Donnerstag, 25. Februar 2016

Edeltraut - in delikater Mission (4. Teil)

Mia, Cora, Pit, ich
„Fahren wir heute nach St. Moritz?“, hat die Mia am Morgen gemeckert. „Hier kennen wir doch schon alle Geschäfte.“
Oh, Mann. Wie kann man drei strassbesetzten Gehirnzellen klarmachen, was Raum und Zeit ist?
„St. Moritz ist hier nicht. Das ist weiter weg. Da kommen wir nicht hin.“

Aber wir hatten was anderes Schönes vor.

Plötzlich nämlich war die Pitomba in unser Frühstückscafé gehoppelt. Dem Pit war vor Schreck das gekochte Ei aus der Pfote geflutscht und im hohen Bogen im Müsli-Büfett gelandet. Wir andern waren starr vor Überraschung.
„Hallo, Papa!“, tat sie rufen. „Hallo, Leute!“
Damit waren wir gemeint. 

Sie trug ein rotes Pelzkrägelchen (in der Farbe sehr ähnlich dem Rot von Pidders Buckelwal-Plastik vom Foto gestern), in der rechten Pfote baumelte ein Operntäschchen. Sie pulte den Kordelzug auf und holte einen gefalteten Schein heraus.
„Hier, Papa, schenke ich dir. Ich kenne den Betreiber. Ein absolut zuverlässiger Mann. Er wird alles regeln.“
Dann warf sie den Kopf in den Nacken, so dass die Löffel leicht ausschwangen wie die Gondeln vom Kettenkarussell, kicherte einmal kurz auf und verschwand zur Tür hinaus.

„Was war das denn?“, hat die Cora gesagt.
Um unser Brötchensortiment lag ein Duft von Vanille, Patschuli und Rosenholz.
„Ein bisschen schwer für morgens“, fand die Mia.

Das gefaltete Stück Papier entpuppte sich als Gutschein, und zwar für einen Flug mit dem Gleitschirm. Paragliding hieß das hier. Pits Mimik erfuhr eine leichte Schräglage. Wir andern fanden das toll. Fast hätte man von Neid sprechen können. Lautlos durch die Lüfte segeln! Frei! Ungebunden! Wie ein Adler! Die Kraft der Naturgewalten spüren! Wind auf der Haut! Atemberaubender Ausblick! Glück! Kraft! Harmonie!
„Haa-haa-haa … ihr verarscht mich“, tat er jammern. „Ich geh da nicht hin.“

Und ob der Pit dahin ging! Dafür haben wir schon gesorgt. Er wurde vor uns hergetrieben. Leichte Tritte mit gespitzten Krallen hielten ihn auf Kurs. Hinein ins Taxi, vor der Stadt wieder heraus. Wir standen an einem Abhang. Der Leiter des Schirmverleihs kam angelaufen.
„Guten Tag. Wer möchte fliegen?“
„Der geringelte Herr hier.“
Und schon wurde ein Drachen herbeigezerrt und die Verschnürung angelegt.


„Pit, hast du auch deinen warmen Wintermantel angezogen?“, tat die Mia kichern.
„Ja, und willst du vorher nicht noch mal aufs Klo?“, hat die Cora hinzugefügt.
„Halt dich wacker, Junge!“, habe ich gesagt und dem Verschnürten aufmunternd den Hals geklopft.

Dann ging's los. Der Drachen kriegte einen Schubs, sofort befand sich der Pit in der Waagerechten, um ihn herum nur Luft. Wir standen andächtig dabei. Geschrien hat er zwar nicht, aber an seiner Haltung musste er noch arbeiten; das sah noch ziemlich unprofessionell aus:


Huch! Kopf hoch, Beine gerade, Körperspannung!


„Weiß der eigentlich, wie man wieder runterkommt?“, hat die Cora gefragt.
Der Verleiher versicherte uns, dass der Drachen aufgrund der Thermik von ganz allein in der Nachbarschaft landen würde. Man kenne die Flugbahn, man werde den Fluggast abholen und bei uns in Zermatt City wieder abliefern. Da könnten wir ganz beruhigt sein.

„Fluggast“ – das war ein nettes Wort für den gestreiften Beutel dort hinten am Horizont. Wir haben noch ein wenig zugeschaut, sind dann aber zurück in die Stadt gefahren. Es wurde doch recht frisch dort draußen am Hang.


Im „Matterhörnchen“ gab's Hüttenzauber mit Musik. In Fachkreisen nennt man das Après Ski. Wenn die Leute von der Piste kommen, ordentlich Muskelkater in den Schenkeln spüren oder angefressen sind, weil sie dauernd auf dem Hintern gelandet waren, dann essen sie erst was und gehen anschließend saufen. Und weil manche Leute zeitig aufstehen und entsprechend früh zurück sind, findet niemand was dabei, wenn man schon zum Mittagessen damit anfängt. Gut, dass ich Pits Kreditkarte dabei hatte. So fiel das lästige Abrechnen weg. Außerdem war es Zeit, den Mädels ein wenig Freigang zu gewähren, sonst würden sie womöglich zickig werden.

Sie haben Fruchtsaft bestellt (die Sorte für Erwachsene), ich eine Cola light. Auf der Bühne grölte eine motorisch interessante Gestalt und animierte das Publikum zum Mitsingen. Es ging um Busen, Beine, Po, wahrscheinlich handelte es sich um einen Werktätigen aus der Diät-Branche oder aus der Trikotagenherstellung. Neben uns klatschten Franzosen.
„Komm si, komm sa“, habe ich ihnen zugeprostet. Völkerverständigung ist alles.

Es dauerte nicht lange und die Mädels standen auf der Theke: Flügel in die Luft, Hüftschwung, Vivaaa Colooonia. Als Damenwahl ausgerufen wurde, bin ich schnell aufs Klo. Nach dem ersten Cocktail habe ich der Mia den zweiten in die Tannendeko geschüttet. Die Cora durfte noch ein wenig weitersaufen, denn sie kann mehr vertragen. Irgendwann war's aber wirklich gut. Sollten wir nicht langsam mal zu unserm Treffpunkt gehen? Der Pit würde bestimmt schon auf uns warten.

An der frischen Luft nach einem langen Rülpser – „Exküsee-moi“ – war die Cora augenblicklich wieder babynüchtern. Die Mia hingegen hatte noch gegen die Schwerkraft zu kämpfen. Aber an unserm Treffpunkt war sowieso noch kein Pit zu sehen. Gott sei Dank, schließlich wollten wir den begeisterten Bericht eines Flugpioniers entgegennehmen, nicht wegen Verspätung angeschnauzt werden.

Wir warteten. Wir warteten noch ein wenig länger. Und noch länger. Und noch länger. Kein Pit zu sehen. Nanu, das war komisch.

Die Cora hat schließlich beim Schirmverleih angerufen. Ja, das hätten sie auch schon gemerkt, dass der Fluggast nicht da sei, kriegte sie zu hören. Sie könnten sich das zwar nicht erklären, aber wir sollten uns keine Sorgen machen, sie hätten alles im Griff.

Wenig später war Sirenengeheul zu vernehmen.
„Wozu ist das?“, haben wir einen Passanten gefragt.
„Damit wird die Bergwacht zusammengerufen.“
Oh-oh! Das wird doch wohl nicht wegen dem Pit sein? Wir kriegten eine Uniform zu fassen:
„Suchen Sie zufällig einen rötlich geringelten Flugkater? Wir vermissen nämlich einen.“

Man war froh, dass wir uns so schnell zur Stelle meldeten. Ja, in der Tat, drüben beim Paragliding sei ein Abgang zu beklagen. Man habe bereits aus der Luft geschaut, ob man den Schirm irgendwo liegen sehe. Wahrscheinlich sei er abgetrieben, weiter ins Felsmassiv hinein. Nun müsse die Bergwacht ran.

Wir gaben die Personalien zu Protokoll.
„Wie alt ist der Pit eigentlich?“
Ich wusste es nicht.
„Ich glaube sechs.“
Leider – mit einem Bild konnten wir so schnell nicht dienen. Eine Beschreibung musste reichen:
„Kater, geringelt, corned-beef-farben, weiße Handschuhe, weiße Socken, fächerförmig Silberspießchen um die Schnauze – beidseitig.“


Bald würde die Dämmerung einsetzen. Wir kriegten es mit der Angst zu tun.
„Die können doch in der Nacht nicht suchen. Und wenn ihm dort oben kalt wird?“
„Na ja, er hat ja Fell an, so schnell kühlt er nicht aus“, habe ich geantwortet, aber ganz sicher war ich mir nicht.
Vorerst war noch genug Licht da, damit ein Hubschrauber starten konnte. Wir guckten zu.


Als es dämmerte, war er zurück. Der Einsatz musste vertagt werden –  buchstäblich. Und nun? Wir konnten doch nicht einfach schlafen gehen, solange der Pit dort draußen um die Viertausender segelte. Wir setzten uns auf die Bank im Polizeirevier. Dort waren wir an der Quelle, dort hatten sie rund um die Uhr geöffnet.

Immer wenn das Telefon klingelte, sind wir hochgeschreckt. Ab und zu ist einer nach nebenan ins Restaurant gegangen und hat einen heißen Kakao geholt. Um vier Uhr nachts war Schluss. Da hatte keiner mehr auf. Der Polizeichef hat uns eine Decke gegeben. 
„Wenn er morgen nicht wieder da ist, müssen wir zu Hause Bescheid sagen“, hat die Mia geflüstert.
Hoffentlich nicht, die regen sich doch immer gleich so auf.

Gegen sechs Uhr stand plötzlich die Pitomba vor unserer Bank. Es war noch dunkel draußen. Sie hätte es jetzt erst im Radio gehört.
„Furchtbar! Kann er denn gut fliegen?“
Ist ja nicht so einfach, gerade erst einen Vater bekommen zu haben, und schon war er wieder weg. Wir hatten tiefstes Verständnis – und Hunger. Im Café gegenüber gab es schon frische Brötchen.

Mit der Dämmerung kam Bewegung in den Ort. Mannschaften fanden sich zusammen, bildeten Formationen, rückten ab. Frische Hoffnung keimte in unseren bangen Herzen.

Nichts blieb unversucht.

Hubschrauber (sogar ausgeliehen aus Österreich):


Suchhund:


Skifahrer:


Gletscherkletterer:


Doch auch am Nachmittag war immer noch nichts gefunden: kein Pit, kein Gleitschirm, keine Flaschenpost, nichts. Jetzt musste das letzte Aufgebot ran – er:


„Unser bester Mann“, versicherte der Einsatzleiter.
Wir guckten ihm nach, wie er schaukelnd den Schneepfad entlangtrottete. 
„Wenn das man gut geht“, hat die Cora gesagt.

Fortsetzung folgt.

Fotos: Cora: © G.H.
          Pit: © Club der glücklichen Vierbeiner
          Frühstück, Matterhorn, Segelschirm, Zermatt, Mai Tai, Hubschrauber 1, Hubschrauber 2, Schnee,
          Mann mit Hund, Hund im Schnee, Schnee mit Planzen: Pixabay
          Bernhardiner: Morguefile
© Max: Papageiengeschichten

18 Kommentare :

  1. Ihr als Vögel könnt euch ja kaum vorstellen, wie nervenaufreibend diese Fliegerei für Ungeübte sein kann! Ich persönlich verliere ja nur ungern den Boden unter den Füßen, dafür bin ich aber ein prima Suchhund und hätte den Pit am Ende sicher leicht finden können.

    Wuff, euer Karlsson

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    1. Nun ja, für Kreaturen ohne Flügel gibt es ja extra solche Vorrichtungen, womit man fliegen kann. Allerdings sollte man schon ein wenig mitarbeiten, steuern z.B. oder das Gewicht günstig verteilen. Nur wenn man so schlaff herumhängt wie der Pit, da braucht man sich nicht zu wundern, wenn es nicht klappt.

      Die Ktiterien, um als Suchhund in den Schweizer Bergen zu arbeiten, sind, glaube ich, eine gute Nase und ein dunkles Fell. Junge, du bist fast weiß - dich sieht ja keiner im Schnee. Tut mir leid, da sind ausnahmsweise mal die Brünetten im Vorteil.

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    2. Fast weiß? Farbenblind oder was? Meine offizielle Farbbezeichnung heißt weizenfarben und das ist so eine Art rot-gold-blond. Bloß mal so als Erklärung für diejenigen mit den Tomaten auf den Augen...

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    3. Na gut ... weizenfarben. Aber du musst schon zugeben, dass man im Schnee ein Schwarzbrot besser sieht als ein Milchhörnchen, nicht?

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    4. Milchhörnchen?!
      Ich wär' ja wohl eher einer aus Schrot und Korn. Ein Prachtknacker. Oder Kernbeisser. Ein Vollkornlümmel.

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    5. So helle Vollkornlümmel haben wir hier nicht. Vielleicht ist das bei euch anders. Bei uns ist auch meistens Roggen mit drin.

      Kannst du eigentlich Körner aufknacken, und zwar so, dass der Inhalt ganz bleibt? Ich kann das. Ich kann sogar Stecknadeln aus einem Stoff ziehen und auf einem Haufen sammeln, ohne dass das jemand mitkriegt. Nach Mauskabel durchknipsen und Intarsienarbeiten am Mobiliar sind das meine leichtesten Übungen.

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    6. Das erinnert mich an meine Jugend. Da habe ich auch Computerkabel gekappt und hübsche Zacken in die Schrankleisten gefräst. Das waren noch Zeiten.

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    7. Gelle? Man sollte sich seine Jugend viel länger bewahren. Die Zeit geht so schnell vorbei.

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    8. ... boh, was ihr alles dürft - wenn da mal bei einem ne Vakanz sein sollte - dann, bitte kurze e-mail an mich - Danke - zahle auch Provision ...

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    9. Danke, die Provision nehme ich gern. Allerdings muss ich einschränkend hinzufügen, dass wir so gut wie nichts dürfen. Das Geheminnis heißt: einfach machen. Und hinterher die Ohren auf Durchzug stellen, wenn die Beschimpfungen Orkanstärke annehmen, damit sichert man sich ein Stückchen Freiheit. Computermäuse sind sowieso schlecht für die menschliche Anatomie und unsere Möbel sind hässlich. Die können Verschönerung vertragen.

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  2. Der Flughund fasziniert mich besonders - trotz der anderen Abenteuer ...

    Der Mann sitzt auf dem Hund, wie Münchhausen auf seiner Bombe - meint meine Mo - aber wahrscheinlich gibt diese Stellung dem Hund noch Sicherheit, sofern man davon überhaupt sprechen kann.
    Nun - ich hätte an Land jedenfalls alles Fressbare gefunden - versprochen - und mich tüchtig bemüht, bei euch nicht Fluggast zu sein ...

    Deine Bente

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    1. Da habe ich auch lange draufgeguckt, auf den Hund. Ist schon toll, was der kann. Vielleicht wäre die Alternative, dass der Mann ihn auf die Schultern nimmt, aber dann kann man die Schnüre vielleicht nicht so gut dranmachen.

      Bestimmt ist das jemand, der Menschen sucht. Futter suchen ist für uns jetzt nicht sooooo dringend, weil wir ja immer genügend Geld mithaben. Danke, Bente, für das Angebot. Aber dich fliegen zu sehen, das hätte uns schon gefallen. Man muss auch mal was riskieren, sonst kommt man nie über seine Grenzen hiweg. Also ... wie wär's? :-D

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  3. das bild mit dem suchhund hat mich gepackt, um gottes willen. ich bin sprachlos über das was diese hunde leisten, sehr stark!

    habt einen wautollen sonntag ihr lieben*wild wink

    luana

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  4. Ja, das finde ich auch. Ich weiß gar nicht, ob das überhaupt ein Suchhund ist oder wenn ja, was er sucht, aber es ist faszinierend, wozu er fähig ist. Das muss dem doch Überwindung kosten, und trotzdem macht er mit - zum Wohle von Menschen. Das ist echt toll.

    Habt auch einen schönen Sonntag. *zurückwink*

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  5. Tja und nun, Pit ist vermisst, da gibt es kein Wenn und Aber....wie oft habe ich mich angeboten mit auf Reisen zu kommen und was habe ich immer und immer wieder gesagt? Ich bin ein Hütehund und mir ist noch nie ein Schaf durch die Lappen gegangen und schon gar kein Pit.
    In null comma nichts hätte ich ihn wieder gehabt und wir hätten schön zum Griechen oder sonst wohin gehen können. Aber nein, ihr wolltet ja partout nicht das ich mit komme...das habt ihr nun davon.
    Amy

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    1. Ja, natürlich, ihr Hundis hättet alles ganz anders gemacht. Ihr hättet den Pit sogar noch kilometerweit in der Luft gerochen, egal ob er 4000 Meter weiter im Moor gelandet wäre oder im Ententeich. Das habe ich hier doch schon mal gelesen. Netter Versuch, uns tapferen Amazonen ein schlechtes Gewissen zu machen. Der Pit hat sich gar nicht richtig angestrengt beim Fliegen, das war's nämlich, und wenn du mit uns verreisen willst, musst du erst mal einen Antrag stellen und dann sehen wir weiter. Ich sag's aber gleich: Für dich wird es schwer werden. Du bist süß und eigentlich auch ganz in Ordnung, aber halt 'n Mädchen, nicht?

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  6. Ich werde hier ganz klar gemoppt....ganz ehrlich, was sind denn die Cora und die Mia? Wieso darf ich nicht mitkommen weil ich ein Mädchen bin. Ich bin ja wohl zu mehr zu gebrauchen als der Schluckspecht und die verkappte Schönheitskönigin.
    Amy

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    1. Eben, Amay, eben. Ein Schluckspecht und eine verkappte Schönheitskönigin reichen. Ich brauche nicht noch mehr weiblichen Firlefanz. Vergiss es, du kommst nicht mit. Dein Freund Max.

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