Sonntag, 31. Oktober 2010

Rätsel 1

Liebe Kundschaft,

damit ihr Aufwachen bekommt vom Lesen meiner Schreiberei, gebe ich euch hier was zum Raten: Was ist das? Einfach draufgucken und Antwort unten hinschreiben.



Ich gebe Tipp: Es ist nicht blau und kein Tier.

Und nun viel Spaß.

Samstag, 30. Oktober 2010

Wöna

Soll ich mal raten? Ihr habt gerade die Überschrift gelesen, und jetzt tut ihr euch fragen, was das bedeuten soll, stimmt’s?

Ich gebe euch Aufklärung: „Wöna“ ist eine Zusammenpappung von „Wörter“ und „Namen“. Das habe ich gemacht, weil ich mich nicht entscheiden konnte, welches von beiden ich nehme für die Überschrift. Es geht hier nämlich um zweierlei, um Namen und um gewöhnliche Wörter, genauer gesagt um Wörter, die zu Namen geworden sind. Ich will euch was über Numismatik  erzählen. Das ist ausländisch und bedeutet Namenskunde. Nee, halt – irgendwie war das anders … aber wie?
 „Miiii-aaaa? Kannst du mir mal Antwort geben auf eine schwierige Frage?“
Pah, das weiß die nie, die ist ja so doof. Die kennt nur einen einzigen Begriff, von dem sie denken tut, er täte aus der Wissenschaft stammen: Kosmetik.
„Ja, Mia? Okay … in Ordnung … meinste wirklich? Aha … danke.“

Jetzt hab ich’s, gerade ist es mir wieder eingefallen: Numismatik ist das, wo man Münzen beguckt. Ja, genau. Namenskunde heißt O-no-mas-tik. Keine Ahnung, wer sich das ausgedacht hat, jedenfalls macht es Existenz unter dem großen Dach der Sprachwissenschaft und darüber habe ich inzwischen Premiumkenntnis, denn ich war ja im Rechtschreibe-Internat und da hatten wir auch solche Fächer wie Abkürzungsdeutsch, Kreativdeutsch und Idiotendeutsch. Ich habe immer gut aufgepasst, daher weiß ich, dass man heutzutage alles machen darf, egal ob das jemand anders versteht oder nicht, Hauptsache, man selbst tut sich darüber freuen. Deswegen bin ich jetzt auch ganz besoffen vor Dauergrinsen wegen meinem tollen „Wöna“. Darauf muss man erst mal kommen, nicht wahr?

Obwohl: Abkürzungen sind so was Seltenes auch wieder nicht. Das beste Beispiel bin ich selbst. Ich heiße Max. Klar. Tut jeder wissen. Mein Komplettname lautet Maximilian. Ist soweit auch noch zum Mitkommen. Doch was bedeutet Maximilian, wo tut es herstammen? Da wird es schon komplizierter. „Maxi…“ kommt von „Maximus“. Das ist Latein und meint „der Größte, der Schönste, der Stärkste, der Klügste“. Ich finde, das tut mich gut beschreiben. Hinten dran das „…milian“ wiederum ist eine Zusammensetzung von „Milano“, der Stadt in Oberitalien, und „Pelikan“, dem stolzen Wasservogel aus „Flipper“. Meine Mama – ich meine jene Mama, die mich als Ei ausm Hintern gedrückt hat – wollte unbedingt mal ’ne Modenschau besuchen und mein Papa hätte sich über ’ne Schwimmerkarriere gefreut, deshalb ist das so ausgegangen mit meinem Namen. Das „i“ ist noch dazwischen, weil mich der Züchter mit gleichem Ausruf begrüßt haben soll, als ich ihn zum ersten Mal nett angelächelt hatte. Aber da weiß ich nicht, ob es stimmt oder nur Anekdote ist. Wahrscheinlich kommt das „i“ eher von „Insel“, weil meine Eltern dort gleich nach meiner Geburt unbedingt Urlaub machen wollten. Einer meiner Halbbrüder übrigens heißt Bo. Er fährt jetzt Tiefkühlpizza aus. Den hat’s nicht so gut getroffen wie mich.

Aber auch die Mia tut Abkürzung tragen. Ich weiß, es hört sich komisch an, weil ihr Name so kurz ist. Und doch ist es was Zusammengematschtes. Korrekt muss es nämlich heißen: M.i.a. Das kommt aus dem Englischen und meint: My identity: angebertussi. Man darf sie allerdings nicht darauf ansprechen, sonst kratzt sie einem Zacken ins Gesicht. Wegen Verschleierung macht sie überall Behauptung, sie täte Mia heißen nach der Schauspielerin Mia Farrow. Blödsinn! Die hat unsere Mia doch nie gekannt.

Wieder ein anderes Beispiel für ’ne Abkürzung ist Bubi. Hierbei muss man allerdings genaue Unterscheidung ziehen, je nachdem ob es sich um die Gockelform handelt oder um die weibliche. Bei den Jungs kommt Bubi von „Bube“, also von dem Typ mit dem Puschelhut auf der Spielkarte. Das ist zum Beispiel bei unserm Freund Sir Bubi aus der Grunzer-WG der Fall. Handelt es sich dagegen um ein Mädchen, zum Beispiel um die Schlüpperhenne aus derselben WG, dann kommt Bubi von „Bubette“. Das ist Französisch und spricht sich „Bübett“ aus. Jedermann von Kultur weiß natürlich, dass es dann auch nur „Bübi“ heißen kann, sofern man es unbedingt kurz haben will – mit der Betonung auf dem „i“ hinten.

Bübiiiii Frohn-kohn-schlüppé. So wär’s richtig. Aber leider tut man ja in gewissen Kreisen keinen Wert legen auf Autentiät und Tradition. Da mampft man lieber Löwenzahnsalat und macht Wassertreten in seiner mickrigen Kulturpfütze. Ist es zu fassen?

Wieder andere Abkürzungen sind solche, wo man einfach was unter die Fußmatte fallen lässt – so wie bei Urmel. Dass der Typ korrekt „Murmel“ heißt, muss ja nicht extra gesagt werden, nicht war? Damit eng verwandt ist das Gemurkse an der Cora. Ursprünglich kommt Cora nämlich von „Cobra“, also vom Wort für Schlange. Aber wegen Irrtum bei der Züchtung, weil aus dem Ei dann unsere veilchenblaue Bergwerkshenne gekrochen ist, hat man das „b“ weggelassen. Eine andere Erklärung macht Behauptung, dass Cora von „Corsage“ käme. Finde ich persönlich zwar von gewisser Einleuchtung wegen zusammenhalten, was auseinander fließen will, doch fehlt mir Kenntnis, dass man  in Bergwerksstollen Französisch spricht. Dort hat man eher Vorliebe für so was wie Schlackhild oder Lore. Außerdem hat ja noch niemand bei Coras Geburt wissen können, dass sie mal für Zwangsunterwäsche Anlass haben wird. – Nee, die Cora und Schlange, das tut schon ganz gut passen. 

Flynn (die Bayernamazone) wiederum kommt von „Flinte“, ist aber auf Schottisch gebrezelt und dann zusammengestaucht. Manche Leute denken sich halt was dabei, warum sie einen bestimmten Namen geben; die Bedeutung macht ihnen Gefallen, nur die Schreibung und das Aussprechen ist ihnen zu Deutsch. Käme die Gaby aus Russland, täte der Flynn jetzt bestimmt Flinja Flinjonowitsch heißen. Bei Rory ist’s das Gleiche. Es bedeutet „Rohr“. Die Aussprache ist Walisisch. Die Gaby hat eben Vorliebe für anglikanische Waffen.

Da haben’s jene Namen einfacher, bei denen man sofort sieht, was sie ausdrücken sollen, auch ohne Buchstabengefummele. Beispiel: Grunzer. Kann man es netter sagen? Da hört man doch sofort seine Polypen jodeln, noch ehe er den Schnabel aufmacht. Täte er dagegen Polnisch heißen, zum Beispiel „Grunzek“, würde das nur die schöne Klarheit beseitigen. Oder Bömmel. Der wird so genannt, weil man jedes Mal unsichtbare Troddeln mitbammeln sieht, wenn er seinen Kopf bewegt. Wie hübsch! Der Name als Programm. Da ist kein Detail dem Zufall geschenkt. Deshalb heiße ich ja auch mit zweitem Namen Master of the Universe.

Leider aber kann die Wissenschaft nicht alles erklären. Um manche Namen gibt’s noch heute verzweifeltes Rätselraten. Gisela ist so ein Name oder Marco oder Paula. Niemand weiß, woher sie kommen, was sie bedeuten und wozu sie da sind. Ich stelle es mir schrecklich vor, wenn man mit so was rumlaufen muss, aber nicht wissen tut, womit man Identität machen soll. Dann lieber ein Nilpferd sein und Floh heißen. Da gehört man wenigstens irgendwohin, auch wenn sich’s bescheuert anhört.

Schließlich gibt es noch die Gruppe von Namen mit Wandelbedeutung. Hierbei macht es Ausschlag, wo man die Betonung hinsetzt. Ich finde es sehr praktisch, weil man dann Auswahl hat und dem Namen bessere Anpassung verschaffen kann an das Verhalten seines Trägers. Zum Glück kenne ich so jemanden. An ihm zeige ich mal, was ich meine: Der Coco, unser Coco aus Duisburg hat einen portugiesischen Namen. Jawohl! Das weiß ich von meinem Kumpel Carlos aus dem Rechtschreibe-Internat. Er war Austauschschüler dort und von der Biologie her Gürteltier. Er hat mir Erläuterung gegeben, dass Coco „Kokosnuss“ bedeutet, aber nur, wenn man das erste „o“ betont. – Tja, Kokosnuss … ulkig, nicht? Kommt aber hin so von der Figur, und immer ’ne Flüssigkeit im Körper ist ja auch richtig beobachtet. Jaa-a … aber nun kommt’s. Aufgepasst. Wenn man jetzt auf das letzte „o“ ein Hütchen setzt, nämlich so: Cocô, dann heißt das Cocooo und bedeutet … hi hi hi – nein! Ich sag’s nicht! Dafür bin ich zu stilvoll. Im Übrigen hat’s der Coco auch so schon schwer genug. Und ihr andern müsst ja auch nicht alles wissen, das wäre nur neugierig.

© Max: Papageiengeschichten

Mittwoch, 27. Oktober 2010

Meine Freunde: Marco

Es hat wohl mal ’ne Zeit gegeben, da war es schick, wenn Frauen Männernamen kriegten. Deswegen heißt meine Mama ja auch Klaus-Detlef und meine Oma Eberhardt.

Glaubt ihr nicht? Aber wieso heißt dann die Marco Marco und nicht Marca oder Marcantha oder Marclinde? Ich habe die Marco gefragt, doch sie hat nur Mysteriöslächeln vorgeführt und gemeint, tja, sie täte eben was Besonderes sein.

Das sind so Antworten, die mir Liebe entlocken: was Besonderes. Aha. Und warum, bitte schön?

Marco?

Huhu!

Jetzt tut sie schweigen, die Frau Besondershenne. Typisch. Wenn sie Begründung geben sollen für ihre Behauptung, dann kriegen sie das Kichern und machen stattdessen Quizmaster. So sind die Weiber. Alle. Ob sie nun auf Krallen laufen, auf Füßen, Hufen oder Pfoten. Von Frauen kriegt man nie ’ne anständige Antwort – nie!

Seht ihr? Ich muss nun allein überlegen. Was könnte das Besondere an der Marco sein? Erst mal sortieren: Sie ist ein Timneh-Graupapagei. Also ist sie weiß und schwarz mit allerlei Wischiwaschi dazwischen. Die Mia tut ja behaupten, Businessgrau wäre total schick und würde überall zu passen; damit sei man immer richtig angezogen. Okay, aber was soll dann dieser komische rote Schwanz bedeuten? Warum ist das Rot hinten wie bei ’nem Pavian-Po und nicht oben um den Kragen wie ’n Halstuch oder am Kopf? Schließlich gibt’s auch genug Amazonen, die Tomatenklecks auf der Birne tragen und niemand findet was Schlimmes daran. Aber Signalrot am Hintern? – Nä!

Die Marco bei der Kosmetikerin

Zweitens hat die Marco schon ziemlich viele Geburtstage gefeiert, schon über zwanzig. Dafür sieht sie aber noch total flott aus. Sie braucht noch keine Federntönung (tut sie jedenfalls behaupten … höhöhö), und wenn der Gesundheitswagen kommt wegen kostenlos Osterporöse messen, braucht sie auch noch nicht hinzugehen. Andererseits: Soooooo besonders ist ihr Alter auch wieder nicht. Ich kenne noch andere Muttchenhennen, die Cora zum Beispiel. Oder die Oma Granny Paula – die war ja noch viel älter, sogar fast doppelt so alt.

Gut, das kann’s also auch nicht sein. Weiter im Text. Vielleicht tu ich dahinter kommen, wenn ich Betrachtung mache, womit sie ihre Freizeit verbringt. Da sind drei Dinge: Korkarbeiten, tanzen und Kosmetik machen lassen.  

Die Marco liebt basteln. Erst zerschmirgelt sie den Kork, dann sammelt sie die Krümel in Häufchen und schließlich pappt sie das Korkgebrösel auf Frühstücksbrettchen zu Klebebildern, die Wüstenlandschaft darstellen sollen. Vor zwei Jahren gab’s sogar mal ’ne Ausstellung in der Sparkasse bei sich daheim, dort wo die Marco wohnt. Im Käseblatt konnte man das lesen mit Bild, dafür aber hat kein Haushaltsgeschäft in ganz Nordrhein-Westfalen mehr Frühstücksbrettchen zu verkaufen. Die Renate, also Marcos Service-Mensch, fährt ganz bis nach Hamburg oder Stuttgart, weil sie Vermutung macht, dass es dort noch welche geben könnte. Nur: Wenn ich das vergleichen tu mit meinem Engagement für neue Matchbox-Autos, dann ist das ja ganz normal und keineswegs was Besonderes.

Tja, und tanzen tun andere Vögel auch, vielleicht nicht so dolle wie die Marco und auch nicht so voller Vereinshörigkeit, doch tanzen ist nun mal Gewöhnlichkeitssport und nichts Exotisches wie Schlammboxen oder Trapschießen. Der Verein, wo die Marco jeden Freitag Übungstrampeln macht, heißt, glaube ich „Blaugelb Pute von 1903“. Die Marco ist schon mindestens im fünften Goldkurs und tanzt sowohl Latein als auch Formation. Bei Latein muss man altrömisch zählen bei der Rumba, nämlich so: unos … due … Wiegeschritt … tres … quattuor … Wiegeschritt. Bei Formation dagegen macht gleich eine ganze Gruppe drehen und wenden und dann gegeneinander und wieder zusammen wie so zwei Kämme, die mit den Zinken ineinander greifen. Dazu müssen alle Bewegungen genau gleich sein, und natürlich täte es bescheuert aussehen, wenn ein Tänzer ganz groß wäre und ein anderer ganz klein. Die Marco ist daher in der Flachgruppe. Ihre Kollegen sind Eichhörnchen, Eulen, Meerschweinchen, Tauben und Stockenten. Am Wochenende fährt die Truppe manchmal zu Turnieren. In Brüssel waren sie schon und in Rostock und in Salzburg. Für jedes Turnier kriegen die Tänzer neue Klamotten und neue Schuhe. Ich tu’s zwar nicht gern ansprechen, aber im zitronengelben Minirock mit Stiletto-Sandalen sieht die Marco aus wie ’n oller Akten-Ordner, wo jemand mit gelbem Marker darauf herum gekrakelt hat. Das Große Schwarze steht ihr wesentlich besser. 

Ich habe ja lange gedacht, wenn man so viel Zeit verbringt mit andern Hobbyleuten, dann wäre jede Henne irgendwann automatisch verheiratet, selbst jene, die schwer unterzubringen sind wegen dauernd an Autos herumschrauben oder ewig Jogginghose und Baseball-Cappy tragen. Aber so ist es nicht. Die Marco jedenfalls ist noch immer ohne Ehe. Sie hat mir mal gesagt, sie wäre gern Stewardess geworden: in der Welt herumfliegen, alles begucken und nebenbei ’n bisschen Orangensaft servieren.  Das hätte sie toll gefunden, aber so wär’s nicht gegangen wegen der Renate, weil die dann Halt verloren hätte so ganz ohne ihr Zureden und Händchenhalten. Die Marco täte sie betreuen müssen, noch heute, und daher hätte sie Verzicht geübt auf ihren Berufstraum, überhaupt auf jeden Beruf.

Na ja, ob das so stimmt? Ich meine, wir Vögel müssen doch alle zurückstecken für unsere Menschen. Sie sind nun mal voller Hilflosigkeit und Verzagen. Das ist ihre Natur, da müssen wir alle drauf Rücksicht nehmen, aber extra betonen als was Besonderes braucht man’s deshalb noch lange nicht.

Immerhin legt die Marco großen Wert auf ordentlichen Anschein. Die Mia macht das ja auch, hat sogar jetzt einen elektrischen Maukenapparat für Hornhaut wegrubbeln, aber die Marco geht noch ’nen Schritt weiter – sie tut sich von ’ner Professionellen bearbeiten lassen. Die Kosmetiktante kommt einmal in der Woche ins Haus. Dann macht sie die Nägel, drückt Pickel aus, entfernt Damenbart und rasiert die Achseln. Die Marco meint, das hätte sie sich verdient; sie täte der Renate ja sonst kein Geld kosten, außerdem müsse man als Korkkünstlerin und Tanzdame immer gut aussehen. Ich glaube ja, insgeheim tut die Marco hoffen, dass ihr endlich mal ’n Frosch die Schnute hinhält zum Abküssen. Deshalb macht sie so viel Aufwand um ihre Verpackung. Sie kann nicht verknusen, dass andere Hennen schon längst verheiratet sind, nur sie heißt noch Solo mit Nachnamen.

Vielleicht hat die Marco aber nur zu doofen Geschmack bei Männern. Ich tu zwar nicht wissen, wie viele Kerle sie schon heimlich ins Gebüsch hinter der Tanzschule gezerrt hat, aber ich persönlich tu nicht glauben, dass es sehr erfolgreich ist. Die Marco ist einfach zu … aufdringlich. Guckt euch mal an, was sie mit ihrer neusten Flamme anstellt. Hier – das Bild:

Die Marco und ihr Liebhaber

Das Foto ist mir von einem meiner Undercover-Agenten zugespielt worden. Links, das ist der Robert (er will nicht erkannt werden), rechts seht ihr die Marco bei der Annäherung. Ziemlich … einverleibig, nicht wahr? Der arme Kerl, kann sich ja gar nicht wehren! Und was will die Marco überhaupt mit dieser albernen, tropischen, vierbeinigen Lusche anfangen? Tut sie denken, wenn die Farbe passt, dann gibt’s harmonische Kinder?

Fast wäre ich voller Neigung, jetzt hurra zu rufen, weil ich endlich gefunden hätte, was das Besondere an der Marco ist – nämlich ihr Erotikgeschmack. Doch dann ist mir eingefallen, dass die Marco damit genauso wenig allein dasteht. Die Vorliebe für Plüschkerle kenne ich zum Beispiel von der Cora. Ehrlich, das ist wahr! Ich mache euch Beweis: Seht dieses Foto hier unten. Der dicke Rotheini heißt Lucrezio. Er kam aus Parma, zusammen mit Bruder und Schinken. Die Beziehung ist aber schon längst wieder zu Ende. Das ist in der Zeit gewesen, als die Cora mit dem Rory zusammen war.

Cora und ihr Verflossener

Tja, ich geb’s auf. Ich kriege einfach nicht raus, was die Marco mit besonders meint. Für mich ist die Marco eine ganz gewöhnliche Grauhenne. Sie ist lieb und schickt mir jedes Jahr zum Geburtstag und zu Weihnachten einen Matchbox-Katalog. Er ist zwar immer von 1984 oder 2001, aber das macht nichts, weil sie an mich denkt und mir eine Freude machen will, und nur das tut zählen, nichts sonst.

© Max: Papageiengeschichten

Sonntag, 24. Oktober 2010

Bubi und die fernköstliche Küche


Wenn Gäste über einen herfallen, will man, dass es ihnen gut geht. Das ist umso schwieriger, wenn man eine Naturjungfer kriegt, die wenig Erfahrung hat mit Normalkultur. Da will man nichts falsch machen. Die Bubi ist so eine.

Mir hat es ja sehr Verwunderung angetan, dass der Grunzer, ihr Schwarmchef, sie überhaupt hat gehen lassen. Er ist doch sonst so voller Strenge und Behütung: jedes Wochenende alle Mann raus in die Landschaft, Gräser bestimmen oder Vortrag hören über Borkenkäfer oder Hildegard von Bingen. Aber plötzlich kriegt der Typ ’nen Schub aus Toleranz und lässt die Bubi zu uns auf Besuch; sogar die Fahrkarte mit dem ICE hat er ihr spendiert. Da kann doch was nicht stimmen! Ich habe lange Überlegungen gemacht und glaube inzwischen, dass der Grunzer die Bubi nur zu uns geschickt hat, weil er Hoffnung hegt, ich täte auf das Mädel so günstige Einwirkung betreiben, dass sie in Liebe zu ihm errötet, sobald sie wieder zu Hause ist. Er findet die Bubi nämlich ganz toll, nur sie hat andern Geschmack und wirft stattdessen schöne Augen auf den Rotbalkenheini, den Stiesela, der da auch wohnt. Eigentlich tun mich solche Herzangelegenheiten nicht einen Fliegendreck interessieren, aber was für ’ne komische Gurke wir da kriegen täten mit der Bubi, das fand ich dann doch ziemlich spannend. Ich kannte sie ja bisher nur vom Telefon.

Der Grunzer hatte durchgegeben, dass die Bubi mit dem Zug aus München kommen täte. In Augsburg hatte die Tante Uschi sie reingesetzt. Um 15.32 sollten wir sie abholen. Die Mia tat sich schon riesig freuen wegen neuer und besonders doofer Nagellack-Schülerin, der sie viel würde beibringen können, deshalb war sie mitgegangen zum Bahnhof. Wir brauchten nicht lange zu suchen. Als der Zug weggefahren war, konnten wir die Bubi grün leuchten sehen. Sie tat auf einem Kofferwagen hocken. Um den Hals hatte sie ’nen Schal in orange und pink Häkelstäbchen mit lila Fransen. Der Mia machte ein Stöhnen entweichen; ich glaube, es war Entsetzen. Auf dem Rücken trug die Bubi einen Rucksack. Wie sich später herausstellen sollte, war dort das Matchboxauto drin, das der Grunzer ihr für mich mitgegeben hatte. Guter, alter Kumpel! Auf dich ist Verlass.

Wir machten freudige Begrüßung:
„Hallo, Bubi“, habe ich gesagt. „Hattest du eine Angenehmfahrt ohne viel Störung?“
Ja, danke, war die Antwort, sie habe alles dabei gehabt, was nötig gewesen sei: ein Döschen mit Sauerampfersalat, ein Tütchen mit Kardisamen und zwei Anti-Bakterien-Tücher zum Krallenabputzen. Die Mia kriegte hässliches Augenaufreißen. Wir sind dann gleich zum Taxistand geflogen, nachdem ich Versicherung eingeholt hatte, dass sich die Bubi trotz Rucksack in der Luft halten könnte. Ihre Kondition ist super, das muss man ihr lassen.

Im Taxi saßen wir hinten. Das Fenster war einen Spalt offen, und jedes Mal, wenn ’n Lufthauch an uns vorbeikam, machten Bubis Federn ganz sanftes Flauschwinken, so wie’s diese Ziegen aus Angora tun, wenn man sie gegen das Licht hält und dann drüberhaucht. Die Mia machte deswegen Dauerglotzen; sie kriegten den Blick nicht mehr weg. Schließlich tat die Bubi fragen: "Was is’n?“ Nichts, meinte die Mia, sie täte nur wissen wollen, mit welcher Firma die Bubi ihre Federn spült, dass sie so superweich werden. – Spülen? Mit Creme aus der Flasche? Mit Chemie? Die Bubi machte Kopfschütteln: nie und nimmer! Sie täte sich jeden Tag lediglich kalt abbrausen und auf Gesundernährung achten: Salat, Obst, ein paar Nüsse und viel Haferkleie über den Sellerie, das sei alles. – Ich dachte, wenn jetzt der Mia ihr blödes Hilflosgrinsen festfriert, hätten wir noch lange was zu lachen.

Da waren wir aber schon zu Hause angekommen und daheim wartete bereits die nächste Weiber-Entgleisung. Kaum hatten wir die Tür hinter uns zugeknallt, kam die Mama auf die Bubi zugerannt, grabschte sie mit beiden Händen, hob sie hoch und schmatzte sie ab. Dazu war Alberngequieke zu hören und immer wieder:
„Nein! Die schönen Blumen! Wie lieb! Dass du daran gedacht hast!“
Im Flur auf der Kommode konnte ich ’ne Vase mit ’nem Volumenstrauß aus buntem Grünzeug entdecken. Das Gestrüpp hatte ich noch nie gesehen. Mir kam Dämmerung, was passiert sein musste: Die Bubi hatte den Strauß bei Fleurop in Augsburg in Bestellung gegeben. – Oho, so macht man sich Einschleimen beim Gastgeberchef. Diese unschuldige Löwenzahnsuppe – ich sag’s euch, die hat’s meterdick am Tellergrund! Allmählich tat mir die Sache Spaß machen, besonders weil nun auch die Mama Feststellung aussprach, dass die Bubi ja so supertoll weiches Gefieder habe. Und als die Bubi ihr Rezept vom soliden Lebenswandel wiederholt hatte, tat die Mama der Mia ein „Siehste!“ zunicken, und da war dann plötzlich Zickenvibration in der Luft. Das war ’ne Ausdünstung von der Mia.

Trotzdem musste sie unserm Gast Hausführung machen, ihm zeigen, wo das Handtuch hängt im Bad und wo der Abfalleimer ist. Ich bin mitgegangen, habe aber nicht viel gesagt, nur einmal den Kleiderschrank aufgezogen und den Roosevelt und den Otis angeschnippt wegen höflicher Vorstellung. Sie selbst konnten das ja nicht tun, weil sie schliefen. Gleich darauf gab’s Kakao mit Marmorkuchen. Die Mama hatte extra im Wohnzimmer den Tisch aufgebaut mit ’ner Tischdecke, wo Häschen und Rehlein draufgestickt waren. Sie hat wohl gedacht, das täte unserm Naturkind den Übergang zur Zivilisation erleichtern. Aber an das Wichtigste hatte natürlich niemand gedacht; das musste ich erst ansprechen:
„Du, Bubi?“, habe ich gefragt. „Tust du unser Essen vertragen, oder macht es dir Dünnschiss?“
Nein, nein, hat sie schnell geantwortet, das täte schon irgendwie gehen, sie würde sich freuen, mal was anderes zu sehen und zu schmecken. Wir haben dann gemütliches Eintunken zelebriert. Die Bubi hat fröhlich mitgemacht und ein bisschen was erzählt von daheim. Ehrlich – ich könnte so nicht leben: dauernd Kohlrouladen nur mit Kohl ohne Fleischfüllung und der Rest alles in Vollkorn: Vollkornbrot, Vollkornkekse, Vollkornvortrag, Vollkornfreizeit.

Die Bubi

Den übrigen Abend habe ich nichts mehr mitgekriegt von der Bubi, es war nämlich Mädchentermin. Ich tat auf dem Küchentisch sitzen und mein neues Matchboxauto einfahren. Von nebenan, vom Wohnzimmer kam Weibergegacker angeflogen, immer in Wellen, mal mit Perlgequietsche wie bei ’nem Obszön-Witz, dann wieder als „höhöhö“, so als täten sie einem abwesenden Unschuldsopfer mit ihren Lästerworten die Kralle in die Wunde legen und ordentlich drin herumpulen. Ich glaube, der Mia war es eine Herausforderung, die Naiv-Bubi in all ihre Östrogen-Geheimnisse einzuweihen. Ich hoffe nur, der Grunzer macht mir hinterher keinen Vorwurf, dass ich die Vermurksung nicht verhindert hätte. Aber was hätte ich denn tun sollen, wenn die Weiber mich immer gleich mit „Hau ab, du Quarkbirne!“ gegrüßt haben, sobald ich ins Wohnzimmer gekommen bin.

Später haben sich der Roosevelt und der Otis aufs Küchenbüfett gehockt. Sie taten behaupten, die Bubi sei voll cool. Sie täte nicht so verkrampft sein wie die Mia und erst recht nicht wie ich. Im Gegenteil, die Bubi habe sie gelobt wegen ihren hübschen Glubschaugen und ihrem Elegantflug um die Deckenlampe herum. Allerdings seien sie dann von der Mia mit einer Mandarine beschossen worden, weil sie gesagt hatten, die Bubi habe ja so wunderbares flauschiges Flauschgefieder, so wie sie’s noch niemals nicht an einer Amazone gesehen hätten. – Die Mia sei wohl heute besonders hormongestört, was? Und ich hätte Kakaoflecken aufm Bauch. Da! Ich sollte mich mal abputzen, ich Ferkel-Hirni. Dann haben sie gelacht und sind weggesurrt. Ich hatte ihnen Beschleunigung gegeben mit ein paar Weintrauben.

Schlafen musste ich allein in der Voli. Die Mia und die Bubi sind die Nacht über gleich im Wohnzimmer auf dem Kletterbaum geblieben. Es war ein bisschen zugig von der Seite so allein auf der breiten Stange und plötzliches Lachgewieher hat mich immer wieder aus dem Schlaf gerissen. Dabei hatte ich so schön geträumt! Von zwei fetten grünen Nacktschnecken und zwei dämlichen Fellmücken, die ich alle vier für Teuergeld in der Zoohandlung abgegeben hatte. Am nächsten Morgen gab’s Müsli zum Frühstück. Die Bubi tat ihre Verwunderung ausdrücken, dass wir Milch dazu löffeln.
„Wieso?“, hat die Mia gefragt. „Was nehmt ihr denn dazu?“
Sauerkrautsaft, hat die Bubi geantwortet, und die Mia hat dann nichts mehr wissen wollen.

Den Vormittag bis zum Mittagessen (Bratwurst mit Kartoffelpüree und Gurkensalat) waren die beiden Gackerhennen wieder allein beschäftigt. Diesmal hatten sie sich im Bad eingeschlossen wegen Wellness-Programm. Man kann bei uns nicht viel sehen, wenn man durchs Schlüsselloch guckt, erst recht nicht, wenn auf der andern Seite alles voller Nebel ist. Sie haben wohl Dampfbad gemacht wegen besser Pickel ausdrücken; es tat jedenfalls nach Wiese riechen. Den elektrischen Maukenapparat konnte ich auch hören; also taten sie sich Hornhaut abschrubben. Ich wiederum hatte allmählich gegen Bedenken zu kämpfen, weil ich doch noch mit der Bubi allein reden musste, aber jetzt war es schon Samstag und es hatte sich noch immer keine Gelegenheit ergeben, dass ich der Bubi mal ordentlich Werbung machen konnte für den Grunzer – die Mia und die Bubi taten zusammenkleben wie Kaugummi am Abfalleimer, da war einfach kein Zwischenkommen.

Als die beiden wieder rauskamen aus dem Bad, hat die Bubi noch genauso flauschig gewedelt wie vorher, nur die Mia sah jetzt irgendwie … lappig aus. Die Federn machten Eindruck von Verzweiflung und Müdigkeit. Statt sich in die Weichspülung zu setzen, wäre Festiger zu nehmen klüger gewesen. Aber ich habe natürlich geschwiegen aus Höflichkeit, lediglich mit dem Finger auf die Mia gezeigt und laut gelacht.

Nach dem Essen wollten die Damen in die Stadt, shoppen gehen.
„Super“, habe ich gerufen. „Wir nehmen den Baumarkt mit dem „i“ am Ende und nicht den mit dem Gewässer hinten dran!“
Ob ich bekloppt sei, wurde ich gefragt, und dann sind sie abgerauscht mit Mamas Kreditkarte in Mias Handtasche. Die Mama tat mir über den Kopf streicheln. Ich soll nicht traurig sein, hat sie gemeint:
„Schau, die Bubi hat’s doch so schwer, immer alles voller Entbehrung, da wirst du ihr doch sicher gern ein paar Vergnügungen gönnen, nicht wahr, mein großer Galan?“
Oh Mann, so versuchen sie’s immer mit dem Einlullen. Wenn Weiber viel Geld ausgeben wollen, ist man immer ganz plötzlich besonders verständnisvoll und Gentleman geworden.

Genauso war’s dann auch: Ordentlich eingesackt haben sie. Am Nachmittag sind die beiden zurückgekommen. Die Bubi hatte unterwegs ihren kreischfarbenen Häkelschal verloren. Sie trug jetzt einen neuen in Himbeerrot.
„Kaschmir!“, tat die Mia brüllen und in die Flügel klatschen.
Dann wurden die andern Tüten ausgepackt. Ich weiß nicht mehr, was alles drin war, ich kann mich nur an einen Spitzen-BH mit Cremeborte erinnern und an ein Nachthemd in Hellblau mit Goldsternen. Toll, habe ich gesagt, dann könnte die Bubi ja jetzt Sterntaler mit Hemdzipfel aufhalten machen beim gemeinsamen Bettelsingen in Franken in der Fußgängerzone. Aber die Mia hat mich nur angezischt, ich soll die Klappe halten und am besten gleich ganz verschwinden. Dem habe ich sofort Folge geleistet. Doch als die Weiber noch mal ins Bad wollten, aber nicht konnten, weil ich dort Patiencen legen tat auf dem Klodeckel, da war’s auch nicht gut. Nie kann man’s Hennen recht machen.

Gegen Abend, als die Bubi mit eingeknickter Hüfte und den Flügeln vorm Südpol auf dem Balkon stand und mit Gewimmere Mitleid erregen tat, hat die Mama mit der Stricknadel den Schlüssel weggeschoben und die Badezimmertür mit dem Zweitschlüssel aufgeschlossen. Ich kriegte ’ne Ohrfeige und musste in absoluter Augenblicklichkeit das Bad verlassen. An mir kam die Bubi vorbeigefegt. Gleich darauf tat’s hinter mir stöhnen, ich glaube, vor Erleichterung. Und sofort, ehe ich noch Protest anmelden konnte, hatten sich die beiden Schnatterputen wieder breit gemacht auf dem Badewannenrand. Diesmal mussten die Nägel lackiert werden und die Wimpern getuscht. Nicht mal meine Spielkarten habe ich in Sicherheit bringen können, so fix ging das. Auf zweien sind jetzt rote Punkte zu sehen und ein Bube trägt nun eine pinkfarbene Zipfelmütze. Leider tat ich das zu spät bemerken für umgehende Satisfaktion. So habe ich Notwenigkeit vertan und war freundlich und nett wie immer.

Ich musste mir die Frisur kämmen und kriegte mit einem feuchten Taschentuch von der Mama die Ohren ausgeputzt. Ich musste nämlich mit zum Essen; die Bubi sollte ausgeführt werden. Die Mia hatte wieder die Kreditkarte dabei. Ich war ja für den Mykonos-Grill oder die Döner-Bude gewesen, doch die Mädels haben über mich hinweg Entscheidung getroffen für den Chinesen am Marktplatz. Der habe so schickes Glitzer-Ambiente, tat die Mia behaupten, und die Bubi meinte, Asien täte sie nur als Feng Shui kennen und als Ginsengwurzel vom Grunzer, von seinen Tabletten, die er auf dem Nachttisch liegen hat für die Zellerfrischung und die Jungerhaltung.

Gott, ja – der Grunzer! Den hätte ich doch fast vergessen. Es blieb nicht mehr viel Zeit, also habe ich mir die Bubi geschnappt, während die Mia aufm Klo war, und habe ohne Drumherumgerede gefragt, was ihr nicht am Grunzer gefallen täte.
„Wie bitte, was?“, hat die Bubi gestottert.
„Na, warum du nicht seine Mätresse sein willst“, habe ich ihr Hilfestellung gegeben.
Die Bubi tat mich angucken, als hätte ich sie gerade mit einem Froschschenkel verheiratet. Dann flüsterte sie, es täte mich zwar nichts angehen, sie würde mir aber trotzdem verraten, dass sie den Grunzer ganz nett fände – so als Schwarmchef, versteht sich. Als Kerl aber sei er ihr zu strunkig:
„Mein Gott, der Grunzer hat ’ne Moral wie in der Klosterschule. Ich bin ’ne Frau – ich will nicht kommandiert werden, ich will Abenteuer fühlen … begehrt werden … mich verlieren in Rotwein und Liebesliedern von Julio Iglesias.“ Dabei tat die Bubi mich haifischig angrinsen und mit der Flügelspitze an meinem Schnabel herumpuscheln:
„Gell, du? Das verstehst du doch?“

Leider bin ich nicht mehr dazu gekommen, Erkundigung einzuziehen über den Stiesela, was diese dämliche Schmachtstange an sich hätte an besserer Anziehung als der Grunzer, denn die Mia stand auf einmal wieder bei uns und guckte uns an. Sie tat nach „Wild Turkey N° 6“ miefen; ich musste niesen. Der Grunzer möge mir verzeihen. Für ihn ist es sicher voller Interesse, was der Stiesela ihm voraus hat an Attraktivität, doch da muss sich der Grunzer jetzt selbst drum kümmern – ich habe getan, was ich konnte.

Das Taxi hat uns zum Restaurant gebracht. Die Mia hatte der Bubi das helle Pelzjäckchen geliehen. Sie selbst trug eine nachtblaue Seidenstola. Nur ich war nackt. Draußen die Dunkelheit und wir vor dem bunt erleuchteten Restaurant mit den roten Drachen an der Hauswand und den goldenen Troddellaternen an der Tür – die Bubi stand auf dem Bürgersteig mit offenem Schnabel. Wir taten ihr Zeit geben für Erholung. Als sie sich dann aber noch immer nicht rührte, obwohl ein Kellner uns längst die Tür aufhielt, musste ich sie erst in den Hintern kneifen. Wir sind in die Gaststube geflogen, auf einem Ecktischchen an der Seite gelandet, dort, wohin uns der Kellner Einweisung gewinkt hatte. Ich meine, uns Gelbnacken als Persönlichkeiten von Welterfahrung tut so was ja kein Umwerfen bereiten, doch die Bubi muss totale Niederschmetterung gefühlt haben vor so viel Glanz und Edelhauch. Sie hockte da wie hingekleckst: dieses gedämpfte Licht, das Brunnengeplätschere von nebenan, die weiße Tischdecke, die vielen, diesmal jedoch blauen Troddellaternen und eine Speisekarte, die ihrem Schnabel von neuem Aufsperren bereitete.

„Gell? Das ist Metropol-Leben hier, nicht wahr?“, tat die Mia grinsen.
„Ja“, meinte die Bubi.
Sie hatte vergessen, das Pelzjäckchen auszuziehen. Wie sie da so beflackert wurde vom Kerzenlicht, erinnerte sie mich an einen Hefekloß mit Speckumwicklung. Die Mia ranzte mich an: Was ich denn so blöd zu lachen hätte, wir sollten uns lieber entscheiden, was wir bestellen. Okay – ich war für Peking-Ente. Die Bubi tat aufkreischen. Die Mia gab ihr Solidarität durch Kopfgeschüttele: Pfui, wie niederträchtig ich sei! So fies! So ohne jegliche Pietät! Dabei hat die Mia schon oft Ente süßsauer gefuttert, diese scheinheilige Heucheltante. Jawohl!

Wir haben uns schließlich auf Gemüse-Potpourri geeinigt: von allem etwas, ein bisschen Reis, ein bisschen Nudeln, ein bisschen Pilze und ein bisschen Soße. Bitte in einzelnen Schälchen und für jeden ’ne Cola Light dazu. Der Kellner hat genickt und ist abgedampft mit den Speisekarten. Nicht lange später ist er wiedergekommen. Er hatte unsere Gläser dabei und eine Warmhalteplatte. Die hat er mitten zwischen uns auf den Tisch gestellt. Aber Vorsicht – die sei heiß! Ha, das tun sie immer behaupten. Ich habe zur Prüfung einmal draufgespuckt. Und tatsächlich, es tat zischen, und meine Spucke ist in Zacken über die Platte gekreiselt.
„Schlammtrampel“, hat sie Mia gegrunzt.

Das Essen war wirklich sehr lecker. Wir haben Gipfelkreuz-Mikado gespielt. Kennt ihr das? Das geht ganz einfach: ein Essstäbchen in einen Reishaufen stecken, und derjenige, bei dem das Stäbchen umfällt, wenn er sich vom Reis wegnimmt, der muss einen Pfand einlösen. Bei uns war das: einen von diesen glitschigen Wucherpilzen in Flatschenform essen. Mich tut’s jetzt noch schütteln … brrrr. Das andere Zeugs, diesen öligen Weißchip, der nach Fisch schmeckt, den hat die Bubi auch nicht gekannt. Jetzt weiß ich wieder den Namen: Kropok. Aber ist es ein Wunder? Wo die Bubi doch aus der kulinarischen Diaspora kommt? Jedenfalls hat sie reingehauen wie ’n Schaufellader. Zwischendurch hat sie mit Cola gespült und sich die Kralle vor den Schnabel gehalten wegen dezent rülpsen. Irgendwann kriegten wir alle drei nichts mehr rein, obwohl noch was übrig war auf den Serviertellern. Die Mia hat bezahlt mit der Kreditkarte. Mit der Rechnung hat der Kellner uns noch drei Gläschen mit Pflaumenschnaps hingestellt. Das ist da so Brauch, damit die Gäste erfreut sind und wiederkommen. Dieses Likörgesöff ist total lecker, nur ’n bisschen klebrig und man muss ziemlich weit eintunken mit dem Schnabel, bevor man anständig zum Schlabbern kommt. Die Bubi war nach ihrem Glas besoffen.

Im Taxi hat sie gesungen, erst „Was wollen wir trinken sieben Tage lang?“, dann „Er gehört zu mir“ und schließlich was voller Sinnlosigkeit, von dem sie behaupten tat, es wäre ’ne  alte Frankenweise. Daheim hat die Mama gefragt, ob’s schön gewesen sei. Wir haben die Bubi vorgezeigt, da hat sie auf nähere Auskunft verzichtet. Nur dass wir die Bubi gleich in die Voli bringen sollen, hat sie gesagt, und, ja, vorsichtshalber die Suppentasse mit dem abgebrochenen Henkel daneben stellen – für alle Fälle.

Hat schon mal jemand von euch ’ne betrunkene Ökohenne auf die Stange zu wuchten versucht? Das ist vielleicht ’n Stück Arbeit, sag ich euch. Ich habe gezogen, die Mia geschoben. Am Ende tat die Bubi dahocken und vor sich hin sabbern. Sie täte ja so glücklich sein, hat sie noch geschrien, bevor der Kopf nach vorne gesunken ist und die Bubi die Schnarcherei angefangen hat. In dieser Nacht bin diesmal ich im Wohnzimmer auf dem Kletterbaum geblieben. Die Mia hatte sich zuerst wegen Solidarität neben die Bubi gesetzt, aber gegen Morgen tat sie mich wecken mit der Aufforderung: „Mach mal Platz!“ Die Bubi habe sie dauernd umarmt, hat sie gemeint, und dabei „Gisela! Küss mich!“ gelallt – das täte ja nicht mal die dickste Elefantenschwarte aushalten.

Am nächsten Morgen hat die Bubi von nichts mehr gewusst. Deshalb fehlte ihr auch jegliches Schämen. Sie ist aufgestanden mit ’nem Flöten auf den Schnabelkanten, hat erst ein paar Kniebeugen gemacht und sich dann zu uns an den Frühstückstisch gesetzt. Es gab Toast mit Marmelade oder Wurstteller.
„Na, Bubi, wie war’s gestern Abend?“, hat die Mama gefragt.
„Lecker“, hat die Bubi geantwortet und sich Leberwurst auf den Bierschinken geschmiert.

Wir haben dann noch Monopoly gespielt. Das war wenigstens mal ein Spiel, das die Bubi kannte. Allerdings täten sie es daheim nicht mit Straßen, Hotels und Geld spielen, sondern mit Gemüseäckern, Feldwegen und Komposthaufen, hat sie informiert, aber so herum wär’s auch mal ganz interessant. Sie hat sich gleich die Schlossallee gegrabscht. Gegen Mittag mussten wir sie zurück zum Bahnhof bringen. Das Abgeschmatze von der Mama mit den vielen Wünschen und Ermahnungen ist ohne Bleibendschäden über sie hinweggegangen. Im Taxi hat sie aufgeatmet. Schön wär’s bei uns gewesen, tat sie behaupten, und sie würde gern mal wiederkommen, wenn wir sie noch mal einladen täten.

Auf dem Bahnsteig haben wir natürlich so lange gewartet, bis der Zug eingefahren war und die Bubi mitgenommen hat, auch ihre vielen Einkaufstüten. Durch die dunklen Scheiben vom ICE kann man sich ja nicht zuwinken, aber ich bin sicher, die Bubi hat drinnen am Fenster gestanden und mir ’nen Vogel gezeigt. Das ist typisch Henne. Damit demonstrieren sie ihre überquellende Dankbarkeit. Schlicht und einfach danke sagen kann schließlich jeder.

Tja, so war das also mit der Bubi. Noch habe ich nicht gehört, ob sie gut daheim angekommen ist. Und ob der Grunzer mir Zufriedenheit schenkt mit dem Ergebnis, wie er seine Bubi wiederkriegt, das weiß ich auch noch nicht. Er wird sich bestimmt bald melden. Ich hole jetzt jedenfalls die drei Schälchen mit dem Pudding aus der Wäschekommode. Die Mama hatte sie heute den ganzen Tag gesucht. Mir war auch eben erst eingefallen, wo ich sie hingetan hatte. Manchmal ist es wie verhext mit dem Gedächtnis.

© Max: Papageiengeschichten

Dienstag, 19. Oktober 2010

Meine Freunde: Paula

Paula ist meine Omi, meine Oma Granny Paula. Sie lebt jetzt woanders, nicht mehr hier bei uns. Nun ist sie dort, wo auch der Chicco, der Lee und all die andern Gestorbenen sind. Ich mach natürlich gern solange Abtretung, damit der Chicco und der Lee auch was davon haben, wenn die Paula ihnen den Schnabel gerade zieht wegen Schlürfen beim Essen oder Zubettgehen ohne Füße waschen, und gern dürfen sie sich Kopfstreicheln abholen und guten Rat, aber trotzdem bleibt die Paula allein meine Oma Granny und ich bin ihr Lieblingsenkel –   dass das mal klar ist, nicht wahr? Ich sag’s nämlich lieber vorher, damit uns später nicht Missverständnis Ärger bereitet: Ihr andern macht schön wieder Platz vom Schoß meiner Oma, wenn ich später zu euch nachkomme. Hört ihr? Die Omi ist mir!

Oma Granny Paula

So, dem musste mal voller Druck Deutlichkeit verliehen werden. Schließlich weiß ich genau, welch Umwerfwirkung die Oma Granny Paula auf alle Leute ausüben tut, die ihr begegnen. Das war schon so, als sie noch bei Michèle und Hermann lebte. Das war in München und die Omi war da schon sehr alt, über vierzig. Bei Graupapageien sieht man das allerdings nicht so, denn da sind sie Federn ja sowieso grau. Die Omi war aber noch total fit. Sie tat jeden Morgen Sitzgymnastik machen so wie die Menschenomas im Altersheim: Flügel übern Kopf halten, Körper zur Seite klappen, erst nach links, dann nach rechts, Füße ausstrecken, ranziehen. Appetit und Verdauung waren auch noch absolut okay. Und im Kopf, ja, da tat der Oma so schnell keiner ’ne Ameise für ’nen Mistkäfer vormachen.

Die Omi wusste alles. Alles, alles, alles. Oft haben wir miteinander telefoniert. Dann hatten wir Heißdiskussion über Gewichthebesport, über Brausepulver, Silberfischchenbekämpfung, die Sonate für Klavier e-Moll op. 7 von Grieg, Kälteaggregate im Kühlschrank oder wie man die Rubbelknötchen von Acrylpullovern wegkriegt. Wenn die Oma sich neue Waschlappen aussuchen tat oder ’n neues Hüftkorsett, habe ich ihr Beratung gegeben. Sie hatte daheim bei sich den Katalog aufm Tisch und ich den gleichen hier bei mir. Umgekehrt tat sie mir raten, ob ich die Matchboxautos lieber der Größe nach ordnen soll oder nach Farbe oder nach Alter. Und damals, als ich ins Rechtschreibe-Internat musste, hat sie mir Trost gemacht und gemeint, so ’n großer Junge täte nicht so lange heulen, sondern Erwartungsfreude in seinen Alltag füllen und fleißig lernen. Jeden Samstag kriegte ich Päckchen geschickt. Da waren Liebesperlen drin, Seifenherzen für die Dusche, ein Bild von der Omi und ein langer Brief mit Getätschel und Ermahnung. Die Mia, die auch mit war im Internat (aber wegen anderm Lernbedarf), bekam Haarspangen. Ohne die Omi wäre ich bestimmt bekloppt geworden in dieser blöden Hirnpresse. Ohne die Oma täte das nie was werden mit mir und dem Nobelpreis, sonst wäre ich nämlich jetzt für immer verloren in Doofheit und Bildungsloch. Dafür kann man der Oma gar nicht genug Dank aussprechen.

Aber auch zu Hause war die Omi ohne Entbehrlichkeit. Jeder hat gestaunt, was sie alles können tat und wie viel Energie sie hatte. Das Heimbüro hat sie erledigt, Rechnungen gelocht und abheftet, Überweisungen ausgefüllt und sogar mit dem Eiermann Bestellung vereinbart, wenn die Tante Michèle gerade nicht konnte. Delikatess-Blätterteigtürmchen mit Pfifferlingfüllung hat sie gebacken und den Nachbarskatzen Levitenlesung gemacht wegen unverschämt Rumgeräkele im Blumenbeet. Jeder, der nicht weiter wusste, dufte sie fragen. Die Meisen haben sich Tipps geholt bei Eheproblem, der Nachbarspudel wegen Frisurvorschlag und der Onkel Hermann, wenn er nicht weiterkommen tat bei der Millionenfrage im Wer-wird-Millionär-Fernsehen.

Am meisten umgefallen vor Überraschung ist allerdings die Tante Michèle. Einmal ist sie nach Hause gekommen und tat sich wundern, warum alles so dunkel und still war. Dann hat sie die Haustür aufgeschlossen und sich furchtbar erschreckt: Sie hatte nämlich gedacht, sie wäre in ein Spinnennetz geraten, weil ihr irgendwas um den Kopf flattern tat – dabei waren das nur Luftschlangen. Dann ist das Licht angegangen und aus allen Kehlen ist Johlgeschreie gekommen von Leuten, die Tante Michèle zwar kannte, aber nicht eingeladen hatte. Das hatte die Oma Granny Paula für sie erledigt. Man nennt das Überraschungsparty. Veranstalten tut man so was, um einem andern große Freude zu schenken. Dabei ist es wichtig, dass derjenige, den man überraschen will, hinterher nicht das Geschirr spülen muss und auch nicht bezahlt für das ganze Essen und die vielen Getränke. Die Omi hatte natürlich daran gedacht. Das Geschirr hat sie später auf der Terrasse abgekärchert und allen Gästen am nächsten Tag Rechnung geschickt über 50 Euro. Es gab dann noch öfter solche Partys. Die Omi galt als Zauberin von Fröhlichstimmung und Schlemmerei. Sie hätte ’ne Event-Agentur aufmachen sollen bei all dem Geschick, aber da hatte sie schon längst anderes vor mit ihrer Zukunft.

Plötzlich tat die Oma Granny Paula nämlich Eier legen. Damit hatte niemand gerechnet, weil sie doch schon so alt war. Ihre Leute daheim haben ihr alles gemütlich gemacht, Brutkasten mit Luxusausstattung geschenkt und ihr Gesellschaft gegeben mit Unterhaltungsgeplauder, während sie auf den drei Eiern hockte. Für telefonieren war nicht mehr so viel Zeit. Trotzdem hatte ich ihr Frage gemacht, warum sie jetzt noch Kinder kriegen täte, wo sie doch schon überreife Greisin im Senilalter war. Da hat die Omi Samt in die Stimme getan und gesagt:
„Mein lieber Max, es gibt Dinge, für die es nie zu spät ist. Manchmal muss man warten, bis es passt, manchmal sein ganzes Leben lang. Merk dir eins: Sehnsucht wird nie alt, genauso wenig wie die Hoffnung.“

Ob es denn nicht gefährlich sei für sie als Seniorenhenne, hatte ich noch wissen wollen. –  Doch schon, hat die Oma geantwortet, das Brüten täte die Kondition schwach machen, sie würde es merken manchmal, wenn sie zu schlapp sei für ’ne Kaffeepause. Dann bliebe sie halt sitzen. Aber das sei nicht schlimm, sie täte bald Mutter sein und das hätte sie sich immer gewünscht mit ganzem Komplettherzen. Ihre drei Babys sollten Michelle, Hermano und Mandy heißen. Sie sollten fröhliche Vögel werden und ich der Taufonkel sein.

Tja, und dann ist die Oma gestorben. Ihre Eier sind noch immer da. Den Herzenswunsch hat sie bezahlen müssen. Jetzt ist sie nicht mehr bei uns, sondern macht woanders andern Leuten Freude. Der Lee und der Chicco können froh sein, dass sie jetzt die Oma haben dürfen. Manchmal tu ich am Fenster sitzen, wenn ich nicht schlafen kann. Ich guck dann in den Himmel und denke, so viel Platz und irgendwo dort ist meine Omi, meine liebe Oma Granny Paula. Dann werde ich traurig, aber manchmal tu ich fühlen, wie jemand mir über die Stirnfedern haucht und flüstert: "Na, mein Dicker? Hast du wieder zu viel Erdnussbutter genascht? Und jetzt tut dir der Bauch weh, nicht wahr?“ Dann fühle ich Glück.

© Max: Papageiengeschichten

Sonntag, 17. Oktober 2010

Meine Freunde: Rory, Lee und Flynn

Britische Gentlemen – könnte man denken, wenn man ihre Namen hört, nicht wahr? Dabei tun die drei in der bayrischen Provinz leben, so richtig mit Pusteblumen auf der Wiese und Mücken um den Komposthaufen. Von Tea time haben sie keine Ahnung, auch nicht von Poloreiten oder Rolls Royce. Ihr Mensch ist die Gaby. Aber deswegen macht sie ihnen noch lange nicht den Livree-Butler, sondern stellt die Brotzeit einfach hin ohne Aufhebens und die Jungs müssen dann den Tisch abräumen und das Geschirr spülen, so wie wir andern auch alle im Haushalt helfen müssen. Da ist nix royal oder Commonwealth. Im Gegenteil: Die Gaby tut jedes Jahr im Winter Bilder von Rentieren ins Fenster hängen, daher mache ich Vermutung, dass sie lieber mit diesen skandinavischen Brauntramplern zusammenleben täte. Aber wie gesagt, das ist nur so ’n Gedanke, und jetzt sind die Grünen nun mal da und es sind mir keine Klagen bekannt, dass sie an etwas zu mangeln hätten.

Bevor ich jeden einzeln vorstelle, muss ich aber leider erst mal Sortierung machen. Es wäre nämlich schön, wenn die drei gemeinsam eine Männer-WG haben täten, doch so ist es leider nicht. Erst hat der Rory mit dem Lee zusammengelebt, jetzt ist der Flynn sein Mitbewohner und Freund. Der Lee wohnt nun in einem schönen Grab – aber nur sein Körper, denn bei uns in der Erinnerung und in unserm Herzen ist er noch immer voller Lebendigkeit. Wir sehen ihn seine Faxen machen und tun ihn hören, wie er lacht und sich freut. Das macht uns Trost, obwohl wir natürlich lieber hätten, wenn er noch bei uns wäre. Andererseits ist der Lee ja nur vorausgeflogen, und wie ich ihn kenne, hat er schon alle guten Dönerbuden und Freizeitparks für uns ausprobiert, so dass wir nur noch mitzugehen brauchen, wenn wir dann nachkommen. Was Zuverlässigkeit betrifft, war der Lee schon immer große Klasse.

Der Lee war ’ne Gelbscheitelamazone. Das sind die Leute, sie so ähnlich aussehen wie ich, nur ohne gelben Nacken, dafür aber mit diesem albernen Eidotterklecks auf der Stirn. Von Kraftsport tat der Lee nichts halten, deshalb sah er ’n bisschen korpulenzartig aus. Er hatte es mehr mit Zünftigkeit und Sozial-Engagement. Mit Pfadfinderkindern ist er in den Alpen herummarschiert, hat ihnen gezeigt, wie man Zelte aufbaut und Gulaschsuppe übers Feuer hängt. Und alles für lau! Ist es zu glauben! Keinen einzigen Cent hat er genommen! Den gemischten Gospel-Chor tat er auch leiten. Da hat er Füchsen, Rotkehlchen, Spechten, Murmeltieren und sogar ’nem Steinadler mit Stockgefuchtele Taktanweisung gegeben, allerdings sind sie nur bis „Oh happy day“ gekommen wegen Unausgewogenheit der Stimmen und Terminproblem. Es fehlten Bass und Alt, dafür war Sopran zu viel.

Lee

Außerdem hatte der Lee ’ne Tafel eingerichtet, wo sich Notleidige Armenspeisung abholen durften. Das war aber ’ne Geheimsache wegen der Gaby, weil die doch nicht wissen durfte, dass all ihre leckeren Rindsrouladen und Kuchen aus der Gefriertruhe in Haselmaus- oder Drosselhälse gewandert sind. Ich meine, sie ist ja kein Hartmensch, ganz und gar nicht, aber sie leidet unter Naivvorstellung, was Tiere so brauchen täten, zum Beispiel Meisenknödel oder hingeworfene Brotkrümel, und da hat der Lee gar nicht erst angefangen mit Diskussion, sondern lieber gleich alles selbst in die Hand genommen. Der Rory hat Wache gestanden und der Gaby mit raschem Zugequatsche Ablenkung bereitet, während der Lee draußen an der Hintertür die Klienten abfertigen tat. Natürlich hat sich die Gaby gewundert, wo das ganze Zeug aus der Gefriertruhe abgeblieben war, nur auf den Lee ist sie nie gekommen. In ganz Bayern hält man großes Andenken an den Edelspender. Er ist ein Held! Sogar eine Tannenschonung heißt jetzt nach ihm: „Lee-Alpenamazonen-Revier.“

Der Rory ist weniger kostenlos und eine Blaustirnamazone; der Rory hat Kaufmannsgeschick. Was der Lee voller Unvernunft verschenken tat, hat der Rory an anderer Stelle wieder zusammengerafft. Jetzt ist der Flynn sein Assistent. Früher lebte noch ein kleines Pferd mit auf dem Hof. Flash hieß es. Inzwischen ist der Bursche groß und, wie ich gehört habe, auch kein Pferd mehr, sondern ein Wallach. Ich bin nur froh, dass die Gaby sich nicht für „Esel“ entschieden hat. Menschen kommen ja oft auf dumme Gedanken.

Rory

Als der Flash noch klein war, hat der Rory Wartenummern für Reitstunden verkauft. Normales Reiten war rechts herum im Kreis, therapeutisches Reiten links herum. Das heilpädagogische Dingens tat das Doppelte kosten. Ich meine, man muss dem Rory da schon positive Wirkung zusprechen, denn mit seiner Hilfe ist jetzt so manches Reh- oder Wildschweinkind voller Enthemmung und glücklich. Die andern Waldtiere hatten einfach nur Spaß. Mitgekriegt hat das die Gaby natürlich auch nicht, weil das nicht nötig tat – die Menschen tun schließlich immer glauben, sie täten uns genug Taschengeld geben. Die Reitstunden fanden hinten auf der Koppel statt, wenn die Gaby auf Arbeit war.

Heute macht der Rory in Börsengeschäft. Ob das viel abwirft, weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass der Rory dem Flynn für nächsten Sommer ’ne Woche Speedbootfahren aufm Baikalsee versprochen hat. Da wollen sie auch gleich den Bömmel und den Paul mitnehmen, weil die ja dort wohnen. Das heißt, wenn denen nicht wieder schlecht wird und sie nicht alles vollbröckeln im Schwindelrausch. Der Flynn jedenfalls ist ’n ganz Rasanter: Paragliding, Fallschirmspringen, Wildwasser-Rafting und eben Speedbootfahren. Davon kann er nicht genug kriegen. Wegen Tarnung macht er allerdings auf Gartenfreund, latscht in der Fensterbrettflora herum und tut Begeisterung heucheln. Das gibt der Gaby Einlullen  –  sie wird dann weniger misstrauisch. Hier unten auf dem Foto seht ihr den Flynn bei besagtem Grünzeuggrinsen. Kommt es nicht total echt rüber?

Flynn

Ich hoffe nur sehr, dass der Flynn bei Frauen einen besseren Geschmack hat als der Rory. Der war nämlich mal mit der Cora in Liaison verstrickt. Das sagt schon alles, nicht wahr? Das Bergwerksputchen und der Weißwurstgockel! Die Cora im Dirndl sah aus wie ’ne Humpenträgerin ausm Bierzelt, und der Rory in seinem Jodelanzug hatte Beine wie Zahnstocher, die jemand in ’nen Bratapfel gesteckt hatte. Und dann dauernd dieses erotische Anstarren! Widerlich! Das kenne ich von der Mia mit ihren Diversliebhabern; da muss ich mir das nicht auch noch bei meinen Freunden angucken.

Sonst ist der Rory aber voll verträglich. Man kann gut Spaß mit ihm haben. Ich freue mich schon, mit ihm und dem Flynn wieder was zu unternehmen. Nur die Tante Gaby macht mir noch Kopfzerbrechen. Jedes Jahr zu Weihnachten schickt sie mir nämlich ’ne Falttabelle mit Lebensmittelnamen drauf und ihren Kalorienwerten. Ich weiß nicht, was das soll. Warum kriege ich ständige Belästigung damit? Aus der Tabelle tu ich Schiffchen falten für Mamas Silvesterbowle. Aber sie gehen sofort unter. Nicht mal dafür sind sie gut.

© Max: Papageiengeschichten

Freitag, 15. Oktober 2010

Meine Freunde: Die Grunzer-WG

Grunzer, Bubi, Gisela, Urmel, Sir Bubi und Domino

Es hat was Gutes, wenn man in einer Großgruppe lebt: Man ist nicht so oft dran mit Müll raustragen und Geschirr spülen. Andererseits hat man Leute im Weg herumhocken, mit denen man Arrangement hinkriegen muss wegen jeder Kleinigkeit, angefangen vom Ast, auf dem man sitzen will, bis hin zum Mitbringen von Kumpels nach 22.00 Uhr. Es wird umso schlimmer, wenn komische Kreaturen in der Gruppe sind. Meist reicht ja schon ein Mädchen oder eine erwachsene Schnatterhenne, aber manchmal verbreiten auch gewisse Typen Belastungsstimmung. Bei der Frankentruppe ist es jedenfalls so.

Der Boss ist der Grunzer. Er macht Herrschaft über die Bubi (auch eine Venezuelaamazone wie er selbst), über den Urmel und über den Gisela (beides Gelbwangenamazonen). Ihnen gemeinsam gehört das Vogelzimmer im ersten Stock. Die beiden Blaustirnamazonen Domino und Sir Bubi gehen extra. Die sind was Besseres; die wohnen im VIP-Separee. Der Service-Mensch heißt Uschi. Wie alle Frauen tut sie gern putzen und steht für ihr Leben gern in der Küche. Ihr Auftrag heißt: Obstsalat und Gemüse-Potpourri schnibbeln.

Denn die Vierergruppe hat’s sehr mit öko: alles naturbelassen, Möbel aus Rohholz, Sägespäne statt Teppich, an den Wänden keine Bilder, sondern Eichenbaumwedel und Tannengrün. Dazu Gesundernährung mit Essen, das einen sofort aufs Klo schicken tut, und Ambiente aus Sparta: kein Fernsehen, kein DVD, keine Stereo-Anlage, kein Telefon, PC nur unten bei Uschi und auch nur, nachdem der Chef Erlaubnis dazu genickt hat. Außerdem gibt’s grünes Funzellicht, weil es angeblich Harmonie ausstrahlen tut, einen Plätscherbrunnen mit Aroma-Gesprudel wegen Durchspülung der Luftsäcke und jeden morgen Frühgymnastik.

Der Grunzer hat in seiner Jugend mal ’nen Kurs mitgemacht. Seitdem regiert ihn Verwirrung, was er besser finden soll: das Kneipp- oder Schüssler-Dingens, die Farbenlehre, Steinkunde, Homopattie oder doch lieber die Ginseng-Philosophie mit Feng Shui oder wie das heißt. Weil er keine Entscheidung findet, muss die ganze Truppe nun Querbeet erleiden. Alle müssen sie durch Schüsseln mit Heiß- und Kaltwasser stampfen, nachts auf Schlafplätzen hocken, die nach Osten oder Westen oder sonst wohin Ausrichtung geben, und am Wochenende Ausflüge mitmachen wegen Erbauung und Festigung von Waden und Weltanschauung. In Höhlen wird herumgekrochen nach Stalagmiten oder Vortrag besucht über Petersilie und Thymian oder Wanderungen gemacht mit Gleichschritt und Singbegleitung.

Die Vierergruppe bei der Besichtigung der berühmten Hellholzkommode von Ruhrpolding

Soweit mir Wissen vorliegt, klappt das ganz gut, jedenfalls mit der Bubi und dem Urmel. Die beiden tun nur so strotzen vor Gesundheit und Öde. Die Bubi hat ’n superweiches Flauschgefieder; sie will Religionslehrerin werden. Der Urmel würde gern mal ’nen Puff von innen sehen, tut sich aber nicht trauen, dem Grunzer das zu sagen, weil der Grunzer obendrein zu dem ganzen Gesundfirlefanz an der Moral zurückgeblieben ist. Er tut keine Freundin dulden, solange man nicht verheiratet ist – nur um eins der Gebote zu nennen. Dem Grunzer verursacht so was lautes Erzürnen, und ich kann verstehen, dass der Urmel frustriert ist, wenn er sich ’nen mächtigen Anschiss einhandelt, nur weil er sich für die Innenarchitektur von Wäschepuffs interessiert. Für den Grunzer gehört alles Dunkle zu „intim“.

Der Einzige, der dem Gruppengedöns wirkliches Entrinnen schafft, ist der Rotbalkenheini, der Gisela. Wahrscheinlich ist er deswegen so kotzbrockig. Seine Taktik ist die: zum Grunzer hin artiges Begeisterungsnicken vorführen, aber hinten herum Löcher suchen für Abhauen. Er ist oft krank, mal dies, mal das, oder er fährt auf Seminar nach Weimar oder Baden-Baden. Dort darf dann die Sau raus, die er jedes Mal mitbringt. Junge, Junge … Römer-Orgie war nichts dagegen. Ich weiß das, weil der Stiesela mir von jedem dieser Gelegenheiten ’ne Postkarte schickt mit Detailbeschreibung. Das heißt, er macht Andeutung und meint dann: „… aber dafür bist du noch zu dämlich.“ Ich hätte schon oft Lust gehabt, ihm mit einem kleinen Denkzettel den Spaß zu vermiesen, aber erstens versteht der Grunzer mein anonymes  Zaunpfahlgewinke nicht, und zweitens macht man das nicht unter Freunden. So wünsche ich dem Stiesela alles Gute und mir, er möchte mir von der Pelle bleiben.

Der Stiesela

Warum die Domino und der Sir Bubi nicht beim Gemeinschafts-Omm mitzumachen brauchen, weiß ich nicht so genau. Vielleicht will der Grunzer sie nicht dabei haben wegen Abwehr von Schlechteinfluss, denn die beiden leben zusammen, obwohl sie nicht verheiratet sind – stellt euch das mal vor! Vielleicht tun sie aber auch nur nerven, denn die Domino leidet unter Einbildung, sie täte ’ne große Opernsängerin sein. Jeden Tag dies Gejaule: ha-ha-ha-ha-haaaaa – nee, wirklich, das treibt einem ja die Federn in die Waagerechte! Sir Bubi macht den Ray Charles dazu, klimpert auf den Fressnäpfen die Begleitung. Ich tu mich die ganze Zeit fragen, ob das nicht überhaupt die beste Taktik ist, damit man keine Dünstkarotten essen und Kniebeugen machen muss. Die beiden futtern nämlich Normalkost und gehen mindestens einmal im Monat zu „Döner-Papst“. Sir Bubi hat eine „Metallica“-Plattensammlung, Domino ist Mitglied im Fan-Club von „Sex in the City“.

Sir Bubi und Domino

Vielleicht macht der Stiesela ja doch was falsch; er tut’s nur nicht merken. Schön blöd. Ich werd’s ihm nicht sagen. Armer, doofer Rotbalkenheini.

© Max: Papageiengeschichten

© Fotos: U. W.

Donnerstag, 14. Oktober 2010

Meine Freunde: Cora und Coco


Hier ist ein Abschreckbeispiel, welche Fatalwirkung es haben kann, wenn gutmütige, harmlose Amazonenmänner zu ungünstigen Amazonenweibsen gesteckt werden.

Da ist zunächst einmal meine Freundin Cora. Das Bergwerksputchen lebt in Duisburg. Sie macht zwar Behauptung, es täte dort keine Stollen mehr geben, aber der Max lässt sich nicht hinter die Lampe führen: Dort ist schließlich Ruhrgebiet, und jeder weiß, dass da alles mit Bergwerk verseucht ist.

Die Cora ist eine Venezuelaamazone, genau wie der Coco. Das Veilchenblau im Gesicht kann leicht verwechselt werden mit Druckstellen im Heilvorgang, aber eigentlich glaube ich nicht, dass der Coco und die Cora sich prügeln tun. Mir ist jedenfalls nichts bekannt. Sonst hätte das die Tante Gisela (die da auch wohnt) meiner Mama schon längst ins Telefon geklagt. Die Cora ist eigentlich ganz in Ordnung, nur darf man sie nicht auf Männer loslassen – sie will immer gleich Familie machen. Ich meine, es tut sicher seinen Grund haben, wenn manche Frauen keine Ehe finden, da muss man sich doch nicht trotzdem mit aller Gewalt an den Kerl ranschmeißen, der gerade da ist; da muss man stattdessen seinem Schicksal endlich mal Fügung zugestehen, so wie all die andern Frauen, die auch keiner haben will.

Cora
Der arme Coco! Was hilft’s, dass die Cora prima Mandelplätzchen backt und die Voli gern mit Blümchengardine dekoriert? Sie ist halt mehr der Gluckentyp mit guter Küchenqualität. Man kann sich auf die Cora verlassen. Wenn sie sagt, sie weiß, wann der Zug fährt, dann stimmt das auch. Sie hat ein klasse Gedächtnis, allerdings läuft sie einem noch Jahre nach und nölt einem die Ohren voll, nur weil man vergessen hat, ihr 20 Cent zurückzugeben. Wer gern über Beetpflege und Kürbisrezept Unterhaltung macht, ist bei der Cora bestens aufgehoben.

Tja, aber dann ist da noch das traurige Kapitel, der Coco. Was hätte aus diesem Stolzhahn alles werden können! Ich meine, er ist ja ’n bisschen schlicht am Gemüt, dem muss ich leider Bestätigung geben, aber außen herum sieht er doch absolut okay aus, oder nicht? Und doch ist er ein gebrochener Vogel. Er ist nämlich … kommt mal näher ran … Alkoholiker, jawohl. Schrecklich. So oft schon hat die Gisela ihn weggefahren ins Heim für Saufkranke, aber da tat er nur grölen, im Kurpark Omas erschrecken und beim Essen mit Erbsen auf andere Patienten schießen. Wir pflegen natürlich alle die Hoffnung, dass es noch mal was wird mit der Genesung, und soviel ich weiß, gibt’s keinen, der irgendjemandem Vorwürfe macht, obwohl natürlich jeder weiß, dass die Cora daran … ach, egal, ich will nichts sagen; ein Beichtvater muss auch mal schweigen können, nicht?

Coco mit seinen Kumpels von der Therapiegruppe

Zwischendurch tat’s so aussehen, als hätte der Coco Ablenkung gefunden. Da war er mit der Mia verlobt. Ja, wirklich, ihr tut richtig lesen – mit der Mia. Ich fand’s nicht so toll, weil dann ich als Schwager die alte Saufknolle an den Hacken gehabt hätte, doch die Mia war damals schwanger und deswegen hat keiner auf mich gehört. Oh, hat die Mama Karreespringen vollführt! So jung noch, hat sie geschrien, und schon Mutter! Keine Ausbildung und nur Flusen im Kopf! Komisch war nur, dass die Legezeit bei der Mia so merkwürdig verlaufen tat. Es hat dauernd geschnurbelt und gedampft; die Mia hat Dauerstöhnen dazu beigetragen. Später tat sich herausstellen, dass die Mia gar nicht schwanger war, sondern sich nur Essen zusammengeklumpt hatte. Der Coco wollte die Mia trotzdem heiraten. Er ist extra in seine Heimat, nach Venezuela geflogen wegen Ordnen von Verhältnissen, aber als er wiederkam, hatte die Mia die Verlobung gelöst. Sie wollte nicht die Nummer 2 sein. Der Coco war nämlich schon mal verheiratet mit ’ner andern Tussi, aber mit einer älteren, mit so ’ner Latina-Matrone in Kittelschürze und mit Kinderschar. Seitdem tut die Mia ihre schönen Augen durch Discos werfen, zu Yuppie-Hähnen und Jungebern, und der Coco säuft wieder. Na ja, die beiden hätten sowieso nicht zusammengepasst, denn die Mia wollte goldene Seifennäpfe in der gemeinsamen Voli haben und der Coco lieber aufm Campingplatz Bohneneintopf futtern.

So hockt der Coco noch immer bei der Cora. Wenn das so weitergeht, kriegen beide frühzeitig Graufedern an den Ohren. Es ist von enormer Wichtigkeit, dass man seine Voli mit jemandem teilt, der einen ergänzt und am Geist Bereicherung schenkt. Schaut mich an: Wo wäre die Mia, wenn ich nicht voller Verantwortung und Güte meine Flügel über sie halten täte?

© Max: Papageiengeschichten

Meine Freunde: Bömmel, Chicco und Paul

Hier mache ich euch Vorstellung von einem Männerhaushalt.

Reine Gockelgemeinschaften haben den Vorteil, dass man seine Pizza nicht dauernd auf Puderdöschen und „Vogue“-Zeitschriften ablegen muss. Auch braucht man sich in der Voliere nicht irgendeinen Bravo-Starschnitt anzugucken oder auf rutschigen Stangen zu sitzen, nur weil vorher so ’ne Östrogen-Tussi mit eingecremten Füßen auf dem Platz hocken tat. Unter Männern geht’s viel ehrlicher zu: einfach dem Kumpel das Colaglas aus den Krallen reißen – fertig.

Der Bömmel ist so einer, der das zu schätzen weiß. Von seinen Freunden wird er meistens beim Vornamen gerufen, sein Nachname lautet Baikalsocke: „Baikal“ von dem großen See, der vor seinem Haus zusammengelaufen ist, und „Socke“ wegen Angewohnheit zum Tragen von Freizeittextil. Er ist bestimmt der einzige Kakadu mit Rollkragen. Der Kittel ist notwendig wegen Wärme im Winter und Sonnenschutz im Sommer, denn der Bömmel hat keine Natur-Unterwäsche darunter – so tut zumindest die Petra behaupten, die ihm die Kittel immer zurechtschneidert. Ich habe das aber nie geglaubt. Ich denke ja eher, der Bömmel will seinen Peinlich-Tattoos keine Öffentlichkeit geben, zum Beispiel dem Porträt von der Graugans mit Namen „Kriemhild-Schatz“ oder von dem Leuchtturm in St. Peter Ording mit Strand drum herum und albern schwappenden Wellen. Hinterher ist einem ja so manches peinlich, nicht wahr?

Bömmel
Sonst ist der Bömmel aber völlig normal. Er mag heimwerken, besonders Holzarbeiten, und er fährt gern in den Ferien nach Italien. Weil er nicht fliegen kann, muss er oft mit raus in die Landschaft, in blättrigen Bäumen hocken oder auf der warmen Beifahrertür, während die Petra das Auto wäscht. Bestimmt ist das der Grund, warum sein Gefieder so käsig weiß aussieht. Bei einem vernünftigen Umgang mit Luft und Sonne wäre das nicht passiert, sonst täte da sicher noch was übrig sein von der Originalfarbe. Es muss leider mal voller Deutlichkeit gesagt werden: Da machen viele Halter böse Verfehlung. Wie viele blasse, weiße   Kakadus gibt es! Schrecklich! Alle Opfer von Falschbehandlung!

Einer, der glücklicherweise davon Schonung erleben durfte, war der Chicco – er ist grün geblieben. Dafür war er ’n bisschen mickrig. Ich selbst bin ja ’ne Gelbnackenamazone, nicht wahr? Ich bin 40 cm groß (mit Schwanz). Der Chicco aber hat mir nur Höhenreichung bis ungefähr zum Bauchnabel gemacht, trotzdem tat das bei ihm normal sein, weil er ’ne Weißstirnamazone war, und die sind immer zart und popelig.

Chicco

Der Chicco war der beste Freund vom Bömmel. Ich sage „war“, weil der Chicco leider nicht mehr bei uns ist. Ich bin sehr traurig darüber, nicht nur weil ich den Chicco in Angenehmerinnerung habe und ihn vermissen tu, sondern auch weil der Bömmel plötzlich allein dastand in seiner Hobbywerkstatt und seiner Wohngemeinschaft. So was macht Seelenvernarbung. Ich weiß noch, wie gern der Chicco in Schillers „Räuber“ gelesen und Mozart gehört hat – er konnte das gesamte Knöchelverzeichnis auswendig hersagen, stellt euch das mal vor! After Shave mit Moosgeruch hat er geliebt und der Petra jedes Jahr zu Weihnachten eine Schachtel mit selbst gerollten Pralinen geschenkt. Bleib glücklich, kleiner grüner Kumpel!

Inzwischen ist der Paul beim Bömmel eingezogen. Er ist genau so ’ne arme Nuss wie der Bömmel selbst – genauso ausgewaschen an den Federn. So gesehen tut es prima passen, dass sich jetzt zwei Krücken mit demselben Schicksal Halt und Trost spenden können. Die beiden sehen sich sogar so ähnlich, dass man ihnen leicht Verwechslung antun könnte, wenn man nicht wissen täte, dass der Bömmel ja Kittel trägt. – Fragt mal nur zum Spaß ’nen Kakadu nach seiner Mütze! Das ist lustig. Dann geht hinten gleich so ’n Federkranz in die Senkrechte und der steht dann so ab, fast wie früher im Mittelalter die Clowns ihre Narrenkappen hatten, nur dass bei den Kakadus keine Glöckchen an den Zipfeln bimmeln. Beim Paul und beim Bömmel ist die Mütze innen eidottergelb mit Orange.

Bömmel und Paul

Sonst weiß ich leider noch nicht viel vom Paul; ich habe ihn ja noch nicht richtig kennen gelernt. Vielleicht können wir uns ja mal treffen und Dialog machen über Herbarien, den Dreißigjährigen Krieg oder Autoquartetts. Ich tu da ganz offen sein für Neuanregung. Hauptsache, der Typ ist nicht langweilig. Aber das kann ja nicht sein, sonst wäre er ja nicht der Freund vom Bömmel.

© Max: Papageiengeschichten

Mittwoch, 13. Oktober 2010

Matschfalter

Ist man in eurer Familie auch so pingelig? Nur weil einem aus Versehen zwei Mitglieder aus der Erinnerung gerutscht sind?

Ich verstehe die Aufregung nicht. Die Mama hat mir den Blog hier geschenkt, weil die Mia ein elektrisches Pediküre-Set bekommen hat – ihr wisst schon, so mit Bürsten und Schleifrädern, die dann so brummen und dabei Hornhaut wegschmirgeln oder Rubbelstellen an den Krallen polieren. Weil der Mauken-Apparat so viel Geld kosten tat und ich dafür keine Bohrmaschine oder Elektrosäge haben wollte, durfte ich Alternative anmelden, und da habe ich mich für den eigenen Blog entschieden. In mir tut nun mal der Journalismus brennen; ich will Reportage-Pulitzer werden.

Na, jedenfalls hat die Mama neulich Kontrolle gemacht, hat einfach die Seite hier aufgerufen, obwohl ich ihr extra ’ne falsche URL hingelegt hatte wegen Verhinderung genau dieser Störung. Irgendjemand muss aber gepetzt haben, und so kam es, dass die Mama mich heranwinken tat mit unheiligem „Komm mal her, du!“ Ich musste meine Schaumwaffel neben dem Labtop ablegen und Ansprachebereitschaft vorführen. Was das bitteschön bedeuten soll, hat die Mama gefragt – ob ich in der Rubrik „Profil“ nicht was vergessen hätte.
„Wieso?“, habe ich zurückgefragt: „Nö.“
Da ist die Mama ausfällig geworden, hat mit dem Zeigefinger in meinen Bauch gepiekst und mit Ärgerlichstimme verlangt, dass ich das sofort ändere: „Aber zack-zack!“ Sie täte dann wieder Kontrolle machen.

Genauer gesagt geht’s um die beiden Gummifliegen, die bei uns wohnen. Sie heißen Roosevelt und Otis. Der Familienname lautet „Matschfalter“. Ich soll sie hier vorstellen. Roosevelt ist der Blaue und Otis der mit der kackbraunen Körperwolle. Über sie gibt’s nicht viel zu sagen, außer dass sie unsagbar *piiiiep* sind, dazu total *piiiiep* aussehen, sich außerdem bescheuert *piiiiep* anhören und sich geradezu lachhaft *piiiiep* aufführen. Irgendwann waren sie einfach da, und jetzt haben wir den Salat.

Roosevelt und Otis

Die beiden kommen aus Amerika. Keine Ahnung, wer ihnen gesagt hat, sie sollen uns Heimsuchung bescheren. Der Roosevelt ist in einer Villa aufgewachsen, in Washington, in einem typischen Ami-Palast, wie man ihn aus dem Fernsehen kennt, so mit hohen Säulen davor und in ganz Weiß. Der Otis ist sein Cousin. Eine Schwester vom Roosevelt gibt’s auch noch. Sie heißt Caroline und lebt in einer Ökogurken-Kommune im Harz. Von irgendeinem Onkel war auch mal die Rede, aber mit dem haben wir nichts zu tun, weil (Gott sei Dank!) Transsilvanien dann doch ein bisschen zu weit weg liegt für regelmäßige Austauschbesucherei. Dort soll er bei ’nem Grafen aufm Schloss als Nachtwächter arbeiten. Der Roosevelt und der Otis waren mal in den Ferien dort. Danach sind sie ganz verdreht zurückgekommen und haben mir mit ihrer blöden Kicherei und dem ewigen Getuschele arge Beeinträchtigung bereitet, so als täte jetzt aus ihrem Schrumpelhirn was rausgucken, was zu wichtig wäre, um sich unter die Schädeldecke zu ducken. Das blöde Getue ist zwar noch immer aktiv, aber wenigstens haben sie aufgehört, die Knofi-Zehen aus dem Küchenfenster zu kippen. Der Mama hat das Unverständnis und Ärgernis gemacht, außerdem taten alle Nachbarn im Haus plötzlich nach Knoblauch miefen. Das ist mir umso mehr unerklärlich, weil unsere Knoblauchgirlande nur wegen Deko am Küchenschrank hing und aus Plastik war.

Wie gesagt, ich weiß nicht mehr, wo ich den Anfang suchen soll, warum die beiden Gummizwerge bei uns gelandet sind. Wahrscheinlich sind sie Opfer von Mamas Helferkrankheit. Sie tut nämlich alles hätscheln, was keine Kraft mehr hat zum Weglaufen. – Richtig, meint die Mama, sie hätte eben ein großes Herz für alles Schwache, Dumme oder Benachteiligte. Das sagt sie öfter. Dabei grinst sie voller Entgleisung, schmatzt mir knallende Küsse auf den Schnabel und tut mir mit dem Zeigefinger im Bauchgefieder herumrühren.

Tagsüber merke ich nicht viel von den Flugmäusen. Da hängen sie kopfüber an der Kleiderstange im Schrank zwischen den Blusen und T-Shirts. Die Mama hat extra eine dünnere Stange aus Holz angebracht, damit sie sich besser festhalten können. Wenn Fledermäuse schlafen, dann schlafen sie. Man kann ohne jegliche Hinderung die Gummiflügel ausklappen und zurückflutschen lassen oder die Matschfalter durch Schnippen in lustige Bewegung bringen. Wie Mettwürste in der Speisekammer schaukeln sie dann hin und her.

Abends, wenn’s dunkel wird, stehen sie allerdings auf. Dann ist’s vorbei mit der Ruhe. Meistens wollen sie gleich an den PC. Bei uns gibt’s strenge Berechtigungszeiten. Die Mia und ich haben jeder eine eigene E-Mail-Adresse und der Roosevelt und der Otis haben ihre eigene zusammen. Das ist so gemacht wegen Streitvermeidung. Außerdem wird im Stundenplan notiert, wer von uns wie lange am Laptop sitzen darf. Bei uns Normalbewohnern ist das eher am Tag, bei den beiden Nachthamstern nachts.

Einmal im Monat steht die Mama stundenlang in der Küche und tut Faltermahlzeiten vorkochen. Der Roosevelt mag am liebsten Hackbällchen, der Otis Fliegenragout-Ravioli. Davon werden ganze Schüsseln gefertigt, abgepackt und eingefroren. Jemand muss dann nur noch gegen Abend das Zeug aus dem Gefrierfach holen. Manchmal vergesse ich das – kann ja mal vorkommen, nicht? Es gibt jedenfalls keinen Grund, „Holzkopf“ zu mir zu sagen und die halb gefrorenen Hackbällchen nach mir zu werfen. Einmal hat’s bis Mitternacht gedauert, bis die Mama den Otis gefunden hatte. Er steckte im Blumentopf. Wahrscheinlich hatte er sich selbst dort eingebuddelt und dann vergessen, nach Hilfe zu rufen.

Was die Matschfalter die ganze Nacht so treiben, davon fehlt mir leider Restloskenntnis. Ich kenne ihr Passwort, daher weiß ich, dass sie zwei Blogs besitzen. Einer tut sich mit Biker-Fragen beschäftigen, Harley Davidson und so, der andere mit Fotos von Grillhähnchen: hunderte Bilder und Videos von nackten, öligen Junghühnern, wie sie sich da drehen in Schamloshaltung. Ich habe nur noch nicht herausgefunden, ob sie für ’ne Fachdokumentation gedacht sind oder lediglich obszön darstellen. Die Kommentare kann ich nämlich nicht lesen, dafür muss man Anmeldung haben und Mitglied sein. Manchmal gehe ich ins Internet-Café und frage im Motorrad-Blog als Anonym-Leser, woher ich Stützräder für mein Dreirad bekommen täte oder ob Helmpflicht in der Kinderkarre besteht. Sie kriegen nie raus, dass ich das bin!

Irgendwann hauen sie ab, quetschen sich durchs aufgeklappte Klofenster und surren davon. Ist euch bekannt, dass Fledermäuse in Fahrt fast genauso aussehen wie kleine Vögel? Nur der Schwanz fehlt. Ich habe schon überall Recherche gemacht, auch bei den Tauben, Elstern und Spatzen in der Nachbarschaft, aber jeder tut behaupten, er wüsste nicht, wohin der Roosevelt und der Otis fliegen. Die Tagvögel sagen, da würden sie sowieso schlafen und nichts mitkriegen, und die Tauben halten mir die Flügelspitze hin und grinsen: „No chance, Stinker.“ Ich glaube ja, die beiden Flugmäuse machen irgendwas in Unsolide, verticken Eintrittskarten für „Kaufhaus by night“ oder so was – ich kann’s nur nicht beweisen.

Falls sich jetzt jemand fragen tut, ob ich hier nicht zu viel verrate: Meine Antwort lautet: „Nö.“ Die Mama wird hier nicht lesen. Die ist zufrieden, wenn sie das Bild von den Matschfaltern sieht und ich ihr Glaubhaftversicherung gebe, dass ich ihren Auftrag nach gebührlicher Vorstellung erledigt habe. Das nächste Mal, wenn sie wieder ohne Einladung in meinen Blog gucken will, lasse ich ihr ’ne URL von ’nem Stick- und Häkelforum da. Dort ist sie besser aufgehoben. Alles voller Intellektuell macht ihr nur Durcheinander.

© Max: Papageiengeschichten