Sonntag, 25. Januar 2015

Die große Sause (15. Teil)

Also, wir waren noch immer in Lincoln in der Grafschaft Lincolnshire und standen vor diesem Pub, wo man bereits seit 1794 die durstige Kundschaft mit erquickender Gastronomie erfreut. Nach der ganzen Latscherei durch die historische Altstadt und durch die mächtige Kathedrale tat ich mich nun auf einen belebenden Drink freuen. Gleichzeitig sollte dieser Drink den Ruf meiner Begleiter nach einer warmen Abendmahlzeit beenden, denn wir mussten sparen, seit uns die beiden Weiber, die Mia und die Cora, ungefragt im ersten Haus auf dem Lande einquartiert hatten. Eine schöne Cola macht schließlich auch gut satt, nicht wahr? 


Wir wollten gerade den Pub betreten, da lese ich ein Schild an der Tür. Darauf stand:

„Heute geschlossene Gesellschaft.“

Und darunter:

„Reisegruppe König Artus, Wales.“

Wie bitte? Das sollte wohl ein Scherz sein? Wir waren doch nicht den ganzen Weg gelaufen und sollten jetzt wieder umkehren, nur weil man uns nicht haben wollte. Mein ehrliches, gutes Geld – nicht erwünscht? Schnöde abgelehnt? Wir weggeschickt? Davongejagt wie streunendes Wild?

Je länger ich darüber nachdenken tat, desto wütender wurde ich. Die Fatzkes, denen wir das zu verdanken hatten, wollte ich mir mal genauer ansehen. Ich bin ums Haus gerannt, die andern hinterher. Auf dem Foto sieht man das nicht so gut, aber mit einem bisschen Suchen findet man den Weg auf den Hinterhof; es ist nicht alles zugebaut. Dort bin ich aufs Fensterbrett geflogen. Ich habe durchs Sprossenfenster geguckt. Hinter den Scheiben lag wohl das Clubzimmer oder was, jedenfalls saßen eine Menge bärtiger Kerle um den Stammtisch herum, knallten die Krüge auf die Tischplatte, grölten, lachten, krakelten durcheinander. Mittendrin lief der Wirt hin und her und ein langer, dünner Opa mit weißen Flusenhaaren hockte im Bademantel dazwischen und machte ein mystisches Gesicht.

Boah, wegen diesem ungehobelten Haufen mussten wir draußen bleiben? Denen spendete man Bewirtung und uns nicht? Mir ist die Galle hochgekocht, das könnt ihr wohl glauben. Beinahe hätte ich den blöden Fahrradständer aus der Verankerung gerissen, der da auf dem Hof herumstand. Er tat schon mächtig wackeln. Aber dann hat die Cora gesagt, ich soll das bleiben lassen, das gäbe sonst Ärger, wenn ich hier fremdes Eigentum zerstörte. 

Der Fahrradständer
Dann ist auch schon der Pit gekommen. Ein Pfiff gellte um die Ecke. Der Harald hat mich vor sich hergetrieben, immer so geschubst mit seinem Bauch und nachgeschlappt mit seinen Plattfüßen, dass ich gar nicht anders konnte, als mich seiner Richtung zu beugen. Auf der Straße wartete schon das Taxi, das der Pit angehalten hatte. Wir sind zurück ins Hotel gefahren. Während der Fahrt habe ich kein einziges Wort gesprochen.

Auf dem Hotelzimmer hat die Mia gesagt: „Ich habe Hunger“, und dabei so unschuldig geplinkert.

Ach, so war das also. Na schön, geht alle hin! Nehmt! Nehmt meinen letzten Cent! Bedient euch! Zieht mich aus bis auf die nackte Haut! Der Max zahlt alles! Kein Problem! Ich kauf das Hotelrestaurant! Das ganze Hotel! Lincoln! England! Dubai! Die ganze Welt!

„Schick!“, hat die Mia gerufen und in die Flügel geklatscht. Ruckzuck hatten sich die beiden Weiber in Duft und Vornehmheit gehüllt. Die Cora trug zwei breite gezackte Reifen aus Silberpapier um die Knöchel.
„Sind das Grillhähnchenmanschetten?“, habe ich gefragt.
„Quatsch!“, hat sie geantwortet. „Die sind von der „Britannia“. Guck mal hier – da steht das sogar draufgeschrieben.“
Zur besseren Überprüfung hat sie mir ihren rechten Kartoffelstampfer hingehalten.
Also doch, der Pit hatte die Cora in Edinburgh nicht nur nach Leith entführt, um romantisch einen Irish Coffee zu schlürfen, sondern sie hatten auch gleich ganz schnöde und unroyal die Tischdeko mitgehen lassen. Vielleicht waren das ja Serviettenringe. Sah jedenfalls so aus.

Im Gänsemarsch sind wir zum Restaurant marschiert. Der Kellner hat uns einen Tisch zugewiesen, der vollgestellt war mit Gläsern verschiedenster Art.
„Das räumen Sie gleich mal weg“, habe ich sofort angeordnet. „So viel Geld haben wir nicht, dass wir hier jedes Glas einzeln bezahlen können.“
Außerdem sah der Harald mit seinem knallroten Geschwür auf der Nase zwischen all dem glänzenden Zeugs doppelt krank aus. 


„Ich hätte gern einen Sherry“, hat die Cora gewispert.
Der Grunzer hat stilles Wasser bestellt, die Mia und der Pit Orangensaft, der Teicheumel einen Kamillentee und ich 'ne Cola.

Zu futtern gab's Fisch. Jawohl, Fisch. Mir erschien das angebracht, nachdem ich unfreiwillig in diese missliche Lage gebracht worden war. Schließlich soll man seine Untertanen nicht auch noch mit Steaks, Kroketten und Mousse au Chocolat belohnen. Die sollten ruhig auch mal die Pobacken zusammenkneifen, damit sie wüssten, wie das ist.


Den Fisch hat allerdings der Pit gekriegt. Wir andern haben das Risotto gefuttert. Dreifache Portion. Konnte man essen. Schön locker, nicht zu salzig, das Gemüse knackig und frisch. Alles hätte gut sein können, endlich in Harmonie ausklingen, was zwischenzeitlich so böse entgleist war. Aber nein, jetzt war es die Mia, die neuen Stress anschleppte.

Schon die ganze Zeit am Tisch hatte sie sich nicht aufs Essen konzentrieren können. Dabei war sie es doch gewesen, die unbedingt hierher gewollt hatte. Jetzt war sie nervös, tat sich dauernd umgucken. Und alles nur wegen einem dämlichen Tischkärtchen. Als nämlich vorhin der Kellner uns durchs Restaurant geführt hatte zu unserm Tisch, waren wir an einem andern Tisch vorbeigekommen und dort hatte die Mia ein Schildchen gesehen mit der Aufschrift „Reserviert für Mr. Ripper.“ Das tat ihr jetzt keine Ruhe lassen.
„Wenn das der aus London ist ...“, hat sie geflüstert.
„Na und?“, habe ich gesagt.
„Der bringt mich um – und die Cora gleich mit.“

Ach, das war ja niedlich. In Harrogate neulich, als wir im Dunkeln auf den gruselig leeren Straßen hatten nach Hause gehen müssen, da hatte die Mia mich Idiot geschimpft, weil ich die Möglichkeit angesprochen hatte, dass Jack the Ripper dort Urlaub machen und uns begegnen könnte. Ich wäre ein spinnerter Phantast, hatte es geheißen. „Pöh“ war gemacht worden und die Nase gerümpft. Das hatte ich genau gesehen, trotz Dunkelheit, und nun tat die Mia hier einen auf bedrohte Kreatur machen mit Hysterie und allem Drum und Dran.

„Das ist doch jetzt was ganz anderes!“, hat sie gejammert.
Und der Harald hat gemeint:
„Bevor du dich aufregst, Schatz, müssen wir sicher sein, ob es auch wirklich der ist, den du meinst.“
Genau. Ganz meiner Meinung. Kein vernichtendes Urteil ohne vernichtende Tatsachen.
„Am besten, du rufst an der Rezeption an und fragst mal unauffällig nach diesem Typ“, hat der Pit empfohlen.
Ihm hatte der Fisch sehr gut geschmeckt. Seine Welt war in Ordnung.

Zurück auf dem Hotelzimmer hat der Grunzer solidarisch neben dem Telefon gewartet, während die Mia mit dem Portier gesprochen hat. Ob er sie mal mit Mister Ripper verbinden könne, hat sie gefragt. Nein? Ach, der sei nicht auf seinem Zimmer? Hm, ja, aber es wäre doch richtig, dass er Jack mit Vornamen heiße und aus London sei, oder nicht?

Dann ist die Mia plötzlich ganz hellgrün geworden vor lauter Blässe. Der Grunzer hat den Hörer aufgelegt. Ein leiser Aufschrei war zu vernehmen, erstickt vom Taschentuch, das nun die ganze Tragik des Augenblicks und der Zukunft aufzunehmen gezwungen war. Zu allem Überfluss hatte Mias Hysterie jetzt auch noch die Cora erfasst. Sie stand ebenfalls da mit einem Papierknüll vor den Schnabel gepresst, die Augen aufgerissen, stumm vor Angst und Unglauben.
„Fürchte dich nicht, Liebes, ich beschütz dich“, hat der Grunzer gesülzt.
Dabei quälten ihn doch wahrlich andere Probleme. Der Knoblauch im Risotto war es, der ihm jetzt übles Aufstoßen bereiten tat. Das ging in schöner Regelmäßigkeit ab. Na super, soweit ich wusste, war Jack the Ripper aber gar kein Vampir und daher auch nicht besonders anfällig für derlei Bemühungen um Abwehr.
„Was grinst du denn so blöd?“, hat mich der Frankensepp gefragt, als ich mir gerade vorstellte, wie er sich heldenhaft auf die Socken des messerschwingenden Unholds stürzen täte, um sich darin zu verbeißen, damit sein Duisburger Stollenputchen Gelegenheit bekäme, sich schnellstens zu entfernen.

Das hatte uns gerade noch gefehlt.

„Ich geh erst mal 'ne Runde in der Wanne schwimmen“, hat der Harald gemeint.
Der Pit war dabei, sein Schnarchkissen aufzuschütteln. Unten links war ein Leberwurstfleck. Oder war's Schokolade?

„Was ist nun?“, hat die Mia geheult. „Hier kann ich nicht bleiben. Ich warte doch nicht, bis er kommt und mich holt.“
Nach längeren Verhandlungen und getrieben von der Gewissheit, dass es jedem Mann teuer zu stehen käme, wenn er dem Geplärre verängstigter Weiber nicht nachgeben würde, hatten wir schließlich einen Plan ausgehandelt: Der Grunzer würde im Zimmer bleiben und die Fenster von innen bewachen. Der Pit, der Harald und ich würden unterdessen im Korridor vor der Tür Stellung beziehen. So abgesichert würde kein Jack und kein Ripper zur Mia und zur Cora vordringen können. Die beiden würden beruhigt schlafen dürfen.

Wir haben die Spielkarten mitgenommen. Im Korridor brannten ja ständig die Lampen. Solche noblen Hotels geben sich nicht ab mit Minutenlicht, das man dauernd nachdrücken muss. Erst haben wir gepokert (um Coras englisches Weingummi … hi hi hi), dann mit den Karten Türme gebaut. Der Pit ist am höchsten gekommen, aber auch nur, weil der Harald beim Greifen durch seine Schwimmhäute gehandikapt war und ich wegen anatomischer Unmöglichkeit nicht gleichzeitig auf Zehenspitzen stehen und die Karten überm Kopf aufstellen konnte. Ab und zu ist ein anderer Gast an uns vorbeigegangen. Man hat uns doof angeguckt, wie wir da so auf dem Fussboden lagerten. Das waren Leute mit unsolidem Lebenswandel. Die hatten Alkohol intus oder eine Frau in Stöckelschuhen im Arm. Ein Messer dabei hatte niemand. 


Als es Zeit wurde für die Frühaufsteher, ihre „Times“ aufzuschlagen, haben wir uns zurück ins Zimmer geschlichen. Es war längst hell. Der Grunzer tat auf dem Fensterbrett hocken mit dem Schnabel an die Scheibe gelehnt. Im ersten Moment hätte man denken können, er würde angestrengt nach draußen starren, doch er schnarchte. Unsere Bewachungsobjekte, die Mia und die Cora, waren noch da – lebendig. Sie schliefen ebenfalls. Wir haben uns dazugesetzt. Der Pit hat sich in sein Schnarchkissen gerollt.

Später gegen Mittag war dann auch unsere Nacht zu Ende. Die Mia kam reingestürmt. Krach hat sie gemacht und mich an der Schulter geruckelt. Wir sollten mal herhören, es wäre was ganz Tolles passiert. Halb Lincoln sei auf den Beinen. Das würden wir nicht glauben, so grandios täte das sein.
„Steht auf, ihr Schlafmützen.“

Unser Hotel, falls das jemand vergessen haben sollte

Wir waren allein im Zimmer. Die Sonne schien. Der Grunzer war weg und auch die Cora. Wie gesagt, nur die Mia war wieder da, aber auch nur, um uns zu nerven. Ehrlich gesagt tat uns das überhaupt nicht interessieren, was sie zu sagen hatte. Ich war so müde. Im Hals hatte ich Heiserkeit und in den Flügeln so was wie Muskelkater. Dem Harald taten die Füße weh. Dem Pit auch. Wir hätten gern noch ein bisschen weitergeschlafen, aber die Mia hat keine Ruhe gelassen, bis wir uns endlich die Mundhöhle gespült hatten und abführbereit an der Tür standen. Ganz schön dolle eigentlich für jemanden, der kürzlich in der Nacht noch abgemurkst werden sollte. Die Mia war bester Laune. 

Haralds Wundlatschen

Unten in der Lobby haben schon die andern gewartet. Auch der Cora war keine Spur der gestrigen Befürchtungen anzumerken. Nur der Grunzer hatte noch deutlich Freude an seinem Knoblauch. Mit knallendem Hick taten würzige Wölkchen aufsteigen. Das kümmerte aber niemanden, weil die Weiber anderweitig beansprucht waren.
„Jungs, das glaubt ihr nicht“, hieß es.
Was glaubten wir nicht?
„Habt ihr mit Mister Ripper Rabattmarken getauscht oder was?“, habe ich gefragt.
„Blödsinn! Viel besser. Der Kellner hat uns das beim Frühstück erzählt. Wir sind gleich hin, haben uns das selbst angeguckt. Ist gar nicht weit von hier. Radio war da, Fernsehen – und die Lokalzeitung.“
„Wo?“
„Bei einem Bauern, hier rechts runter hinter dem Rasengelände. Das muss in der Nacht geschehen sein. Sieht einfach irre aus.“
„Ja, und bald werden sicher auch die Wissenschaftler kommen und das untersuchen“, hat die Cora hinzugefügt.
Hä? Von was redeten die Schnepfen?
„Na, von dem hier.“


„Toll, was? Das waren Außerirdische. Das kommt manchmal vor in England. Und ihr steht hier rum wie die Deppen, während da draußen gerade Geschichte passiert. Boah, seid ihr jämmerlicher Schnarchlappen.“

Ich leg mich noch mal hin“, hat der Pit gesagt, hat sich umgedreht und ist weggegangen.
„Ich komm mit“, hat der Harald gemeint.
Dass der auf seinen geröteten Plattfüßen überhaupt so lange stehen konnte, war bemerkenswert.
Ich musste ein Machtwort sprechen.
„Halt!“, habe ich geschrien. „Niemand entfernt sich. Wir packen jetzt und dann fahren wir weiter. Ich habe genug von diesem Affentheater. Ab jetzt wird Urlaub gemacht. Und wenn mir noch mal einer kommt mit so 'nem Firlefanz wie gestern und heute, dann  … dann … kann er sich 'n Einhorn mieten und mit dem Osterhasen weiterreisen, kapiert?“ 

Fortsetzung folgt.

Fotos: Cora © G.H.
          Grunzer © U.W.
          Pit © Club der glücklichen Vierbeiner
          Fischgericht: Morguefile 

          Englicher Pub: Brian/Flickr, Bild steht unter Creative Commons Licence
          Kornkreisel: Frank da Silva/Flickr, Bild steht unter Creative Commons Licence

© Max: Papageiengeschichten      

Sonntag, 18. Januar 2015

Die große Sause (14. Teil)

Kennt ihr Lincoln? Ich meine nicht den hier:



Auch nicht den:



Ich meine das hier:


Die Stadt Lincoln im östlichen England, umgeben von lieblicher grüner Landschaft mit sanften, fast gar nicht vorhandenen Hügeln und blauem Himmel in der Grafschaft Lincolnshire (das da links bin ich. Ich hatte gerade was zum Grunzer sagen wollen, da knipst er los).

Erst hatte ich ja Bedenken wegen der historischen Bausubstanz, denn in Lincoln gibt es nicht nur eine uralte Burg, sondern auch eine wertvolle Kathedrale. Auf beides aufzupassen erschien mir zu viel verlangt. Aber dann fiel mir ein, dass sich der Pit bisher noch nie in einer Kirche daneben benommen hat (abgesehen vom Rumgegrabsche an der textilen Deko in der Kathedrale in Bristol), und das tat mich im Vertrauen bestärken, dass man einfach mal ans Gute im Kater glauben sollte. Die Devise lautete also: Castle – no, Cathedral – yes.

Falls jemand an dieser Stelle das Ausbleiben näherer Informationen zu besagter Burg bedauern sollte, dem sei diesen Bild gezeigt:

Lincoln Castle
Lincoln Castle wurde im 11. Jahrhundert von Wilhelm dem Eroberer errichtet (das ist der aus dem Englischbuch). In der Burg befindet sich ein Exemplar der berühmten Magna Charta. Ihr wisst schon, das ist diese wichtige verfassungsrechtliche Schrift aus dem Mittelalter, worin die Rolle des Adels und des Klerus gegenüber der Krone geregelt war.
„Warum dürfen wir uns das nicht ansehen?“, hat der Grunzer gemeckert.
„Weil ich nicht will, dass der Pit seine Fettsemmel dort drauflegt“, habe ich gesagt.

Zwar glaube ich ja, dass die Leute ihr historisches Papier schutztechnisch gut durchdacht hinter Glas aufbewahren, aber ich wollte kein Risiko eingehen. Schließlich ist Burg Conwy vorher ja auch sehr stabil gewesen. Also, noch mal in aller Deutlichkeit: Wir haben Lincoln Castle NICHT besucht. 

Trotzdem – wie hätte es anders sein sollen? – blieb noch genug anderer Ärger übrig. Er fing schon an bei der Wahl der Unterkunft. Wir waren gerade vom Busbahnhof gekommen und standen nun im Fremdenverkehrsbüro. Die Frau in Uniform hat uns Bilder von Hotels gezeigt. Ob wir lieber etwas Kleines, Ländliches suchten wie das hier ...


… oder lieber etwas Gediegenes in der gehobenen Luxus- und Preisklasse?


Ich war gerade abgelenkt, weil ich auf den Pit geguckt hatte, wie der da so rumstand mit seinem Schnarchkissen-Trolli im Schlepptau, und da habe ich auf den Harald geschaut und gedacht, nee, das Rot von seinem Nasengeschwür passt ja überhaupt nicht zum Rot vom Schnarchkissen. Dabei muss es passiert sein. Jedenfalls tat ich gerade noch so mitkriegen, wie die Uniformfrau zur Mia sagte:
„Sehr wohl, Mädäm. Darf es die King-George-Suite sein?“
Und die Cora hat hinzugefügt:
„Du, Mia, ich glaub, das dürfen wir nicht. Ein einzelnes Zimmer reicht.“

Da hatten wir den Salat. Ob sie bescheuert wäre, habe ich die Mia gefragt. Was das kostet! Und dann so weit draußen! Und das ewige Gelatsche durch die langen Gänge, bis man mal an seinem Zimmer angelangt ist! Rausgeschmissenes Geld und rausgeschmissene Blasen an den Füßen. Hat man da Worte? Der Kassenwart bin ich, niemand sonst, verstanden?

Immerhin hatte das Geschmatze von Haralds Plattfüßen ein Ende, denn  alles war mit Teppichboden ausgelegt, selbst die Korridore und die Aufzüge. Im Bad stand eine runde Wanne, so groß, dass der Frischkäse dort problemlos seine Gymnastikrunden absolvieren konnte, ohne vor die Tür zu müssen. Schade nur, dass er vorne noch immer schwarz war, sonst hätte das in der weißen Wanne noch besser ausgesehen. 

Auch sonst war es sehr ruhig, fast schon einsam. Blickte man aus dem Fenster, war weit und breit nur grüner Rasen zu sehen. Kein Verkehrslärm, keine blökenden Schafe, nichts. Für den Weg zurück zur Stadt mussten wir ein Taxi nehmen. Ein Diener hat uns die Tür aufgerissen. Dann fuhr der Wagen die lange Auffahrt hinab. Ich habe hinten gesessen und im Geiste unser Budget durchgerechnet.
„Ach was, wofür haben wir unsere Passagen vertickt?“, hat die Mia gemeint.
Sie tat mich süffig angrinsen. Bei nächster Gelegenheit würde ich sie auf Diät setzen, das stand schon mal fest.

Für erlebnishungrige Touristen hat Lincoln viel zu bieten. Ich erwähne das in lobender Anerkennung. Die Stadt hat eine lange Geschichte, so ungefähr 2000 Jahre. Die Römer waren da und auch die Normannen, und alle haben sie gebaut. Manches ist noch heute zu besichtigen, einiges komplett, anderes nur noch in Teilen.

Das hier zum Beispiel ist ein römisches Bauwerk aus dem 3. Jahrhundert. Der Rest ist inzwischen weggebröckelt:

Newport Arch in Lincoln

Dann gibt es noch die so genannte normannische Architektur. Darunter versteht man eine englische Variante der Romanik. Wie ich schon mal in Bristol sagte, ist die Gotik feiner, leichter, niedlicher und nicht so klobig wie die romanische Bauweise, doch muss es deswegen nicht schlechter aussehen, wie man hieran erkennt. Beide Gebäude sind normannischen Baustils und aus dem 13. Jahrhundert:



Und dann ist da noch Fachwerk. Auch sehr hübsch:



Das Ganze gibt es sogar mit Brücke:


Die Brücke heißt High Bridge (nicht Rialto) und ist aus dem 16. Jahrhundert. Der Fluss heißt Withham, und die Schwäne, die da rumlungern, lassen wir mal beiseite. Wir haben dem Harald gesagt, er soll sich nicht drum kümmern, sonst kämen wir nicht durch mit unserm Programm. Der Pit täte ja auch nicht jeden Straßenkater anquatschen, nur weil man eine ähnliche Evolution teilt. Daraufhin ist der Harald beleidigt weitergewatschelt. Ich glaube, die Cora hat heimlich ihre Kekse über die Mauer gekrümelt, als sie dachte, es würde keiner mitkriegen. Sicher taten ihr die bettelnden Schwimmproleten leid. Die Mia habe ich seufzen hören:
„Wenigstens sind DIE anständig weiß ...“
Sie sagte das so mehr vor sich hin, aber laut genug, dass es der Harald hören konnte.

Habt ihr darauf geachtet? Der Boden in Lincoln ist vielfach nicht ganz waagerecht. Das liegt daran, dass die historische Altstadt an einen Hügel gebaut wurde. Die Steigung ist stellenweise beachtlich, man muss gut zu Fuß sein.
„Na, knacken schon die Gelenke?“, habe ich mich beim Grunzer erkundigt.
Der Cora taten ordentlich die Schwanzfedern wippen, als sie vor mir den Hügel hochkraxelte.
„Soll ich schieben? Gnihihi“,  habe ich gefragt.

Oben drauf auf dem Hügel thront die Kathedrale. Man kann sie schon von weitem sehen, aber nicht nur, weil sie erhöht steht, sondern auch, weil sie sowieso groß und hoch ist. Ganze 143 Meter lang ist sie, und im Reiseführer stand geschrieben, dass die Kathedrale von Lincoln zweihundert Jahre lang als das höchste Kirchengebäude der Welt galt, bis ins 16. Jahrhundert hinein. 


Ich kann das bestätigen. Ich meine, wir waren ja drin, und wenn man da so steht zwischen den vielen Säulen und es nimmt kein Ende nach oben hin und auch kein Ende vor einem und nach einem, da kriegt man schon Gedanken an Mickrigkeit und Ehrfurcht. 

Ich mit der Cora (links) in der Kathedrale von Lincoln

Angefangen zu bauen hat man die Kathedrale im 11. Jahrhundert (siehe Wilhelm der Eroberer). Zu der Zeit war noch normannische Romanik modern. Aber als man dann schon weiter fortgeschritten war, etliche Jahrzehnte später, hatte sich die Gotik durchgesetzt, also hat man gotisch weitergebaut. In vielen alten Kirchen ist das so, unten Romanik, oben Gotik. Im Grunde ziemlich zusammengewurschtelt, doch bei so großen Bauten ist das egal, da sieht man das nicht so dolle, da zählt der Gesamteindruck. Wir kannten das ja schon so ähnlich von der Kathedrale in Bristol. 


Liebe Mama daheim, lieber Opa, liebe Amy, lieber Luke, liebe andern,
so habe ich geguckt, als ich die tolle große Kirche von Lincoln gesehen habe. Die ist größer als unsere Dorfkapelle. Darin darf man kein Wurstbrot futtern, das ist unerwünscht. 
Es grüßt euch euer Pit

Ich hatte gut zu tun, den Ringelplüsch im Auge zu behalten. Es wäre doch jammerschade um dieses wunderbare Kunstwerk, ganz zu schweigen davon, dass ich ungern von der Insel gejagt worden wäre. Gott sei Dank hat er sich anständig benommen, ich brauchte nicht zu schimpfen. Leider aber hallt es in großen Kirchen immer so. In der Kombination mit Haralds Plattfüßen war das mal wieder ziemlich peinlich.
„Zieh dir doch mal Waschhandschuhe über“, habe ich ihm befohlen.
Wozu hängen diese Dinger schließlich in unserem Hotelzimmer? In manchen Schlössern bei uns in Deutschland muss man sich Puschen überziehen, um das Bohnerwachs nicht zu verkratzen, aber hier hatte ich so was Praktisches leider nicht gesehen.

Als es Zeit wurde zum Abendessen, war unser beachtliches Pensum fast geschafft.
„Mit tun die Füße weh“, hat die Cora gejammert.
Die Mia, der Pit, der Harald und der Grunzer hatten Hunger. Nach all den Sandwiches und den Schokoriegeln zwischendurch tat ihnen jetzt nach einer warmen Mahlzeit gelüsten.
„Nö“, habe ich gesagt.
„Wie … nö?“
„Dass ich kein Abendessen spendiere, soll das heißen. Wir müssen sparen. Das Hotel kostet zu viel.“
Hi hi hi, wie die Mia jetzt angeglotzt wurde, war enorm spaßig anzusehen. Ich habe mir aber nichts anmerken lassen und stattdessen einen Vorschlag zur Güte gemacht:
„Wir gehen jetzt in einen Pub. Dort trinken wir was Nettes, und davon werden wir auch satt.“

Meine Mannschaft ist lahm hinter mir hergetrottet. Hierhin zog es mich, zu einer der altehrwürdigen Adressen in Lincoln:


In diesem Gebäude befindet sich schon seit 1794 eine Schankwirtschaft. Wir würden ein paar Tonic Water trinken oder Ginger Ale, meinetwegen auch Apfelsaft, und danach nach Hause gehen. Ach, ich tat mich schon richtig freuen auf das besondere Flair in diesen alten Gemäuern. Mir war an diesem Tag nach historischer Umwehung zumute, nach dem Hauch des Vergangenen mit der Gewissheit des Hier und Jetzt und der Prophezeiung des Unbekannten in der Zukunft – und alles zusammen mit einem schönen Glas Cola.
„Wenn jetzt noch mal einer die Augen verdreht, dann könnt ihr zu Fuß nach Hause laufen“, habe ich gewarnt.
Danach war Stille.

Gerade hatte ich noch gedacht, ich hätte sie sicher im Griff, meine Untertanen, da tat sich das Unheil von einer unerwarteten anderen Seite auf. Mann, war das ein Scheiß! Hätte ich außerdem gewusst, dass die Nacht noch lange nicht zu Ende sein würde, wäre ich gar nicht erst in Lincoln ausgestiegen. Ich war so sauer, dass es mir jetzt noch schwerfällt, darüber zu reden. Ich muss erst mal tief Luft holen, bevor ich weiterschreibe. Vielleicht werde ich das nächste Mal dazu in der Lage sein. Drückt mir die Daumen. Versprechen kann ich nichts.

Fotos: Cora © G.H.
          Pit © Club der glücklichen Vierbeiner
          Abraham Lincoln, Auto, Landhaus, Schloss, Landkarte, Kathedrale außen, Kathedrale innen: Pixabay
          Morguefile: Stadtansicht

          Lincoln Castle: Richard Croft/Geograph, Bild steht unter Creative Commons License
          Newport Arch: Richard Croft/Geograph, Bild steht unter Creative Commons Licence
          Normannisches Steinhaus 1:Brian/Flickr, Bild steht unter Creative Commons Licence
          Normannisches Steinhaus 2: Brian/Flickr, Bild steht unter Creative Commons Licence
          Fachwerkhaus 1: Brian/Flickr, Bild steht unter Creative Commons Licence
          Fachwerkhaus 2: Brian/Flickr, Bild steht unter Creative Commons Licence
          High Bridge: Brian/Flickr, Bild steht unter Creative Commons Licence
          Pub: Brian/Flickr, Bild steht unter Creative Commons Licence

© Max: Papageiengeschichten

Sonntag, 11. Januar 2015

Die große Sause (13. Teil)

Wegen des Ausflugs vom Pit mit der Cora zum royalen Dampfer in Leith sind wir erst am Nachmittag aus Edinburgh weggekommen.
„Wohin fahren wir jetzt?“, wollte die Mia wissen.
„Wir haben im Bordrestaurant Irish Coffee getrunken“, hat die Cora gesagt und blöde gekichert.
Ihr Kopf lag dem Grunzer auf der Schulter.

Ich fand, dass es Zeit wurde, nach England zurückzukehren. Ich meine, wir waren zu einer England-Reise aufgebrochen, aber die meiste Zeit durch Wales und Schottland gegurkt. Nicht, dass es dort hässlich war, keineswegs, aber eine gewisse Disziplin ist selbst auf Urlaubsreisen nötig, damit Plan und Vollzug wenigstens einigermaßen deckungsgleich bleiben.
„Also, wohin geht’s jetzt?“, hat der Pit gedrängelt.

Mit einmal umsteigen sind wir am Abend in Harrogate gelandet. Das liegt in Yorkshire, noch über Leeds und Sheffield, wo Schornsteine rauchen. Mir aber war nach kleinerer Stadt zumute, nach Ruhe und Beschaulichkeit, ohne die Ablenkungen, mit denen schwache Weiber durch allzu gut sortierte Einkaufsstraßen in Versuchung gebracht werden. Außerdem ist Harrogate früher ein berühmtes Kurbad gewesen, eisen- und schwefelhaltige Mineralquellen, ihr versteht? Das würde sich bestimmt in reizender, fotogener Architektur niederschlagen, und die Luft wäre sicher auch empfehlenswert.

„Kriegt man mit dem Schwefelwasser das Schwarz vom Harald?“, hat die Mia gefragt.
Ihr Blick hatte was Flehentliches. Wir erinnern uns: Die schneefarbene Teichfregatte war inzwischen zum Piratenschiff mutiert, inklusive roter Warnvorrichtung am Mast. Neulich in Conwy, als wir dringend auf Unauffälligkeit in der Nacht angewiesen waren – ihr wisst doch? Burg, Pit, Zerstörung, Flucht –, da hätten wir die Tarnfarbe gut gebrauchen können, aber jetzt machte sie nur miese Stimmung bei der Mia.

„Liebst du mich nicht mehr, nur weil ich anders aussehe?“, tat der Harald jammern.
Immerhin hatte die schmutzfreundliche Kombination aus Schwarz und Rot noch andere Vorteile, doch davon später mehr.

Erst mal musste das Gepäck abgestellt werden. Um dem Harald das Los seiner eingebüßten erotischen Ausstrahlung ein wenig zu mildern, habe ich ein Zimmer im altehrwürdigen Swan Hotel spendiert. Denkt euch, S W A N Hotel. Wie das schon klingt … Da hat man doch gleich den dezenten Duft von Melissenöl in der Nase und das „Chamor, Chamor, Chamor“ einer Chulio-Iglesias-Platte im Ohr. Das Hotelzimmer war nobel und nicht ganz billig, wenn auch die Betreiber leider keine Schwäne waren, so wie ich gehofft hatte. 

Das Swan-Hotel

Wenigstens die Mia war angetan von den weißen Badetüchern, und das kam letztlich auch wieder dem Harald zugute, so dass wir dann doch einigermaßen gefestigt zum Abendessen aufbrechen konnten. 

In der Innenstadt sind tatsächlich noch etliche Relikte schnörkeliger Vergangenheit zu bewundern, hier zum Beispiel das ehemalige türkische Bad: 

Türkische Bäder

„In der Sauna waren wir beide noch nie zusammen“, hat die Cora gesagt und ihren Frankensepp angefletscht wie 'n Hai auf Eierlikör.
Boah, wer wollte den schon nackt sehen?

Hier neben dem Eckhaus sind wir Essen gegangen:

Betty's Tea Room

Ich erwähnte es bereits: Die aktuelle Farblage vom Harald eröffnete Gelegenheit für kulinarische Experimente, zu denen wir sonst keine echte Gelegenheit hatten. Deshalb habe ich überbackene Tomaten bestellt. Für alle. Ich fand das bekömmlich nach der Gulasch-Orgie vom Campingplatz in Iverness. 


Und wirklich, die Flecken sah man nicht auf dem schwarzen Untergrund, auch nicht am roten Schnabel. Nur der Pit war am Nörgeln. Dem war zu wenig Fleisch in der Füllung. Eigentlich war da überhaupt kein Fleisch drin, denn es handelte sich um vegetarisches Essen. Dafür aber blieb dem Pit der Quark in den Barthaaren kleben, lauter glänzende Klümpchen. Als er sich rasch zu mir umdrehen tat, weil ich angemerkt hatte, dass da wohl Hackbröckchen auf meinem Teller seien („Nee, doch nicht.“), sind die Quarkperlen in einer abrupten Spontaninitiative davongesprungen und haben sich einen neuen Wirt gesucht. Der Harald hatte plötzlich lauter weiße Sprenkel am Hals.

Der Mia ist der Löffel aus der Kralle gerutscht.
„Wenn jetzt noch mal was mit deinem Aussehen passiert, nur ein einziges Mal, dann ist es aus zwischen uns“, hat sie geheult.
Die Cora musste ihr nachrennen aufs Klo. Wir andern haben unterdessen Vanilleeis mit flambierten Kirchen gegessen. Es war fantastisch, die Kirschflecken taten ebenso unauffällig im Schwarz versickern wie vorher der Tomatensud.
„Ich an deiner Stelle würde überlegen, ob ich die schwarzen Federn nicht ganz behalten täte“, habe ich dem Harald empfohlen. „Ist doch viel pflegeleichter als Weiß.“

Als die Cora mit der Mia zurückkam, war es bereits dunkel draußen. Die Mia hat kein Wort mehr mit ihrem Liebhaber geredet. Wir standen auf dem Bürgersteig. Ich habe dem Pit gesagt, er soll sich näher an den Harald heranstellen, damit ihm ein bisschen Trost zuteil werde, so von Mann zu Mann.

Das Geniese hat im Dunkeln besonders laut gehallt, oder täuschte ich mich?

Ja, Mensch, nun war ich so abgelenkt mit dem Wohlbefinden vom Harald, dass mir das Wichtigste jetzt erst auffallen tat: Wo um Himmels Willen war die Stadt geblieben?

Alles dunkel. Alles leer um uns.

Harrogate

Hier auch.

Harrogate

Uff, wenigstens Scheinwerfer zu sehen, Zeichen lebenden Daseins. Aber wo waren sie alle hin?

Harrogate

„Bisschen wenig los hier, nicht wahr?“, fand der Pit.
„70.000 Einwohner, Messe- und Kongresszentrum. Vielleicht sind sie alle im Pub“, meinte die Mia.
„Au ja, lasst sie uns suchen gehen.“
Das war die Cora.
Nö. Nicht schon wieder Guinness, Whiskey oder Fruchtsaft. Ohne mich. Man wusste ja, wo das endet.
„Auf Apfelsaft habe ich aber keine Lust“, hat die Cora gemeckert.
„Dann kannst du ja Aalwasser trinken, das mit Ginseng. Das ist auch eine britische Spezialität“, habe ich gesagt.
„Das heißt Ginger Ale und ich geh jetzt ins Hotel,“ kam vom Harald.

Er ist allein losgewatschelt. Fast wäre er unbemerkt in der Dunkelheit verschwunden. Wir haben uns rasch angeschlossen, aber mir war nicht ganz wohl dabei:
„Nicht dass gleich Jack the Ripper um die Ecke kommt.“
„Quatsch! Was sollte der hier wollen?“
„Na, wenn er hier auf Urlaub ist?“
„Blödmann. An so was Beklopptes glaubst auch nur du.“
Die Mia hat noch lange den Kopf geschüttelt.

Das Hotel haben wir vollzählig erreicht. Niemand ist ermordet worden, und an der Rezeption waren auch wieder Lebewesen aus Fleisch und Blut zu besichtigen. Alles schien wieder im Lot zu sein.

„Jetzt weiß ich es wieder“, hat der Grunzer beim Schlafengehen gesagt. „Mir kam der Name gleich so bekannt vor. Hier in Harrogate war der Europäische Songcontest. 1982. Hier hat Nicole gewonnen. Ein bisschen Frieeeeeden, ein bisschen Freeeeude ...“
„Ja, stimmt!“ Der Cora stand Glanz in den Augen. „Mein Lieblingslied ist ja von Johnny Logan „What's another year“.“
„Ist das dein Motto fürs Heiraten?“, habe ich gefragt. 
Die Praline im Silberpapier, das Betthupferl vom Hotel, ist mir direkt an die Stirn geknallt. Gott sei Dank war kein Kognak drin.

Am nächsten Morgen nach einem reichhaltigen Frühstück mit einer Extraportion Schinken, Salami und Würstchen für die Nassfutterfreunde unter uns tat die Welt schon wieder ganz anders aussehen. Die Sonne schien und auch Harrogate hatte seine Bevölkerung zurück. Ich konnte meine Mitreisenden mit der Nachricht erfreuen, dass wir gleich zu einer Wanderung aufbrechen würden. Yorkshire sollte ja eine sehr liebliche Landschaft haben. Die galt es zu erkunden.

„Och nö, nicht schon wieder latschen. Das haben wir doch erst in Schottland gemacht.“

Was musste ich hören? War das Widerstand? Womöglich Revolte? Meuterei? Vatermord?

„Wir gucken uns ja gern die Landschaft an“, hieß es weiter, „Aber nicht den ganzen Tag und nicht alles zu Fuß.“

Na schön, ich wollte mir schließlich keine Hartherzigkeit nachsagen lassen. Den halben Vormittag bin ich herumgerannt auf der Suche nach einem Fuhrunternehmen. Die andern waren unterdessen mit dem Harald am Badeteich. Ein bisschen was Gemütliches sollte es sein mit Frischluft und Eventcharakter, aber so sehr ich auch suchen tat, nirgends hatte jemand Kutschfahrten im Angebot. Für viel Geld und nach harten Verhandlungen war es mir endlich gelungen, eine würdige Alternative aufzutreiben.


„Oh, wow! Eine Hochzeitskutsche!“, hat die Cora geschrien.
Ruckzuck hatte sie sich den Grunzer unter den Flügel geklemmt. Er musste neben ihr auf dem Kutschbock Platz nehmen. Dann kam die Mia und schließlich ich:
„Macht mal Platz da!“
Der Frischkäse musste hinten einsteigen. Erstens war er zu breit für vorne und zweitens war die Mia noch immer stinkig auf ihn. Ja, wenn er weiß gewesen wäre, ja, dann hätte er gut in die Hochzeitskutsche gepasst, doch so schwarz, wie er war – nä! Da verstand die Mia keinen Spaß. Dem Pit war das egal. Der hat sich freiwillig mit nach hinten gesetzt. So blieb ihm mehr Raum für das Lunchpaket, das er sich vom Frühstück zusammengeklaut hatte. Zwischen den Plastikhenkeln guckte 'ne Flasche Cola raus. Die alte Mampfsemmel hatte natürlich wieder an alles gedacht. Ich war gespannt, ob er uns was abgeben würde.

Unser DuPeng-Reiseführer hatte nicht zu viel versprochen. Yorkshire ist wirklich sehr hübsch. Nicht gerade dicht besiedelt, aber gewellt mit viel Grün und Himmel. Also das Übliche. Nur sind hier die Bodenwellen nicht ganz so hoch wie anderswo und die Wiesen sind eingezäunt mit halbhohen Steinmauern, so wie es typisch ist für Yorkshire. 

Typische Steinmauer in Yorkshire

Unser Kutscher hat uns weit herumgefahren, im angenehmen Trab die schmalen Wege entlang, die Hügel hinauf und wieder hinunter. Ehe Empörung aufkommt: Ich habe später den beiden Pferden ein ordentliches Trinkgeld gegeben. Sie haben ihren Job wirklich gut gemacht. John und Wilma hießen sie. 

Yorkshire

Das friedliche Ambiente tat sich besonders günstig auf die Cora auswirken. Von dem Geheule, das uns noch in Schottland das Gehirn gequirlt hatte, war nichts mehr zu spüren. Keine Rede mehr von den dicken Schwestern im Labor und auch kein Wort zum Ausflug mit Irish Coffee und dem Pit auf die Britannia. Die Cora hatte sich den Frankensepp dicht herangezogen und grinste nun glücklich vor sich hin.

Yorkshire

Die Mia dagegen tat weiterhin finster gucken. Kein einziges Mal hat sie sich während der Fahrt umgeschaut, um nach ihrem Liebsten zu sehen oder um ihm wenigstens erotische Zugänglichkeit zu signalisieren. Stur tat sie geradeaus starren. Sonst hatte sich auch niemand umgedreht und von hinten war ebenfalls keine Ansprache gekommen. Regelmäßig hat man den Harald niesen hören, unterbrochen von Plastikgeraschel und Kaugeräuschen, so wie sie holsteinische Knackwürste verursachen, wenn sie Thunfischsalat futtern oder Blutwurstscheiben.

Wir waren schon einige Stunden unterwegs. Vielleicht war es Hunger, der die Mia schließlich doch noch veranlassen tat, einen Blick nach hinten zu werfen, um den Pit nach einem Stückchen Brot oder einem anderen Sättigungselement zu fragen. Ihr Schrei hätte uns fast vom Kutschbock gefegt. Himmel, was war los? Im Nu sind alle Köpfe herumgeflogen.

Hinter uns auf der Bank saß der Ringelplüsch, Kopf nach hinten gelegt, Nase in den Himmel gereckt, Sonnenbrille auf – und neben ihm hockte der Harald.

Öhm, ja.

Das war er:


Hi hi hi. Bekloppt.

Das Gekreische der Mia hatte Explosionscharakter. Hasen waren zu sehen, wie sie übers Feld davonjagten, der Kutscher ist vor Schreck auf die Bremse getreten.
„Was hast du gemacht?“, hat die Mia geplärrt. „Jetzt ist es genug! Ich will nicht mehr! Ich will deinen blöden Herpes-Pickel nicht! Es ist aus mit uns!“
„Aber Mia …“, hat die Cora versucht, Frieden zu stiften.
Und dann hat sich der Grunzer zu Wort gemeldet.
„Mia“, hat er geschmalzt und ein Expertengesicht gemacht. „Wahre Liebe verzeiht alles.“

Mia
Oh, das hätte er nicht sagen sollen. Wie die Mia ihn anfahren tat, war sehenswert:
„Ach, halt die Klappe, du … du … Spätberufener. Du hast doch keine Ahnung, du erotische Nebelleuchte. Das Geschwür da auf dem Schnabel ist der Gipfel an Rücksichtslosigkeit. Ich kann mich nirgends mehr blicken lassen. Nie bin ich so gedemütigt worden. Buhuhuuuuu. “

Und weiter ging das Geschrei.

Unterdessen tat der Harald unbeweglich dasitzen und bedröppelt gucken. Der Pit meinte auf meine Frage, warum er denn nicht eher Bescheid gesagt hätte, als sich die Wandlung vollzog:
„Wieso? Welche Wandlung ? Was ist denn geschehen?“
Dem würde ich die Sonnenbrille wegnehmen müssen. Dringend. Die tat ihm nicht gut.

Jetzt wollte die Cora wissen, ob das rote Gebamsel an der Nase weh täte, irgendwie druckempfindlich sei oder jucke.
„Nö.“
„Und wenn es ansteckend ist?“
Jetzt tat die Mia in den fünften Kreischgang schalten. Schließlich meldete sich der Kutscher:
„Wäre es nicht besser, wir holen Hilfe? Ich ruf gleich mal unsern Tierdoktor an. Wir haben einen sehr guten hier.“
Es war zu vernehmen, wie er am Handy nach Dr. Herriot fragen tat. Die Mia wagte einen Blick unter dem Tränenschleier hervor.
„Ach was, das ist der nicht“, habe ich die Cora sagen hören.

Eine halbe Stunde haben wir warten müssen. Der Pit hat Sandwiches und Kekse verteilt. Also doch. Großzügig hatte er für uns mitgeklaut am Frühstücksbüfett. Guter Junge. Das verdient Anerkennung und Erwähnung, was ich hiermit tue. Dann war am Horizont ein Auto zu sehen. In Yorkshire lässt sich weit blicken, zumindest wenn man auf einem Hügel steht. Das Auto kam näher. Das neuste Modell war es nicht gerade, aber es schaffte, emsiges Bemühen zu vermitteln. Schließlich hielt es neben uns an. Ein Mann tat aussteigen. Er hatte eine Arzttasche in der Hand.

Als er sich vorstellte, kriegte die Mia augenblicklich gierigen Schmelz in den Augen, so wie neulich in Blackpool, als wir überraschend auf den Hollywood-Frosch gestoßen waren. Die Cora war ganz rot im Gesicht.
„Guten Tag, mein Name ist James Herriot“, hat der Mann gesagt.
„Ich kenn Sie aus dem Fernsehen“, hat die Mia gehaucht. Dazu machte sie eine Art Hofknicks.

Hä? Was war los?

„Das ist der Tierdoktor aus dem Fernsehen“, tat der Grunzer mir zuflüstern.

Aha. Und jetzt?

„Wo ist der Patient?“, wurde gefragt.
Ich dachte, gleich zieht er sich einen dünnen Gummihandschuh hoch hinauf bis an die Schulter, um dem Harald damit … So hatte ich es jedenfalls bei einem Tierdoktor auf der DVD von meiner Oma gesehen; so machen sie es dort auf dem englischen Land. Stattdessen hat er dem Harald aber nur am Pickel herumgetatscht, hat ihm Fragen gestellt und den Brustkorb abgehorcht. Ob der Harald allergisch sei, wollte er wissen.
„Bei uns in Deutschland hat er das nicht“, hat die Mia Auskunft gegeben.
Sie hatte das Heulen eingestellt.

Am Ende gab's Diagnose: Der Harald sei kerngesund. Der Pickel gehe wieder weg. Vielleicht zusätzlich mit Clerasil abtupfen. Vorsichtshalber aufs englische Breakfast verzichten, falls das die Ursache der Veränderungen sei. Zu Hause in Deutschland die Sache abklären lassen. Wahrscheinlich liege eine Allergie vor.

Das Honorar habe ich übernommen. Ich hatte Bargeld dabei. Dann ist der Mann wieder in seinen Wagen gestiegen und weggefahren.
„Dass der wieder praktiziert, seit die Fernsehserie vorbei ist – alle Achtung“, hat die Cora gemeint.
Die Mia war seitdem wie betäubt, so wie manche Frauen plötzlich auffällige Friedfertigkeit zeigen, wenn sie von einem Robbie-Williams-Konzert kommen. Jedenfalls tat sie die Klappe halten, und das war sehr begrüßenswert.


Wir sind zurück nach Harrogate gefahren. Genug in der Frischluft herumgegondelt. Ich hatte die Faxen dicke. Kurz die Krallen gewaschen, dann zum Abendessen gegangen. Dazu sind wir im Hotel geblieben. Ich habe ein Fleischgericht mit typisch regionalem Einschlag bestellt, denn das war jetzt auch schon egal nach dem bekloppten Nachmittag. 

Yorkshire-Pudding
Die Beilage heißt Yorshire-Pudding. Es handelt sich aber nicht, wie der Name vermuten lässt, um eine süße Weichspeise, sondern um ein fluffiges Backwerk aus leichtem Teig, das man zum Hauptgericht isst. Warum auch nicht? Wenn man es klein schneidet und in Soße wälzt, ist es fast so wie das Weißbrot der Italiener und Franzosen, womit man dort in den Tellern herumtunkt, nur dass der Yorkshire-Pudding gleich mit der restlichen Mahlzeit serviert wird. Der Harald fand den Windbeutel extrem lecker, der Pit hat das Roastbeef gefuttert.

Apropos Harald. Das Drama war noch nicht zu Ende. Nach dem Abendessen – es war ja noch hell – ist der Harald allein losgezogen, eine frische Badegelegenheit suchen, wie er behauptete. Nach einer halben Stunde ist die Mia hinterhergelaufen und wieder eine Zeit später der Pit mit der Digicam. Was sich da genau abgespielt hat in den Parkrabatten von Harrogate, ist mir nicht bekannt, aber der Pit  hat dieses Foto mitgebracht:

Das Mädchen heißt Kitty. Sie ist fünf Monate alt. Dann sind da noch bruchstückhafte Dialoge überliefert, in denen die Begriffe „Busenglotzer“, „Prolet“, „Obertusse“ und „Zickenterror“ eine Rolle spielten. Mehr hat sich der Pit leider nicht entlocken lassen, bis heute nicht, trotz großzügiger finanzieller Angebote meinerseits. Dabei wäre es doch wichtig zu wissen gewesen, um adäquat darauf reagieren zu können. So blieb mir nur, den Harald und die Mia auf gut Glück zusammenzuscheißen, als sie gegen Mitternacht zurückkamen. Sie sollten sich gefälligst zusammennehmen, habe ich gesagt. Ihr Ehekrach täte sich ungünstig auf die Stimmung auswirken. Außerdem wäre es ein schlechtes Vorbild für den Grunzer und die Cora, die damit noch keine fundierten Erfahrungen hätten und jetzt womöglich in die falsche Richtung inspiriert würden.

Ist doch wahr. Immer dieses Liebesgedöns. Ich weiß schon, warum ich mir die Weiber vom Hals halte. Und jetzt, viele Monate später, sitze ich allen Ernstes hier und schreib euch das alles auf, einfach weil's passiert ist und meine Reporterpflicht ist. Aber nicht, dass ihr jetzt denkt, dass ich jedes Mal so detailliert hinhorche. Ich wollte euch nur mal ganz realistisch vor Augen führen, mit war ich's zu tun hatte auf der Reise. Es war nicht alles nur Friede, Freude, Stadtbesichtigung und Eierkuchen. Da war auch viel Geheul, viel Gemecker und viel Gezanke.

Jetzt, wo ihr's mit dem Lesen bis hierher geschafft habt, wisst ihr ja, was ich gemeint haben könnte, nicht wahr? Möchte sich vielleicht jemand auf die Warteliste setzen lassen für spätere Reisen? Nein? Ach, sagt bloß. Hat's euch den Mut verschlagen? 

Fotos: Landkarte, Harrogate 1, Harrogate 2, Harrogate 3, Yorkshire 1, Schwan 2, Ente © Pixabay
          Schwan 1, Tomaten, Kutsche, Steinmauer, Yorkshire 2, Yorkshire-Pudding Auto © Morguefile

         Swan-Hotel Harrogate: © Graham Hogg/Geograph, Bild steht unter Creative Commons Licence

         Turkish baths in Harrogate: Petr Kratochvil/Public domain image 

         Betty's Tea Rooms in Harrogate: © Paul Buckingham/Geograph, Bild steht unter Creative Commons Licence

© Max: Papageiengeschichten

Sonntag, 4. Januar 2015

Sausenrätsel

Hallo, liebe Leser meiner England-Reportage.

Ich kann heute leider nicht pünktlich mit dem 13. Teil anschließen. Ich darf nicht so lange an den PC. Meine Putze liegt den ganzen Tag auf dem Sofa und futtert die Pralinen, die Tibi mir geschenkt hat als Gewinn ihrer Verlosung und die ich in meiner grenzenlosen Generalität dummerweise der Putze überlassen habe. Jetzt muss ich den ganzen Tag aus der "Frau und Klatsch" vorlesen und das Wasser nachfüllen für die Wärmflasche. Für die Reportage bleibt da keine Zeit. Ihr müsst euch noch etwas gedulden - oder es kommt einer her und übernimmt meinen Job.

Eins könnt ihr aber schon machen, ihr könnt schon mal raten, wohin die 13. Etappe unserer Englandreise gehen wird. Dazu gebe ich euch zwei Hinweise. Hier ist der erste:


Das ist was Typisches zu futtern aus dieser Gegend. Was ist es?

Der zweite Tipp wird gesungen. Noten beherrsche ich nicht, daher müsst ihr mit dem Text auskommen. Die Melodie müsst ihr euch dazudenken: 

Ein bisschen Frieden, ein bisschen Sonne
für diese Erde, auf der wir wohnen.
Ein bisschen Frieden, ein bisschen Freude,
ein bisschen Wärme, das wünsch ich mir.

Na, habt ihr's? Beides kombinieren und dann schnell antworten. Die erste richtige Antwort ist der Sieger. Bis später dann.