragt.
„Abwarten“, habe ich gesagt.
Der Karlsson konnte nun aufhören mit der Paddelei und wieder heraufkommen, denn wenn es kein Ziel mehr gab, das es anzusteuern galt, brauchte er seine Energien nicht unnütz zu vergeuden. Er kam ins Boot geplumpst.
„Boah, was bin ich kaputt“, hat er gejapst. 

Jetzt waren die Wolken anders

Dann sind wir ziellos umhergetrieben. Wir haben gedöst und geschlafen. Die Mia hatte sich auch wieder beruhigt und war nun am Singen. Das Schlumpflied hat sie zusammen mit der Cora gegrölt. Am liebsten hätte ich die beiden über Bord bekippt. Das war ja nicht zum Aushalten. Wenig später ist es dann sogar noch kalt und zugig geworden. Jetzt auch noch frieren, na, Mahlzeit. Die Sonne war weg, der Himmel trübte sich ein.
„Regen?“, hat der Karlsson gemeckert.
Der war froh, dass er gerade trocken war.

Es kam sogar noch schlimmer: Nebel. Plötzlich war er da, dicht wie in der Dusche. Man konnte seinen eigenen Flügel nicht vor Augen sehen. Schließlich machte es rumms und unser Boot schrammte irgendwo gegen. Die Mia ist vom Sitz geflogen und dem Karlsson an die Brust geknallt.  Eine Stimme war zu hören:
„Max? … Luke? … Cora? … Mia? … Karlsson?“

War es zu fassen? Das war ja der Pit!

Wir haben uns gefreut, ihn zu sehen

Langsam begann sich der Nebel zu lichten. Dahinter kam die „Princess Graziella“ zum Vorschein. An der Reling hing ein Cornedbeef-farbener Katerkopf. Er tat ärgerlich blicken:
„Da seid ihr ja endlich! Gebt doch Antwort, wenn man euch ruft!“
Wir wurden von einem Besatzungsmitglied einzeln aus dem Boot gehoben und die Strickleiter hochgetragen. Als alle oben angekommen waren, ging das Donnerwetter los. Der Pit konnte sich gar nicht mehr einkriegen:
„Mensch, ich warte hier wie doof und nicht abgeholt und ihr lasst mich hier in den Nebel brüllen wie 'n Idiot.“
„Ja … äh … wie lange rufst du denn schon?“, hat die Cora gefragt.
„'ne Viertelstunde – mindestens.“
„'ne Viertelstunde?“
Wir haben uns angeschaut.
„Ja, ganz recht“, hat der Pit insistiert. „Der Käptn hatte gerade nach euch suchen lassen wollen, aber ich habe gesagt, er soll noch warten; die fahren nicht ohne mich zum Inselausflug. Es ist jetzt genau 11.35 Uhr.“
„Welcher Tag?“
„Wie … welcher Tag? Derselbe wie heute morgen natürlich.“
Darauf wusste keiner eine gute Antwort zu geben.

„Was nu?“, hat der Pit wieder angefangen. „Machen wir jetzt den Strandausflug oder nicht?“
„Nö, lass man“, habe ich gesagt „Wenn ich's mir recht überlege, habe ich keine Lust mehr dazu.“
Die andern haben genickt. Wir sind in unsere Kabine gegangen. Der Pit kam hinterhergedackelt.
„Ihr seid vielleicht Luschen. Erst unbedingt diesen blöden Ausflug machen wollen, und dann ist er plötzlich doch nicht so wichtig.“

Wir haben ihn labern lassen. Dass wir kein Gepäck mehr dabei hatten, ist ihm wohl gar nicht aufgefallen. Was die Mannschaft zu dem fremden Ruderboot gesagt hat, wissen wir ebenfalls nicht, weil wir nicht danach gefragt haben und wir auch nicht darauf angesprochen wurden. Wir waren heilfroh, dass wir wieder bekannten Boden unter den Füßen hatten.
„Als Erstes gehe ich mal in die Küche und bestell einen ordentlichen Imbiss“, hat der Karlsson verkündet.
Das war eine sehr gute Idee. Vier Leuten gefiel das, dem fünften steckte ein „Häh?“ in der Kehle. Es musste nur noch ausgesprochen werden.

Fortsetzung folgt.

Fotos: Cora: © G.H.
          Luke und Pit: © Club der glücklichen Vierbeiner
          Karlsson: © Terrierhausen
          Palmenstrand, Gebüsch, Piratenschiff, Segel, Meer 1, Meer 2, Seile: Pixabay 

© Max: Papageiengeschichten 

Donnerstag, 18. August 2016

La isla bonita (8. Teil)

Boah, diese Hitze, das grelle Licht und das ewige Geschwappe der Wellen, das machte einen ganz vogelig. Was hätten wir für ein ordentliches Gewitter gegeben, aber nee, dann wäre ja das Lagerfeuer ausgegangen. Dauernd starrten wir auf den Horizont, ob sich was täte, doch außer mal mehr oder weniger Flimmern der Atmosphäre wollte einfach keine Abwechslung eintreten. Wir würden doch wohl hier nicht versauern müssen? Wo blieb der Rettungsservice? Allmählich wurde es Zeit.
„Meine Augencreme ist bald alle“, hat die Mia gejammert.
Mir hatte sich der Schnabel verformt von dem ständigen Gehacke in die Kokosnussschalen. Die Spitze war abgebrochen.
„Eindeutiger Fall von Kalziummangel“, hat die Cora gesagt und in ihrem Sortiment nach Abhilfe gesucht.
Sie hatte aber nur was gegen Fußpilz.

Käse war mir egal

Dann machte das Wort „Skorbut“ die Runde. Wir zuckten zusammen. Der Karlsson musste die Schnauze aufmachen und sein Zahnfleisch vorzeigen, ob das bluten täte oder sich gar zurückbildete. Frau Dr. Cora und ihre Assistentin, Arzthelferin Mia, fummelten an den Lefzen herum und zogen und quetschten in alle Richtungen, so dass es aussah, als würde der Karlsson sich einen abgrinsen vor lauter Amüsement. Anschließend war der Luke dran. Er fletschte nur mal kurz die Zähne. Die Cora wich zurück. Mir wurde die Frage gestellt, ob ich Gelenkschmerzen hätte.
„Nö.“
Damit war die Visitation zu Ende. 

Die Cora
So weit war's also schon gekommen, dass man sich von einer Duisburger Hobbyköchin und einer albernen Disco-Henne in die Gesundheit quatschen lassen musste. Im Fernsehen sieht die „Klinik unter Palmen“ immer so romantisch aus. Dort haben sie allerdings auch richtige Eisstiele zum Runterdrücken der Zunge, nicht so wie wir bloß den Filzstift aus Coras Strandtasche. Und das Personal ist dort natürlich auch ganz anders aufgestellt.

Trotzdem waren gewisse Befürchtungen nicht von der Hand zu weisen. Würden Kokosnüsse unsere Widerstandskraft auf Dauer aufrechterhalten können? Der Karlsson sah doch jetzt schon recht ausgezehrt aus.
„Der hat keinen Afghanen im Stammbaum – oder?“, hat die Cora mir einmal abends am Lagerfeuer zugeflüstert.

Allein aus diesem Grund wurde es freudig begrüßt, als sich durch Zufall eine neue Aussicht auf den Fischfang eröffnete. Im Grünzug nämlich fand sich eine praktische Faser an den Bäumen. Sie ließ sich aufdröseln und in lange dünne Streifen ziehen wie die einzelnen Lagen der Lakritzschnecke. Die Fäden ließen sich verknoten und hielten fest. Die Idee eines Floßes war geboren.

Sofort gingen wir voller Tatkraft ans Werk. Die Mia und ich haben die Stricke gesammelt und in handliche Portionen zerlegt, der Karlsson ist abgefallene Äste suchen gegangen, und die Cora und der Luke haben die Äste so zusammengebunden, dass eine kompakte Fläche entstand, auf der man bequem stehen konnte, ohne dass einem von unten das Wasser an die Knöchel spritzte. Da diesmal der Luke als Fischer ernannt worden war, brauchte das Floß nicht allzu groß zu sein, es musste nur gut schwimmen. Wir haben es natürlich vorher ausprobiert.

Der Karlsson
Der Luke wurde zum Platznehmen aufgefordert. Der Karlsson hat das Floß ins Wasser geschoben. Zum Ziehen war vorne eine Schlinge dran.
„Macht bloß keinen Scheiß!“, hat der Luke gesagt.
Ihm als Kater und Nichtschwimmer war eine gewisse Nervosität natürlich nicht zu verdenken. Doch Gott sei Dank, alles ging gut. Die Mädels und ich haben den Stapellauf standesgemäß mit Beifall und Hurra-Schreien begleitet. Und nicht ohne Stolz (ja, ich gebe es zu) durften wir dann zusehen, wie weiter draußen ein dunkelgrauer Popel über die Wellen schaukelte, ohne an Haltung zu verlieren oder gar unterzugehen.
„Wie eine ausgesetzte Ming-Vase kurz vor den Niagara-Fällen“, habe ich den Luke gelobt, als er heil und (fast) trocken wieder vor uns stand. Er hatte sind prima gehalten.

Jetzt musste nur noch das Netz gefertigt werden. Hier machte sich der Handarbeitsunterricht der Mädels bezahlt – zumindest von der Cora, denn die Mia kann nur Wollwurst mit Strickliesel. Die Cora aber hatte schon mal 'n Einkaufsnetz gehäkelt, wenn auch schon lange her, doch mit einem bisschen Nachdenken und Abwandlung konnten bald hoffnungsfrohe Entwürfe in Angriff genommen werden. Die Cora hat ununterbrochen unterm Palmwedel gesessen und geknüpft und geknotet. Dafür mussten die Mia und ich ihren Kokosnussöffnerdienst übernehmen, und der Luke und der Karlsson haben den Nachschub an Stricken herbeigeschafft.

Dann wurde es ernst; das Netz war fertig. Jetzt täte sich zeigen, ob wir würdig wären, zu Robinson Crusoe aufs Siegertreppchen zu steigen. Wir machten alles genauso wie beim Stapellauf, nur dass wir diesmal das Netz dabeihatten und die Cora und ich mitgefahren sind. Ich sollte unterwegs aufsteigen und aus der Luft nach Fischschwärmen Ausschau halten, und die Cora sollte an Bord dem Luke zur Hand gehen. Die Mia ist an Land geblieben.

Nun, Fische gab's genug zu sehen, so wie diese hier:

Wehe, ihr haut ab!

Immer wieder habe ich geschrien:
„Jetzt! Rein mit dem Ding!“
Der Luke und die Cora haben das Netz in die Wellen geschmissen. Das Ende war natürlich hinten am Floß vertaut.
Gleich darauf das Kommando an den Karlsson:
„Motor volle Power on!“
„Links rum!“
„Rechts rum!“
„Schneller!“
„Wir brauchen mehr Speed!“
„Loooos! Zieeeeee-hen!“
„Mach hinne!“
„Gib Gaaaas!“

Ich
Ab und zu war Karlssons Schnauze zu sehen. Dann tat er nach Luft japsen. Aber meist war er in einem Strudel aus weißem Schaum verschwunden. Manchmal machte mir das direkt Angst, denn erstens wollten wir ja keine Haie anlocken, und zweitens sollte sich der Bursche nicht übernehmen, vor allem dann nicht, wenn man wie er ernährungsbedingt auf körperliche Einschränkungen Rücksicht nehmen sollte. Doch der Karlsson hielt sich gut. Von einem Knick in der Konditionskurve war nichts zu spüren. Seine Beine paddelten tadellos. 

Ich weiß noch, dass ich später ausgestreckt am Strand lag und dass mir Sand am Schnabel klebte. Mir zitterten die Flügel, meine Stimme war heiser. Vor mir tauchte in Großformat Mias linker Fuß auf.
„Da seid ihr ja wieder“, hat sie gesagt.
Ein Blick in die Runde gab mir Gewissheit: Wir alle hatten den ersten Fischfang überlebt. Dem Karlsson hing grünliches Lametta an den Hinterpfoten. Am Abend hat es der Luke zu einem Salat verarbeitet. Ansonsten war die Ausbeute – na, sagen wir mal – angebracht. Für den ersten Versuch ist ein einzelner Fisch doch völlig okay, oder etwas nicht?

Leider bin ich in Unterwasserdingen nicht gut genug bewandert, deshalb kann ich nicht sagen, wie der Fisch hieß, den wir gefangen hatten. Außerdem geht das Bildmaterial diesbezüglich auseinander. Vom Luke wurde mir kürzlich dieses Beweisdokument zugespielt:


Ich selbst hatte dieses Foto in der Kamera:


Was stimmt denn nun?

Natürlich wollte ich mich erst vergewissern, bevor ich mich hier dem Verdacht aussetzen müsste, ich täte irgendwas manipulieren. Doch leider kann sich keiner meiner Mitreisenden an den Fisch erinnern. Der Karlsson hat „Lass mich zufrieden damit“ gesagt, als ich ihn von meinem neuen Smartphone aus auf seinem neuen Smartphone angerufen hatte. Die Mia hat nur mit den Schultern gezuckt und ungerührt weiter mit der Cora am Telefon geplappert. Es ging, soweit ich mitgekriegt hatte, um das gemeinsame Verprassen von zwei Douglas- und zwei Cartier-Gutscheinen. Ich selbst sehe mich nicht in der Lage, eine eindeutige Entscheidung zu treffen. Ich weiß nur noch, dass wir den Fisch ausgenommen, auf einen Holzspieß gefädelt, ins Feuer gehalten und dem Karlsson gegeben haben – als Dank für seine immense Wasserpaddelei und natürlich, damit er mal was Aufbauendes zwischen die Zähne kriegte. Der Luke hatte ja stattdessen seinen Lametta-Salat, und die Mädels und ich waren sowieso nicht so dringend auf eine Fischmahlzeit aus.

Der Luke
Von nun an sind wir regelmäßig zum Fischen rausgefahren. Mit der Zeit kriegten wir es hin. Wir wussten, wann, wo und wie das Netz auszulegen war, um Karlssons Energie zu sparen. Er brauchte sich längst nicht mehr so abzurackern wie beim ersten Mal. Die Fische, die auf unserm Grill landeten, gaben uns zusätzlich recht. Zwar wussten wir nicht, ob giftige darunter waren, aber zur Vorsicht fehlte uns die Lust. Es machte Spaß, dem Karlsson zuzuschauen, wie ihm wieder die Bäckchen strahlten. Auch der Luke wusste die fischige Abwechslung zu schätzen und langte immer ordentlich zu. Mich störte allerdings, dass man von dem salzigen Zeug so 'nen Durst kriegte. Die Cora vermisste das Limetten-Dressing, und die Mia hatte sich gleich ganz ausgeklinkt. Sie blieb bei den Kokosnüssen, Omega-Fettsäuren hin oder her. „Bei „Fett“ schaltet sie sowieso immer gleich auf stur.

Mit dem Fischfang und neben der Kokosnussernte, dem Küchendienst, dem Wasserholen, Aufräumen und Holzsammeln blieb uns jetzt noch weniger Gelegenheit zur ausgeprägten Freizeitgestaltung als früher. Trotzdem war es während einer Siesta, als eines Tages die Mia angerannt kam, wild mit den Flügeln fuchtelnd und aufgeregt quiekend. Ich hatte gerade mit dem Luke über Sondersteuern für Dachtauben und Fledermäuse diskutiert, während die Cora und der Karlsson unterm Palmwedel lagen und dösten.
„Kommt schnell!“, hat die Mia gerufen. „Da hinten am Wasser ist was!“

Wir haben uns auf den Weg gemacht. 

Der Karlsson hat's rausgeholt

 Und tatsächlich, im Sand lag schließlich das hier:


Im ersten Moment hatte ich gedacht, hier hätte jemand seine Likörflasche hingeschmissen, aber dann fiel mir ein, dass wir es wohl mit einer Flaschenpost zu tun hatten. Aber wieso kriegten wir das Ding? Müsste es nicht umgekehrt sein? Schließlich waren wir verschollen und benötigten Hilfe und nicht andersherum.
„Uns wird doch wohl keiner nette Urlaubsgrüße senden?“, habe ich deshalb zu bedenken gegeben.
Der Karlsson hatte schon den Korken rausgezogen und das Papier entrollt. Wir steckten die Köpfe zusammen:



„Oh, Mann“, hat die Cora gehaucht. „Das glaub ich jetzt nicht.“

Irgendwie war ich beruhigt, dass sich niemand einen Scherz mit uns erlaubt hat. Die Flasche konnten wir gut gebrauchen für den Trinkwasservorrat. Den Zettel haben wir in Coras Pilzführer gelegt. Dann ging der Alltag weiter. Nur am Abend gab's noch einen kleinen Zwischenfall, als die Mia plötzlich schrill aufzujaulen begann.

Die Mia
„Wir kommen hier nie weg!“, hat sie geplärrt. „Wir müssen 112 Jahre hierbleiben! Ich will das nicht! Ich will fort! Tot oder lebendig!“
Die Cora musste wieder Händchen halten und gut zureden. Ich habe dem Karlsson und dem Luke gesagt, wie froh ich wäre, dass die Polly und die Amy jetzt nicht hier wären. Das gäbe ja was: mit Weibern auf 'ner einsamen Insel. Gott bewahre. Die beiden haben mir nickend zugestimmt.

In der Nacht hat die Mia dann Gott sei Dank Ruhe gegeben. Dafür sah es am nächsten Morgen komisch aus. Der Himmel hatte sich zugezogen. Statt Sonne und strahlendem Blau brauten sich graue Wolken zusammen.
„Gibt das Regen?“, hat der Luke gefragt.
Im Prinzip hatten wir ja nichts dagegen. Ein bisschen durchpusten an Körper, Geist und Landschaft war nicht verkehrt nach all dem täglichen Einerlei, doch wie gesagt, was sollten wir mit unserm Lagerfeuer machen?

Das Paradies kann auch anders

Leider blieb keine Zeit zum Nachdenken, denn ehe wir uns versahen, ging es schon los mit der Pladderei. Es begann zu schütten wie doll und verrückt. Dazu blitze und donnerte es. Wir haben uns ins Ruderboot gerettet. Dort lag eine Plane, noch von der Ausstattung der „Princess Graziella“, die wir bisher aber nie gebraucht hatten. Wir zogen sie uns über den Kopf. Stickig war's darunter und ehrlich gesagt auch ein bisschen miefig. Nasser Hund riecht eben streng.
„Du kannst ja aussteigen“, hat der Karlsson gesagt.

Als es aufgehört hatte und wir wieder an die frische Luft durften, war das Lagerfeuer natürlich unbrauchbar geworden. So 'n Mist aber auch. Woher sollten wir jetzt trockenes Holz kriegen? Und dann wieder die Ackerei mit dem Spiegel. Am Himmel sah es jetzt genauso aus wie immer. Die Sonne schien und die Wolken hatten sich verzogen. Irgendwie kam ich mir verarscht vor: einfach unser Feuer auspinkeln und dann so tun, als wäre nichts passiert. Die Cora tat seufzen.

Wir standen im Halbkreis vor dem Haufen, der einst unser Feuer gewesen war, und hielten eine Gedenkminute ab. Dabei kam wieder Wind auf. Ganz plötzlich. Mir fuhr es kühl durchs Gefieder. Sollte es gleich wieder losgehen mit der Gießerei? Ich habe mich umgedreht und aufs Meer geschaut. Huch! Da war jetzt aber was anders. Hallo? Dort hinten? Nee, halt, kann nicht sein. Lieber erst die Digicam holen und durch den Sucher gucken. Motiv ranzoomen.

Ach, du Scheiße!


Mir entfuhr ein Schrei. Alle Köpfe flogen rum. Danach hat erst mal keiner was gesagt. Alles gaffte angestrengt aufs Wasser. Der Mia stand der Schnabel offen. Der Luke hatte sich als Erster wieder im Griff.
„Ist das die Rettung?“, hat er gefragt.
Nee, wohl eher nicht. Oder fährt das Rote Kreuz unter dieser Flagge?


Wir machten, dass wir in den Grünzug kamen. Sicher ist sicher. Erst mal gucken, was passieren würde. Wir duckten uns. Durchs Gebüsch hatten wir einen guten Blick.

Fortsetzung folgt.

Fotos: Cora: © G.H.
          Luke: © Club der glücklichen Vierbeiner
          Karlsson: © Terrierhausen 

         Strand, Pizza, Pommes, Kuchen, Fleischplatte, Fische, Hai, Fisch im Sand, Flaschenpost, Papier, Strand dunkel,
         Schiff, Piratenflagge, Victory-Zettel, Stein: Pixabay

© Max: Papageiengeschichten 

Der Spruch des Tages (140)


© Max: Papageiengeschichten (Bild)

Mittwoch, 17. August 2016

Der Spruch des Tages (139)


© Max: Papageiengeschichten (Bild)

Dienstag, 16. August 2016

Der Spruch des Tages (138)


© Max: Papageiengeschichten (Bild)

Montag, 15. August 2016

Der Spruch des Tages (137)


© Max: Papageiengeschichten (Bild)

Sonntag, 7. August 2016

La isla bonita (7. Teil)

Herrliche Aussicht, aber noch immer keine Rettung in Sicht

Jeder, der schon mal auf einer einsamen Insel gestrandet ist, weiß, wie wichtig tägliche Routinen sind, damit man nicht wahnsinnig wird.

Seit unserm ersten Morgen im Ruderboot hatte ich die Sonnenaufgänge als Kalender mit einem Stöckchen in den feuchten Sand geritzt. Nur leider ist irgend so 'n Depp drübergelatscht, so dass bald keiner mehr wusste, wie lange wir hier schon festsaßen. Es waren jedenfalls etliche Tage und Nächte. Wir schliefen noch immer im Boot, allerdings ohne Wache, denn wir hatten ja das Lagerfeuer, das uns feindliche Besucher abhalten sollte. Außerdem hatte die Cora gemeint, dass Robinson Crusoe auch niemanden hatte zum Aufpassen und dass wir es daher mit Vertrauen probieren sollten – es werde schon nichts passieren. Morgens fanden sich manchmal komische Spuren im Sand, und im Dunkeln, wenn ich zum Klo ging, war es, als täte jemand im Gebüsch lauern. Gesehen haben wir aber nie jemanden. Vielleicht waren es Leute, die genauso viel Respekt hatten vor uns wie wir vor ihnen.

Morgendliche Fußspuren. War das 'n Seestern oder was?

Die notwendigen Arbeiten haben wir uns geteilt. Der Luke hat den Nachschub an Feuerholz besorgt. Der Karlsson ist dreimal täglich mit der Korkenbuddel und der Tupperdose zur Quelle marschiert, um Frischwasser zu holen. Meistens hat ihn einer begleitet. Füßewaschen in Süßwasser ist eben doch angenehmer, als wenn einem das Salz vom Meerwasser in den Federn kleben bleibt. Fürs Ernten und Aufhacken der Kokosnüsse waren nach wie vor die Mia, die Cora und ich zuständig. Die Mädels mussten außerdem aufpassen, dass das Feuer nicht ausging. Den Transport der Kokosnüsse zum Lagerplatz haben wiederum der Luke und der Karlsson übernommen (wegen unleugbarer körperlicher Vorzüge), während ich die aufgehackten Schalen entsorgen musste. Ich habe sie einfach in den Grünzug gekippt. Später, als behauptet wurde, es täte hier so merkwürdig nach Komposthaufen miefen und das sei störend beim Liegen unterm Palmwedel, habe ich sie weiter ins Landesinnere getragen.

Bei der Gelegenheit konnte ich mich von der Existenz schillernder Insekten überzeugen. Manche sind geflogen, andere gekrabbelt, freundlich geantwortet auf meine Ansprache hat aber niemand.

Grünzugbewohner: Fehlt nur noch die Sonnenbrille und das Goldkettchen

Nach dem Sonnenuntergang waren dann die Moskitos dran, immer schön ums Lagerfeuer herum. Zum Wahnsinnigwerden. Meistens hat die Cora mit Mias Bikinioberteil in die Versammlung gewedelt, um Linderung zu erreichen, aber das Kroppzeug ist nur kurz auseinandergestoben und gleich wieder in Formation zurückgekehrt. Mückensalbe hatte die Mia natürlich nicht in ihrer Strandtasche dabei. Ich war total zerstochen.
„Hast du Pubertätsakne?“, hat der Luke blöde gegrinst.
Der hatte gut lachen, der mit seinen Fellpuschen an den Füßen. Genau wie der Karlsson. Denen penetrierte so schnell keine Mücke den Woll-Overall, aber wir Amazonen haben nun mal nackte Beine, da ist man rasch zum Festtagsbraten geworden. Später haben wir Moos ins Feuer gelegt, damit es ordentlich qualmte. Das half. Die Mücken waren weg.

Einmal, als wir abends ums Feuer saßen und dabei waren, den Text von „Hoch auf dem gelben Wagen“ einzustudieren, ist doch glatt eine ganze Staffel Fledermäuse über uns hinweggeflogen. Könnt ihr euch das vorstellen? Ich meine, dass es in der Karibik sehr viele Fledermäuse geben täte und dass sie im Dunkeln durchaus agil wären, das hatte ich im Reiseführer gelesen, doch dass die dann tatsächlich die Stirn hätten, sich bei uns blicken zu lassen und auf uns runterzugucken wie bei der Besichtigung exotischer Touristen beim Strandurlaub, das hat mir die Sprache verschlagen. Auf Näheres möchte ich an dieser Stelle nicht eingehen; das sind die Idioten nicht wert. Nur das zur Illustration: Kokosnussstückchen und eine leere Tupperdose, abgefeuert im Salventakt, haben nur knapp ihr Ziel verfehlt. Ha! Fast hätte es geklappt, die gesamte Nachhut wäre vom Himmel geholt worden, es fehlten nur Millimeter. Der Karlsson und der Luke haben anerkennend Beifall geklatscht, die Mia hat den Kopf geschüttelt und die Cora hat geschrien:
„Hey, mein Pilzführer! Gib den sofort wieder her!“

Unser Lagerfeuer: warm und heimelig

Anschließend sind wie allesamt im Sand herumgekrochen und haben die Kokosstückchen wieder aufgesammelt. Die brauchten wir ja noch fürs Frühstück. Die Mia hat sie im Meer gespült und in einem gerollten Blatt ins Ruderboot gelegt.

Seht ihr? Davon erfährt man bei Robinson Crusoe natürlich nichts. Bei dem liest sich alles so einfach und gradlinig und locker-flockig wie ein Roman. Der war nur 'n bisschen einsam und hat sich 'ne Hütte gebaut. Aber die wirklichen Probleme – Müll, Mücken, Fledermäuse –, die werden schamhaft verschwiegen. Und dass Hunde schnarchen, das sollte man ruhig auch mal erwähnen.

Luke
Wenn wir fertig waren mit dem Überleben, hatten wir Freizeit. Viel blieb nicht übrig, aber gerade der Müßiggang wollte gut genutzt sein, damit ein Leerlauf nicht zu trüben Gedanken führte. Ihr kennt doch Shackleton? Das war der Leiter der britischen Endurance-Expedition in die Antarktis 1914-1917. Dabei ist ihm das Schiff im Eis stecken geblieben. Er hat es dann geschafft, Hilfe zu holen, so dass die ganze Mannschaft gerettet werden konnte. Das war eine Leistung, von der man  noch heute spricht. Und während der langen Monate, in denen man untätig festgesessen hatte, bevor man sich zu diesem Ausbruch entschloss, hatte Shackleton seine Männer ordentlich in Trab gehalten, weil er wusste, dass Beschäftigung ein prima Mittel gegen den Lagerkoller ist. Sie haben Fußball gespielt auf dem Eis und jeden Geburtstag gefeiert mit einem Pomp und Brimborium wie nicht ganz dicht.

Nun, Geburtstag hatte bei uns gerade keiner, aber ich bin mir sicher, dass unsere wöchentliche Aussprachestunde viel Unheil verhindert hat. Man ist ja angewiesen aufeinander auf so einer Insel, und es ist wichtig, dass man ein offenes Ohr hat für die Sorgen und Nöte seiner Mitreisenden. Daher musste jeder eine besonders intime Begebenheit aus seinem Leben erzählen. So was schafft Vertrauen. Wir saßen ums Lagerfeuer und haben aufmerksam zugehört, was jeder reihum zu beichten hatte.

Selbstverständlich verkneife ich mir an dieser Stelle jede Indiskretion über das Gesagte. Ich bin schließlich keine Labertasche. Ich verrate lediglich die Stichworte meines eigenen Beitrags, denn das darf ich ja. Mein peinlichstes Erlebnis handelte von einem rötlich geringelten Kater aus dem nördlichsten Bundesland, der in einem Ort in Wales namens Conwy ein stattliches Schloss zu einer Ruine gepopelt hat.
„Oh-ha, das wusste ich nicht“, hat der Karlsson gestaunt.
Ja, siehste mal? Dafür sind solche Beichtgespräche da. Ich konnte direkt spüren, wie der Zusammenhalt nach diesen Terminen immer noch ein wenig fester wurde.

Die Cora am Strand

Ansonsten haben die Mia und der Luke gern Tic-Tac-Toe gespielt. Das Spielfeld haben sie in den nassen Sand geritzt. Oft haben wir auch schießen geübt. Mias Bikinihose war die Zwille (klasse elastisches Material), ein Steinchen das Geschoss und geschnitzte Kokoshütchen das Ziel. Die Cora kriegte das am besten hin.
„Muss ich jetzt daaaa hinzielen?“, hat sie immer gerufen.

Sportliche Wettkämpfe waren besonders zwischen den Vierbeinern beliebt. Der Karlsson und der Luke haben gern Kugelstoßen gemacht – mit kleinen Kokosnüssen: Anlauf nehmen, wegstemmen – puff – klatschte das Ding dumpf in den Sand. Wer jetzt aber denkt, dass der Karlsson wegen seiner Größe im Vorteil gewesen wäre, der irrt. Dem Luke kamen seine morgendlichen Fitnessübungen zugute und sicher auch seine langjährige Müsli-Ernährung, die er ja nur hier vor Ort der Not gehorchend aufgegeben hatte. Ich war der Schiedsrichter. Einmal hätten sie mir fast so 'n Geschoss auf die Zehen gedonnert.
„Dann nimm doch deine Quanten weg, du Shackleton“, hat der Karlsson gesagt.

Ich

Außerdem hatten wir für abends ein Unterhaltungsprogramm eingerichtet. Der Austragungsort war wiederum das Lagerfeuer. Jeder musste was zum Besten geben, irgendwas, was er besonders gut konnte oder wusste. Ich zum Beispiel habe über die verschiedenen Ausführungen von Machtboxgaragen referiert und etliche Folgen von „Star Trek“ nacherzählt. Der Luke hat uns über probiotische Ernährung aufgeklärt und fachliche Kniffe zur Ausübung des Kammerjägerberufes verraten. Vom Karlsson haben wir erfahren, wie es sich anhört, wenn Miles Davis auf der Trompete bläst (inklusive akustischer Proben), und dass leicht abgelaufene Mortadella-Scheiben keineswegs gesundheitliche Schäden verursachen müssen, auch dann nicht, wenn die Scheiben schon einen leicht schmierigen Belag aufweisen.

Die Mia
Andere Darbietungen dagegen sind nicht so gut angekommen, unser Rülpswettbewerb zum Beispiel.
„Ihr seid Idioten, Jungs“, hat die Mia gemeckert.
Sie selbst war allerdings ebenfalls ausgebremst worden. Sie hatte nämlich eine Modenschau veranstaltet. Wie auf dem Laufsteg war sie ums Lagerfeuer gedackelt mit ihren kurzen Beinchen und hatte neckisch wippend ihren Bikini vorgeführt – und Coras Badeanzug gleich mit. Als sie uns am nächsten Abend den gleichen Ablauf noch mal präsentieren wollte, haben wir uns beschwert.
„Püh, das ist doch die gleiche Kollektion“, hat der Luke gesagt.
„Ja, ausziehn! Ausziehn! Ausziehn!“, ist der Karlsson ihm zur Hilfe gekommen.
Aber da war die Mia beleidigt. Sie wäre nicht „so eine“, die sich nackig machen täte, hat sie gejammert. Das hätte sie nicht nötig. Wir wären Ferkel, und sie würde jetzt den Bikini ausziehen und nie wieder was mit Mode für uns machen.
„Auch nicht Table Dance?“, habe ich gefragt.
Dafür ist mir 'n Stück Kokosnuss an den Kopf geknallt. Dabei waren diese Programme ja gerade dazu gedacht, um Aggressionen gar nicht erst aufkommen zu lassen.

Bei der Cora lag der Fall anders. Ihre Ausführungen waren von hohem Niveau, gut strukturiert und sehr professionell vorgetragen. Lediglich der Inhalt wurde nicht von jedem positiv aufgenommen. Insbesondere der Karlsson hatte gegen nervliche Erschütterungen zu kämpfen. Immer wieder versagte ihm die Stimme, traten ihm Tränen in die Augen, gerieten seine Locken ins Zittern. Um Schlimmeres zu verhindern, haben wir Coras Vortrag schließlich abgebrochen. Es ist eben nicht jedem gegeben, bei täglicher Kokosnuss-Ernährung wertfrei einem Referat über Kochrezepte zu Cordon Bleu, Grillrippchen mit Zwiebelringen oder Osso buco mit Frühkartoffelchen zu lauschen. Hier drohten sich Szenen abzuspielen wie bei Asterix und Obelix, als sie Majestix zu seinem Kuraufenthalt begleiteten. Dort gab es sogar eine Schlägerei im Speisesaal, als die beiden Wildschwein serviert bekamen, während die Diätpatienten vor ihren Gemüsetellern hockten, bis ihnen die Nerven durchgingen und sie revoltierten. So was wollten wir auf keinen Fall riskieren. Uns allen hing das ewige Kokosnusszeugs natürlich auch schon längst zum Hals raus, aber die Mädels und ich sind sowieso Vegetarier (meistens wenigstens) und der Luke war auch daran gewöhnt, nur der Karlsson musste derart tiefgreifende Entbehrungen erleiden, dass niemand die Verantwortung für seine psychische Gesundheit übernehmen wollte. 

„Gut, dann zeige ich euch eben stattdessen, wie das geht mit dem Wünschelrutenlaufen“, hat die Cora gesagt.
Au ja. Allerdings haben wir gewartet bis zum nächsten Morgen, weil wir nicht im Dunkeln so weit in den Grünzug hineingehen wollten. Jeder kriegte nacheinander die kleine Astgabel, die bei der Cora so guten Erfolg gezeigt hatte, in den Schnabel beziehungsweise in die Schnauze gesteckt, und schon ging's los in der Schlangenformation ins Gebüsch mit dem Protagonisten vorweg und wir andern hinterher. Nur einer hatte jeweils vorher mit der Machete (Lukes Krallen) den Weg vorbereitet. Unterwegs wurde gewechselt. Doch bei keinem von uns hat die Rute ausgeschlagen, nicht bei einem einzigen. Sogar dann nicht, als der Luke mit dem Ding genau vor unserm Süßwasserbächlein stand. Das gab zu denken.
„Cora, hast du vielleicht Wasser in den Beinen?“, hat der Karlsson gefragt. „Dass es das ist, was bei dir anschlägt …?“
Ooouuuh, wenn Blicke töten könnten.


„Macht doch euren Scheiß allein“, hat die Cora gekeift. „Ich war fünf Doppelstunden in der Volkshochschule. Und ich hab 'n „Sehr gut“ gekriegt.“
Dann flog der Kopf herum und die Cora ist schnaubend abgedampft. Auf dem Rückweg hat sie die Zubereitung von Spanferkel mit Kroketten und Rotkohl durch den Urwald gebrüllt, konsequent mit allen Zutaten und Arbeitsschritten. Ich war froh, als wir ohne Kampfversehrte unsern Lagerplatz erreichten. Ich hatte mit Invaliden gerechnet.

Bei einer dieser Abendprogramme war auch die Sprache darauf gekommen, dass wir Amazonen doch Flügel hätten, und wären wir nicht ohnehin hier in der Nähe beheimatet? Wie wär's? Könnten wir nicht Hilfe holen, anstatt hier nur dekorativ herumzusitzen? Nun, ohne Anhaltspunkt am Horizont, einfach so ins Blaue hineinzufliegen, das kam schon mal gar nicht in Frage. Wir waren schließlich nicht lebensmüde. Und was unsere Herkunft betrifft, so stammen die Mia und ich in der Tat aus der Gegend, aus Costa Rica. Das ist allerdings noch weiter südlich. Wir pflegen keine verwandtschaftlichen Beziehungen, deshalb haben wir auch niemanden, den wir hier ansprechen könnten. Coras Vorfahren stammen aus Venezuela. Das ist noch weiter weg. Also mal die Füße stillgehalten, ja? Nur weil wir grün sind und aus Lateinamerika kommen, heißt das noch lange nicht, dass wir Aufklärungsflieger sind. Wir sind Zivilluftfahrt und gewöhnliche Touristen, nicht mehr und nicht weniger. Dass das mal klar ist.

Die Sache mit dem Essen, da hatte Karlsson allerdings recht, da musste dringend etwas geschehen. Mir war so, als hätte er deutlich abgenommen. Seine Locken waren auch nicht mehr so niedlich gekrullt wie früher. Der Mann baute ab. Kokosnüsse sind auf die Dauer nichts für Terrier. Fleisch musste auf den Tisch. Dringend. 

Karlsson: ausgezehrt auf dem Ruhelager im Ruderboot

Doch wie sollten wir das hinkriegen bei dem unklaren Warenangebot und bei dem Heimvorteil der Beuteseite? Nach längerem Hin und Her haben wir uns daher entschlossen, es mit dem Fischfang zu versuchen. Das Meer war voller Fische, man brauchte sie nur herauszuholen. Für diese Aufgabe wäre der Luke als Kater natürlich die ideale Besetzung gewesen, doch leider können Katzen nicht schwimmen. Amazonen können das auch nicht, also blieb nur der Karlsson übrig.
„Aber da sind doch Haie drin!“, hat er gemeckert.
Na und? Das Rettungsboot damals hatte er doch auch unfallfrei an Land geschoben, trotz ungewissen Haiaufkommens.
„Du musst eben nicht so mit dem Schwanz quirlen beim Schwimmen.“
Das hatte ich ihm damals schon geraten, und es hatte ja auch funktioniert.

Der Karlsson kriegte Mias Kosmetiktäschchen umgehängt als Einkaufsbeutel. Ihre Nagelfeile haben wir ihm als Dolch an die rechte Pfote gebunden mit einem Gummiband aus Coras Erste-Hilfe-Set. Außerdem habe ich ihm noch meine Digicam mitgegeben. Die ist wasserfest. Damit sollte er Bilder machen, damit wir zu sehen kriegten, wie es dort unten aussieht. Mit einem beherzten „Glück auf!“ haben wir ihn verabschiedet. Wir konnten sehen, wie der Karlsson langsam in die Fluten stieg. Er hat sich nicht umgschaut. Schließlich war nur noch kurz sein Hintern zu sehen, dann war er weg. Wir haben uns in den nassen Sand gesetzt und gewartet.

„Wenn das mal gut geht“, hat die Mia geseufzt.
„Ach was, der weiß sich schon zu helfen. Notfalls macht er einen auf Kung Fu“, habe ich gesagt.
Wir waren kurz vorm Sonnenstich, als plötzlich 'n nasser Yeti aus den Fluten gestiegen kam. Wir haben die Hälse gereckt. Aber es war nur der Karlsson, der wieder zurück war. Alles war noch dran, Schwanz heil, Frisur okay. Das gab vielleicht 'n Hallo. Die Mia ist ihm um den Hals gefallen.

Bei der Nachbereitung der Expedition kamen allerdings die Schwachpunkte zum Vorschein. Der Karlsson hatte keinen einzigen Fisch gefangen.
„Macht ihr das mal, wenn die Biester dauernd wegglitschen!“
Die Fotos, die er geschossen hatte, waren allerdings nett anschauen:


Sehr schön


Eine Anemone, nicht?


Noch so 'n Grünzeug


Huch!


*gähn*


„Vielleicht ist das Atlantis?“, hat die Mia gehaucht.

Blödsinn. Atlantis. Wenn ich das schon höre. Das ist Bimini. Dort gibt es Steinformationen auf dem Meeresgrund, die so aussehen wie alte versunkene Straßen, aber das hat die Wissenschaft längst geklärt, dass dort nichts versunken ist, sondern dass diese Formationen natürlich entstanden sind.
„Aber ist Bimini nicht viel weiter nördlich?“, hat der Luke dazwischengequatscht. „Sogar noch vor den Bahamas? In Richtung Florida?“
„Ja, genau, das ist doch ganz woanders“, hat sich nun auch die Cora eingemischt.
Dilettanten. Wie wussten die denn, wo wir hier waren? Der Karlsson hatte jedenfalls keinen Fisch mitgebracht, und einen Hinweis zur geografischen Orientierung ergaben seine Bilder leider auch nicht. Also warum weiter diskutieren? Wir sind zurück zum Lagerplatz gegangen.

„Ich kann diese fiesen Kokosnüsse nicht mehr sehen“, hat der Karlsson gebebt.
„Nu wart erst mal ab“, hat die Mia getröstet.
„Ja, du hast 'nen echt tollen Job gemacht“, musste die Cora noch hinterhersülzen.

Mir war nicht klar, woher die Mädels ihren Optimismus nahmen. Ich fand nicht, dass wir einen Schritt weitergekommen waren. Wir hatten nichts Neues zu futtern und wussten immer noch nicht, wohin es uns verschlagen hatte. Aber davon wird noch in der nächsten Folge genug zu berichten sein.

Fortsetzung folgt.

Fotos: Cora: © G.H.
          Luke: © Club der glücklichen Vierbeiner
          Karlsson: © Terrierhausen

         Abendlicher Strand, Fußspuren, Fliege, Feuer, Strand, Fischschwam, Anemone, Anemone 2, Seekuh, Fische: Pixabay

© Max: Papageiengeschichten