Donnerstag, 14. April 2016

Die drei Ks: Karlsson, Kunst, Kultur (6. Teil)

Jack und Karlsson: auf nächtlicher Sause

Wir sind durchs Viertel geschlendert. Inzwischen war es dunkel geworden. Hier in Montparnasse befindet sich auch der Eingang zu den Katakomben. Das waren früher mal Stollen für Untertagesteinbruch. Später (seit 1785) hat man die Höhlen und Gänge als Friedhof benutzt. Das Labyrinth schlängelt sich unter Paris entlang – wer hätte das gedacht? –, und irgendwo auf den gut 300 Kilometern sollen auch die staatlichen Goldreserven lagern.

Um die hatte ich keine Sorge, denn Gold wird ja wohl nicht riechen. Aber die aufgeschichteten Gebeine, die kann man besichtigen, und welche Wirkung Knochen auf Terrier haben, das weiß ich zwar nicht, kann's mir aber denken. Ich meine, nicht dass der Karlsson sich plötzlich als Archäologe berufen fühlte und in die Stollen reinlief, um eine zweite Venus von Milo auszugraben, und wir müssten dann hinterherlaufen und ihn suchen. Deshalb war ich heilfroh, dass der Eingang sowieso geschlossen war. Morgen erst wieder, doch dann wären wir bestimmt schon woanders. Hoffentlich. 


Gott sei Dank stand dem Karlsson der Sinn ohnehin nach anderem. Er hatte glänzende Augen, die Nasenlöcher taten gierig vibrieren. Sein Interesse galt den Galerien. Hier gab es Versuchungen ohne Ende. Er würde doch wohl nicht in so 'nen Schuppen reingehen wollen? Gemälde begucken? Das fehlte gerade noch. Wozu sind wir im Louvre gewesen? Und dann auf einmal war die Mia schneller.

Aus einem der hell beleuchteten Schaufenster kamen Gelächter und  Klaviergeklimpere.
„Hier ist Vernissage“, hat die Mia gesagt. „Da gibt’s was umsonst, da gehen wir mal rein.“
Hinter der Eingangstür wurden wir allerdings nach den Eintrittskarten gefragt. Wir haben uns doof angeguckt. Nicht so die Mia:
„Aber ich bitte Sie, mein Lieber … Ich bin eine gute Freundin von Jean-Luc … und von Charles … und von Jeanne.“
Und tatsächlich – wir durften reinkommen.
„Einer der Namen klappt immer“, hat die Mia gegrinst.

Der größte Andrang war wohl schon vorüber, denn am Büfett wurden gerade die Platten aufgefüllt. In geschlossener Formation sind wir vorgerückt. Dann das blanke Entsetzen: schon wieder Fisch!



Der Pit hat gleich zugelangt. Den haben wir die nächste halbe Stunde nicht mehr gesehen. Wir andern konnten Gott sei Dank weiter hinten doch noch was Essbares ergattern, und so saß der Karlsson mit einem Hähnchenschenkel zwischen den Vorderpfoten auf dem blanken Boden vor einer Ausstellungswand, betrachtete die gerahmten Bilder und erklärte dem Lütten, der neben ihm hockte, gläubig seinen Worten lauschte und dabei eine Frikadelle mampfte, was von der offerierten Kunst zu halten sei.

Ich dachte, ich hör nicht richtig!

Die beiden oberen Bilder fand er genial, das untere links etwas müde in der Motivwahl und den Warhol rechts unten zwar professionell umgesetzt, aber aufs Porträt reduziert kindisch und trivial, ja geradezu kitschig:


Ich habe dem Lockenwiesel mit dem Teelöffel ein gekochtes Ei an den Hinterkopf geschossen. Selbst schuld, wenn er den Täter nicht entdeckte. Auf dem Ei ist später ein Mann ausgerutscht. Die Ambulanz musste kommen, der Mann wurde auf die Trage geschnallt und ins Schubfach geschoben.
„Trinkt aus, Mädels“, habe ich zur Cora und zur Mia gesagt. „Wir gehen besser.“
Am liebsten wäre ich zurück ins Hotel gefahren; ich war müde. Aber nein, die Herrschaften wollten noch in die Kneipe gehen.
„Waschlappen“, hat der Karlsson gemurmelt.

Irgendwann geht das Viertel Montparnasse ins Quartier Latin über. Die Grenzen merkt man nicht. Es sind genug Leute unterwegs, auch viele Studenten, weil die Sorbonne in der Nähe liegt. Der Karlsson hat uns einen Pastis ausgegeben. Das ist ein französischer Traditionsschnaps. Der Lütte kriegte wieder einen Cidre. Bei 40 Prozent Alkohol merkt man den süßlichen Geschmack nicht mehr so dolle; es wird einem schnell warm im Gehirn. 

Um Mitternacht haben wir den Karlsson in die U-Bahn geschoben und gesagt, er soll um Gottes Willen aufhören, Weihnachtslieder zu singen. Die Leute guckten schon. Im Hotelzimmer hat er sich auf sein Schnarchkissen geschmissen und ist sofort eingepennt. Der Jack ist die halbe Nacht hin und her gerannt, vom Bett zum Waschbecken und zurück. Das Sushi-Zeugs war salzig gewesen. Immer wenn ich gerade eingeduselt war, ist das Licht wieder angegangen. Am Morgen war ich wie gerädert.

Dafür hatte das Lockenwiesel beste Laune. Einmal linkes Bein vor, einmal rechtes Bein abgestreckt: morgens Paris Hotelzimmer – die Frisur sitzt. Auch am Frühstücksbüfett machte sich die Übung bemerkbar. Inzwischen konnte der Karlsson die Wurstscheiben zielsicher vom Tablett fressen, ohne dass die Petersilienbüschel und Radieschenrosen quer durch die Gegend flogen.
„Du legst dir die Wurst auf den Teller!“, hat die Cora den Lütten ermahnt.
„Esskultur ist auch Kultur“, hat die Mia hinzugefügt.
Eigelb tat ihr den Schnabel runterlaufen.

Was stand als nächstes an? Sprich, Mon Général. Die Kompanie war zum Geländemarsch bereit. Es sollte unser letzter kompletter Reisetag werden. 
„Sacré-Cœur, hat der Karlsson gesagt.
Also schön, noch mal Kirche. Diesmal aber mit Rundkuppel und viel jünger.


Wir sind mit der Metro gefahren. Das letzte Stück muss man zu Fuß gehen, weil die Kirche auf einem Hügel steht, und da heißt es, Hang überwinden. Dafür gibt es Treppen. Sie sind teilweise recht steil.
„Mit dem Rollator kommt man hier nicht weit“, hat die Cora bemerkt.
Für uns waren die Stufen natürlich kein Problem. Wir Vögel sind geflogen, die Vierbeiner gerannt. Wir waren gerade oben angekommen, da machte es „dong-dong-dong“ und etwas Schwarzes, Schweres ist hoppelnd den Anstieg wieder runtergesaust. 
„Mein Rucksack!“, hat der Pit geschrien.
Der Karlsson ist gleich nachgehechtet.

Der Karlsson: hurtig

„Was hast du da bloß drin?“, haben wir uns gewundert, als der Karlsson zurück war.
Ich fass es nicht! Eine Konservendose, 800 Gramm mit Henkelverschluss.
„Escargots? Das sind doch Schnecken“, hat die Mia gemeint.
Der Karlsson war eingeschnappt:
„Bei mir braucht nun wirklich keiner zu hungern.“
Ich fand es eher bemerkenswert, wo der Kerl das Zeug herhatte, wenn er doch die ganze Zeit mit uns zusammen gewesen ist. Gelle? Das war ein Mysterium, das sich der allwissenden Terrier-Magie entzog.
„Dir doch auch, du eingelaufener Truthahn“, hat der Karlsson gezischt.

Konnten wir jetzt endlich die Kirche besichtigen gehen? Die Mädels waren ungeduldig. Der Lütte hatte inzwischen vor lauter Langeweile Sabberlöcher in unsern Stadtplan gestanzt.

Die Kirche Sacré-Cœur ist als Wallfahrtskirche gebaut. Sie stammt aus dem 19. Jahrhundert. Dass sie aussieht wie aus dem Orient, ist natürlich Absicht. Man hat sich von der Hagia Sophia in Istanbul inspirieren lassen und auch vom Markusdom in Venedig. Seht ihr?


Trotzdem glaube ich, dass die meisten Touristen hierher kommen, weil man so einen tollen Blick auf Paris hat, denn es gibt ja noch viele andere wertvolle Kirchen in der Stadt, die aber nicht so berühmt und so überlaufen sind. Tja, wenn ich das gewusst hätte, dass man bei Sacré-Cœur ganz ungefährlich fest auf dem Boden stehen und dennoch einen Rundblick genießen kann, hätten wir doch mit dem Karlsson hier begonnen, statt seine Ausreden am Eiffelturm, in Notre Dame und am Montparnasse zu ertragen. Hier konnte man runtergucken und dabei sogar eingemachte Schnecken aus der Konservendose futtern, so wie der Pit es tat, und zwar ohne dass einem dabei im geringsten schwindelig wurde.
„Na, Sir Hillary?“, habe ich zum Lockenwiesel gesagt. „Geht doch, oder nicht?“


Die Mädels waren schon wieder unruhig. Die wollten Action. Natürlich wussten sie, dass wir im Viertel Montmartre waren und da wird einem ja einiges geboten für Touristen. Das kann man in jedem Reiseführer lesen.

Wir sind durch die Straßen gelaufen, frei nach Schnauze. Viele Stände gibt es dort mit Souvenirs und vor allem mit Gemaltem: die Seine als Postkarte, Sacré-Cœur als Postkarte, der Eiffelturm als Postkarte oder auch andere Motive in jeder Größe und jeder Machart. Wer was sucht für sein Wohnzimmer überm Sofa, der wird fündig.

Die Cora: neugierig

Man kann sich sogar selbst malen lassen, an Ort und Stelle. Viele Porträtmaler bieten dort ihre Dienste an. Man muss nur etwas Geduld mitbringen, aber ich fand, das war immer noch besser, als mit den Weibern in Boutiquen rumzugurken oder vor doofen Schaufenstern warten zu müssen. Wir Männer sind so lange was trinken gegangen, während die Mia still sitzen und die Cora ihr dabei assistieren tat.
„Muss man beim Modellsitzen nicht die Klappe halten?“, hat der Lütte gefragt.
Oh-ho, ich staune, aus dem wird bestimmt noch mal ein tiefgründiger Philosoph. Oder ein exzellenter Psychologe.

Karlsson und Pit: durstig

Das Gemälde ist dann recht bunt geworden.
„Das schenke ich dem Harald“, hat die Mia geschmalzt.
Jo, der wird sich freuen. Eine Spanplatte dahinter, das Ganze an einen Pflock genagelt und in den Schlamm gehämmert.
„Wieso?“, hat der Karlsson gefragt.
Na, der Harald ist doch ein Schwan. Er lebt auf dem Ententeich. Mit Kunst hat er nichts am Hut. Das gluggert ihm doch alles ab.
Der Glückliche.

Später waren wir essen. Bloß nicht wieder Fisch. Und das hatten wir inzwischen auch schon rausgekriegt: In Frankreich verzehrt man seine Bestellung im Restaurant meistens als Menü: Vorspeise, Hauptspeise, Dessert. Wir haben deshalb unser Fleisch dreimal bestellt: einmal als Vorspeise, einmal als Hauptspeise und einmal als Dessert, schließlich wollten wir uns nicht sagen lassen, dass wir nicht lernfähig wären.
„Esskultur ist auch Kultur“, hat die Mia zusammengefasst und mit Schmackes das Messer in die Hackrolle gerammt.


Dann wurde es allmählich Zeit, sich aufs Abendprogramm vorzubereiten. Wir würden am Montmartre bleiben. Der Karlsson hatte was von Pigalle gesagt. Da war ich ja mal gespannt.

Fortsetzung folgt.

Fotos: Cora © G.H.
          Pit und Jack © Club der glücklichen Vierbeiner
          Karlsson © Terrierhausen

          Straßencafé, Büfett, Ausblick, Sacré Coeur 1, Sacré Coeur 2, Straße, Cevapcici, Straße Gemälde
          Montmartre Treppen Hagia Sophia, Markusdom: Pixabay

© Max: Papageiengeschichten 

4 Kommentare :

  1. Pigalle, Pigalle ist eine kleine Mäusefalle... ach war das schön. Ich bin voll auf meine Kosten gekommen...das Fischbüfett war ein einziger Traum, lange nicht mehr so gut gegessen.

    Pit

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    1. Das hätte ich mir ja denken können, dass du mal wieder nur futtern im Sinn hast. Hallo? Wir waren in einer Galerie. Dort schaut man sich Kunst an. Und wenn man nichts davon versteht oder wenn einem das Gelumpe vollkommen egal ist, dann tut man wenigstens so, als sei alles ganz furchtbar interessant. Aber wenigstens die Gräten hattest du ordentlich übereinander gestapelt. Das Büfett sah zwar leer gefressen aus, aber noch manierlich zusammengeräumt.

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  2. Hab ich mir doch gleich gedacht, dass du das warst mit dem Ei, Max. Immerhin war es ein gekochtes. Aber du musst doch selber zugeben, dass dieser müde Warhol-Abklatsch völlig uninspiriert daher kam. Kaum besser als das leicht unglückliche Mia-Portrait, das ihr nun wirklich nicht gerecht wird. Kunst kommt nun mal können. Nicht von wollen. Sonst hieße es ja Wunst.
    Apropos Wunst: Die Wurst vom Frühstücksbuffet war herrlich und erst der Hühnerschenkel von der Vernissage. Kulinarisch gesehen war die Reise ein Volltreffer. Darauf einen Pastis! Trinkt jemand mit?
    Karlsson

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    1. Da muss ich dir leider widersprechen, Karlsson. Den Warhol mit den Amazonenköpfen fand ich sehr gelungen: originell, geschmackvoll, rassig. Aber wenn ich deinen Kommentar so lese, komme ich zu dem Schluss, dass ein Stillleben aus Mettwurst, Parmaschinken und Cabanossi deinem Kunstverständnis mehr entsprochen hätte. Du bist nichts anderes als 'n verkappter Banause, du Schluckspecht, du.

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