Mittwoch, 13. Oktober 2010

Matschfalter

Ist man in eurer Familie auch so pingelig? Nur weil einem aus Versehen zwei Mitglieder aus der Erinnerung gerutscht sind?

Ich verstehe die Aufregung nicht. Die Mama hat mir den Blog hier geschenkt, weil die Mia ein elektrisches Pediküre-Set bekommen hat – ihr wisst schon, so mit Bürsten und Schleifrädern, die dann so brummen und dabei Hornhaut wegschmirgeln oder Rubbelstellen an den Krallen polieren. Weil der Mauken-Apparat so viel Geld kosten tat und ich dafür keine Bohrmaschine oder Elektrosäge haben wollte, durfte ich Alternative anmelden, und da habe ich mich für den eigenen Blog entschieden. In mir tut nun mal der Journalismus brennen; ich will Reportage-Pulitzer werden.

Na, jedenfalls hat die Mama neulich Kontrolle gemacht, hat einfach die Seite hier aufgerufen, obwohl ich ihr extra ’ne falsche URL hingelegt hatte wegen Verhinderung genau dieser Störung. Irgendjemand muss aber gepetzt haben, und so kam es, dass die Mama mich heranwinken tat mit unheiligem „Komm mal her, du!“ Ich musste meine Schaumwaffel neben dem Labtop ablegen und Ansprachebereitschaft vorführen. Was das bitteschön bedeuten soll, hat die Mama gefragt – ob ich in der Rubrik „Profil“ nicht was vergessen hätte.
„Wieso?“, habe ich zurückgefragt: „Nö.“
Da ist die Mama ausfällig geworden, hat mit dem Zeigefinger in meinen Bauch gepiekst und mit Ärgerlichstimme verlangt, dass ich das sofort ändere: „Aber zack-zack!“ Sie täte dann wieder Kontrolle machen.

Genauer gesagt geht’s um die beiden Gummifliegen, die bei uns wohnen. Sie heißen Roosevelt und Otis. Der Familienname lautet „Matschfalter“. Ich soll sie hier vorstellen. Roosevelt ist der Blaue und Otis der mit der kackbraunen Körperwolle. Über sie gibt’s nicht viel zu sagen, außer dass sie unsagbar *piiiiep* sind, dazu total *piiiiep* aussehen, sich außerdem bescheuert *piiiiep* anhören und sich geradezu lachhaft *piiiiep* aufführen. Irgendwann waren sie einfach da, und jetzt haben wir den Salat.

Roosevelt und Otis

Die beiden kommen aus Amerika. Keine Ahnung, wer ihnen gesagt hat, sie sollen uns Heimsuchung bescheren. Der Roosevelt ist in einer Villa aufgewachsen, in Washington, in einem typischen Ami-Palast, wie man ihn aus dem Fernsehen kennt, so mit hohen Säulen davor und in ganz Weiß. Der Otis ist sein Cousin. Eine Schwester vom Roosevelt gibt’s auch noch. Sie heißt Caroline und lebt in einer Ökogurken-Kommune im Harz. Von irgendeinem Onkel war auch mal die Rede, aber mit dem haben wir nichts zu tun, weil (Gott sei Dank!) Transsilvanien dann doch ein bisschen zu weit weg liegt für regelmäßige Austauschbesucherei. Dort soll er bei ’nem Grafen aufm Schloss als Nachtwächter arbeiten. Der Roosevelt und der Otis waren mal in den Ferien dort. Danach sind sie ganz verdreht zurückgekommen und haben mir mit ihrer blöden Kicherei und dem ewigen Getuschele arge Beeinträchtigung bereitet, so als täte jetzt aus ihrem Schrumpelhirn was rausgucken, was zu wichtig wäre, um sich unter die Schädeldecke zu ducken. Das blöde Getue ist zwar noch immer aktiv, aber wenigstens haben sie aufgehört, die Knofi-Zehen aus dem Küchenfenster zu kippen. Der Mama hat das Unverständnis und Ärgernis gemacht, außerdem taten alle Nachbarn im Haus plötzlich nach Knoblauch miefen. Das ist mir umso mehr unerklärlich, weil unsere Knoblauchgirlande nur wegen Deko am Küchenschrank hing und aus Plastik war.

Wie gesagt, ich weiß nicht mehr, wo ich den Anfang suchen soll, warum die beiden Gummizwerge bei uns gelandet sind. Wahrscheinlich sind sie Opfer von Mamas Helferkrankheit. Sie tut nämlich alles hätscheln, was keine Kraft mehr hat zum Weglaufen. – Richtig, meint die Mama, sie hätte eben ein großes Herz für alles Schwache, Dumme oder Benachteiligte. Das sagt sie öfter. Dabei grinst sie voller Entgleisung, schmatzt mir knallende Küsse auf den Schnabel und tut mir mit dem Zeigefinger im Bauchgefieder herumrühren.

Tagsüber merke ich nicht viel von den Flugmäusen. Da hängen sie kopfüber an der Kleiderstange im Schrank zwischen den Blusen und T-Shirts. Die Mama hat extra eine dünnere Stange aus Holz angebracht, damit sie sich besser festhalten können. Wenn Fledermäuse schlafen, dann schlafen sie. Man kann ohne jegliche Hinderung die Gummiflügel ausklappen und zurückflutschen lassen oder die Matschfalter durch Schnippen in lustige Bewegung bringen. Wie Mettwürste in der Speisekammer schaukeln sie dann hin und her.

Abends, wenn’s dunkel wird, stehen sie allerdings auf. Dann ist’s vorbei mit der Ruhe. Meistens wollen sie gleich an den PC. Bei uns gibt’s strenge Berechtigungszeiten. Die Mia und ich haben jeder eine eigene E-Mail-Adresse und der Roosevelt und der Otis haben ihre eigene zusammen. Das ist so gemacht wegen Streitvermeidung. Außerdem wird im Stundenplan notiert, wer von uns wie lange am Laptop sitzen darf. Bei uns Normalbewohnern ist das eher am Tag, bei den beiden Nachthamstern nachts.

Einmal im Monat steht die Mama stundenlang in der Küche und tut Faltermahlzeiten vorkochen. Der Roosevelt mag am liebsten Hackbällchen, der Otis Fliegenragout-Ravioli. Davon werden ganze Schüsseln gefertigt, abgepackt und eingefroren. Jemand muss dann nur noch gegen Abend das Zeug aus dem Gefrierfach holen. Manchmal vergesse ich das – kann ja mal vorkommen, nicht? Es gibt jedenfalls keinen Grund, „Holzkopf“ zu mir zu sagen und die halb gefrorenen Hackbällchen nach mir zu werfen. Einmal hat’s bis Mitternacht gedauert, bis die Mama den Otis gefunden hatte. Er steckte im Blumentopf. Wahrscheinlich hatte er sich selbst dort eingebuddelt und dann vergessen, nach Hilfe zu rufen.

Was die Matschfalter die ganze Nacht so treiben, davon fehlt mir leider Restloskenntnis. Ich kenne ihr Passwort, daher weiß ich, dass sie zwei Blogs besitzen. Einer tut sich mit Biker-Fragen beschäftigen, Harley Davidson und so, der andere mit Fotos von Grillhähnchen: hunderte Bilder und Videos von nackten, öligen Junghühnern, wie sie sich da drehen in Schamloshaltung. Ich habe nur noch nicht herausgefunden, ob sie für ’ne Fachdokumentation gedacht sind oder lediglich obszön darstellen. Die Kommentare kann ich nämlich nicht lesen, dafür muss man Anmeldung haben und Mitglied sein. Manchmal gehe ich ins Internet-Café und frage im Motorrad-Blog als Anonym-Leser, woher ich Stützräder für mein Dreirad bekommen täte oder ob Helmpflicht in der Kinderkarre besteht. Sie kriegen nie raus, dass ich das bin!

Irgendwann hauen sie ab, quetschen sich durchs aufgeklappte Klofenster und surren davon. Ist euch bekannt, dass Fledermäuse in Fahrt fast genauso aussehen wie kleine Vögel? Nur der Schwanz fehlt. Ich habe schon überall Recherche gemacht, auch bei den Tauben, Elstern und Spatzen in der Nachbarschaft, aber jeder tut behaupten, er wüsste nicht, wohin der Roosevelt und der Otis fliegen. Die Tagvögel sagen, da würden sie sowieso schlafen und nichts mitkriegen, und die Tauben halten mir die Flügelspitze hin und grinsen: „No chance, Stinker.“ Ich glaube ja, die beiden Flugmäuse machen irgendwas in Unsolide, verticken Eintrittskarten für „Kaufhaus by night“ oder so was – ich kann’s nur nicht beweisen.

Falls sich jetzt jemand fragen tut, ob ich hier nicht zu viel verrate: Meine Antwort lautet: „Nö.“ Die Mama wird hier nicht lesen. Die ist zufrieden, wenn sie das Bild von den Matschfaltern sieht und ich ihr Glaubhaftversicherung gebe, dass ich ihren Auftrag nach gebührlicher Vorstellung erledigt habe. Das nächste Mal, wenn sie wieder ohne Einladung in meinen Blog gucken will, lasse ich ihr ’ne URL von ’nem Stick- und Häkelforum da. Dort ist sie besser aufgehoben. Alles voller Intellektuell macht ihr nur Durcheinander.

© Max: Papageiengeschichten

2 Kommentare :

  1. Du Max,
    ich freue mich, dass es die beiden netten Fledermaus-Herren noch gibt. Da du jetzt hoffentlich etwas vernünftiger geworden bist, wirst du die beiden sicher nicht mehr so ärgern, oder? (Ich sage nur "Nachttischschublade"!)
    Deine Cora, die dir noch sagen möchte, dass es hier keine Bergwerke mehr gibt.

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  2. Betrifft: Bergwerke

    Ja, ja, Cora ... und Einhörner, Atlantis und den Schatz der Nebelunken hat's natürlich auch nie gegeben.

    Dein Max

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