Sonntag, 4. Oktober 2015

Der Rippchen-Trip (5. Teil)

Nach der Cowboyhut-Orgie im Western-Store hat uns Hoss zum Mittagessen eingeladen. Puh, was war ich froh. Ich hatte nämlich befürchtet, dass er uns mit Lunchpaketen abspeisen würde. Ich meine, nichts gegen Hop Sing und seine Kochkünste, aber als Gewinner eines Hauptpreises hat man doch gewisse Vorstellungen von einer angemessenen Betreuung, nicht wahr? An der städtischen Pferdetränke zu hocken und zähe Schinken-Sandwiches runterzuwürgen gehörte für mich nicht dazu.

Wir wurden in ein Gartenlokal mit Barbecue-Küche geführt. Das sind spezielle Grillvorrichtungen, wo marinierte Fleischstücke gegart und mit diversen Dipsoßen und Salaten serviert werden. Die Beilagen fanden nicht bei jedem Interesse. Der Pit zum Beispiel war nach seinem unfreiwillig vegetarischen Frühstück – ich sag nur: Bratkartoffeln, hahaha – jetzt sehr einseitig orientiert. Er hat wortlos ganze Fleischfladen in sich reingestopft. Die mitgelieferten Petersilienstängel landeten blindlings hinter ihm in der Gummibaum-Deko. 

Erwachsenen-Barbecue

Der Lütte kriegte einen Kinderteller. Natürlich gab's Gemaule.
„Nachher sind die Augen wieder größer als der Appetit“, hat die Mia festgelegt.
Und die Cora hat dem Kleinen mit der angespuckten Serviette die Ohren ausgeputzt, allerdings bevor das Essen kam und unterm Tisch, damit man's nicht so merkte. 

Kinderteller

Auch bei der Konversation dominierten weibliche Belange. Ob Little Joe eine Freundin hat, war  eines jener zart angeschnittenen Themen, das beim Angesprochenen plötzliche Hustenanfälle auslöste. Die Mia tat der Cora giftige Blicke zuwerfen. Die wiederum kurbelte die Schmalzdrüsen nur noch weiter an, jetzt mit dem Ergebnis, dass Hoss von seiner Kindheit zu berichten wusste. Seine Mutter hieß Inga. Sie war Schwedin. Als Hoss noch ein Baby war, ist sie auf dem Treck nach Westen von Indianern getötet worden.

Oh, mein Gott, das ist ja schrecklich! Das Stollenputchen kriegte sofort mütterliche Gefühle. Fettige Amazonenkrallen taten eine amerikanische Farmerhand tätscheln:
„Nehmen Sie's nicht so schwer, Mister Hoss. Wir alle, die wir hier sitzen, sind adoptiert. Sie haben ja noch Ihren Vater (und einen reizenden jüngeren Bruder, der Sonnenschein Ihres Lebens.“ *plinker-plinker, schmacht-schmacht*) Wir dagegen haben niemanden mehr. Wir alle leben – gewiss! – bei gütigen, fremden Menschen, die uns Heim und Nahrung geben, die aber eben nicht unsere Eltern sind. Doch schauen Sie uns an, man kann mit diesem Schicksal fertig werden und dennoch einen guten Charakter bilden und dennoch ein wertvolles Mitglied der Gesellschaft sein. Na ja, fast alle ...“

Dabei tat sie mich angucken, die hinterhältige Stinkmorchel. Dass darauf kein Einwand kam, sondern alle nur stumm weitermampften, als gäbe es nichts zu revidieren, hat mich persönlich sehr getroffen. Na wartet, ich kann auch anders.

Unserm Gastgeber zumindest hatte das Hennengesäusel offensichtlich nicht geschadet, Gott sei dank, denn jetzt hieß es, alle Mann einsteigen, weiter geht’s im Programm. Zuvor musste ich aber noch was klarstellen:
„Wenn hier einer seinen albernen Kuhdeckel aufsetzt, den er gerade aus dem Geschäft hat, dann kann er zu Fuß gehen. Ich blamier mich nicht mit euch.“

Natürliche Autorität
Ich muss das wohl sehr überzeugend gesagt haben, denn nacheinander wurden tatsächlich die Cowboyhüte abgenommen und wanderten in die Einkaufstüten zurück. Das Gemaule habe ich überhört. So, ha ha. Wollen wir doch mal sehen, wer hier das letzte Wort hat.

Wir fuhren aus der Stadt heraus. Zur Ponderosa ging's in die andere Richtung. Hoss wollte uns zeigen, was aus seinen Nachbarn geworden ist, aus all den Farmern, Silber- und Goldsuchern, die nicht so viel Glück hatten wie die Cartwrights, sondern die alles hatten aufgeben und wegziehen müssen.

Nun, ich empfand es – generell gesprochen – als sehr angenehm, dass es am Lake Tahoe keine alten Schlösser und Burgen gibt. Folglich kann man an denen nicht herumpopeln und sie können deswegen auch nicht zusammenfallen. Das entspannt die Nerven ungemein. Es ist eben nicht leicht, mit dem Pit zu verreisen. Daher war ich sehr dankbar, dass wir nun Orte besichtigen fuhren, die bereits kaputt waren. Hier konnte man nichts mehr verderben.

Wir klapperten die Zeugnisse der Landflucht ab: verlassene Häuser, verlassene Höfe, ja, ganze Siedlungen. Um ehrlich zu sein, mir verschlug es den Atem.


Da! Alles stehen und liegen gelassen, einfach abgehauen, als wäre keine Zeit geblieben, den ganzen Plunder wegzuräumen. Wer macht denn so was?

Der bewölkte Himmel hat sich übrigens gleich wieder verzogen. Aber auch im Sonnenlicht sah das Drama nicht besser aus. Wie schön könnte man darin wohnen? Die Türen richten, ein paar Blümchen vor die Fenster. Okay, der nächste Supermarkt ist ein bisschen weit entfernt, aber bei uns wohnen die Leute doch auch auf dem Land und schaffen es, jeden Tag zu pendeln. Warum nicht hier? 


Endlos weiter ging das so. Überall tauchten solche Ruinen auf. Schlimm, sage ich euch, schlimm. An manchen sind wir ausgestiegen. Wir haben uns ein bisschen umgeschaut. Abgeschlossen war ja nirgends. Innen drin wucherte der gleiche Unrat.

Links die Mia, rechts die Cora. Im heißen Staub kommt teures Duschgel besonders gut zur Geltung

Seht ihr den Pit? Er war mindestens zwanzig Zentimeter größer geworden und gockelte auf dem Dach herum wie 'n Fabrikbesitzer vor der Weihnachtsansprache zum Werkvolk. Der Lütte hat geheult, weil er nicht mit aufs Dach konnte. Die Vorderpfoten wollten einfach keinen Halt finden beim Hochspingen.
„Von unten gucken ist auch schön“, hat die Cora gesagt.


Das hier ist ein altes Sheriff-Büro:

Pit, oben ich, unten Paule
Der Paule hat gemeint, wir könnte doch die Gitarre, die Wanduhr, die Fahne und die mexikanische Pferdedecke auf dem Ständer dort hinten mitnehmen und in der Stadt verscherbeln. Wenn das hier einfach so rumliegt? Ehe es schlecht wird? Dafür täten bestimmt noch ein paar Dollars für uns rausspringen. Aber wir haben's gelassen, weil der Hoss draußen auf dem Wagen wartete und uns daran erinnern tat, dass wir bald mal zurück zur Ponderosa fahren müssten.

Na gut, wir haben uns wieder auf die Kutschbank gereiht. Zu viel soziales Elend schlägt ohnehin auf den Appetit. Ich kenne das noch von Burg Conwy.

Paule hatte Durst und die Mia war in ein Kaugummi getreten. Die ganze Fahrt war sie am Pulen und am Meckern.
„Halt deinen Fuß ins Gefrierfach, dann geht das ab“, hat der Pit empfohlen.
Blödmann. Als wenn die auf der Ponderosa der Mia erlauben täten, ihre Quanten zwischen Roastbeef und Apfelkuchen zu stecken.

Als wir ankamen, war es noch hell. Die Landschaft war in ein warmes, friedliches Licht getaucht. Adam und Little Joe waren noch unten am Creek, Zäune reparieren, doch Vater Cartwright stand bereits an der Veranda und wartete auf uns. Er hätte eine kleine Überraschung, meinte er, aber dafür dürfe es nicht zu dunkel sein. Wir sollten mal schnell mitkommen hinters Haus und uns aufs Pferd setzen, er würde von jedem ein Abschiedsfoto machen als Erinnerung an den Aufenthalt hier auf der Ponderosa.

Nun, das kam etwas überraschend. Andererseits war's ja nett gemeint. Unser Aufenthalt war tatsächlich fast zu Ende. Der Reiseveranstalter hatte noch anderes vor mit uns; morgen früh sollten wir abgeholt werden. Ich habe lange überlegt, ob ich euch die Bilder zeigen soll. Ich meine alle Bilder, alle von uns allen. Sie sind von der Qualität her … hm … nicht ganz so das, was wir gewohnt sind. Die Cartwrights knipsen noch mit einem alten Modell, mit der „Eagle Eye RX 230“ von „Mufflon Optics“ oder irgendwie so was, jedenfalls sehen die Fotos etwas sonderbar aus.

Ich zeig sie euch trotzdem. Macht euch selbst eine Meinung dazu.






Den Lütten hatte Vater Cartwright für das Foto in den Sattel gehoben. Der schlief. Der schlief schon seit der Abfahrt von den Häuserruinen. Jack war platt, der kriegte nichts mehr mit, nicht mal den huckeligen Sattel im Rücken. Er lag da wie 'n Brett.


Wir haben ihn auf die Veranda tragen lassen. Dort konnte er ungestört abkühlen. Vorm Abendessen war er wieder fit. Da es unser letztes gemeinsames Mahl sein würde, hielten die Mädels Abendgarderobe für angebracht. Also musste der Kleine in den Waschzuber steigen. Die Mia und die Cora haben ihn abgeseift. Ein bisschen Zeckenspray aus dem Kulturbeutel hinterher. Macht nichts, wenn's mieft, Hauptsache Duft und ordentlich eingenebelt. Der Paule hat daneben gestanden und gesagt:
„Na-na, ein echter Pferdetreiber heult doch nicht.“

Das Abendessen war wieder grandios. Alle waren da, auch Adam und Little Joe. Hop Sing hatte alle Register gezogen. Es gab Koteletts mit Kartoffelbrei und Blumenkohl und zum Nachtisch diese herrliche Erdbeertorte:


Beim anschließenden Ausklang im Wohnzimmer vorm Kamin hat sich Little Joe diesmal nicht so schnell verkrümeln können, denn das wäre aufgefallen. Also musste er bleiben. Er hat sich aber weit weg von der Mia und der Cora gesetzt. Die Cora hat sich trotzdem herangerobbt. Irgendwann hockte sie dann doch neben ihm. Selig grinsend tat sie zu ihm raufschmachten. 

Die Mia
Deswegen gab es noch miese Stimmung, später in unserm Schlafzimmer, weil die Mia gemeint hat, die Cora hätte sich unerlaubte Vorteile verschafft und das täte man nicht als Freundin. Außerdem wäre Little Joe sowieso total blöd und superlangweilig und nur interessant für anspruchslose Frauen, die sowieso keinen Geschmack hätten.

Boah, fast hätte ich die beiden Zankweiber rausgeschmissen. Dieses ewige Getuschel und Gezicke, man konnte ja gar nicht schlafen.


Und weswegen das Ganze? Deswegen:



Die Cora hatte heimlich das Amulett zum Little Joe hingeschoben, als sie nah genug herangekommen und er fluchtsicher eingeklemmt gewesen war. Na, der wird sich gefreut haben. Hoffentlich baumelt das Ding jetzt nicht irgendeiner Kuh um den Hals. Das ist doch bestimmt nur Modemetall, das rostet doch im Regen auf der Koppel.

Na, jedenfalls war es vor dem Kamin noch sehr gemütlich. Adam hat seine Mundharmonika geholt und Hoss seine Quetschkommode und dann haben die Männer Cowboylieder gesungen und wir mit den Füßen den Takt dazu gestampft. Im Gegenzug haben wir ihnen das Streichholzspiel beigebracht. Ihr wisst schon, dazu klemmt man sich einen Streichholz zwischen den Oberkiefer und den Unterkiefer und versucht Wörter nachzusprechen. Bei „Husten“ sieht's besonders blöd aus. Wir haben alle sehr gelacht – außer der Cora und der Mia. Sie hatten Mitleid mit Little Joe. Bei „Hornissenhonig“ ist ihm die Schale Erdnüsse in den Schoss gefallen. Die salzigen Dinger haben aber keine Flecken hinterlassen.

Pit und Cora vor der gemütlichen Schrankwand der Cartwrights

Alkohol gab's diesmal keinen, nur ein paar Dosen Red Bull. Der Paule hat meine gleich mitgetrunken. Und die von der Cora und der Mia auch, weil die beiden ja eh nichts mitkriegten. Um Mitternacht waren wir im Bett. Der Ringelplüsch lag oben drauf, der Lütte davor und wir andern hatten uns auf den Rand des Fußteils gesetzt.

Jetzt fiel mir auch wieder ein, was mir die Putze aufgetragen hatte. Ich sollte was fragen. Was war das noch? Ach ja, ich sollte mich erkundigen, wie die Cartwrights das machen, dass sie den ganzen Tag durch Staub und Dreck reiten, unterwegs noch Wagenräder austauschen, sich ans Ufer knien und Gestrüpp durchqueren, aber die Klamotten tadellos sauber und immer perfekt gebügelt bleiben. Das interessierte die Putze, Little Joes helle Hose ganz besonders. Den Namen des Waschpulvers hätte sie gern gewusst. Mist, jetzt hatte ich das zu fragen vergessen. Ach, egal, ich habe ihr einfach gesagt, es hieße „Nevada Spirit“ von „Haltegriff & Haltegriff“. Seitdem durchsucht die Putze das ganze Internet nach dem Zeug. Gut, dann ist sie wenigstens beschäftigt. Das wird ja wohl noch ein wenig dauern, bis sie fündig wird, oder?

Fortsetzung folgt.

Fotos: Cora und Paule: © G.H.
          Pit und Jack: Club der glücklichen Vierbeiner
          Barbecue, Kinderteller, alte Stadt 1, alte Stadt 2, Gerümpel, Sheriffbüro, Pinnwand, Pferd: Pixabay 
          Alte Stadt 3, Torte: Morgefile
          Amulett: Photofacefun

© Max: Papageiengeschichten
       

4 Kommentare :

  1. Mir fehlen die Worte .....super geschrieben ! Du bist der beste Geschichtenerzähler ! Wann wird das verfilmt ? liebe Grüsse Donna

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    1. Woas? Geschichtenerzähler? Willst du damit sagen, dass ich die Berichte ERFINDE? Nun bin ich aber etwas beleidigt, Donna. Ich bin Reporter! Ich schreibe nur die Wahrheit und nichts als die Wahrheit. Da ist nix erfunden, und auf Fülm stehe ich nicht, weil mir Cannes zu heiß ist, Berlin zu voll und Hollywood zu aufgebrezelt. Da müsste ich ja die Mia mitnehmen. Und die auf dem roten Teppich ... na, schönen Dank. Außerdem hat Steven Spielberg meine Telefonnummer nicht. Die gebe ich nicht jedem.

      Trotzdem vielen Dank für dein liebes Lob. Ich freue mich, wenn Leute hier lesen und Spaß daran haben. Danke, Danke, Danke.

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  2. Das ihr mir den Lütten nicht so verpiepelt, hört ihr?! Der soll hier auf ein ganzes Gehöft aufpassen und nicht zur Heulsuse mutieren. Es ärgert mich das der Pit sich so gar nicht kümmert außer natürlich um sich selbst.Oh , ich mache mir echt Sorgen, hätte ich den Lütten bloß nicht mit gelassen.
    Amy

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    1. Glaub mir, Amy, wir Männer haben nächtelang diskutiert über pädagogische Konzepte und zukunftsweisende Schritte, genauer gesagt über die Frage, ob die Tüddelei der Cora und der Mia eine Verzärtelung für den Lütten darstellt oder im Gegenteil eine Abhärtung. Leider haben wir uns nicht einigen können. Zu unterschiedlich fielen die Positionen aus. Der Paule war der Meinung, dass man sich nicht einmischen sollte, der Pit fand, gar nicht um kümmern, und ich habe dafür plädiert, alles so laufen zu lassen, wie es ist.

      Tut mir leid, wir haben getan, was zu tun war.

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